Perspektiven der internationalen Jugendrebellion

Sechs Tage erschütterte die Jugendrevolte in den Vorstädten Großbritannien. Ausgelöst wurde sie durch den Polizeimord an Mark Duggan.

Der 29-jährige Vater von drei Kindern wurde am 4. August von einer Spezialeinheit der britischen Polizei in Tottenham erschossen. Schnell wurde die Lüge der Polizeiführung, der Erschossene habe zuerst eine Waffe genutzt, widerlegt. Tatsächlich gab es am Tatort nur von der Polizei abgeschossene Kugeln.

Der Polizeiterror ist in den Vorstädten mit vor allem migrantischen Arbeitern Alltag durch ständige Kontrollen und Schikanen.

Am 6. August gab es dagegen eine erste Protestkundgebung. Die Polizei verweigerte dabei nicht nur jede Stellungnahme, sondern ging sogar brutal gegen eine 16-jährige Bekannte des Opfers vor. Daraufhin wurde zur Gegenattacke übergegangen, mit breiter Unterstützung im Stadtteil. Am 8. August hatte die Jugendrevolte 13 Viertel der Stadt London erfasst und breitete sich weiter aus. Am 9. August hatte sie Manchester, Birmingham und ein Dutzend weiterer Städte im Land erreicht. Jugendliche lieferten sich tagelange Straßenschlachten mit der Polizei, prangerten die rassistische Polizeiwillkür und die allgemeine Perspektivlosigkeit der Jugend an. Verhasste Symbole des Staatsapparats wie Polizeiwachen wurden attackiert, Geschäfte – besonders internationale Ketten – geplündert. Im Verlauf der Revolte traten politische Anliegen immer weiter in den Hintergrund. Teilweise wurden sinnlos Autos von Arbeiterfamilien zerstört, Kleinhändler attackiert und ausgeraubt usw.; mindestens vier Menschen kamen ums Leben.

Die anarchistischen, kriminellen und provokatorischen Elemente werden von den Ultrareaktionären und Faschisten ausgenutzt. Die Faschisten der „English Defence League“ und der „British National Party“ riefen zur Gründung sogenannter „Bürgerwehren“ gegen Arbeiterjugendliche und besonders Migranten auf. Die reaktionäre Cameron-Regierung reagiert mit einer Welle der staatlichen Repression, rassistischer und jugendfeindlicher Demagogie und weiterer Verschärfung ihres Krisenprogramms. Über 2.000 Verhaftete werden von den Gerichten im Minutentakt Tag und Nacht abgeurteilt. Der bislang öffentlich geächtete Einsatz von Wasserwerfern und Gummiknüppeln soll künftig zum Standard werden. Auch der Einsatz der Armee gegen Revolten, Aufstände usw. wird von der Regierung gefordert. Jugendlichen, die sich an Aktionen beteiligten, soll jede staatliche Unterstützung gestrichen werden. Im Stil der Sippenhaft werden sogar Familien, in denen angeklagte Jugendliche leben, aus ihren Sozialwohnungen geworfen. Polizei und Staat rufen zur Volksdenunziation auf. Bilder gesuchter Jugendlicher werden auf riesigen Bildschirmen, an Bussen usw. veröffentlicht. Anonym oder gegen Prämie sollen ihre Namen gemeldet werden. In faschistoidem Tonfall spricht Cameron davon, man bräuchte „einen Dirty Harry, der aufräumt“.

Gleichzeitig gibt es eine Massendebatte in Großbritannien über die Ursachen und Schlussfolgerungen der Revolte. So sollen sich in einigen Stadtteilen auch selbst organisierte Bewegungen zum Schutz der „communities“ gebildet haben. Am 14. August demonstrierten 2.000 in Nord-London unter der Losung „Gebt unseren Kindern eine Zukunft“. Der Protest wurde von 70 lokalen Initiativen organisiert, mit aktiver Beteilung Jugendlicher und ausgesprochen politischen Forderungen gegen Staat und Regierung (siehe Bilder auf S. 5).

Wie ist die Jugendrevolte in Großbritannien zu beurteilen?

Es ist notwendig, der Faschisierung des Staatsapparats entschieden entgegenzutreten. Zugleich darf die Jugendrevolte in Großbritannien nicht überhöht und unkritisch betrachtet werden. In dem Buch „Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution“ wurde bezüglich der französischen Vorstadtrevolten darauf hingewiesen: „Solche Jugendrevolten in den verschiedens

ten Formen werden sich häufen. Sie dürfen aber nicht glorifiziert werden, wie es anarchistische Kräfte tun: allein aufgrund ihrer radikalen Kampfformen. Denn ohne Verbindung zur Arbeiter- und Volksbewegung und ohne gesellschaftliche Perspektive bleiben sie blinde Rebellionen, unfähig, die Gesellschaftsordnung zu verändern, gegen die sie anrennen.“ (S. 510)

Die reaktionäre Cameron-Regierung und verschiedene Massenmedien leugnen direkt die gesellschaftlichen Ursachen der Jugendrevolte in Großbritannien. Premier Cameron zieht einen peinlichen Zirkelschluss, wenn er behauptet, es gehe eben um „Aktionen von Kriminellen“, die ihre Ursache in der „Kriminalität“ hätten … Der tatsächliche Hintergrund liegt aber in der allseitigen Krisenhaftigkeit des imperialistischen Systems.

