Wohnungen als Renditeobjekte – Mieter wehren sich

„Die Deutsche Annington will in den nächsten drei Monaten die Gelsenkirchener Bergarbeitersiedlung Flöz Dickebank an die Bochumer Immobilienfirma Häusser-Bau verkaufen. Die denkmalgeschützte Siedlung ist eine der ältesten Arbeitersiedlungen im Ruhrgebiet.

Seit über 40 Jahren ist sie ein Symbol für den erfolg­reichen Widerstand der Mieterinnen und Mieter gegen Stadtzerstörung und Vertreibung. Nach dem Verkauf der Siedlung sollen die Mietshäuser einzeln veräußert und die Mieter dadurch verdrängt werden. Es ist die Zerstörung eines historisch gewachsenen Stadtteils und einer lebendigen Nachbarschaft. Die Mieter fordern den sofortigen Stopp des Verkaufs von Flöz Dickebank an die Firma Häusser-Bau oder andere Einzelprivatisierer! Sie wollen die Siedlung mit ihren Mietwohnungen für die jetzigen Bewohner erhalten, deshalb fordern sie die Sanierung zu erschwinglichen Mieten.“

So berichtet eine Korrespondentin über eine Auseinandersetzung zwischen Mietern und Wohnungs­eigentümern, wie sie inzwischen an der Tagesordnung ist.

Anfang März schlug der Deutsche Mieterbund Alarm: „Deutschland hat eine neue Wohnungsnot. Insbesondere in Großstädten, Ballungszentren und Universitätsstädten hat sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt deutlich zugespitzt. Hier gibt es einen massiven Mangel an bezahlbaren Mietwohnungen.“ Wenn der Mietwohnungsbau nicht verdoppelt würde, würden im Jahr 2017 bundesweit 400.000 Mietwohnungen fehlen.

Was das heißt, weiß jeder: Der Mangel wird genutzt, um die Mieten drastisch zu erhöhen.

Miete frisst immer mehr vom Einkommen

Schon jetzt geht die Schere zwischen Einkommen und Wohnkosten der Masse der Bevölkerung immer weiter auseinander, da die Mieten und vor allem die Nebenkosten deutlich gestiegen sind und immer mehr zu niedrigen Löhnen beschäftigt werden bzw. in Teilzeit- und Minijobs oder arbeitslos sind.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lag die durchschnittliche Kaltmiete 2010 (die neuesten vorliegenden Zahlen) bei 6,37 Euro pro Quadratmeter im Monat. Zwischen 2005 und 2010 ist die Kaltmiete durchschnittlich um 1,1 Prozent jährlich gestiegen – allerdings mit deutlichen Ausschlägen nach oben in vielen Städten. Der Anteil der Bruttokaltmiete am verfügbaren Haushaltseinkommen betrug 2010 im Schnitt 22,5 Prozent – für Rentner und Alleinerziehende aber erheblich mehr. Jeder dritte Rentnerhaushalt musste 35 Prozent oder mehr seines Einkommens fürs Wohnen ausgeben, Alleinerziehende mit zwei Kindern lagen im Schnitt bei 30,2 Prozent – jeweils nur für die Kaltmiete! Dazu kommt aber die sogenannte „zweite Miete“, die Nebenkosten: Die machen inzwischen zirka ein Drittel der Kaltmiete aus, durchschnittlich 2,19 Euro pro Quadratmeter im Monat. Eine gute, bezahlbare Mietwohnung zu finden wird so für immer mehr Arbeiter- und Angestelltenfamilien zu einem großen Problem.

Sozialer Wohnungsbau wird heruntergefahren

Seit den 1950er Jahren spielte im Kampf gegen die Wohnungsnot in Westdeutschland der „soziale Wohnungsbau“ eine wichtige Rolle, in der DDR wurde der staatliche Wohnungsbau forciert. Die Versorgung von Arbeiterfamilien, von Flüchtlingen usw. im Westen mit bezahlbaren Wohnungen war eine wesentliche Maßnahme zur Dämpfung der Klassenwidersprüche – und ein „Sponsoring“ der Baukonzerne, die steuerbefreit wurden, wenn sie die Auflagen des sozialen Wohnungsbaus erfüllten wie die Mietpreisbindung.

Doch mehr und mehr Wohnungen fallen inzwischen aus dieser Förderung heraus, da die Bindung mit der Tilgung der Förderdarlehen nach 40 bis 50 Jahren endet. 1987 gab es noch 3,9 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland, Ende 2001 noch 1,8 Millionen – und jedes Jahr verlieren zirka 100.000 Wohnungen ihren Status als Sozialwohnung. Zwischen 2002 und 2008 ist der Bestand an Sozialwohnungen um 28 Prozent gesunken. Und es kommt wenig nach. Denn mit der Föderalismusreform wurde ab 2007 die soziale Wohnraumförderung vom Bund auf die Länder abgeladen. Bis 2013 bekommen die Länder vom Bund dafür 518,2 Millionen Euro jährlich, ob das nach 2013 weitergeht, wird erst noch entschieden.

Jahrzehntelang spielten auch die Werkswohnungen großer Konzerne eine bedeutende Rolle für die Versorgung der Belegschaften. Damit wurde versucht, die Arbeiterfamilien an „ihr“ Unternehmen zu binden. Aber auch da gibt es wesentliche neue Entwicklungen.

