"Eine neue Stufe des proletarischen Internationalismus"
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen!
67 Jahre nach der Auflösung der dritten Internationale haben wir mit der Gründung der ICOR den Schritt hin zu einer neuen internationalen Organisation des revolutionären Proletariats und aller um ihre Befreiung kämpfenden unterdrückten Massen gewagt.
Diese Initiative ist notwendig für die Höherentwicklung des Kampfs gegen den Weltimperialismus, der die Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiter und der breiten Massen sowie der überwiegenden Zahl der abhängigen und unterdrückten Länder auf die Spitze getrieben hat.
Es sollte und kann selbstverständlich nicht um die Wiederherstellung der Komintern gehen, die sich damals um den Kern der sozialistischen Sowjetunion als Bollwerk der proletarischen Weltrevolution formiert hatte.
Das Ziel ist, einen Beitrag zu leisten für die Neuformierung der internationalen revolutionären und Arbeiterbewegung unter Berücksichtigung der Lehren aus der Vergangenheit und der konkreten Bedingungen und Aufgaben der Gegenwart und Zukunft.
Nach der tiefen Spaltung der internationalen kommunistischen Bewegung – ausgehend vom XX. Parteitag der KPdSU 1956 – hat die internationale revolutionäre und Arbeiterbewegung ihren tiefsten Rückschlag hinnehmen müssen.
Einstmals starke revolutionäre Arbeiterparteien wie die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) mit ihren über 300.000 Mitgliedern vor und auch nach dem Hitler-Faschismus sind zu reformistischen bürgerlichen Parteien verkommen, eine Reihe von revolutionären Organisationen haben sich heillos gespalten und zersplittert, die revolutionäre Arbeiterbewegung hat sich in verschiedenen Ländern geradezu marginalisiert und der reaktionäre Antikommunismus ist tief in die Massen eingedrungen.
Es hat lange gedauert, bis sich die standhaften revolutionären Parteien und Organisationen bemüht haben, in erster Linie wieder die Zusammenarbeit zu suchen. Das geschah insbesondere in der Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem damit verbundenen kläglichen Bankrott des modernen Revisionismus.
Auf internationalen Seminaren, Konferenzen und öffentlichen Debatten wurde versucht, Stück für Stück die ideologisch-politischen Differenzen der unterschiedlichen revolutionären Parteien beizulegen, Erfahrungen auszutauschen und sich Schritt für Schritt wieder anzunähern. Solche Initiativen behalten auch weiterhin ihre Bedeutung, reichen aber längst nicht mehr aus.
Die Zeit ist heute reif, einen bedeutenden Schritt vorwärts zu eines dauerhaft organisierten Zusammenarbeit der revolutionären internationalen und Arbeiterbewegung zu tun. Der positive Erkenntnisprozess über die Notwendigkeit eines solchen praktischen Zusammenschlusses wurde gefördert durch die objektive Entwicklung.
Der internationale Kampf der imperialistischen Länder gegen den sogenannten "Terrorismus", die globale Klimakatastrophe und zuletzt der Ausbruch der Weltwirtschafts- und Finanzkrise 2008 stellten die revolutionäre Arbeiterbewegung vor Probleme, die nur noch global gelöst werden können.
Der Kampf gegen das imperialistische Weltsystem macht den länderübergreifenden Zusammenschluss revolutionärer Parteien und Organisationen zu einer dringenden Notwendigkeit.
Zugleich zeigte sich in der Praxis, dass sich bereits eine ganze Reihe von Elementen zur Internationalisierung des Klassenkampfs herausgebildet hatten:
- Haben nicht am 15. Februar 2003 fast 19 Millionen Menschen in weltweit über 660 Städten gleichzeitig gegen die bevorstehende Aggression des US- Imperialismus gegen den Irak demonstriert?
- Hat sich nicht im Dezember 2009 in Kopenhagen ein international in 100 Ländern vernetzter aktiver Widerstand zur Rettung des Weltklimas gegen die rücksichtslose Umweltzerstörung der Monopole etabliert?
- Hat nicht der länderübergreifende Streik der Hafenarbeiter in Europa im Jahr 2005 das europäische Gesetz zur Liberalisierung der Häfen erfolgreich zunichte gemacht?
