Weltweit: Widerstand gegen Megaprojekte!
Ein Dauerbrenner in Deutschland ist der Widerstand gegen „Stuttgart 21“. Das hat Ausstrahlung: Seit Monaten wachsen Proteste gegen Mega-Flughafenprojekte wie in Frankfurt/Main, München und Berlin mit ihren gravierenden Folgen für die Gesundheit und die Umwelt. International protestieren Hunderttausende gegen Staudamm-Projekte, mit denen die Betreiber Maximalprofite im Energiebereich erzielen wollen. Diesen Megaprojekten ist gemeinsam, dass hier rücksichtslos die Profitinteressen des international allein herrschenden Finanzkapitals gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt werden soll. Gemeinsam ist zugleich eine wachsende Widerstandsbewegung, die sich diesen Interessen nicht unterordnen will.
Am 4. 2. 12 haben über zwanzigtausend Menschen einen bundesweiten Aktionstag gegen Fluglärm und den Ausbau der Großflughäfen vor allem in Frankfurt mit 10.000, in Berlin mit 600 Demonstranten durchgeführt. Seit Monaten hat sich diese selbständig organisierte Protestbewegung entwickelt. Sie hat die Kampfform der selbständigen Montagsdemo-Bewegung aufgegriffen. Ausdrücklich steht sie in Kontakt mit den Protesten gegen „Stuttgart 21“ und sucht bundesweite Solidarisierung. Sie berührt sensible Zentren der Logistik und des Transportwesens internationaler Konzerne und mit den Drehscheiben des internationalen Luftverkehrs Einrichtungen von strategischer Bedeutung für die Monopole.
Die Anwohner aus der Region der Großflughäfen fordern ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr und kämpfen weiter gegen den Flughafenausbau. Bereits ab einer Belastung von 60 Dezibel, das ist ein durchschnittlicher Kneipenlärm, steigt das Risiko von Herz- und Kreislauferkrankungen sowie Herzinfarkten bei über 40-Jährigen um 40 bis zu 69 Prozent (Studie E. Greiser 2009, Mediziner und Epidemiologe, Bremen). Seit Eröffnung der neuen Nord-Landebahn in Frankfurt/Main donnern z. B. über die Dächer der Gemeinde Flörsheim Düsenflieger mit 80 Dezibel 300 Mal am Tag und oft niedriger als 250 bis 500 Meter über die Wohnsiedlungen hinweg! Auch gegen die Folgen für die Umwelt wie die Waldrodung protestieren die Menschen – und auch die Abschiebepolitik, die unter anderem über den Frankfurter Flughafen organisiert wird, ist in der Kritik.
Projekte wie der Neu- und Ausbau von Mega-Flughäfen wie in Berlin-Brandenburg, der Bau der neuen Nord-Landbahn in Frankfurt/Main und der geplanten dritten Landebahn am Münchener Flughafen häufen sich. Seit Beginn der 1990er Jahre wird im Zuge der Neuorganisation der internationalen Produktion der Weltflugverkehr schrankenlos ausgebaut. „Die Jagd nach billigsten Rohstoffen und Vorprodukten hat zu einem System von weltweiten Transporten und internationaler Logistik geführt, das nicht am schonenden Umgang mit Menschen und Natur ausgerichtet ist, sondern am ,Just-in-Time‘-Gebot des Maximalprofits“, heißt es im Buch „Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution“, S. 195.
Und das nicht nur in Deutschland, sondern international. Gegen ein Großflughafenprojekt richtet sich z. B. auch in der Bretagne/Frankreich die Initiative „Notre-Dame-des-Landes“. Widerstand gegen ein anderes Mega-Verkehrsprojekt gibt es auch beim umkämpften, weil lebensgefährlich Asbest- und Urangestein freisetzenden Bau einer Hochgeschwindigkeits-Bahntunneltrasse von Nord-Italien nach Frankreich durch das Susa-Tal. Gegen eine geplante Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke von Bordeaux nach Madrid wendet sich eine baskische Widerstandsbewegung. In Florenz richtet sich der Widerstand gegen den Plan eines wie bei „Stuttgart 21“ unter die Erde gelegten Tiefbahnhofs, für den die halbe Stadt untertunnelt werden soll.
