Weltwirtschafts- und Finanzkrise außer Kontrolle?
Und in der Pressekonferenz dann ganz ernsthaft: „Deutschland geht es gut, den Menschen geht es gut.“ Die deutsche Wirtschaft werde eine „Erfolgsgeschichte und ein Stabilitätsfaktor in Europa bleiben“ und nach dem „guten Jahr“ 2013 werde das Jahr 2014 noch besser. Es ist gefühlt der zwanzigste Versuch der Regierung, die Weltwirtschafts- und Finanzkrise für beendet zu erklären.
Der Sachverständigenrat, der die Regierung regelmäßig mit Zahlen und Fakten über die Wirtschaftsentwicklung versorgt, ist nicht so frohgemut. Er korrigiert seine Prognosen alle paar Monate nach unten. Aktuell rechnen diese „Wirtschaftsweisen“ jetzt nur noch mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland von 0,3 Prozent für 2013. Und das ist noch beschönigend.
Seit Juli 2012 geht die Industrieproduktion in Deutschland Monat für Monat zurück. Dieser Trend setzt sich in den ersten Monaten diesen Jahres unvermindert fort. Insgesamt ist 2012 die Industrieproduktion – als wichtiger Indikator der Wirtschaftsentwicklung – in Deutschland nach Angaben der OECD um 0,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Im Januar diesen Jahres ging sie um 2,6, im Februar um 1,8 Prozent gegenüber den Vorjahresmonaten zurück. Die Auftragseingänge der Industrie sind 2012 um 3,1 Prozent gesunken, aus dem Inland um 5,8 Prozent, aus dem Ausland um 0,7 Prozent.
Für die exportabhängige deutsche Wirtschaft ist der europäische Markt extrem wichtig. Europa aber steht im Zentrum der Abwärtsspirale der weltwirtschaftlichen Entwicklung. Hier ging die Industrieproduktion 2012 um 2,7 Prozent zurück. Das ist zu Beginn des Jahres 2013 ein Rückfall unter den Stand des Jahres 2004.
Damit liegt die EU im fünften Jahr der Weltwirtschafts- und Finanzkrise um 8,8 Prozent unter dem früheren Höchststand ihrer Industrieproduktion. Fünf EU-Länder liegen sogar noch unter dem Stand des Jahres 2009, das allgemein den bisher tiefsten Einbruch markierte. Neben den vier Mittelmeerstaaten Griechenland, Italien, Spanien und Portugal gehört auch Großbritannien dazu. Andere Staaten liegen nur knapp über dem Tiefstand des Jahres 2009 wie Frankreich und Luxemburg.
Da mag der Wirtschaftsminister noch so fröhlich zwitschern. Die umfangreichste, tiefste und am längsten andauernde Weltwirtschafts- und Finanzkrise in der Geschichte des Kapitalismus ist keineswegs ausgestanden.
Im Gegenteil: bei einer tief gespaltenen Weltwirtschaft verstärkt sich die negative Tendenz derzeit unübersehbar.
Das macht auch vor den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) nicht halt. Sie waren in den letzten Jahren noch „Wachstumslokomotiven“ der Weltwirtschaft. Auch ihre Wachstumsraten sind 2012 beträchtlich gesunken. In Brasilien ist die Industrieproduktion sogar um 2,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gefallen.
Das trifft die deutschen Übermonopole gleich mehrfach. Sie haben gerade in der Krise ihr überschüssiges Kapital massiv in die BRICS-Länder investiert. Auch in die aufstrebenden sogenannten MIST-Länder (Mexiko, Indonesien, Südkorea, Türkei) floss massiv Kapital. Diese Investitionen erfolgten aber spekulativ, in der wahnwitzigen Erwartung, die Wachstumsraten dort gingen ewig so weiter. Viele haben Kapazitäten aufgebaut, als wären sie alleine auf dem Markt. Allein VW plant sieben neue Werke in China. Weitere Einbrüche dort könnten zu katastrophalen Rückschlägen führen.
Sonderfall Deutschland?
Die Wirtschaft in Deutschland steckt nicht so tief im Krisenstrudel wie die ihrer Nachbarländer. Sie profitiert von ihrer technologischen Innovationskraft und kann Konkurrenzvorteile durch das bereits mit den Hartz-Gesetzen durchgedrückte niedrige Lohn- und Rentenniveau nutzen. Krisenlasten wurden und werden auf die anderen europäischen Länder und auf zahlreiche Entwicklungsländer abgewälzt durch staatliche Subventionen, Bürgschaften und Steuererleichterungen zu Gunsten deutscher Monopole.
