Zoff in der Hauptstadt – worüber streitet die Regierung?

In Berlin gehen die Tassen hoch: Bundespräsident Christian Wulff kanzelt die Kanzlerin wegen ihrer europäischen Wirtschaftspolitik ab.

Uraltkanzler Helmut Kohl beklagt die „mangelnde Berechenbarkeit“ seines „Mädchens“ von ehedem. Angela Merkel lässt das nicht auf sich sitzen und verteidigt ihren „Euro-Rettungs-Kurs“ mal wieder als „alternativlose, vertrauensbildende Maßnahme“. Außenminister Guido Westerwelle wird von seinen engsten Partei„freunden“ tatkräftig demontiert.

Im Zentrum der Streitigkeiten stehen die weit auseinander driftenden Vorschläge, wie angesichts der aktuellen Phase der Verschärfung der seit 2008 anhaltenden Weltwirtschafts- und Finanzkrise mit der Eurokrise umgegangen werden soll.
Auf einem ihrer zahlreichen Krisengipfel hatten die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone im Juli vereinbart, das verfügbare Ausleihvolumen des EU-Rettungsfonds EFSF auf 440 Milliarden Euro aufzustocken und dem Fonds weitere Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Er soll nicht nur Darlehen an hoch verschuldete Länder vergeben, sondern auch deren Staatsanleihen aufkaufen dürfen – was die Europäische Zentralbank entgegen ihrer ursprünglichen Aufgabenstellung schon fleißig macht. Zugleich soll er befugt sein, dies an Auflagen für die Abwälzung der Krisenprogramme auf die Massen zu koppeln.
Aber wer in Europa darüber zu bestimmen hat, wohin die Milliarden gehen, welches Land, welche Bank wie viel aus den Steuergeldern der Mitgliedsländer locker machen oder bekommen kann – darüber wird erbittert gestritten.
Der französische Präsident Nicolas Sarkozy und seine deutsche Amtskollegin Angela Merkel schlagen eine europäische Wirtschaftsregierung vor, die die beiden mächtigsten EU-Länder weiter ermächtigt und die nationale Souveränität der kleineren EU-Länder noch weiter erdrosselt. Finanzminister Schäuble will das Parlament ausschalten und klammheimlich eine Generalvollmacht für „Rettungsmaßnahmen“ der Regierung durchdrücken. Dagegen regt sich heftiger Widerspruch auch aus CDU, CSU und FDP.
Für eine Abstimmung im Bundestag am 29. September wird ein „EFSF-Reformpapier“ vorgelegt, das dem Parlament die ein oder andere Entscheidungsbefugnis formal überlässt – die „Umsetzung“ soll dann nur noch den Haushaltsausschuss passieren. Im Oktober steht dann der nächste Parlamentsbeschluss über das zweite „Hilfspaket“ für Griechenland auf der Tagesordnung.
Die SPD hat schon unterwürfig erklärt, dass all das ja wohl mal wieder „ohne Alternative“ sei und sie deshalb die Regierungspläne unterstützen werde.
Die bürgerlichen Parlamentarier, die sich jetzt als Hüter demokratischer Mitspracherechte aufführen, fürchten offenkundig, dass sie bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern noch weiter einbrechen, weil immer unübersehbarer ist, dass die Entscheidungen nicht im Parlament, sondern hinter dessen Kulissen getroffen werden. Diese Landtagswahlen werden auch zumindest teilweise Aufschluss darüber geben, wie weit die Massenbasis dieser Regierung bereits weggebrochen ist – und können den Übergang in eine offene politische Krise voranbringen.
Da trifft es sich besonders gut, dass die Bewegung der Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV ihre bundesweite Demonstration für den 17. September in Berlin vorbereitet – als Kampfansage an diese Regierung.