In Großbritannien stieg die Jugendarbeitslosigkeit seit Ausbruch der Weltwirtschafts- und Finanzkrise Ende 2008 um 40 Prozent. In Tottenham kommen auf einen neuen Arbeitsplatz 57 Stellensuchende. Acht von 13 Jugendclubs wurden dort vor kurzem geschlossen. Großbritannien ist das Land Europas, das das drastischste Programm zur Abwälzung der Krisenlasten auf die Massen beschlossen hat. Bis zum Frühjahr 2015 sollen 94 Milliar- den Euro „eingespart“ werden. Nirgendwo in Europa ist der Reichtum so ungleich verteilt wie in Großbritannien. Das Vermögen der oberen 10 Prozent der Bevölkerung ist mehr als 100-mal so groß wie das der unteren 10 Prozent.

Aufschwung der internationalen Jugendrebellion

Die Rebellion der Jugend gegen die herrschenden Verhältnisse, für ihre Zukunftsinteressen, lässt sich höchstens zeitweise unterdrücken. Sie wird immer wieder ausbrechen, auch eruptiv. Entscheidend ist, mit welcher Denkweise diese Rebellion durchgeführt wird, und dafür hat die Arbeiter- und Volksbewegung eine große Verantwortung. So protestierten im November und Dezember 2010 in England zehntausende Studenten gegen die drastische Erhöhung der Studiengebühren auf bis zu 11.000 Euro im Jahr. Die Proteste waren Vorläufer von Massendemonstrationen im Frühjahr 2011, mit einer halben Million Menschen auf der Straße gegen Kürzungen im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich. Am 30. Juni führten die Arbeiter der öffentlichen Verwaltung und der Grund- und Berufsschulen den größten Streik der letzten 30 Jahre durch. Es ist bezeichnend, dass die rechte Gewerkschaftsbürokratie die Interessen der besonders unterdrückten (meist migrantischen) Arbeiterjugend dabei völlig außen vor lässt. Genauso ignorieren anarchistische Kräfte die Bedeutung der Verbindung zu diesen Arbei- ter- und Volksprotesten. Dabei kommt alles darauf an, die Rebellion der Jugend als Avantgarde der Vorbereitung der internationalen sozialistischen Revolution zu fördern und zu organisieren.

In Europa, Afrika, Arabien, Amerika erleben wir einen Aufschwung der Rebellion der Jugend, besonders seit Ende 2010/Anfang 2011. In Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Oman und anderen Ländern von Nordafrika und Arabien waren Jugendliche als erste auf der Straße gegen die autokratischen Regimes und bringen die größten Opfer im Kampf. In Zentralasien und im Kaukasus häufen sich anhaltende demokratische Jugendproteste, aber auch in Kroatien und Mazedonien. In Südeuropa griffen Jugendliche das Signal aus Nordafrika auf. In Spanien wurden wochenlang zentrale Plätze besetzt mit Elementen der direkten Demokratie. In Deutschland belebte sich die Rebellion der Jugend 2009 im Zuge der Bildungsproteste. Seit Mitte 2010 verlagerte sich der Schwerpunkt auf die Umwelt. In Chile kämpfen seit Monaten zehntausende von Schülern und Studenten gegen die von der EU forcierte Privatisierung der Bildungspolitik, was sich zunehmend mit Kämpfen der Bergarbeiter und des Volksprotestes durchdringt. Die Jugendrebellion hat eine klare internationale Tendenz, die Proteste nehmen Bezug aufeinander, lernen voneinander, solidarisieren sich.

Ausgeprägt ist ihr demokratischer Anspruch, die Kritik an der Perspektivlosigkeit im Imperialismus, die Ablehnung der etablierten bürgerlichen Parteien und Institutionen – aber auch die weitgehend fehlende Klarheit über positive Ziele und Alternativen, eine Organisationsfeindlichkeit, ein kleinbürgerlicher Führungsanspruch „der Jugend“ und verschiedene antikommunistische Einflüsse. Auf den Punkt gebracht reiche es aus, eben „empört“ zu sein. Der „Vater“ dieses Slogans, Stéphane Hessel, propagiert ausdrücklich, dass diese „Empörung“ in neue Vereinbarungen mit den ausbeuterischen Unterdrückern münden muss und auf keinen Fall revolutionär sein darf. Sein großes Vorbild ist ausgerechnet General de Gaulle, der 1968 vor der französischen Jugend- und Arbeiterbewegung zu den in Deutschland stationierten französischen Truppen flüchten musste. Natürlich muss sich die Jugend „empören“ über die herrschenden Zustände; sie braucht aber auch einen langen Atem, eine gute Organisation und einen klaren Kopf, damit sie gesellschaftsverändernd sein kann.

Der internationale Aufschwung der Rebellion der Jugend ist ein begeisterndes Signal für kommende Arbeiter- und Volkskämpfe. Er ist aber auch eine Herausforderung an die Verwirklichung der Lebensschule der proletarischen Denkweise in der Rebellion der Jugend. Nur so kann der Widerspruch zwischen Aktivität und Rebellion der Jugend auf der einen Seite und ihrer gleichzeitigen Anfälligkeit für die kleinbürgerliche Denkweise gelöst werden. Dabei baut die MLPD auf ihren Jugendverband REBELL, der in den letzten Monaten an Stabilität, rebellischer und internationalistischer Attraktivität gewonnen hat. Der Aufbau solcher marxistisch-leninistischer Jugendmassenverbände und ihre internationale Zusammenarbeit erhält eine zunehmende Bedeutung. Jeder, der dies in Deutschland unterstützen möchte, kann dies durch Spenden, durch praktische Unterstützung, Werbung für den REBELL oder die Mitgliedschaft in der MLPD tun.

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