Notoperationen der Krisenmanager

Das war knapp. Am 30. November einigten sich die wichtigsten Zentralbanken der Welt darauf, schlagartig mehr Geld in den weltweiten Geldumlauf zu pumpen, um einen akut drohenden, neuerlichen Absturz des Weltfinanzsystems zu verhindern.

Nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden Eurokrise vertieft sich von neuem die Vertrauenskrise im Finanzwesen. In einem schleichenden „Bank Run“ zogen reiche Bankkunden und Konzerne große Geldsummen vor allem aus südeuropäischen Banken ab, um sie in scheinbar sichereren skandinavischen Ländern oder bei der Europäischen Zentralbank (EZB) zu „parken“. Immer mehr Konzerne bekamen keine Kredite mehr, um Rechnungen und Löhne zu zahlen, Banken verliehen sich gegenseitig kein Geld mehr, erste Bankhäuser gerieten ins Trudeln – vor allem in Griechenland, aber auch in Portugal, Spanien und Irland.

Zusammengetan zu dieser „Notaktion“ (wie sie es selber nannten) hatte sich die US-amerikanische Notenbank FED mit der EZB, den Zentralbanken Kanadas, Japans, Großbritanniens, der Schweiz und Chinas. Die Zinsen zum Verleihen von Geldern an die Banken wurden nochmals gesenkt, eventuell bestehende Obergrenzen für die Kreditvergabe aufgehoben, die Kosten für den so genannten „Swap“, den Tausch von Dollars in andere Währungen, gesenkt. Chinas Zentralbank machte einen drastischen Schwenk und erleichtert jetzt den einheimischen Banken wieder die Kreditvergabe, nachdem die Industrieproduktion erstmals seit drei Jahren im November geschrumpft war. Seit Jahresanfang hatte die chinesische Regierung genau das Gegenteil versucht, nämlich die Hürden für Bankkredite höher zu legen – weil die Inflation sprunghaft in die Höhe ging und damit Massenproteste anheizte.
Für einen Moment entspannte die Notoperation der Notenbanken die Situation, die Börsen erlebten einen kurzen Höhenrausch, um allerdings kurz darauf schon wieder abzusacken. Gelöst wird mit einer solchen Geldschwemme nämlich gar nichts – im Gegenteil. Spekulation und Inflation werden noch mehr angeheizt.
Große Aufregung gab es schon bald darauf über die Drohung der Rating-Agentur Standard & Poor’s, fast die gesamte Eurozone in der Kreditwürdigkeit herabzustufen. Dabei reagieren die Rating-Agenturen nur auf die Tatsache, dass die EU-Länder von immer allseitigeren Krisenerscheinungen erfasst werden. Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) warnt, dass die „EU die Verschuldungskrise unter Kontrolle“ bringen müsse, sonst könne sich die Wirtschaftskrise weltweit ausweiten und „in absolut katastrophalen Resultaten enden“.

Krisenursachen ungelöst
Das eigentliche Problem ist der Vertrauensverlust in die imperialistischen Politiker und ihre Hoffnung auf die „Selbstheilungskräfte des Marktes“. Tatsächlich stagniert die Entwicklung der Weltwirtschaft und ist teilweise schon wieder rückläufig. Die spekulativen Erwartungen, mit einem weltweiten Wirtschaftsaufschwung aus der anhaltenden Weltwirtschafts- und Finanzkrise herauszukommen, haben sich zerschlagen (siehe S. 6/7). Die umfassende Vernichtung von Kapital, die eine Voraussetzung zur tatsächlichen Überwindung der Überproduktionskrise gewesen wäre, blieb dank der „Rettungsschirme“ für Banken und Konzerne und der staatlichen Konjunkturprogramme aus. Der Preis, der dafür gezahlt wird, ist die galoppierende Staatsverschuldung. Alle diese Maßnahmen verschärfen letztlich die allgemeine Ursache der Krise: die chronische Überakkumulation des Kapitals.
Allen immer hektischeren Bemühungen zum Trotz ist eine Eindämmung der Eurokrise weniger denn je absehbar. Dass bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit der großen EU-Länder der sogenannte EFSF-„Rettungsschirm“ mit einer faktischen Finanzkraft von 440 Milliarden Euro nicht ausreichen wird, ist klar. Die Pläne, ihn mit Hilfe sogenannter Hebel aufzustocken, lassen sich offenbar nicht so leicht realisieren. Aufgrund der großen Verunsicherung über die weitere Entwicklung der Euro-Krise halten sich andere Staaten und Finanzinstitute mit den Einlagen sichtlich zurück.
Feierlich verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung vor dem EU-Gipfel, dass es dieses Mal ein großer Wurf werden müsse: „Der Euro ist mehr als eine Währung, gerade für Deutschland steht viel auf dem Spiel.“ Das stimmt sogar – für die in Deutschland ansässigen international agierenden Monopole. Der Euro-Raum ist für die exportorientierte deutsche Industrie nach wie vor die wichtigste Basis und unabdingbar für ihren internationalen Konkurrenzkampf.

