„Es wächst das Bewusstsein, dass das ganze politische System weg muss“

Interview mit Errikos Finalis von der Kommunistischen Organisation Griechenlands (KOE), Mitglied der ICOR

Wie schätzt ihr die gegenwärtige Entfaltung der Kämpfe in Griechenland ein?

Wir befinden uns in der dritten Phase des Kampfs seit anderthalb Jahren, seit dem Regierungsabkommen mit IWF und EU. Wir hatten zunächst eine Phase von Generalstreiks. Dann kam die Phase der Besetzung der Plätze im Mai/Juni dieses Jahres. Jetzt haben wir das dritte Stadium. Bei vielen gibt es nicht mehr dieselbe Hoffnung wie im Juni, dass wir dieses Regime mehr oder weniger leicht los würden. Den Menschen ist klarer, dass wir in einem länger währenden Kampf der Volksmassen stehen.

Der Kampf ist geprägt von vielen Streiks. Vor allem der Generalstreik von 48 Stunden war sehr erfolgreich. Er fand in ganz Griechenland statt. Die Privatindustrie war einbezogen; das hat es noch nicht oft gegeben. Am 19. Oktober waren auch kleine Läden in ganz Griechenland geschlossen. Es gab Streiks in Fabriken, Unternehmen usw. Wir haben große Streiks von kommunalen Arbeitern, die weitergehen, wie der der Müllwerker. Dieser Streik war für illegal erklärt worden. Die Beschäftigten wurden wie Soldaten verpflichtet und sie folgten dem Befehl zur Wiederaufnahme der Arbeit dennoch nicht.

Eine weitere Kampfform, die sich sehr schnell verbreitete, waren Besetzungen öffentlicher Gebäude. Außerdem gibt es die Organisationsformen auf Nachbarschaftsebene, um die sieben neuen Steuern nicht zu zahlen, die der großen Mehrheit der Bevölkerung auferlegt wurden. Sie sollen von den Elektrizitätswerken eingezogen werden, d. h., dass bei Nichtzahlung den Menschen der Strom gesperrt wird. Viele organisieren sich in Nachbarschaftsorganisationen, um dies zu verhindern.

Die Hauptforderung, die die verschiedenen Streiks und Kämpfe vereint, ist, dass diese Regierung gehen muss. Jetzt, nachdem die Regierung dieses neue Gesetz angenommen hat, das alle kollektiven Tarife im privaten Sektor zunichte macht, verbreitet sich die politische Forderung, dass die Regierung zu gehen hat, noch mehr; ebenso auch die Forderung nach Nichtzahlung der neuen Steuern. Ein wachsender Teil der Bevölkerung ist gegen alle bürgerlichen Alternativen. „Das ganze politische System muss weg“, sagen viele.

Das bedeutet eine Verbindung von ökonomischen und politischen Streiks …

Genau. Mehr und mehr Sektoren der Arbeiterklasse schließen politische Forderungen in ihre Mobilisierung ein.

Wie beurteilt ihr die Steinewerfer?

Es wird jetzt klar, dass diese Gruppe von sogenannten Anarchisten als Provokateure gegen die Volksbewegung handeln. Sie attackierten Demonstranten. Als diese ihnen zuriefen, dass sie die Läden usw. nicht zerstören sollten, wurden viele angegriffen und mussten ins Krankenhaus. Das erinnert daran, wie im Mai 2010 von solch einer Bande ein Brand in einer Bank gelegt wurde, dem drei Beschäftigte zum Opfer fielen. Das war damals ein großer Rückschlag für die Bewegung.

Wir sagen, dass diese Leute nichts mit dem Protest zu tun haben. Es ist egal, ob sie Anarchisten sind oder Polizeiagenten. Das Ergebnis ist dasselbe. Wir verurteilen diese Handlungen, denn sie sind gegen den Willen der Leute. Die Bevölkerung will bestimmte Bedingungen, die eingehalten werden sollen, damit sie demonstrieren können. Sie wünscht Massendemonstrationen, friedliche Demonstrationen, obwohl das nicht heißt, dass es unmöglich ist, massenhaft Volksgewalt auszuüben. Das ist etwas ganz anderes, als wenn kleine Gruppen Demonstranten angreifen.

Andererseits attackiert die revisionistische KKE (Kommunistische Partei Griechenlands) nur diese Gruppe und nicht die Regierung. Die Regierung ist aber verantwortlich für den Tod eines Demonstranten. Er starb an Atemnot aufgrund der Chemikalien der Polizei. Die revisionistische Partei greift die Regierung deswegen nicht an. Die Volks- und Gewerkschaftsbewegung fordert, dass die Regierung Schluss macht mit dem Gebrauch dieser kriminellen Waffen, dieser Chemikalien und des Gases, die den Tod des Demonstranten herbeiführten.

Es zeigt eine große Entschiedenheit der Massen, dass sie den Kampf trotz Annahme des Krisenprogramms fortsetzen. Das setzt die Frage nach dem Ziel des Kampfes in neuer Art auf die Tagesordnung …

Es hat eine wichtige Änderung im Bewusstsein großer Teile der Bevölkerung stattgefunden. Die bürgerlichen Massenmedien propagieren die ganze Zeit, dass das Krisenprogramm die einzige Möglichkeit ist. Als sie dies vor anderthalb Jahren sagten, glaubte ihnen ein großer Teil der Bevölkerung. Jetzt glaubt die große Mehrheit nicht mehr daran. Sie denken über eine andere Lösung nach.

Es gibt nicht viele, die den Sozialismus beim Namen nennen. Aber die breiten Massen verstehen, dass das System nicht funktioniert. Die Diskussion über eine radikale politische und soziale Änderung berührt die Menschen ernsthaft und sie wird ernsthaft geführt. Sie verstehen aus ihrer eigenen Erfahrung heraus, dass dieses politische System nicht nur verfault ist, sondern dass es auch unfähig ist, zu funktionieren und das kleinste Problem zu lösen.

Wie wachsen eure Partei und die Selbstorganisationen in dieser Zeit?

Es gibt sehr viele Volksorganisationen im ganzen Land, wir spielen in ihnen eine wichtige Rolle. Unsere Situation ist jedoch auch schwierig, weil auch unsere Mitglieder kämpfen müssen, um zu überleben. Zur selben Zeit gelingt es uns, mehr und mehr Sympathisanten und Freunde um unsere Vorschläge zu organisieren.

Das Bewusstsein der Menschen entwickelt sich sehr, sehr schnell. Die historische Veränderung ist hier sozusagen konzentriert. Von Tag zu Tag ist die Situation verändert.

Welche Erfahrungen macht ihr mit der internationalen Solidarität, gerade auch der ICOR-Organisationen?

Die Solidarität von ICOR und anderen Organisationen und Parteien in der ganzen Welt ist ermutigend. Das ist keine formale Sache, sie hilft uns wirklich. Wenn wir hören, dass Genossen aus anderen Ländern mit uns solidarisch sind, ermutigt das, den Kampf trotz der schwierigen Bedingungen fortzusetzen. Wir meinen, dass wir mehr Zeit finden müssen, um selbst beizutragen zur Koordinierung zwischen den verschiedenen Parteien und Organisationen. Die Koordination hilft uns allen.

Vielen Dank für das Interview. Wir sind im Herzen bei euch und wünschen euch ganzen Erfolg in eurem Kampf!

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