„Wir sehen die Verleumdungsklage als Beitrag zur Anti-Antikommunismus-Bewegung“
Die MLPD und ihr Vorsitzender, Stefan Engel, haben am 31. Juli beim Landgericht Essen Klage gegen Dr. Harald Bergsdorf, Rudolf van Hüllen und den Verlag Ferdinand Schöningh eingereicht. Worum geht es dabei?
Es geht um diffamierende Aussagen zur MLPD und zu Stefan Engel aus dem Buch „Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr?“. Das Buch ist ein Standardwerk der Rechtfertigung der Ausrichtung der Geheimdienste und des Staatsapparats auf einen strammen Kurs gegen links, gegen fortschrittliche und demokratische Organisationen, revolutionäre und marxistisch-leninistische Kräfte. Danach würde sich die Öffentlich- keit viel zu sehr mit faschistischen und faschistoiden Organisationen befassen. Stattdessen müsse der Kampf gegen den sogenannten „Linksextremismus“ noch mehr ins Zentrum des Staatsapparats, der Medien usw. gerückt werden. Das folgt der Vorgabe der Merkel-Regierung, die seit Regierungsantritt den Kampf gegen den sogenannten „Linksextremismus“ zur heiligsten Aufgabe der Regierung, des Staats und der Gesellschaft erklärt hat. Dass der Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ auf dem „rechten Auge blind“ erscheint, ist kein Zufall oder reines Unvermögen, sondern Ergebnis seiner strikt antikommunistischen Ausrichtung.
Eigentlich müsste es für die Autoren besonders peinlich sein, dass einige Zeit nach Erscheinen dieses Buchs im August 2011 die faschistische NSU-Mordserie nebst ihrer Verfassungsschutz-Connection bekannt wurde. Dennoch wird es weiter vertrieben, auch lehnten die Beklagten eine künftige Unterlassung ihrer Diffamierungen ab.
Die beklagten Autoren gelten ja gemeinhin als ausgewiesene Experten in Sachen „Extremismus“.
Zunächst kurz zum Phantombegriff „Extremismus“. Er ist eine Geheimdienst-Erfindung ohne rechtliche Grundlage. Das Wort vom „Linksextremismus“ wurde vom Verfassungsschutz gezielt lanciert, nachdem in den 1980er und 1990er Jahren der früher verwandte Begriff des „Linksradikalismus“ in den Augen der Bevölkerung seinen Schrecken verloren hatte.
Die „Extremismusfrage“ ist ein unwissenschaftliches Konstrukt. Die volksfeindlichen Parteien der CDU/CSU, FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen werden einfach als „gesellschaftliche Mitte“ bezeichnet. Das ist politisch schon deshalb unsinnig, weil „extrem“ nicht die linken und fortschrittlichen Kräfte sind, sondern dieses kapitalistische System mit Massenarbeitslosigkeit, wachsendem Massenelend, Krisen und Kriegsgefahr usw. Besonders perfide ist es dann, linke und revolutionäre Kräfte, die dieses kapitalistische System bekämpfen, mit den faschistischen Verfechtern von Kapitalismus und Imperialismus gleichzusetzen.
Die beklagten Autoren gehören zum Who-is-Who der Geheimdienstszene. Dr. Harald Bergsdorf war von 2001 bis 2005 Referent im Thüringer Innenministerium. Dem Innenministerium untersteht der thüringische Landesverfassungsschutz. Dieser ist wegen der Duldung und Förderung der Naziterrorzelle NSU zu trauriger Berühmtheit gelangt. Rudolf van Hüllen war von 1987 bis 2006 Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz für die Abteilung „Linksextremismus/linker Terrorismus“.
Der Verlag Ferdinand Schöningh bezeichnet sich selbst gerne als „renommierter Wissenschaftsverlag“, gibt zahlreiche Schulbücher heraus, sodass der geneigte Leser bei dem Buch zunächst eine seriöse Publikation erwarten könnte und kein im Stil eines Dreigroschenromans geschriebenes Pamphlet.
Antikommunistische Hetze gegen die MLPD ist ja nicht neu. Man kennt das z. B. aus den jährlichen Verfassungsschutzberichten. Warum wird jetzt gegen dieses Buch und seine Autoren vorgegangen?
Die Verfassungsschutzberichte spielen eine wichtige Rolle im System der Meinungsmanipulation und der Ausrichtung der staatlichen Stellen. Sie geben vor, zu informieren, während sie in Wahrheit diffamieren und manipulieren. Rechtlich ist dagegen nur eingeschränkt vorzugehen. Sie genießen als behördliches Dokument zunächst rechtliche „Glaubwürdigkeit“. Schon gar nicht sind die individuellen Urheber der Verdrehungen, Unterstellungen, Erfindungen und Lügen haftbar zu machen. Dadurch ist der Rechtsschutz gegen Verfassungsschutzberichte jedenfalls in der Praxis eingeschränkt.
