Wachsende Kritik an der japanischen Regierung - Solidarität und Widerstand sind das Gebot der Stunde

13.03.11 - Ausmaß und Auswirkungen der Erdbeben-, Tsunami- und Nuklearkatastrophe in Japan werden immer dramatischer.

Allein durch die Überschwemmungen sind vermutlich 10.000 Menschen ums Leben gekommen, hundertausende sind auf der Flucht, Millionen ohne Strom. Am meisten Anlass zu Sorge gibt die Entwicklung der Atomkatastrophe. Vor kurzem wurde über die Nachrichtenagentur Kyodo bekannt, dass in einem dritten Atomkraftwerk, Tokai an der Ostküste südlich von Fukushima, die Kühlsysteme ausgefallen sind.

Nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien wurde heute nachmittag für das Kraftwerk Onagawa wegen überhöhter Werte von Radioaktivität der Notstand ausgerufen. In zwei Reaktoren des Kraftwerks Fukushima ist die Kernschmelze im Gange. Fünf weitere Reaktoren sind ohne Kühlsysteme. Sie werden mit Meerwasser gekühlt, wobei man nichts weiß über den Zustand der Rohre, die das Wasser aus dem Meer holen.

Weltweit wächst die Kritik an der Informationspolitik der japanischen Regierung und von Ministerpräsident Naoto Kan. Die australische Regierung verlangte von Japan volle Aufklärung über die Bedrohung. Greenpeace wirft der japanischen Regierung vor, entscheidende Informationen zu dem schweren Atomunfall zu verschweigen und so die Menschen massiv zu gefährden.

Christoph von Lieven, Greenpeace-Energie-Experte sagte im Interview auf "ntv", dass es keine unabhängigen Messungen der ausgetretenen Radioaktivität gebe und dass man den Berichten der Regierung und der Betreibergesellschaft nicht trauen könne. Er hält es für komplett verantwortungslos, dass den Menschen nicht die Möglichkeit gegeben werde, geordnet aus der Gefahrenzone zu kommen. Damit seien die japanische Regierung und die Betreiber direkt dafür verantwortlich, dass mehr Menschen von den tödlichen Strahlen betroffen werden. Die erste Kernschmelze wurde von der japanischen Regierung erst eingeräumt, als sie nicht mehr zu vertuschen war.

Die Bevölkerung in Japan verhält sich angesichts dieser ungeheuren Ereignisse sehr ruhig und diszipliniert. Die Hilfsbereitschaft untereinander ist groß. Vom Gewerkschaftsverband Zenroren erhielten wir die Information, dass er einen speziellen Hilfstrupp zusammen mit einer Ärztevereinigung und der Bauerngewerkschaft vor Ort schickte: "Es ist notwendig, so viele Menschen wie möglich zu retten und den evakuierten Menschen beizustehen. Wir werden morgen eine Stellungnahme an alle Freunde in Übersee schicken." (mehr dazu)

Professor Edmund Lengfelder, Wissenschaftler vom Otto-Hug-Strahleninstitut in München sagte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur "dpa": "In allen Industrieländern, die auf Kernkraft setzen, ist die Bevölkerung über das Gefahrenpotenzial nicht aufgeklärt worden. Alle Staaten, die ich kenne, bagatellisieren die Folgen und sagen, bei uns ist alles sicher. Ich würde mich nicht wundern, wenn mehr Reaktoren betroffen wären."

Besonders problematisch ist die Situation nach Aussage von Greenpeace vermutlich bei dem dritten Reaktor des Atomkraftwerkes Fukushima 1. Der Reaktor werde mit sogenannten Mox-Brennelementen (Mischoxid-Brennelemente) betrieben, die Plutonium enthalten. Plutonium sei aber nicht nur hochgradig radioaktiv, sondern auch hochgiftig. Die Umwelt würde radioaktiv verseucht und komplett vergiftet, über lange Zeiträume. In der Provinz Myagi wurde ein 400-facher Wert an Verstrahlung gemessen, die Provinz liegt nördlich von Fukushima und ist besonders hart von der Tsunami-Katastrophe betroffen. Millionen Haushalte sind ohne Stromversorgung. Um weitere große Blackouts zu vermeiden, planen die Stromkonzerne, Energie zu rationieren.

Unabsehbar sind bisher die wirtschaftlichen Konsequenzen. 12 Betriebe des Toyota-Konzerns produzieren nicht mehr. Auch bei Nissan und Hyundai liegen Produktionsanlagen still.

Nach offiziellen Angaben sind bisher 160 Menschen verstrahlt. Zynisch ist die Aussage eines Sprechers der Betreibergesellschaft, wonach vier Arbeiter, die schwer verstrahlt wurden, ja offenbar nicht lebensgefährlich verletzt seien – schließlich seien sie noch bei Bewusstsein. Aileen Mioko Smith, Vorsitzender der japanischen Organisation "GreenAction", sagte nach Angaben der Zeitung "Japan Times": "In diesem seismisch aktiven Land weigert sich die Regierung, Notfallpläne zu machen, die Nuklearunfälle als Folge von Erdbeben beinhalten. Es gibt keinerlei Maßnahmen dafür, die Öffentlichkeit zu schützen, wenn es sowohl Erdbeben wie atomare Unfälle gibt.“

In Japan ebenso wie in China und Indien existieren extreme Ausbauprogramme für Atomanlagen mit ihrer nicht beherrschbaren Technologie - für den Maximalprofit der internationalen Energiekonzerne. So will die Regierung in Peking 28 neue Anlagen allein bis 2015 mit Dutzenden von Reaktoren bauen. In Mumbai gibt es Massenwiderstand gegen den Bau des weltgrößten Atomkraftwerks - geplant übrigens von französischen Energiemonopolen. Japan wollte die Energieversorgung mittels Atomanlagen in den nächsten Jahren auf über 50 Prozent steigern.

