Tunesien: Der Aufstand der Unterdrückten

Der im Volk verhasste Präsident Zine al Abidine Ben Ali wurde am 15. Januar von den aufständischen Massen Tunesiens verjagt. Er flog nach Saudi-Arabien mit 1,5 Tonnen Gold im Gepäck.

Junge - TunesienSein Abgang ist wie ein Wetterleuchten weit über Tunesien hinaus. Seit dem Sturz des Schahs im Jahre 1979 erleben wir die erste erfolgreiche Revolte des Nahen und Mittleren Osten.

Konkreter Auslöser war die Preiserhöhung von mehr als 13 Prozent. Sie hat die Ernährungsgrundlage der Bevölkerung drastisch verschärft. In der Massenerhebung bündelte sich aber der ganze aufgestaute Hass gegen ein System, das vor allem der Jugend keine Zukunft bietet. Viele Arbeitsplätze werden vernichtet, im Bergbau allein 9.000 in den letzten 15 Jahren. 2008 protestierten die Bergarbeiter in der Bergbauregion Gafsa. Hunderte wurden verhaftetet, einige erschossenen, Aktivisten der Gewerkschaft UGTT (Union Generale de travail de Tunisie – Allgemeiner Gewerkschaftsverband Tunesiens) kamen für Jahre ins Gefängnis. Die Mehrheit der 10 Millionen Einwohner des Landes ist unter 30 Jahre alt, rund 30 Prozent sind offiziell arbeitslos und auch bei bester Ausbildung ohne Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Der Ausweg in die europäischen Länder wird mit Stacheldrahtzäunen versperrt. Viele haben bei der Flucht übers Mittelmeer ihr Leben verloren.

Der Aufstand der Jugend
Die Selbstverbrennung des Hochschulabsolventen Mohammed Buzazi, der vom Obstverkauf lebte und dem die Polizei Mitte Dezember 2010 den Obststand verbot, wurde zum Signal für die Revolte. Mit Aufrufen, nicht zuletzt von Aktivisten der PCOT (Parti Communiste Ouvrier de Tunisie – Kommunistische Arbeiterpartei Tunesiens, siehe Seite 6) verbreiteten sich die Proteste. Selbstbewusst wurde der Protest von Stadt zu Stadt getragen, mit Jugendlichen an der Spitze. Die Gewerkschaft UGTT (Union Generale de Travail de Tunisie) konnte ihre Rolle als staatstragender Ordnungsfaktor nicht mehr erfüllen, weil die Masse der Mitglieder sich dem Einfluss der Führung entzog. Sie nutzten die gewerkschaftlichen Strukturen und riefen zu regionalen Generalstreiks auf. Sie organisieren Bürgerwehren, übernehmen Aufgaben der Selbstversorgung und zeigen was für Fähigkeiten in ihnen steckt, wenn sie die gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen beginnen. Im Aufruf der PCOT von Anfang Januar heißt es: „Das ist ein neuer Prozess, der sich in Tunesien eröffnet.“

Aufstand gleich Chaos?
Die bürgerlichen Massenmedien und Regierungsspitzen sind von der Revolte aufgeschreckt. Sie zetern über das Chaos und hoffen händeringend wieder auf „geordnete Verhältnisse“. Geordnete Verhältnisse sind also brutale Ausbeutung, Ausplünderung der Menschen durch Spekulanten, Polizeiterror mit Folter und Mord! Man sollte sich das unbedingt merken, wenn die Menschen hier zur Offensive gegen dieselben Herrschaften übergehen werden.
Zurecht greift die Solidaritätsbewegung in den europäischen Ländern auch die Regierungen ihrer eigenen Staaten an. Zwei Migrantenorganisationen in Paris verurteilen die französische Nationalversammlung, die eiligst den bedrängtem tunesischem (und dem algerischen) Regime „Polizeiliches Know how“ angeboten hatte, weil die Polizei beider Länder „überfordert“ ist.

