Ist in Deutschland alles erlaubt, wenn es nur antikommunistisch motiviert ist?

Am 4. Oktober wurde am Landgericht Essen bei einem „frühen ersten Termin“ zur Verleumdungsklage der MLPD gut eineinhalb Stunden lang verhandelt. Vor Beginn der Verhandlung fanden sich rund 50 Besucher zu einer Solidaritätskundgebung mit der MLPD und Stefan Engel ein. Die Eingangskontrolle hatte viel zu tun, um die dann 65 Besucher in das Gerichtsgebäude zu schleusen.  
Von den Beklagten erschienen Dr. van Hüllen (von 1987 bis 2006 Referatsleiter „Linksextremismus“ beim Bundesamt für Verfassungsschutz) und Peter Schaefer, Geschäftsführer  des Schöningh Verlags (der sich als Wissenschafts- und Schulbuchverlag bezeichnet) persönlich. Auf der Bank der Kläger nahmen Stefan Engel, Vorsitzender der MLPD, die stellvertretende Vorsitzende Monika Gärtner-Engel und die Rechtsanwälte Peter Weispfenning und Frank Stierlin Platz.
Die Vorsitzende der 4. Zivilkammer, Richterin am LG, Dr. Lashöfer, führte die Verhandlung souverän und unaufgeregt. Sie legte am Schluss der Verhandlung als Verkündungstermin für eine erste Entscheidung Donnerstag, den 11. Oktober 2012, fest.
Da die Beklagten versuchten, ihre Serie an Diffamierungen und Verleumdungen als angeblich gerechtfertigte „Meinungsäußerungen“ zu relativieren, gab es keine Basis für einen Vergleich. Nach Ansicht der Beklagten und ihrer Rechtsanwälte der Kanzlei Redeker müssten sich die MLPD und Stefan Engel ohne jeden Beleg jedwede Schmähung gefallen lassen, sei es ein angeblicher „Personenkult“, „enorm repressive Strukturen“, eine behauptete „physische und psychische Kontrolle der Mitglieder“ usw. Stefan Engel erklärte dazu: „Es geht hier nicht um bloße Meinungsäußerungen, sondern gezielte Meinungsmache, die vom Inlandsgeheimdienst ausgeht und gravierende Folgen für die Behandlung der MLPD in der Öffentlichkeit hat. Nach der geheimdienstlichen Argumentation der Beklagten ist alles erlaubt, wenn es nur vom Antikommunismus gedeckt ist und sich gegen Marxisten-Leninisten richtet. Der Ausgang der Klage hat daher grundsätzliche Bedeutung für das rechtliche und politische Klima in Deutschland.“
Im Prozess enthüllte Stefan Engel die Methode der Beklagten: Sie ziehen völlig willkürlich historische Analogien. Sie bezeichnen die MLPD als „stalinistisch“ und verweisen auf Verbrechen, die es auch gegeben hat und von kleinbürgerlichen Bürokraten im Sozialismus verübt wurden, und schieben das dem Sozialismus und der heutigen MLPD in die Schuhe. Stefan Engel: „Das ist genauso unsinnig, wie wenn man heutigen Kirchen und ihren Mitgliedern die Inquisition und die Hexenverbrennung vorwerfen würde. Oder SPD-Chef Gabriel für die Ermordung von 5.000 revolutionären Bergarbeitern nach der Niederschlagung des Kapp-Putsches 1920 haftbar zu machen.“  Dazu versuchte sich Dr. van Hüllen in Szene zu setzen: Mit selbstherrlicher Geste wischte er alle Gegenargumente vom Tisch und sagte, alles, was die MLPD mache, müsse man unter dem Gesichtspunkt beurteilen, dass diese Partei „stalinistisch“ sei. Dann zog er eine Broschüre aus der Tasche, stellte sie als eine Biografie über Stalin aus der Zeit von 1938 vor und begann daraus vorzulesen. Die Richterin verpatzte ihm den als genialen Coup gedachten Auftritt und unterbrach ihn.  
Eine umwerfende Beweiskraft zeigte auch die Klageerwiderung der Anwälte der Beklagten. So führten sie seitenweise Verfassungsschutzberichte als Quellen an, die aber als Geheimdienstpropaganda keinerlei Beweiskraft haben und großteils aus der Ägide der Referatsleitung des Dr. van Hüllen stammen.
Ein Dorn im Auge war für sie das System der Kontrolle der MLPD. Ein Höhepunkt ihrer Wissenschaftlichkeit war das Zitieren aus dem Statut der MLPD, wonach Mitglieder zu kameradschaftlicher Kritik ohne Ansehen der Person, zu sachlicher Selbstkritik bei Fehlern und zur Wachsamkeit gegen Karrierismus und Agententum aufgerufen werden. Stefan Engel wies nach, dass jeder, der heute wissenschaftlich arbeiten und produzieren will, ein System der Kontrolle, landläufig Controlling genannt, braucht. Die MLPD arbeitet mit der wissenschaftlichen Methode des dialektischen Materialismus, wie sie in der neuen deutschen Philosophie begründet und von Marx materialistisch aufgegriffen und von der MLPD schöpferisch weiterentwickelt wurde. Wir überprüfen mit dem System der Kontrolle, ob und wie wir diese wissenschaftliche Methode beherrschen.