Der Widerstand legt sich mit mächtigen Gegnern an wie der Deutschen Bahn AG, der weltweit tätigen Fraport-AG, internationalen Baukonzernen wie STRABAG oder Bilfinger&Berger, internationalen Großbanken usw. Die stecken jedoch politisch in einer tiefen Defensive. Und so heuchelte der Fraport-Chef Stefan Schulte am 4. 2. angesichts der 10.000 Menschen im Frankfurter Terminal 1 „tiefes Verständnis“ für die Demonstranten und sie würden „mit Hochdruck an Lösungen arbeiten, die zu einer Entlastung führen werden.“
Erfahrungen mit dem Betrugssystem …
In Stuttgart wurde in den letzten Jahren von der Deutschen Bahn im Verein mit den Regierenden ein ganzes ausgefeiltes Drehbuch des Betrugs abgespult, um den Widerstand zu unterlaufen: die „Geißler-Schlichtung“ zwischen den Befürwortern und Gegnern von
„S 21“, als die Empörung über den brutalen Polizeieinsatz am „Schwarzen Donnerstag“ hochkochte. Das als „Demokratieexperiment“ gelobte Ergebnis war ein Kniefall vor den „S 21“-Betreibern: Weiterbau mit einigen zusätzlichen Alibi-Auflagen, um die Gemüter zu beruhigen; der gezinkte „Stress-test“, bei dem nicht die grundsätzlichen Kritiken und negativen Folgen des Tiefbahnhofs auf dem Prüfstand standen, sondern die Ziele der Planer bestätigt werden sollten; die Orientierung auf die Landtagswahlen im März 2011 und die scheinbare Möglichkeit, mit den Grünen „S 21“ abwählen zu können; die undemokratische, manipulative Volksabstimmung Ende 2011 …
Die MLPD hat diese Betrugsmanöver entlarvt, Überzeugungsarbeit geleistet, Proteste unterstützt, Vorschläge unterbreitet und darauf hingearbeitet, dass der Widerstand auf die eigene Kraft vertraut und solchem Lug und Betrug nicht glaubt. Zwar ist es den Herrschenden mit ihrem hochentwickelten System der kleinbürgerlichen Denkweise zunächst gelungen, einen Teil des Widerstands zu demoralisieren, zu desorientieren und zu desorganisieren. Doch gebrochen werden konnte er nicht – Tausende setzen ihren Widerstand hartnäckig und mutig fort! Über 4.000 Menschen beteiligten sich am 6. Februar erneut an der Montagsdemo gegen „Stuttgart 21“. Sie sind wütend – aber auch ernüchtert über die Rolle des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der nun den Bau von „Stuttgart 21“ durchsetzt – entgegen allen vorherigen Versprechungen. Der gegenwärtige Verarbeitungsprozess dieser Erfahrungen ist von großer Bedeutung – nicht nur für den Widerstand in Stuttgart.
… und mit dem Staatsapparat
Die Masse der Bevölkerung macht, sowie sie sich entschieden gegen solche Pläne stellt, auch sehr wichtige Erfahrungen mit dem Charakter der bürgerlichen Demokratie. Der „Schwarze Donnerstag“ am 30. 9. 2010 in Stuttgart ließ manche Illusion über die Rolle des Staatsapparats platzen. Gegen 18.000 meist jugendliche Demonstranten wurden Wasserwerfer, Tränengas und Pfefferspray eingesetzt: über 400 Verletzte, die meisten davon Schüler – ein Mann erblindete danach. Über 1.500 Verfahren wurden und werden wegen Lappalien eröffnet und laufend Urteile ausgesprochen. Schlägernde Polizisten kommen dagegen ungestraft davon. So wurde z. B. ein Polizist, dem von Betroffenen einer der heftigsten Prügeleinsätze am „Schwarzen Donnerstag“ nachgewiesen und der wegen Körperverletzung angezeigt wurde, nicht bestraft, sondern das Verfahren gegen ihn Ende 2011 eingestellt mit der Begründung, sein Prügeleinsatz sei „als Notwehrhandlung gerechtfertigt“. Eine Demonstrantin dagegen, die an einer Blockadeaktion im März 2011 gegen den Baubeginn teilnahm, sich einem Baufahrzeug in den Weg stellen wollte und in ein Gerangel mit einem Polizisten geriet, wurde wegen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ zu 3.600 Euro Strafe (ersatzweise 80 Tagessätze) verurteilt.
Enttarnte Provokateure der Polizei werden als „Opfer“ dargestellt, Hausdurchsuchungen veranstaltet usw. Die Kritik an der „Arroganz der Macht“ griff in Stuttgart immer mehr um sich und wirkt auf den Widerstand in anderen Städten.
Auch in Berlin machten die Gegner des neuen Flughafens die Erfahrung, auf welcher Seite die Justiz steht: Das Berliner Verwaltungsgericht erließ 2011 ein Urteil, das nur ein Nachtflugverbot für den kurz vor der Eröffnung stehenden neuen Großflughafen Berlin-Brandenburg von 24 bis 5 Uhr festlegt, und wies sogar die Klage auf ein Flugverbot von 22 bis 6 Uhr zurück.
