Wie die Futterpflanzen der Kudu-Antilope zurückschlagen
Unterhaltsames und Lehrreiches über die Dialektik der Natur
Wer seine Kenntnisse über die Dialektik der Natur vertiefen will, hat mit dem Buch des Wissenschaftsjournalisten und TV-Filmemachers Volker Arzt eine interessante, spannende und gut zu lesende und schön bebilderte Lektüre.
Dass die Natur in ihrer Gesamtheit nach dialektischen Bewegungsgesetzen funktioniert, haben als erste Marx und Engels auf Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse ihrer Zeit entdeckt. Den Begriff „Dialektik“ nimmt Volker Arzt nicht in den Mund, Marx und Engels tauchen bei ihm nicht auf. Und doch: Wer als materialistischer Dialektiker das Buch liest, findet auf Schritt und Tritt die Gesetzmäßigkeiten des dialektischen Materialismus.
Das Buch behandelt die Pflanzenwelt. Gleich zu Beginn wird die dialektische Negation behandelt (ohne diesen Begriff zu verwenden): Einzig die Pflanzen bringen es fertig, aus unbelebter Materie lebende Organismen zu schaffen. Diese sind die Grundlage der Tierwelt, weil sie den Pflanzenfressern als Nahrung dienen. Könnten die Tiere aber die Pflanzen ohne Begrenzung vertilgen, gäbe es bald keine Pflanzen und auch keine Tiere mehr. Das Ganze funktioniert nur als Kampf und Einheit der Gegensätze. Die Pflanzen wehren sich gegen ihre Feinde soweit, dass ihr Fortbestand gesichert ist – und sichern damit auch den Fortbestand ihrer Feinde.
Welche ausgeklügelten, überraschenden, oft unglaublich raffinierten Methoden da zur Anwendung kommen, beschreibt Volker Arzt spannend, gut verständlich und stets wissenschaftlich begründet. Wie ein Krimi liest es sich zum Beispiel, wenn Arzt erzählt, wie es die Futterbäume der afrikanischen Kudu-Antilope fertig bringen, die Tiere bei übermäßigem Laubfraß – und nur dann! – mit vollem Magen verhungern zu lassen.
Ohne dass dies im Buch selber thematisiert wird, wird auf unterschiedliche Weise deutlich, dass der dialektische Materialismus keine erfundene Theorie, sondern die Daseinsweise der belebten und unbelebten Natur ist.
Unwillkürlich kommt einem beim Lesen der Raubbau an der Natur in den Sinn, ohne die die kapitalistische Produktion heute nicht mehr auskommt. Dies wird zwar mit keinem Wort erwähnt. Die von Anerkennung und Begeisterung gegenüber den „klugen Pflanzen“ und den Wundern der Natur durchdrungene Schilderung von Volker Arzt macht aber deutlich, wie wichtig der Kampf gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Profitgier als treibende Kraft ist.
Die außerordentliche Raffinesse der behandelten Pflanzen, sich ihrer Feinde zu erwehren, der scheinbar eine ausgeklügelte Strategie und Taktik zu Grunde liegt, verführt Arzt nie dazu, ein höheres Wesen als Schöpfer dieser „klugen Pflanzen“ zu postulieren. Diese dialektisch-materialistische Grundlinie wird nur am Ende des Buches infrage gestellt, wenn er den Pflanzen eine „individuelle Intelligenz im Ansatz“ zuschreibt. Das ist eine Unterschätzung, was die dialektische Natur auch ohne Bewusstsein an Wundern hervorbringen kann, aber auch ein Unverständnis gegenüber qualitativ neuen Stufen in der Entwicklung der Natur. Sie hat nicht nur – wie Volker Arzt richtig bemerkt – das menschliche Gehirn hervorgebracht, sondern die menschliche Gesellschaft, ohne die Bewusstsein und Intelligenz nicht möglich sind. Heute müssen wir auf Grundlage dieses Bewusstseins den Kampf gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen führen. Das Buch kann einem dabei helfen, das Verständnis und die Begeisterung für die unglaublich „wundervolle“ Natur zu bekommen bzw. zu vertiefen. Sehr zu empfehlen.