Dass sich die Verfassungsschützer mit dieser Problematik gar nicht abfinden, noch sie begreifen konnten, wundert nicht. Schließlich ist ihre Methode, verdeckt zu arbeiten und unbewiesene Behauptungen gegen Linke, Revolutionäre und Marxisten-Leninisten auszustreuen. Zu Recht betonten die Anwälte der MLPD, dass der Vorwurf an die MLPD, eine Sekte zu sein, mit allen Merkmalen des Sektentums auf den Geheimdienst „Verfassungsschutz“ voll zurückfällt.
Aus einem nicht autorisierten angeblichen Interview in der „taz“ stellten sie die Behauptung auf, dass die MLPD intellektuellenfeindlich sei. Dies hätte angeblich Stefan Engel bestätigt, als er sagte, dass die MLPD „eher eine Partei der Arbeiter, nicht der Intellektuellen“ sei. „Die haben nicht einen so langen Atem“. Den ersten Satz hatte er gesagt, er hatte aber nicht den ihm in den Mund gelegten abfälligen Nachsatz über Intellektuelle geäußert. Zu dumm für die Verfassungsschützer, dass die stellvertretende Vorsitzende der MLPD als anwesende Klagevertreterin in Person diese absurde Behauptung widerlegte. Sie stellte sich als Diplom-Pädagogin vor.
Rechtsanwalt Peter Weispfenning kritisierte, dass die Beklagten in ihren Schriftsätzen das politische Kampfinstrument der Verfassungsschutzberichte auch noch als „privilegierte Quelle“ für ihre Aussagen ins Feld führen wollten. Pikanterweise hat Dr. van Hüllen einen Großteil der Berichtsauszüge anscheinend sogar selbst zu verantworten. So führte die Klageerwiderung  Textpassagen aus verschiedenen Bundesverfassungsschutzberichten in der Zeit von 1995 bis 2005 auf – der Zeit, in der er höchstpersönlich die Kommunistenbespitzelung mit leitete. Wohl kein Zufall!
Die Richterin erklärte abschließend, dass das Ende des ersten Tages keinen Abschluss des Verfahrens bedeutet. Sie deutete auch am Schluss an, zu überprüfen, ob man Verfassungsschutzberichte überhaupt als beweiskräftige Quellen für eine Auseinandersetzung um Tatsachen anerkennen kann. Vieles spricht dafür, dass die Beklagten aufgefordert werden, reale Beweisangaben zu unterbreiten. Sichtlich wird es nicht ausreichend sein, angebliche Augenzeugen nur als „NN“ (d. h. auf deutsch ohne Namensnennung) in den Prozess einzubringen, wie es in der Klageerwiderung gemacht wurde. Die Namen wollten sie bisher nicht nennen, begründet mit der üblen Diffamierung, man wolle diese nicht der „Repression“ der MLPD aussetzen.
Man darf gespannt sein, welche Beschlüsse am Donnerstag, den 11. 10., verkündet werden!
Nach der eineinhalbstündigen Verhandlung wurde das Ergebnis in einer kurzen Kundgebung mit Ansprachen von Stefan Engel, Monika Gärtner-Engel, den Anwälten der MLPD und weiteren Redebeiträgen positiv bewertet. Stefan betonte, dass hier der Versuch einer Entrechtung der MLPD mit antikommunistischem Hintergrund vor Gericht steht. Mit dem Antikommunismus müssen wir selbst fertig werden und dazu dient auch die Verbreitung dieses Prozesses in der ganzen demokratischen Öffentlichkeit.
Noch eine pikante Note hatte die Aufdeckung der Rolle der Kanzlei der Beklagten. Sie hatte der MLPD schon einmal in einem Prozess in Hamburg gegenüber gestanden. Damals stand Monika Gärtner-Engel als Stadträtin von Gelsenkirchen  wegen ihrer Äußerung im Rat vor Gericht, dass Millionen am Rat der Stadt Gelsenkirchen vorbei in die Taschen des Investors des Hans-Sachs-Hauses geflossen sind. Da gab es eine einstweilige Verfügung, dass sie das unter Strafandrohung von Geldstrafe und Gefängnis nicht mehr sagen dürfe. Derselbe Anwalt ging nach vier Stunden geschlagen aus dem Prozess. Die Kanzlei gilt nicht nur als eine der renommiertesten in Deutschland. Es ist wohl so, dass sie vielfach das Innenministerium als oberste Behörde der Geheimdienste verteidigt …

Wolf-Dieter Rochlitz

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