- Haben nicht die Länder Lateinamerikas in einem gemeinsamen länderübergreifenden Kampf die geplante US-dominierte Südamerikanische Freihandelszone scheitern lassen?
- Und sind nicht zuletzt die konzernweiten und länderübergreifenden Streiks in Europa seit 2004 zu einer wiederholten Realität geworden?
Wie anders sollen die Menschen gegen die international koordinierten Aktivitäten der Monopole und Imperialisten zur Wehr setzen, wenn sie nicht selbst ihren Klassenkampf international koordinieren?
Um den Zusammenbruch des Weltfinanzsystems zu verhindern, einen unkontrollierten Zusammenbruch der Weltwirtschaft aufzufangen und vor allem um soziale Unruhen als Basis einer länderübergreifenden revolutionären Gärung potentiell abzuwenden, wurden weltweit bislang nicht weniger als 24 Billionen US-Dollar aufgewendet.
Es ist eine unverrückbare Tatsache, dass das internationale Krisenmanagement die Gefahr von Staatsbankrotten erheblich verschärft, was Anfang 2010 zur Eurokrise geführt hat.
Natürlich war das internationale Krisenmanagement der führenden internationalen Monopole und der imperialistischen Regierungen nur zeitweiliger Natur, bis es wieder von der gegenseitigen unerbittlichen Konkurrenz abgelöst wurde, um den jeweils eigenen Vorteil zu nutzen.
Ein solch gigantisches Krisenmanagement lässt sich auch nicht beliebig wiederholen, weil man die schier unermesslichen Krisenlasten nicht beliebig auf die breiten Massen abwälzen kann, ohne die allgemeine Destabilisierung des imperialistischen Weltsystems für die Herrschenden nicht gefährlich zu verschärfen.
Überall auf der Welt haben die Proteste den Charakter des Kampfes gegen diese Abwälzung auf dem Rücken der Massen angenommen. Aber das passiert vielfach noch unkoordiniert, spontan und weitgehend von Reformisten und Opportunisten geführt, was natürlich den Kämpfen die gesellschaftsverändernde Zielrichtung nimmt, ihren Erfolg schmälert bzw. sogar in die Niederlage führt.
Mit der zunehmenden Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems wird künftig auch eine Tendenz zu einer revolutionären Krise entstehen und wachsen. Darauf müssen sich die breiten Massen, die Arbeiterklasse, die Bauern, die Studenten und die Frauen in ihrem Kampf, in ihrem Denken, Fühlen und Handeln vorbereiten.
Dazu brauchen sie den internationalen Zusammenschluss, der sie gemeinsam mit den um ihre Freiheit kämpfenden Massen in den vom Imperialismus unterdrückten und ausgebeuteten Ländern zu einer unüberwindlichen Kraft im Kampf gegen den Imperialismus und für eine sozialistische Gesellschaft macht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen!
Natürlich behält der Klassenkampf in den einzelnen Ländern den Vorrang. Er ist die politische Basis des proletarischen Internationalismus, da die Macht der Kapitalisten und des Imperialismus nach wie vor nationalstaatlich organisiert bleibt.
Bei aller internationalen Verflechtung und Konzentration hat der Weltimperialismus keinen gemeinsamen Machtapparat. Das ist seine grundlegende Schwäche, die er im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung nicht überwinden kann.
Dennoch wäre es einfältig zu fordern, die Arbeiterklasse und die breiten Massen eines jeden Landes, die um ihre Freiheit kämpfenden Völker wie die Kurden oder die Palästinenser sollten unabhängig voneinander und ohne internationalen Zusammenschluss mit ihrer eigenen Bourgeoisie und den vereinigten Imperialisten fertig werden.
Ist die Strategie und Taktik des Kampfes gegen den internationalen "Terrorismus" nicht die gemeinsame Plattform der Herrschenden, um – in welchem Land auch immer – jede Gefährdung ihrer Machtverhältnisse rigoros und so weit wie möglich auch gemeinsam nieder zu werfen?
In einer solchen strategischen Ausgangslage nur auf die Unabhängigkeit des revolutionären Kampfes in den jeweiligen Ländern zu pochen, ohne zugleich den länderübergreifenden Zusammenschluss und die internationale Solidarität zu suchen, wäre eine sichere Weichenstellung in die Niederlage.