Merkels Kaltschnäuzigkeit
Bundeskanzlerin Angela Merkel rief die Demonstrierenden in Tunesien zur Besonnenheit  auf. Kein Wort der Empörung von ihr über die mehr als 80 Toten und Hunderte von Verletzten, über den Terror von Polizei und Geheimdienst des Regimes Ben Alis! Die einzige Einkehr besteht darin: Man „habe die Lage in Tunesien in der Vergangenheit falsch eingeschätzt“, ließ Merkel ihren Afrika-Beauftragten Günter Nooke (CDU) am Montag erklären.
Die Ahnungslosen!!! Sie selbst haben die tunesische Polizei mit ausgebildet. Am 17. Januar erklärte ein WDR-Reporter in der Morgensendung: Es war die peinlichste Situation in seinem Reporterleben, als 2002 der ehemalige Innenminister Schily (SPD) bei einem Besuch in Tunesien die „ausgesprochen demokratischen Verhältnisse“ über den grünen Klee lobte.
Kein Wunder, die wirtschaftlichen Beziehungen gediehen auch prächtig. Deutschland ist der viertgrößte Investor in dem Land. Am Tourismusgeschäft verdienen deutsche Reisekonzerne und darüber floriert der Warenexport mit einem Wert von 1,18 Milliarden Euro 2008. Da schaut man schon drüber weg, wenn sich die Clique Ben Ali einen Großteil der Pfründe in die eigene Tasche steckt. Da hilft man sogar mit, ihn und seinen Clan mit einer 12.000 Mann starken Leibgarde zu schützen. Schon Bert Brecht schrieb Tyrannen wie Ben Ali ins Stammbuch: „Da können sie noch so laut halt schreien. Weil ihnen das alles nichts mehr nützt.“
Der Sturz einzelner Despoten ist noch nicht der Sturz des Systems. Das spüren die Menschen in Tunesien und viele rufen „Weg mit dem Filz“. Die neue Interimsregierung wurde vom bisherigen Ministerpräsidenten Mohamed Ghannouchi, mit alten Ministern oder Ministern von Parteien, die bisher zur Scheinopposition des Systems gehörten, eingesetzt. In Flugblättern, die unter der Bevölkerung kursieren heißt es: „Die Demokratie kann nicht aus den Strukturen der Diktatur geboren werden.“
Demokratische Rechte und Freiheiten braucht das Volk wie die Luft zum atmen. Ihre Bedeutung hob der große russische Revolutionär Lenin hervor: „Nur bei politischer Freiheit ist ein entschlossener Kampf der ganzen Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie möglich, und das Endziel dieses Kampfes besteht darin, dass das Proletariat die politische Macht erobert und die sozialistische Gesellschaft errichtet.“ (Lenin, Werke, Bd. 4, S. 259).

Heute Tunesien und morgen?
In Tunesien explodiert das erste von vielen Pulverfässern auf der Welt. Den führenden imperialistischen Staaten der Welt geht es bei ihren Anstrengungen, die Weltwirtschafts- und -finanzkrise zu überwinden, so als hätten sie einen Bumerang geworfen. Die G-20-Gipfel haben Ende 2008 und im Februar 2009 Krisendämpfungsprogramme koordiniert und hunderte Milliarden Euro aufgewendet, um ihr Finanzsystem zu retten und nach ihren eigenen Aussagen der Gefahr von Aufständen vorzubeugen. Und jetzt geraten sie vom Regen in die Traufe: Explodierende Preise, Umweltzerstörung, politische Instabilität. Im Nahen und Mittleren Osten, in Asien und Afrika können jederzeit neue Revolten aufflammen, weil dort die grundlegend selben Probleme existieren. Die Krisendämpfung ist relativ gescheitert. Sie war nur um den Preis der Destabilisierung des kapitalistischen Weltsystems und der Verschärfung der Klassenwidersprüche zu haben. Doch der Imperialismus wird nicht automatisch in eine ausweglose Lage geraten, eher stürzt er mit seiner Krise die Massen mit in die Barbarei.

Es gibt einen Ausweg:
Wenn die Arbeiter und Volksmassen über Ländergrenzen hinweg koordiniert und auf revolutionärer Grundlage sich vereinigen. Und wenn die Lehren aus den Siegen und Niederlagen der Vergangenheit in allen Ländern mehr und mehr gemeinsam gezogen werden. Dafür ist der Aufbau und die Stärkung von marxistisch-leninistischen und revolutionären Parteien in den verschiedenen Ländern und ihre Zusammenarbeit das entscheidende Kettenglied. Dafür muss jetzt die ICOR gestärkt werden. Sie stellt sich die Aufgabe der internationalen Koordinierung in Parteiaufbau und Klassenkampf. Der beste Beitrag dazu ist die Entscheidung für die Mitgliedschaft in der marxistisch-leninistischen Partei im eigenen Land, in Deutschland in der MLPD, die Mitglied in der ICOR ist. Die Massen brauchen eine marxistisch-leninistische Führung. Aber es ist ihre Entscheidung: Es gibt keine Revolution ohne und gegen den Willen der Volksmassen.

Wolf-Dieter Rochlitz

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