Widersprüche zwischen verschiedenen Monopolgruppen
Ausgangspunkt der gegenwärtigen Vertiefung der latenten politischen Krise sind Widersprüche im Lager der Monopole. 50 Konzernchefs von französischen und deutschen Banken und Industrieunternehmen veröffentlichten Ende Juni Großanzeigen in allen überregionalen Zeitungen, mit denen sie sich für die „Euro-Rettung“ stark machten: „Der Euro ist notwendig“. Das waren vor allem Vertreter von Übermonopolen, die zum allein herrschenden internationalen Finanzkapital gehören. Aus Deutschland waren die Vorstandsvorsitzenden von Siemens, BASF, Deutsche Post, E.on, Daimler und BMW dabei, Vertreter der Deutschen Bank, ebenso wie der Allianz-Versicherung. Dagegen wehrten sich in gemeinsamen Erklärungen Vertreter kleinerer Monopole und Unternehmen, darunter Autozulieferer wie Brose, Textilunternehmen wie Trigema oder Nahrungsmittelproduzenten wie Brandt-Zwieback. Diese fürchten, dass die immensen Risiken für die „Rettung“ Irlands, Griechenlands oder Portugals in diesen Ländern nichts ändern – aber selbst den deutschen Staatshaushalt an den Staatsbankrott heranführen könnten. Sie wollen eher ein Auseinanderbrechen der EU in Kauf nehmen, Länder wie Griechenland ausschließen usw.
Die hiesigen Repräsentanten des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals nehmen dagegen solche Risiken in Kauf und wollen damit ihre Herrschaft in der EU weiter ausbauen. Schließlich brauchen sie Europa für ihre Exportgeschäfte und als Basis für die internationale imperialistische Konkurrenz. Sie wollen die Souveränität der nationalen Haushaltspolitik weiter einschränken und einen unmittelbaren Zugriff auf die „Filetstücke“ der kleineren Länder, forcieren die Privatisierung von Flugplätzen, Häfen, Telekommunikation. „Eine Handvoll internationaler Übermonopole hat sich die ganze Weltwirtschaft unterworfen und ihre allseitige Diktatur über die Gesellschaft errichtet“, heißt es in dem Buch „Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution“.
Dort wird auch das Dilemma des internationalen Finanzkapitals angesichts der gegenwärtigen Krise deutlich gemacht: Ob rigorose Abwälzung der Krisenlasten auf die Bevölkerung über sogenannte „Sparprogramme“ oder noch höhere Verschuldung durch Fortsetzung oder Neuauflage der jetzt auslaufenden Konjunkturprogramme: Mit jedem ihrer „Rettungsversuche“ riskieren sie eine noch tiefere Destabilisierung ihres gesamten Herrschaftssystems und den Aufschwung von Massenkämpfen und offenen politischen Krisen – nicht nur in Deutschland.

Geplatzte Aufschwungs-„Blütenträume“
Noch vor wenigen Wochen träumten die bürgerlichen Wirtschaftsweisen davon, dass die Ende 2008 aufgebrochene tiefste Weltwirtschafts- und Finanzkrise seit dem II. Weltkrieg überstanden wäre. Ihre riesigen staatlichen Konjunkturprogramme sollten gar einen „selbst tragenden Aufschwung“ der Weltwirtschaft ermöglichen. Mit der Ende Juli begonnenen und keineswegs ausgestandenen weltweiten Börsenkrise gab es ein böses Erwachen.
Mit 63 Billionen US-Dollar wird das gesamte weltweite Bruttoinlandsprodukt (also alle produzierten Waren und Dienstleistungen) für das Jahr 2010 angegeben – auf den „Finanzmärkten“ aber kursierten im gleichen Jahr 955 Billionen US-Dollar, also mehr als das 15-Fache – gespeist nicht zuletzt aus den „Rettungsmilliarden“. Die aktuelle Börsenkrise signalisiert, dass die Spekulation auf künftige Maximalprofite mit der real zu erwartenden Wirtschaftsentwicklung auseinanderdriftet.
Immer noch liegt die Industrieproduktion der wichtigsten Industrieländer unter dem Vorkrisenstand. Die Wirtschaft in den USA, Japan, Großbritannien und anderen ökonomischen Schwergewichten stagniert, Griechenland, Irland oder Portugal wurden noch tiefer in die Krise gedrückt. Deutschland konnte eine Weile mit einer relativen Belebung besonders von Exporten nach China, Indien und Brasilien profitieren. Aber genau diesen „Lokomotiven“ eines erträumten Auswegs aus der Weltwirtschaftskrise geht die Luft aus. Insbesondere China hatte mit riesigen Konjunkturprogrammen spekulativ die Wirtschaft angeheizt – und erreicht inzwischen Inflationsraten, die die offiziellen wirtschaftlichen Zuwachsraten auffressen.