Der Wissenschaftler Lengfelder hält die deutschen Reaktoren, auch wenn hier die Gefahr von Erdbeben natürlich nicht so hoch ist, keineswegs für gefahrlos: "Gerade bei den so wichtigen Notkühlsystemen liegt bei uns einiges im Argen, etliche Kraftwerke laufen im Prinzip auf einem Sicherheitsniveau von 1975. Mich würde es nicht wundern, wenn ein solcher Fall auch bei uns eintreten würde. Die Politik nimmt ihre Verantwortung aber nicht ernst, sondern verlängert sogar die Laufzeiten."

Während Bundeskanzlerin Merkel nach dem gestrigen Krisengipfel immerhin noch einräumt, man müsse die deutschen AKWs überprüfen, sieht RWE dafür nicht die geringste Notwendigkeit. Man könne alles so weitermachen wie bisher inklusive der Verlängerung der Laufzeiten. Diesen Leuten, die nur getrieben sind von nackter Profitgier, muss die Welt aus der Hand genommen werden!

In vielen Städten Deutschlands, darunter in Berlin, Gorleben, Bochum mit 400 Teilnehmern, Frankfurt, Gelsenkirchen, Köln und Düsseldorf, fanden am Samstag und am Sonntag Solidaritäts- und Protestaktionen statt ("rf-news" berichtet). Viele sind noch geplant, insbesondere am morgigen Montag, und darüber hinaus. Zu der schon länger geplanten Menschenkette von der Stuttgarter Staatskanzlei bis zum AKW Neckarwestheim am Samstag, dem 12. März, kamen mit 60.000 viel mehr Menschen als zunächst erwartet. Sie demonstrierten entschlossenen Einsatz für die sofortige Stilllegung aller der Atomkraftwerke. Unsere Korrespondentin berichtet: "Der Behauptung von Umweltminister Röttgen, Deutschland werde voraussichtlich nicht von der Katastrophe betroffen sein, wurde heftig widersprochen: wir haben nur eine Erde und jeder Atomunfall betrifft uns! Egal, wo er passiert."

Bestimmend ist die große Einmütigkeit über Partei- und Organisationsgrenzen hinweg gegen die verbrecherische Atompolitik der Bundesregierung. In diesem Rahmen gibt es natürlich Auseinandersetzungen über den Charakter der Aktionen und die Forderungen. Viele sehen, dass symbolische Aktionen nicht ausreichen und dass man die Atompolitik mit einer Stimme für die Grünen bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg nicht "abwählen" kann:

"Schließlich war es doch die rot-grüne Bundesregierung unter Schröder und Fischer, die mit ihrer Abschaltungsmogelpackung noch viele Jahre Laufzeit draufgepackt hat und die nun von der aktuellen Merkel/Westerwelle-Regierung noch einmal verlängert worden sind. Das ist menschenverachtend und nur am Maximalprofit der Konzerne ausgerichtet. Solche Regierungen müssen sofort zurücktreten. Alle AKW weltweit müssen sofort vom Netz!" (Aufruf aus Heidelberg für die morgige Montagsdemo).

Die Solidarität mit den japanischen Massen gebietet, in diesen Tagen mit aller Kraft Menschen für eine weltweite Front des aktiven Widerstands zu gewinnen. Dazu müssen die Solidaritäts- und Protestaktionen, zu denen sich breite Bündnisse zusammenschließen sollen, am morgigen Montag und darüber hinaus genutzt werden.

Die  10. Internationale Konferenz marxistisch-leninistischer Parteien und Organisationen im Jahr 2010 verabschiedete eine Resolution, in der es unter anderem heißt: "Angesichts der Gefahr der unumkehrbaren Zerstörung der Mutter Erde durch die imperialistischen Mächte bei der Realisierung ihrer Profitgier ist die Umweltfrage zum Gegenstand großer Sorge seitens der gesamten Menschheit geworden. Die Internationale Konferenz stellt fest, dass es Versäumniss seitens der marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung in der Umweltfrage gab. ... Die Arbeiterklasse muss ihre führende Rolle übernehmen und gleichzeitig offen mit allen ernsthaften Umweltschützern zusammenarbeiten. Die Lösung der Umweltfrage in der Wiederherstellung der Einheit von Mensch und Natur liegt letztlich im Sozialismus/Kommunismus, wo nicht der Profit, sondern die Interessen der Menschheit im Mittelpunkt stehen."

Das Flugblatt der MLPD, das am gestrigen Samstag erschienen ist, findet man hier. Am morgigen Montag wird ein neues Flugblatt erscheinen und ein aktuelles Plakat zum Download und Ausdruck.

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