Inständig hofft die Merkel/Rösler-Regierung, dass solche Sonderfaktoren noch bis zum Wahltag anhalten. Nur das gibt ihnen Spielräume für krisendämpfende Maßnahmen. Aber ob das bis zur Wahl hält wird immer fraglicher.
Denn aus der weltwirtschaftlichen Entwicklung kann sich Deutschland weniger denn je heraus halten. In Deutschland und Europa ist es besonders der Automobilmarkt, der einbricht. Die angekündigten Werksschließungen bei Ford, Peugeot-Citroen oder Opel sind Vorboten einer rabiateren Abwälzung der Krisenlasten.
Durch die Entwicklung der Automobilindustrie, aber auch der Bauindustrie, ist wiederum die Stahlindustrie in Mitleidenschaft gezogen. 80.000 Stahl-Arbeitsplätze stehen europaweit auf der Kippe.
Inzwischen haben die Monopole durch Einstellungsstopps, Nicht-Verlängerung der Zeitarbeitsverträge, schleichenden Abbau von Leiharbeitern usw. bereits überall Maßnahmen getroffen, um die Krisenlasten forciert auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Immer mehr Monopole geben auch offen drastische Abbauprogramme bekannt:
ThyssenKrupp will mindestens 2.000 Stellen zusätzlich abbauen, Daimler 1.000, Renault in den nächsten drei Jahren 7.500. Eon, RWE, Autozulieferer wie TRW, Petrochemie-Produzenten wie Sabic und viele kleinere Unternehmen kündigen die Vernichtung von Arbeitsplätzen im großen Umfang an. Was das für Ruhrgebietsstädte wie Gelsenkirchen bedeutet, wo heute schon 35 Prozent der Kinder von Hartz IV abhängig sind, muss man sich nicht ausmalen.
Die Möglichkeit, das überschüssige Kapital, das im Krisenverlauf durch die riesigen „Rettungsschirme“ sogar noch weiter aufgebläht wurde, in der industriellen Produktion wieder maximalprofitbringend anzulegen, schwindet angesichts sinkender Industrieproduktion weiter.
Deshalb wandert das überakkumulierte Kapital verstärkt wieder in riskante Finanzgeschäfte, Aktien und Wetten.
Das führt zu der absurd erscheinenden Situation, dass die Börsenkurse neue Höhen erklimmen, bei zahlreichen Dax-Konzernen oder US-amerikanischen Großbanken die Gewinne explodieren. Allein das in der Aktienspekulation angelegte Kapital stieg im März gegenüber dem Vorjahr um 7,8 Prozent oder 4,2 Billionen auf 57,4 Billionen US-Dollar. Die dominierende Rolle der Spekulation für die Maximalprofite der internationalen Monopole steigt – und damit auch das Risiko unkontrolliert platzender Spekulationsblasen.
Längst hat sich gegenüber dem gemeinsamen internationalen Krisenmanagement zu Beginn der Krise die Konkurrenz untereinander wieder in den Vordergrund geschoben. In Asien werden aggressive Programme zu Rüstungssteigerung und Stärkung der eigenen Monopole aufgelegt. 2012 wurde erstmals mehr Geld für Militärausgaben verwendet als in Europa.
Bei einer bereits bestehenden gigantischen Staatsverschuldung beschloss die japanische Notenbank, jeden Monat Anleihen von 75 Milliarden US-Dollar zu kaufen. Damit überschwemmt sie den Markt und wertet so den japanischen Yen ab. Seit Ende 2012 sank der Wert des Yen um 20 Prozent gegenüber dem Dollar. Damit sollen Exporte verbilligt und wieder angekurbelt werden, nachdem die Industrieproduktion des Landes immer weiter ins Abwärts rutscht. 2012 lag die Industrieproduktion dieser einstmals zweitgrößten kapitalistischen Wirtschaftsmacht bei einem Index von 92,1 gegenüber dem Stand von 2005. Im Januar diesen Jahres sackte sie nochmals um 6,7 Prozent, im Februar um 5,4 Prozent im Vergleich zu den Vorjahresmonaten.
EU-Krise vertieft sich
Die politische Krise auf EU-Ebene, aber auch in den einzelnen Ländern, vertieft sich. Italien hantiert mit einer Notregierung, zusammengeschustert aus politischen Kräften, die sich im Wahlkampf bis aufs Messer bekämpft hatten. Die französische Hollande-Regierung sackt mit jeder Umfrage weiter ab. In Spanien und Großbritannien jagen sich Korruptionsaffairen. In Griechenland steht der nächste Generalstreik ins Haus, nachdem die Regierung ihre Versprechen gebrochen hat, weitere Krisenabwälzungen erst einmal zurück zu stellen.
