„Kein Mensch kann diese kurdischen Frauen jemals mehr in ihre vier Wände einsperren …“

Interview von  Monika Gärtner-Engel mit Gültan Kisanak, Co-Vorsitzende der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) und Abgeordnete im türkischen Parlament

Am 28. April versammelten sich 8.000 bis 10.000 Frauen zum 2. Kongress des Frauenrates der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) in Ankara. Monika Gärtner-Engel war als stellvertretende Parteivorsitzende der MLPD eingeladen und nahm zusammen mit Halinka Augustin, Europakoordinatorin im Weltfrauenprozess aus den Niederlanden, sowie Anne Wilhelm vom Kämpferischen Frauenrat in Deutschland teil. In ihrem von häufigem Zwischenapplaus unterbrochenen Grußwort sagte Monika Gärtner-Engel:
„Ich überbringe euch die herzliche Solidarität und Gratulation zum jahrzehntelangen unermüdlichen Freiheitskampf des kurdischen Volkes unter maßgeblicher Beteiligung der Frauen. Wir trauern mit euch über die brutalen Morde an Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez. … Wir von der MLPD in Deutschland haben aktive Solidarität mit dem  Kampf des kurdischen Volkes organisiert, wir fordern die Aufhebung des PKK-Verbots und Freiheit für Abdullah Öcalan! … In der heutigen Zeit ist Internationalismus Trumpf! Welche Frauenbewegung kann heute alleine in ihrem Land die internationale Spur der Gewalt gegen Frauen – in Kriegen, alltäglicher Ausbeutung und Unterdrückung oder staatsterroristischer Maßnahmen besiegen? Welcher Arbeitskampf in einem internationalen Konzern kann heute isoliert erfolgreich sein? … Deshalb müssen die Frauenbewegung der Welt, die kämpferischen und revolutionären Bewegungen eng zusammenarbeiten. Gleichberechtigt, demokratisch, auf Augenhöhe. Alle haben in diesen Lernprozess etwas einzubringen und alle können lernen. Alle sollen in ihrem Kampf um Freiheit und Zukunft Solidarität empfangen – und alle sollen Solidarität geben. … In diesem Sinne freuen wir uns sehr auf die weitere Zusammenarbeit mit euch, auf den gemeinsamen Lernprozess, eine gemeinsame revolutionäre Zukunft von Arbeiter- und Frauenbewegung; für die Befreiung der Frau – die nach unserer Meinung nur im Aufbau des Sozialismus und Kommunismus erfolgreich sein kann.“

In Ihrer Ansprache an die tausenden Frauen auf dem BDP-Kongress sagten Sie „Heute ist ein historischer Tag“. Warum?

Es ist für uns sehr wichtig, dass der Krieg beendet wird, dass Friede einkehrt und wir unsere Freiheitsrechte erlangen. Seit vier bis fünf Monaten finden Verhandlungen über eine friedliche Lösung der Kurdenfrage statt; diese Entwicklung begrüßen wir, die Frauen Kurdistans.
Wie überall auf der Welt betrifft der Krieg auch hier bei uns vor allem die Frauen; wir haben viel Leid zu ertragen gehabt. Wichtig ist zum einen, dass der Krieg aufhört; zum andern wird die Lösung der Kurdenfrage zu einer Erweiterung demokratischer Rechte und Freiheiten führen, werden die Frauen davon großen Nutzen haben.
Heute sind zu diesem Kongress weit über 8.000 Frauen zusammengekommen. Der heutige Frauenkongress unserer Partei ist insofern bedeutsam, als die Frauen erneut kundgetan haben, dass sie an diesem Friedensprozess aktiv teilnehmen werden. Auch in dieser Hinsicht ist das ein historischer Tag.

Sie sagten auch: „Kein Mensch kann diese kurdischen Frauen jemals mehr in ihre vier Wände einsperren“. Was haben die Frauen in 30 Jahren erreicht?