In Italien bestand die Antwort der neuen Monti-Regierung auf die Forderung nach dem Stopp der Schnellstecke durch das Susa-Tal darin, eine Betonmauer um die Baustelle zu ziehen, Polizei und Bürgerkriegseinheiten gegen die Umweltkämpfer einzusetzen und (wie berichtet) No-TAV-Aktivisten in ganz Italien zu verhaften und mit Klagen zu überziehen.
Erfahrungen im Widerstand
Doch die betroffene Bevölkerung lernt auch, die Hintergründe der milliardenschweren Megaprojekte zu durchschauen und den aktiven Widerstand zu organisieren. Der erste Schritt ist die Entscheidung, mutig für ihre Lebensgrundlagen einzutreten. Frauen in Frankfurt berichteten kürzlich, dass sie zuerst wegziehen oder vor dem Lärm und Fraport kapitulieren wollten – um sich dann aber zu besinnen und doch den Kampf gegen den Lärmterror aufzunehmen.
Inzwischen verbinden sich Forderungen in Frankfurt „Die Nordbahn muss weg!“ mit der Forderung „Bouffier muss weg“ (hessischer CDU-Ministerpräsident). In Berlin wurde auf der Demonstration am 19. 11. 11 mit 12.000 Teilnehmern gegen den Fluglärmterror auch selbstbewusst „Wir sind das Volk“ gerufen. Das sind nicht dumpfe „Wutbürger“, wie sie von den bürgerlichen Medien tituliert werden. Das sind Massen, die mit viel Mut, Kampfgeist und Kultur sich zunehmend engagieren und nachdenken über die Ursachen solcher Projekte, über gesellschaftliche Perspektiven.
MLPD-Aktivisten in diesen Bewegungen fördern die Verarbeitung der Erfahrungen: Megaprojekte sind eine der Methoden des internationalen Finanzkapitals, das überakkumulierte Kapital so anzulegen, dass Maximalprofit garantiert ist. Nur auf diese in die Lebensgrundlagen der Massen eingreifende Weise können diese Kräfte heute noch maximalprofitbringend produzieren. Deshalb ist eine wesentliche Schlussfolgerung, sich mit den Perspektiven im Widerstand gegen solche völlig unsinnigen bzw. gefährlichen Projekte auseinanderzusetzen.
Zukunftsträchtig sind die Ansätze direkter Demokratie, einer demokratischen Streitkultur und gegenseitiger Solidarität. Sehr wertvoll ist es, Freund und Feind kennenzulernen. Ein Fundament für den Kampf um eine bessere Zukunft ist das gewachsene Selbstbewusstsein, die Erfahrung der großen Kraft und Stärke, wenn die Menschen sich für ihre Interessen massenhaft zusammenschließen.
Vor allem aber ist es notwendig, Schlussfolgerungen zu ziehen aus der Erfahrung mit der Diktatur der Monopole: Warum muss für die Verteidigung elementarer Lebensinteressen überall so hart gekämpft werden? Warum stehen denn Gesundheit, Schutz der Umwelt, gute Wohnverhältnisse, das Leben der Masse der Menschen nicht im Mittelpunkt dieses Systems? Seiner Politiker, Unternehmen, seiner Verwaltung, Justiz und Medien? Viele beschäftigen sich inzwischen mit solchen Fragen, aber die Herrschenden versuchen natürlich, mit dem modernen Antikommunismus die Auseinandersetzung um eine alternative, sozialistische Gesellschaftsordnung zu zersetzen. Mit dem Antikommunismus fertig zu werden, ist deshalb eine Schlüsselfrage für die Höherentwicklung dieser Massenkämpfe. Überwunden werden muss dafür auch eine wesentliche Schwäche: Die Volksbewegung muss sich mit dem Kampf der Industriearbeiter verbinden, die Arbeiterbewegung muss sich nach vorne stellen in solchen Massenkämpfen.
Durch die MLPD lernen auch viele Menschen erstmals die ICOR kennen, die Internationale Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen. Diese Parteien sind in ihren jeweiligen Ländern vielfach eng verbunden mit dem Massenwiderstand gegen solche Projekte. Und sie treten ein für den weltweiten Kampf um den echten Sozialismus. Die Stärkung der revolutionären Kräfte ist deshalb eine entscheidende Schlussfolgerung aus den Erfahrungen im Widerstand gegen Megaprojekte.