Das ist bei diesem Buch aber nicht der Fall. Meines Erachtens haben die beklagten Autoren hier einen Fehler gemacht. Sie publizieren in einem ganz normalen Buchverlag, sei es, um ihr Renommee zu erhöhen oder auch finanziell zu profitieren. Dann müssen sie sich aber auch an Recht und Gesetz messen lassen. Wir werfen den Beklagten mit dieser Klage nicht vor, dass sie Antikommunisten sind. Solche Fragen müssen im politischen Meinungskampf geklärt werden. Aber nur weil sie Antikommunisten sind, haben sie noch lange nicht das Recht, andere zu verleumden und zu beleidigen. Auch die gesellschaftliche Linke bis hin zu Marxisten-Leninisten steht unter dem Schutz der im Grundgesetz verbürgten demokratischen Rechte und Freiheiten.
Wir fordern daher Streichung und Unterlassung falscher und ehrverletzender Tatsachenbehauptungen und sogenannter „Schmähkritik“ sowie Schadensersatz von insgesamt 10.000 Euro.
Gegen welche Aussagen wird im Einzelnen geklagt?
Der Abschnitt zur MLPD auf den Seiten 86 bis 91 des Buches strotzt nur so von frei erfundenen Tatsachenbehauptungen und einer Fülle beleidigender Aussagen, sodass wir die Streichung des gesamten Passus fordern. Die beklagten Autoren greifen dabei tief in die antikommunistische Mottenkiste. So darf natürlich die Behauptung nicht fehlen, dass es in der MLPD „Säuberungen“ gäbe. Aber nicht irgendwelche „Säuberungen“, sondern „ständige“ Säuberungen, ja sogar „periodische Säuberungs- und Ausschlusskampagnen“. Als „Beweis“ dafür wird in der Fußnote 90 aus einem Interview mit Stefan Engel zitiert. In diesem Interview berichtete er über den Aufbau einer neuen MLPD-Landesebene und führte aus: „Insgesamt haben seit Frühjahr 2006 mehr als 50 Prozent unserer Genossinnen und Genossen neue Aufgaben übernommen!“ Eigentlich sollte man denken, dass die Übernahme neuer und meist höherer Verantwortung das genaue Gegenteil einer „Säuberung“ sei. Solche Fähigkei- ten zur Quellenbeurteilung sollte man hier allerdings nicht erwarten. Es ist offensichtlich, dass die Autoren darauf spekuliert hatten, dass sich niemand mit ihren „Quellen“ und „Beweisen“ befasst. Tut man das aber, bleibt nur hohle Luft übrig.
Das passende Gegenstück zu diesen „Säuberungskampagnen“ ist der angebliche „Personenkult“ um Stefan Engel. Der in der Schrift angeführte sagenhafte Beweis dafür liegt darin, dass Stefan Engel seit 1982 Vorsitzender der MLPD ist. Es stimmt – er wurde neunmal in Folge in geheimen Wahlen zum Parteivorsitzenden gewählt. Offenbar sprengt es völlig die Vorstellungskraft der beklagten Autoren, dass Parteien über fähige Politiker verfügen, die sich in ihren Aufgaben bewähren, dabei nicht abheben und deshalb ihre Funktion über einen längeren Zeitraum ausüben, als dies heute gemeinhin in der Berliner Politik üblich ist. Doch der einfache Vorwurf des „Personenkults“ reicht den Beklagten auch hier nicht aus. Nein, es handelt sich um einen „massiven“, ja gar „an die Vorbilder Stalin und Mao gemahnenden Personenkult“, wie sie behaupten. Es ist den Beklagten völlig egal, dass die MLPD den Personenkult als bürgerliche Methode strikt ablehnt und auch Stefan Engel gerade bekannt dafür ist, dass er eng mit der Basis und der ganzen MLPD auf gleicher Augenhöhe verbunden ist. Die fehlenden Indizien versuchen die Beklagten schlicht durch die Nennung der Namen „Stalin“ und „Mao“ zu ersetzen, in der Hoffnung, dass sie einen antikommunistischen Grusel auslösen mögen. Weder befassen sich die Autoren mit der Geschichte der Arbeiterbewegung, noch untersuchen sie die Veränderungen des gesellschaftlichen Kulturniveaus in den letzten 50/60 Jahren, noch legen sie irgendetwas an Ähnlichkeiten zwischen Stefan Engel und Stalin und Mao dar. Mit dieser pseudohistorischen Methode wird so getan, als sei alles gesagt, während in Wahrheit überhaupt nichts Substantielles ausgesagt wird.
Es ist eine allgemeine Methode der Buchpassagen, alles ins Gegenteil zu verkehren. So werden das gute und freundschaftliche Klima in der MLPD, die gegenseitigen sozialen Kontakte, Besuche, gemeinsame Geburtstagsfeiern als „unangekündigte Kontrollbesuche durch Funktionäre“ diffamiert. Während MLPD-Mitglieder gemeinhin mit einer optimistischen Ausstrahlung durchs Leben gehen, behaupten die Autoren, dass alle, die nicht den „Säuberungen“ zum Opfer fallen, „als ausgebrannte, leere Hülse abgestoßen“ würden. Beweise? Natürlich auch hier wieder Fehlanzeige. Stattdessen wird mit Dreck, Lügen und Verleumdungen nur so um sich geworfen, in der Hoffnung, irgendetwas würde schon hängen bleiben.