Die Frauen, die am Kampf aktiv teilgenommen haben, haben eine große Sorge: dass sie womöglich wieder nach Hause an den Herd zurück müssen. Aber wir kurdischen Frauen sind fest entschlossen: Wir werden nicht nach Hause an den Herd zurückkehren. Unser eigentliches Ziel ist es, für die Frauen Freiheit zu erlangen.
In den vergangenen 30 Jahren sind die Frauen auf die Straße gegangen, sie haben gekämpft, sie haben sich organisiert und sind jetzt eine gut organisierte politische Kraft. Auch was die öffentliche politische Repräsentanz angeht, haben wir große Erfolge erzielt: wir sind in der Nationalversammlung vertreten, wir stellen Bürgermeisterinnen und haben Fraktionen in diversen Stadträten. In der Türkei war die Beteiligung der Frauen am politischen Leben sehr gering; die kurdischen Frauen haben diese Situation überwunden.
Zahlreiche Einrichtungen für Frauen sind geschaffen worden. Sehr viele selbständige Frauenorganisationen, Beratungszentren für Frauen, Frauenhäuser sind entstanden. Die Frauen sind mittlerweile sehr gut organisiert. Für uns ist es sehr wichtig, dass sich Frauen in die Politik ebenso wie in andere Lebensbereiche einbringen. Deshalb haben wir angefangen, die 50-Prozent-Quote einzuführen. Wir wollen sie jetzt überall durchsetzen.
Was Gewalt gegen Frauen betrifft, haben wir ausgesprochen radikale Beschlüsse gefasst. Wir haben jetzt in unser Statut einen neuen Passus eingefügt: männliche Mitglieder unserer Partei, die einer Frau Gewalt antun, werden sofort ausgeschlossen. In den BDP-regierten Städten haben wir in Verhandlungen mit den Gewerkschaften ein Abkommen getroffen: Männer, die Frauen Gewalt antun, wird der Lohn um 50 Prozent Prozent gekürzt und der einbehaltene Anteil an die Frau ausgezahlt. Wir warten da gar nicht erst einen Gerichtsentscheid ab!
Wir haben Komitees gegründet, um Ehen Minderjähriger zu verhindern. Frauen und minderjährige Mädchen, die zwangsweise verheiratet werden sollen, wenden sich an unsere Partei und die schreitet dagegen ein. Wir haben in etlichen Städten Kurdistans Frauenhäuser eingerichtet. In jeder Stadt, in der wir Bürgermeister stellen, gibt es Frauenberatungsstellen. Dort erhalten von Gewalt betroffene Frauen jede Art von Unterstützung in juristischen, psychologischen und sozialen Belangen.

Sie sagten auch: „Alle Siege sind ein Produkt des Kampfes“. Wie geht der Kampf unter den neuen Bedingungen weiter? Kann es nicht sein, dass der türkische Staat die kurdische Bewegung betrügt?

Wir sind entschlossen, uns von niemandem hinters Licht führen zu lassen. Die kurdische politische Bewegung und auch die kurdischen Frauen sind sehr bewusst geworden. Sie sind stark gewachsen und zu einer Massenbewegung geworden. Deshalb haben wir auch mehr Kraft und ein größeres Potenzial, den Kampf um demokratische Rechte weiterzuführen. Deshalb sehen wir die neue Entwicklung auch als einen neuen Kampfprozess an. Wir sind fest entschlossen, unseren Weg zu Ende zu gehen.

Wie stehen Sie zu unserer Meinung, dass Internationalismus heute Trumpf ist? Jeder muss in seinem eigenen Land kämpfen, aber wir meinen: siegen kann man nur mit einer internationalen Revolution.

Es ist für uns unbedingt wichtig, dass die Kräfte, die weltweit für die Freiheit kämpfen, gegenseitig Solidarität üben. Denn wir sind der Meinung, dass Unterdrückung und Ausbeutung und die Unterdrückung von Frauen eine gemeinsame Ursache haben.
Die kurdische Befreiungsbewegung betrachtet sich als sozialistische Bewegung. Der Kampf der Frauen Kurdistans hat eine sozialistische Gesellschaft zum Ziel, eine freiheitliche, demokratische Gesellschaft. Wir bezeichnen das als demokratische Modernität. Die Modernität des Kapitalismus hat uns ja keine Freiheit gebracht. Von daher ist der Internationalismus, der gemeinsame Kampf und die Einheit für uns sehr wichtig.
Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass ihr uns heute praktische Solidarität erwiesen habt. Für alle Frauen, Werktätigen und Unterdrückten ist Solidarität sehr wichtig, und es gilt, sie weiter zu stärken. Ich danke euch.

Vielen Dank für das Interview!

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