Immer mehr Staaten geraten an den Rand des Staatsbankrotts. Bei Zypern war das noch irgendwie zu managen. Ergebnis ist aber, dass europaweit immer weniger Leute den Versprechungen Glauben schenken, ihr Erspartes sei sicher.
Das Scheitern der EU-Krisenpolitik und die verschärfte Konkurrenz mit Asien und den USA befeuert auch die Widersprüche unter den europäischen Imperialisten. So streiten Frankreich und Deutschland, ob nicht neue Konjunkturprogramme gegen die japanische Konkurrenz aufgelegt werden sollten. Auch auf Kosten weiterer Staatsverschuldung.
Aber sämtliche Methoden des Krisenmanagements verschärfen die eigentliche Ursache dieser Weltwirtschafts- und Finanzkrise: die chronische Überakkumulation von Kapital. Das internationale Krisenmanagement soll vor allem einen unkontrollierten Kriseneinbruch verhindern. Dabei werden die Widersprüche jedoch immer weiter aufgebaut – mit Staatsverschuldung, sich verengenden Absatzmärkten und Spekulationsblasen schwellen sie wie eine Bugwelle an. Früher oder später brechen die Dämme, sind die Kulminationen unvermeidlich.
Stürmische Veränderungen
Was aber, wenn größere Länder dem Abwärtsstrudel nicht mehr Stand halten können? Was, wenn die Massen aufstehen und sich die Abwälzung der Krisenlasten nicht mehr bieten lassen?
Nervös werden Europas Herrschende vor allem, wenn die Massenproteste sich mit einer revolutionären, sozialistischen Perspektive durchdringen. Der Präsident der Europäischen Kommission, Jose Barroso, verkündete bereits einen „sozialen Alarmzustand“ für Europa.
Mittlerweile sind 26 Millionen Europäer im erwerbsfähigen Alter ohne Job – sechs Millionen mehr als zu Beginn der Krise. Am schärfsten betroffen ist die Jugend – keineswegs nur in Südeuropa.
Der Soziologieprofessor Günter Voß sinniert über diese „verlorene Generation“: „Durch die Finanzkrisen (ist) eine Situation entstanden, in der es in vielen Ländern längst eine Legitimationskrise der sozialen Ordnung gibt: die Menschen trauen der Politik nichts mehr zu.“ Und vor der scheinbaren Ruhe warnt er, die es in manchen Ländern noch gibt: „Eine Gesellschaft kann lange mit extremer sozialer Ungleichheit und mit autoritären Strukturen existieren. Und doch: Plötzlich gibt es einen Knall, und es passiert etwas. So war es zuletzt in Nordafrika.“ („Süddeutsche Zeitung“ vom 25. 4. 2013) Dort genügte ein scheinbar zufälliger Anlass, um Massenproteste auszulösen. Solche Kämpfe müssen mit aller Härte gegen die Abwälzung der Krisenlasten geführt werden und erfordern in der Krise ein hohes Klassenbewusstsein.
Auf dem Stuttgarter Parteitag der MLPD Ende 2012 führte ihr Vorsitzender Stefan Engel aus:
„Wir sehen das Potential einer revolutionären Weltkrise als ruhende Energie, die noch nicht aktiv ist. Potential bedeutet, dass hier objektiv eine Grundlage heranreift, aber subjektiv noch nicht die Voraussetzung gegeben ist, die aufkommenden Kämpfe revolutionär zu führen. Die Aufstandsbewegung in den nordafrikanischen und arabischen Ländern ist uns eine wichtige Mahnung, was passieren kann, wenn der subjektive Faktor noch nicht ausgereift ist und es keine proletarisch-revolutionäre Führung gibt … Die stürmischen Veränderungen kommen auf jeden Fall, das ist gesetzmäßig! Aber ob sie vorwärts zur internationalen sozialistischen Revolution führen, hängt wesentlich von der Ausreifung des subjektiven Faktors ab und ist an eine marxistisch-leninistische Führung gebunden.“
Deshalb legt die MLPD im kommenden Bundestagswahlkampf größten Wert auf den den revolutionären Parteiaufbau und die Stärkung ihres Jugendverbands. Sie verbindet den Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten mit der sozialistischen Perspektive. Die Zusammenarbeit mit revolutionären Parteien in ganz Europa ist ebenso wichtig wie Förderung von Selbstorganisationen der Massen. In den Wählerinitiativen der MLPD-Kandidatinnen und Kandidaten kann sich davon jeder ein Bild machen. Und vor allem selbst mit anpacken.
Anna Bartholomé