Die Wohnung als „Renditeobjekt“

Seit den 1990er Jahren, mit der Neuorganisation der internationalen Produktion, wird die gesamte Daseinsvorsorge zunehmend dem direkten Zugriff des internationalen Finanzkapitals unterworfen: Privatisiert – und an internationale Investoren verscherbelt – wurde massenhaft kommunales Eigentum, Wasserversorgung, Müllentsorgung, öffentliche Dienstleistungen aller Art; und so kamen auch Hunderttausende von Wohnungen „unter den Hammer“: vorwiegend Werkswohnungen, aber auch Wohnungen im kommunalen oder Bundesbesitz wurden von „Investoren“ aufgekauft (mehr dazu S. 10). Inzwischen gingen so zirka zwei Millionen Wohnungen in den Besitz solcher Gesellschaften über, allein in Nordrhein-Westfalen betrifft das zirka 450.000 Wohneinheiten.

Solche Gesellschaften wie die Deutsche Annington, Immeo, Gagfah usw. werden im Volksmund „Heuschrecken“ genannt, weil sie alles „kahlfressen“ – d. h. ohne Rücksicht auf die Bewohner möglichst hohe Profite aus den Wohnungen herausschlagen: durch die Mieten, durch Verkäufe und möglichst niedrige Investitionen.

So hat z. B. die Gagfah im Jahr 2010 pro Quadratmeter und Jahr 6,36 Euro für Instand­hal­tung ausgegeben und ganze 24,64 Euro pro Wohnung für Modernisierungskosten. Wenn man berücksichtigt, dass das Durchschnittswerte sind und vor allem Geld für bessere Lagen und Verkaufsaussichten in die Hand genommen wird, dann kann man sich vorstellen, in welchem Zustand viele Wohnungen von solchen „Investoren“ sind. Eine allmähliche Ruinierung der Bausubstanz bis hin zu gefährlichem Schimmelbefall kommt massenhaft vor. Heruntergekommene Grünanlagen, verdreckte Spielplätze usw. sind schon fast die Regel – wenn sie nicht von den Mietern in Eigeninitiative gepflegt werden. Oft wird nicht mal mehr ein Hausmeister angestellt, der im Viertel wohnt und nach dem Rechten sieht – es gab inzwischen schon jede Menge Versuche, mit bundesweit zuständigen „Call-Centern“ die Kosten zu drücken. Ganz zu schweigen davon, dass gerade die energetische Sanierung auf der Strecke bleibt – und so mit einer großen Verschwendung von Heizenergie die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen weiter vorangetrieben wird.

Das ist allerdings keine Ausnahmeerscheinung, eine „Fressgier“ besonders rücksichtsloser „Heuschrecken“. Was hier in menschenverachtender Weise zum Ausdruck kommt, ist die Unterwerfung sämtlicher Lebensgrundlagen unter das Profitdiktat im Kapitalismus, die Tatsache, dass eine Mietwohnung in diesem System eine Ware ist, die sich „rechnen“ muss. Und „rechnen“ heißt bei diesen Finanzgesellschaften: Gewinne zwischen 10 und 15 Prozent nach Steuern – das sind die Größenordnungen, die beim Kauf der Wohnungen den Investoren in Aussicht gestellt wurden.

Diese Leute kümmert nicht, dass viele der ehemaligen Mieter wegziehen, wenn sie es können und die Siedlungen dann oft zahlreiche Leerstände haben, überwiegend noch von Rentnern, Migranten und sehr armen Leuten bewohnt werden, dass Einrichtungen wie Jugendzentren oder Läden dichtgemacht werden und die ganze Lebensqualität in den Siedlungen schlechter wird.

Mieter wehren sich

Doch das kümmert viele engagierte Mieter – und so entstanden zahlreiche Mieterini­tia­tiven, die den Protest organisieren, Forderungen zum Erhalt der Wohnungen entwickeln usw. Das Leben in der Siedlung und die Prägung durch die gemeinsame Arbeit gerade in ehemaligen Werkswohnungsgebieten sind eine gute Grundlage, die Gegenwehr zu organisieren. So heißt es in der „Katernberger Mie­ter­erklärung“, die von den Mieterinitiativen des Ruhrgebiets im Juli 2011 verabschiedet wurde: „Alle diese mieterfeindlichen Entwicklungen und Zustände sind nicht länger hinnehmbar, weswegen sich in mehr und mehr der betroffenen Wohnquartiere Mieterinitiativen bilden, um für ihre Rechte gemeinsam einzutreten. Wir sind überzeugt, dass nur der organisierte, solidarische Widerstand der Mieterinnen und Mieter in der Lage ist, berechtigte Forderungen ge­gen­über denjenigen durchzusetzen, deren Interesse trotz gegenteiliger, werbewirksamer Bekundungen offensichtlich nicht das Wohl der Mieter ist, sondern allein der Profit der Aktionäre.“

Diese Konfrontation mit dem Finanzkapital ist eine wichtige Schule, Klarheit über die Machtverhältnisse zu bekommen, Prinzipien der Selbstorganisation auszuprobieren, fertig zu werden mit antikommunistischen Spaltungsversuchen und sich zusammenzuschließen mit anderen Teilen des Volkswiderstands und der Arbeiterbewegung. In verschiedenen Initiativen arbeiten Mitglieder der MLPD aktiv mit – sie vertreten den Standpunkt, dass diese menschenverachtende Diktatur des international allein herrschenden Finanz­kapitals abgeschafft werden muss und es an der Zeit ist, weltweit für den echten Sozialismus zu kämpfen. Denn erst, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht, wird auch ein menschenwürdiges, umweltschonendes Wohnen für jeden Werktätigen wirklich ein „Grundrecht“ werden.

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