Das mündet in dem Vorwurf, die MLPD sei lediglich eine „in Parteiform gekleidete Sekte“. Dumpfe Ängste sollen entstehen, denn wer will schon in einer Sekte landen?!? Dass die MLPD jedes Sektenwesen ablehnt, dass der Sektenvorwurf schon gegen Karl Marx erhoben wurde, dass der Sektencharakter viel eher auf die Geheimdienste zutrifft – über all das natürlich kein Wort. Kein Wort natürlich auch zum politischen Zweck der Übung, den Boden für künftige Angriffe auf die von zig Wahlausschüssen bestätigte Parteieigenschaft der MLPD zu bereiten.
Ich kann das hier nicht weiter ausführen, die Leserschaft der „Roten Fahne“ kann das gerne im Einzelnen in der Klageschrift nachlesen (unter www.rf-news.de). Jedenfalls wird hier die sattsam von den Geheimdiensten bekannte demagogische Methode auf die Spitze getrieben.
Nach den verschiedensten Verfassungsschutzskandalen war ja ein „Neuanfang“ angekündigt worden. Was ist daraus geworden?
Es gibt wohl kaum einen Geheimdienst, der in breiten Teilen der Öffentlichkeit dermaßen diskreditiert ist wie der Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz. Wenn die Regierung und die Geheimdienste nun von einem „Neuanfang“ sprechen, so versuchen sie, ein potemkinsches Dorf aufzubauen. So wird uns eine bessere „Kontrolle“ der Geheimdienste versprochen. Dabei sind solche Geheimdienste an sich unkontrollierbar. Soweit die parlamentarische Kontrolle sie doch einmal erreicht, stößt sie auf geschredderte Akten, Mauern des Schweigens, wie man sie sonst nur aus italienischen Mafia-Krimis kennt.
Ursprünglich war die Aufgabe des Verfassungsschutzes auf die reine Sammlung von Informationen beschränkt worden. Damit hatten die Verfassungsväter versucht, eine Konsequenz aus dem Faschismus zu ziehen, wo die Gestapo schrankenlos walten konnte. Das Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten, Polizei und sonstigen Sicherheitsapparaten, wie es das Grundgesetz gebietet, wird mehr und mehr aufgelöst. Der Verfassungsschutz verwandelt sich immer mehr von einem Gremium zur Informationssammlung zu einer politischen Macht. Nach dem neuen Jahressteuergesetz 2013 würde er sogar unmittelbar entscheiden, welche Organisationen gemeinnützig sind. Mittlerweile wird systematisch die Spitze der Geheimdienste und zentralen Sicherheitsorgane ausgetauscht und durch sogenannte „Terrorismusbekämpfer“ ersetzt, wie in dieser Woche beim Verfassungsschutz und bei der Bundespolizei. Das lässt sich in der Summe nicht anders erklären als durch eine verstärkte Ausrichtung auf Konterrevolution und Aufstandsbekämpfung.
Stimmt der Eindruck, dass in den letzten Monaten die Kritik am Verfassungsschutz und am Antikommunismus wächst?
In Europa läuft seit 2006 eine Antikommunismus-Kampagne ausgehend von einem Europaratsbeschluss. Dabei wurde der Kommunismus als angebliche Quelle des Terrorismus ins Visier genommen (siehe auch S. 8/9 – Anm. d. Red.). Die deutsche Regierung hat das seit 2009 noch mal auf die Spitze getrieben. Mittlerweile hat sich aber eine Gegenbewegung entwickelt, von revolutionären und marxistisch-leninistischen Kräften, aber auch einer großen Breite demokratischer, ökologischer und sozialer Initiativen. Die Anti-Antikommunismus-Bewegung geht bis weit ins bürgerliche Lager. Sehr begrüßenswert ist die Initiative von mittlerweile über 100 Vereinen und Initiativen, die sich gegen das Jahressteuergesetz 2013 zusammengeschlossen haben. Vor kurzem hat auch der europäische Gerichtshof für Menschenrechte ungarische Urteile aufgehoben, in denen Leute wegen des schlichten Tragens des in der Arbeiterbewegung verbreiteten roten Sterns am 1. Mai verurteilt worden waren. Wir sehen unsere Klage ausdrücklich als Bestandteil und Unterstützung dieser Bewegung.
Wird die Klage Erfolg haben?
Ich denke, dass die Chancen nicht schlecht stehen, wenn nach Recht und Gesetz geurteilt wird. Eine Abweisung der Klage würde dagegen in aller Öffentlichkeit deutlich machen, dass Revolutionäre und Marxisten-Leninisten als vogelfrei zu gelten haben, was natürlich ein fragwürdiges Licht auf das gesamte Rechtssystem und darüber hinaus werfen würde.
Vielen Dank für dieses Gespräch!