Haben nicht Marx und Engels die Ursache der Niederlage der "Pariser Kommune" 1871 darin gesehen, dass das internationale Proletariat den Klassenbrüdern in Paris nicht mit revolutionären Aktionen in ihren eigenen Ländern zu Hilfe gekommen ist und es stattdessen zugelassen hat, dass sich die Bourgeoisie zur letztlich überlegenen Konterrevolution formieren konnte?
Ist nicht das Fortschreiten der internationalen proletarischen Revolution nach der Oktoberrevolution 1917 daran gescheitert, dass die Konterrevolution die verschiedenen revolutionären Aufstände und Kämpfe in Deutschland und Europa gemeinsam im Blut ersticken konnten?
Es darf nicht noch einmal passieren, dass revolutionäre Kräfte, revolutionäre Aufstände und heldenhafte Befreiungsbewegungen aufgrund ihrer nationalen Isoliertheit, der mangelnden internationalen Solidarität und einer internationalen Konterrevolution erstickt werden können!
Darum geht es bei der Schaffung der internationalen Organisation zur Koordinierung der praktischen Tätigkeit revolutionärer Parteien und Organisationen: Die beschleunigte Herausbildung der subjektiven Voraussetzungen für einen internationalen revolutionären Befreiungskampf zur Überwindung des Imperialismus!
Über 70 Parteien und Organisationen haben sich aktiv und konstruktiv an der Diskussion und Vorbereitung der ICOR-Gründung beteiligt und verstehen sich selbst als Bestandteil dieses Gründungsprozesses, auch wenn nicht alle anwesend sein konnten.
Wichtige Bedenken bezogen sich auf die Frage, wie es gelingen kann, einen solchen Zusammenschluss herbeizuführen, wenn noch nicht alle wesentlichen ideologisch-politischen Fragen vereinheitlicht sind.
Wir kamen zu der Erkenntnis:
Bei aller Notwendigkeit der schrittweisen ideologisch-politischen Vereinigung ist eine gemeinsame Praxis, ein gemeinsamer Kampf in einigen wesentlichen Fragen nicht davon abhängig, in allen wesentlichen Fragen einig zu sein.
Haben wir nicht alle vielfältige Erfahrungen in der Aktionseinheits- und Einheitsfrontpolitik in unserer revolutionären Praxis?
Verlangen wir von den verschiedenen Teilnehmern an antifaschistischen Demonstrationen und Aktionen immer jeweils gemeinsame weltanschauliche und politische Vorstellungen, bevor wir in der Praxis zusammenarbeiten?
Kein Streik im Betrieb würde zu Stande kommen, wenn es nicht gelänge, unter Zurückstellung von weltanschaulichen und politischen Meinungsverschiedenheiten im Kampf zur Durchsetzung der jeweiligen ökonomischen und politischen Forderungen zusammen zu kämpfen.
Umgekehrt hilft erfahrungsgemäß die gemeinsame revolutionäre Praxis bei der Überwindung ideologisch-politischer Meinungsverschiedenheiten.
Einheit und Kampf der Gegensätze ist ein dialektisches Prinzip, das jeder Revolutionär beherrschen muss, will er nicht in der Selbstisolierung verkümmern.
Die am ICOR-Prozess beteiligten Organisationen sind sich bei allen Meinungsverschiedenheiten über weltanschauliche Fragen oder bei der politischen Analyse und programmatischen Fragen doch in wesentlichen Grundpositionen einig.
- Es besteht Einheit darüber, dass dieses imperialistische Weltsystem die Wurzel der ungelösten Probleme der Menschheit ist; dass nur die Überwindung des imperialistischen Weltsystems auch die Menschheitsprobleme lösen kann.
- Es ist die gemeinsame Einsicht, dass das auf einem revolutionären Wege passieren muss; die alten Mächte müssen gestürzt, ihre Strukturen durch Strukturen der Diktatur des Proletariats und der Volksmacht ersetzt werden.
Bei allen weltanschaulichen Unterschieden sind wir uns einig:
- Dass wir einen klaren Trennungsstrich zum Revisionismus, zum Trotzkismus und zum Anarchismus ziehen, dass wir jeder Form des Antikommunismus wie feindselige Angriffe und bürgerliche Hetze gegen den sogenannten "Stalinismus" oder "Maoismus" sowie die Diktatur des Proletariats eine entschiedene Abfuhr erteilen.