Widersprüche über die deutsche Außenpolitik
Auch die Debatte um Westerwelle und Libyen hängt eng mit der imperialistischen Wirtschaftspolitik zusammen. Nicht etwa, weil die Bundesregierung vor Auslandseinsätzen der Bundeswehr zurückschreckt – die betreibt sie ja auch weiterhin in Afghanistan – hatte sich Außenminister Guido Westerwelle im Auftrag der Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat bei der Entscheidung über einen Militäreinsatz enthalten. Die Bundesregierung wollte es sich nicht mit China, Russland, Indien und den nordafrikanischen Ländern verderben, die ja ebenfalls wichtige Exportländer für Produkte und Anlagen deutscher Monopole sind.
Als Altkanzler Kohl diese taktische Zurückhaltung schalt, schickte ihn Angela Merkel aufs Altenteil zurück: „Jede Zeit hat ihre spezifischen Herausforderungen. Die christlich-liberale Bundesregierung arbeitet daran, die Herausforderungen unserer Zeit zusammen mit unseren Partnern in Europa und der Welt entschlossen zu meistern.“
Kohls Zeiten, in denen am Ende die USA alleinige Supermacht war und die BRD-Außenpolitik sich vor allem an der NATO-Politik ausrichtete, sind vorbei. China steht auf dem Sprung, eine neue sozialimperialistische Supermacht zu werden und die „neuen Herausforderungen“, die Angela Merkel für die deutschen Monopolinteressen formuliert, beinhalten, dass man sich mit China gut stellen muss.
Mit dem Erfolg der NATO-Mission ist die Bundesregierung unter Druck geraten. Westerwelle wurde dahin geschubst, dem NATO-Einsatz gegen Libyen „Respekt zu zollen“, zurückgenommen hat weder er noch seine Kanzlerin die offizielle Enthaltung.
Das wiederum kritisieren ausgerechnet die Grünen, die doch so gerne als „Friedenspartei“ auftreten. Wer nach dem Sturz des reaktionären Despoten Gaddafi den größten Reibach aus dem erdölreichen Land ziehen wird – das ist noch nicht ausgemacht. Zumal die Zusammensetzung der sogenannten „Rebellen“ und der sich soeben installierenden neuen Regierung höchst widersprüchlich ist: alte führende Gaddafi-Leute sind darunter, reaktionäre Islamisten, Anhänger der verschiedensten imperialistischen Länder – wie auch viele Menschen aus dem Volk mit fortschrittlichen, demokratischen Anliegen. Von Anfang an hatte die MLPD eine klare Position bezogen. In einer gemeinsamen ICOR-Erklärung gegen den NATO-Krieg gegen Libyen heißt es: „Wir betonen vor allem, dass der Kampf gegen die reaktionären Potentaten sich zu einem antiimperialistischen Kampf gegen ihre Hintermänner in den imperialistischen Metropolen entwickeln muss. Eine Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung unter dem Schutzschild der Imperialisten ist unmöglich. Die imperialistischen Aggressoren haben in Libyen nichts zu suchen.
Der berechtigten Rebellion der Massen gehört unsere Solidarität! Wir unterstützen den Weg der demokratischen Revolution auf dem Weg zum Sozialismus als Ausweg aus Hunger, Elend, Krieg, Ausbeutung und imperialistischer Spaltung und Niedertracht.“ (ICOR-Erklärung vom 20. März 2011)

„Karl Marx hatte Recht“ – nicht nur in seiner Wirtschaftsanalyse
Angesichts der aktuellen Krisenentwicklung geben selbst bürgerliche Ökonomieprofessoren wie der US-amerikanische Nouriel Roubini zu: „Karl Marx hatte Recht.“ Er habe schon vor 150 Jahren nachgewiesen, dass der Kapitalismus gesetzmäßig verheerende Krisen hervorbringt. Warnend unkt Roubini: „Der Kapitalismus hat einen Punkt erreicht, an dem er sich selbst zu zerstören droht.“
Weiter geht die „Neuentdeckung“ des Marxismus allerdings nicht. Eine Selbstzerstörung des Kapitalismus führt aber unweigerlich in die Barbarei, deren Vorgeschmack wir in extremer Ausbeutung der einen und Arbeitslosigkeit der anderen, in weltweit wachsendem Massenelend, in Hungerkatastrophen und Umweltzerstörung erleben.
Weil er genau das mit klarem Blick sah, blieb Karl Marx nicht bei seiner treffenden Wirtschaftsanalyse stehen, sondern zog die revolutionäre Schlussfolgerung, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen sei“.
Die Einsicht in die Untauglichkeit des Kapitalismus wächst bei immer mehr Menschen rund um den Globus. Die Zuversicht und wissenschaftliche Gewissheit, dass die Menschheit nicht mit dieser verkommenen Gesellschaftsordnung in barbarischen Verhältnissen untergehen muss, macht eine massenhafte Auseinandersetzung mit den bewusst geschürten Lügen, Ängsten und Vorbehalten gegen eine sozialistische Alternative nötig. Sich in Wort und Tat an die Spitze dieses Kampfs gegen den Antikommunismus und für die Zukunft der Menschheit zu stellen, sieht die MLPD als eine ihrer wichtigsten Aufgaben.


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