„Kolonialisierung“ der kleineren EU-Länder?
Damit nicht die ganze EU auseinander bricht, haben Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy in mehr oder minder großem Einvernehmen eine weitere Notoperation beschlossen. Beim EU-Gipfel am 8./9. Dezember wollen sie über eine Änderung der EU-Verträge abstimmen, die ihnen direkte Durchgriffsrechte auf die Haushalte der Mitgliedsländer verschaffen. „Verbindliche Haushaltsüberwachung“ oder „automatische Strafen für Schuldensünder“ sind die Stichworte, unter denen die stärksten imperialistischen Mächte ihre Politik gegenüber den schwächeren EU-Ländern durchboxen wollen. Das ist in ihren Augen wieder einmal „alternativlos“.
Dafür wird der letzte Schein nationaler Autonomie innerhalb der EU aufgegeben. Statthalter des allein herrschenden internationale Finanzkapitals werden eingesetzt, wo bürgerliche Regierungen angesichts immer breiterer Massenproteste nicht mehr zu halten sind. Der neue griechische Ministerpräsident Lukas Papademos hatte diverse Posten bei amerikanischen und griechischen Banken, bevor er von 2002 bis 2010 Vizepräsident der EZB wurde. Der Berlusconi-Nachfolger Mario Monti war Berater bei der Goldmann-Sachs-Bank und bei Coca-Cola – und hat nichts Eiligeres zu tun, als ein rabiates Krisenprogramm zu Lasten der Massen aufzulegen.
Das erzeugt immer neue und tiefere Widersprüche auch zwischen den verschiedenen Ländern, das reaktionäre Wesen des Imperialismus wird immer offenkundiger, wirtschaftliche Krisen verbinden sich unauflösbar mit politischen Krisen. Europaweit jagt eine Regierungskrise die nächste.

„Demokratische Kontrolle“ der Finanzmärkte?
Geradezu abstrus erscheinen vor diesem Hintergrund die Bemühungen der Linkspartei, mit immer neuen Rezepten das kapitalistische Weltsystem zu retten. Gregor Gysi erklärt uns: „So lässt sich die Krise lösen.“ Genau wie seine Parteigenossin und angebliche Marxkennerin Sahra Wagenknecht fordert er eine „Abkoppelung der Staatsfinanzen von den Kapitalmärkten“. Noch nie waren die Staatsfinanzen so eng mit dem internationalen Kapitalmärkten durchdrungen. Ob Sparkassen oder Landesbanken – sie alle zockten (und verzockten sich)  in der großen weiten Welt der Kapitalspekulation. Sarah Wagenknecht erhofft sich mit ihrer Illusion einer Trennung von „Staatsfinanzen“ und „Kapitalmärkten“ gar „die Befreiung von der Diktatur der Finanzhaie“ („uz“, 14. 10. 2011). Der finanzpolitische Sprecher der Linksfraktion erläutert, dass es „gar nicht so schwer wäre, … die Finanzmärkte wieder unter demokratische Kontrolle“ zu bringen („Klar“, Zeitung der Linksfraktion im Bundestag, Nr. 23/2011) Waren sie das jemals?
Wer soll denn die Gesetze für die „Abkoppelung“ verabschieden, wer hat die Macht, das zu kontrollieren? Ausgerechnet die Regierungen, die sich als willfährige Dienstleister des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals tausendfach bewährt haben? Das allein herrschende internationale Finanzkapital hat sich die nationalen Staatsapparate vollständig untergeordnet, ist mit ihnen verschmolzen und hat seine allseitige Herrschaft über die ganze Gesellschaft errichtet. Dafür stehen notfalls auch die staatlichen Gewaltapparate bereit, dazu geht das Finanzkapital auch mehr und mehr dazu über, willfährige „technokratische“ Regierungen in einzelnen Staaten zu installieren, die keinerlei demokratische Legitimation haben. Die Lösung liegt deshalb einzig in einer internationalen sozialistischen Revolution mit dem Ziel des Sturzes dieses allein herrschenden internationalen Finanzkapitals. Das ist sicher „nicht einfach“ – aber in diesem Falle wirklich alternativlos.

Potenzial für revolutionäre Weltkrise entfaltet sich
Im Unterschied zu Linkspartei und DKP starrt die MLPD nicht wie das Kaninchen auf die Krisenschlange, sondern sieht, dass sich das Potenzial für die Entstehung einer offenen politischen und revolutionären Weltkrise erweitert. Die Herrschenden kommen mit ihren Plänen zur Abwälzung der Krisenlasten nirgends durch. In Italien haben die Gewerkschaften mit entschiedenen Protesten gegen das Krisenprogramm der neuen Monti-Regierung begonnen. Da halfen auch die Tränen der Sozialministerin nicht. In Belgien gehen die Massen auf die Straße, in Portugal wie in Großbritannien fanden Generalstreiks größten Widerhall, am 1. Dezember legte ein neuer Generalstreik Griechenland lahm (mehr dazu auf S. 8). Auch in Deutschland kommt es in immer mehr Betrieben zu Kämpfen gegen die Abwälzung der Krisenlasten. Konzernweite – auch länderübergreifende – Aktionen wie bei Manroland oder ArcelorMittal werden organisiert. Wohl kaum jemals wurde so flächendeckend und intensiv darüber diskutiert, dass das kapitalistische Gesellschaftssystem unfähig ist, die grundlegenden Bedürfnisse der Menschheit einzulösen und stattdessen immer offenkundiger sein reaktionäres, krisenbehaftetes Gesicht offenbart. Die Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative wird immer drängender.
Genau das ist die größte Sorge von Angela Merkel und Co. Beschwörend hieß es in ihrer Regierungserklärung vom 2. Dezember: „Bei der gegenwärtigen Krise Europas handelt es sich nicht nur um eine Staatsschuldenkrise, sondern auch um eine Vertrauenskrise.“ Und „schonungslos“ wolle sie hinzufügen, „dass die Politik keine Glaubwürdigkeit mehr besitzt“. Daran wird auch der 13. EU-Krisengipfel nicht viel ändern.

Anna Bartholomé

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