Bei den Beschlüssen der Gründungskonferenz mussten wir diese grundlegende Einheit bestimmen, ohne aus den Augen zu verlieren, dass es natürlich auch noch einen bestimmten Prozentsatz ungeklärter Fragen, ideologisch-politischer Meinungsverschiedenheiten gibt, die wir erst im weiteren Prozess des Aufbaus der ICOR Schritt für Schritt klären können.
Wir haben es auch mit völlig unterschiedlichen Organisationen zu tun:
- Mit reifen, seit Jahrzehnten erfahrenen revolutionären Parteien mit Masseneinfluss und Erfahrungen im revolutionären Klassenkampf.
- Mit Parteien, die Erfahrungen in der illegalen Arbeit der Revolutionäre haben.
- Mit großen Parteien, mit kleinen Parteien.
- Mit Parteien aus den ehemals sozialistischen Ländern, die Erfahrung mit der Entartung der ehemals sozialistischen Länder haben unter der Bedingung der Restauration des Kapitalismus, die die Untauglichkeit des Revisionismus erfahren haben.
- Mit Parteien, die neu entstanden sind, auf der Grundlage der Erkenntnis, dass der revolutionäre Klassenkampf ohne revolutionäre Avantgarde nicht siegen kann.
- Nicht zuletzt unterscheiden sich die revolutionären Parteien und Organisationen durch ideologisch-politische Meinungsverschiedenheiten, die ihre speziellen weltanschaulichen, historischen oder sozial-ökonomischen Wurzeln haben mögen.
Bei aller Widersprüchlichkeit respektvoll auf Augenhöhe zusammenarbeiten – das ist die einzige Chance für eine revolutionäre Vereinigung, der es gelingen kann, eine dem Imperialismus überlegene Kraft zu werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen!
Wir werden sicherlich nicht nur Erfolge haben, sondern auch Niederlagen erleiden, vielleicht auch Rückschläge und Enttäuschungen hinnehmen müssen. Das liegt in der Natur der Sache, in den gegebenen Kräfteverhältnissen.
Mit unserem revolutionären Enthusiasmus, unserer prinzipiellen Überzeugung und unserer unerschütterlichen Beharrlichkeit müssen wir schrittweise mit den Problemen in der Zusammenarbeit fertig werden und uns gegenseitig dabei unterstützen. Wir müssen ein neues Gefühl der Gemeinsamkeit entwickeln.
Das ist eine neue Stufe des proletarischen Internationalismus, indem man sich nicht nur für sich, für den Klassenkampf und Parteiaufbau im eigenen Land zuständig fühlt, sondern gleichermaßen auch für den in Afrika, in Amerika, in Asien, in Europa, in Australien, in Ländern, die man niemals betreten hat und von denen man vielleicht nur wenig Ahnung hat.
Das alles erfordert einen Selbstveränderungsprozess aller Beteiligten, in dem wir mit alten Gewohnheiten brechen müssen, ohne in Prinzipienlosigkeit und Opportunismus oder Sektierertum zu verfallen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen!
Die Vereinigung der Revolutionäre ist ein großer Akt des proletarischen Internationalismus, von dem Lenin anlässlich der Gründung der dritten Internationale sagte, dass er erst dann seine tatsächliche Verwirklichung finden kann, wenn er von einer gemeinsamen internationalen Organisation getragen wird.
Wir Mitglieder der Teilnehmerorganisationen der ICOR müssen uns erst noch daran gewöhnen, dass wir nun einer gemeinsamen Organisation angehören, die sich gemeinsame praktische Ziele gesetzt hat, sich einheitliche Regeln gegeben hat und von einem einzigen Gedanken beseelt ist, den Imperialismus zu überwinden und auf der ganzen Welt freie sozialistische Länder zu erkämpfen.
Unsere Perspektiven sind mit unserem Zusammenschluss enorm gewachsen!
Machen wir was daraus!
Vorwärts mit der ICOR!
Proletarier aller Länder, vereinigt euch!
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker, vereinigt euch!
Vorwärts zum Sozialismus!