Buchtipp: „Die Knoblauchrevolte“ von Mo Yan
Eine Stimme für die Sprachlosen
Die Meinungen über den diesjährigen Nobelpreisträger für Literatur, Mo Yan, prallen heftig aufeinander.
In China selbst ist er sehr populär und seine Bücher erreichen hohe Auflagen. Er stammt selber aus einer Bauernfamilie und verleiht in meisterhafter Weise den Massen eine Stimme. Er, der sich in seinem Pseudonym „der Sprachlose“ nennt. Von seinen Kritikern wird er teilweise heftig attackiert. Manche kreiden ihm an, dass er sich nicht vom sozialistischen China Mao Zedongs distanziert. Andere kritisieren, dass er bis heute der Kommunistischen Partei Chinas angehört, die das Erbe Mao Zedongs längst in den Dreck gezogen hat, auch wenn sie sich noch immer mit seinen Porträts schmückt.
Es ist schwer, seine tatsächliche politische Haltung festzumachen – seine Nobelpreisrede beschränkte er auf die Darstellung seines persönlichen Werdegangs.
Aber Mo Yan ist nicht Politiker, sondern Schriftsteller. Karl Marx hat zum englischen Dichter des Massenelends im Frühkapitalismus, Charles Dickens, einmal gesagt, es genüge für einen Schriftsteller, das schonungslose Bild einer Epoche zu entwerfen. Das daraus zu folgernde politische Engagement dürften dann gerne andere übernehmen.
Mo Yans im Jahr 1988 erschienener Roman „Die Knoblauchrevolte“ ist zweifellos ein solch schonungsloses Bild der gesellschaftlichen Zustände im heutigen China nach der Wiederherstellung des Kapitalismus seit 1976.
Der fesselnde Roman spielt in der Heimatgemeinde Mo Yans, im abgelegenen Gaomi. Seit Jahrhunderten ist dort der Knoblauchanbau Lebensgrundlage der kleinen Bauern. Aber im Jahr 1987 verfaulen die reifen Knollen auf den Feldern. Die gleichen Parteibürokraten und Behörden, die die Bauern zuvor angestachelt haben, immer mehr zu produzieren, nehmen einen großen Teil der Ernte nicht ab. Die verzweifelten Bauern schlagen in einer blutigen Revolte das Parteibüro kurz und klein. Ihre Rebellion wird brutal unterdrückt, viele der rebellierenden Bauern werden inhaftiert, verprügelt, gefoltert. Drei der verfolgten Rebellen berichten in diesem Roman über ihr Leben, ihre Träume, ihre Wut, ihre Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit …
In den Zwischentönen eines blinden Sängers, in einzelnen Gesprächen der Bauern keimen Erinnerungen an eine bessere Zeit auf, eine Zeit, in der die kommunistische Partei „eine bessere war“, eine Zeit, in der in den Volkskommunen alle arbeiteten und nur sehr Wenige Verwaltungsaufgaben hatten, eine Zeit, in der mit der feudalen Unterjochung der Frauen Schluss gemacht werden sollte. Aber mit der Auflösung der Volkskommunen nach Maos Tod und der Rückgabe des Landes an die Einzelbauern hat sich ein riesiger Parteiapparat mit korrupten, geld- und machtgierigen Parteibonzen den Bauern in den Nacken gesetzt. Bei ihnen selbst kehren archaische, feudale Denk- und Verhaltensmuster mit Vehemenz zurück.
Das alles schildert Mo Yan als Einzelbeispiel. Aber solche Revolten gibt es heute aus den unterschiedlichsten Anlässen tausendfach und tagtäglich in ganz China. Und das ist dem Nobelpreisträger sicherlich bewusst – auch wenn er es nicht ausspricht.
Anna Bartholomé