Der RAG-Schandvertrag erneut unter Feuer
Erneut war der Protest gegen das von der Bergarbeiterzeitung „Vortrieb“ als „Schandtarifvertrag“ bezeichnete Regelwerk Thema auf der Betriebsversammlung des Bergwerkes Aug uste Victoria (AV) am 16. Juni in Marl. Dort wurde auch gegen politische Repressalien gegenüber Kollegen protestiert, die an der Massenklage von rund 100 Kumpels gegen diesen Vertrag beteiligt sind oder sie unterstützen. Darunter auch der Elektriker unter Tage, Andreas Tadysiak.
Andreas Tadysiak ist Betriebsrat und war Delegierter bei der internationalen Bergarbeiterkonferenz in Peru im März dieses Jahres. Dort wurde er zum Hauptkoordinator der internationalen Koordinierungsgruppe der Konferenz gewählt. Er wurde in diesem Zusammenhang Anfang des Jahres von der RAG zwangsversetzt. Eine dabei angedrohte Abgruppierung ist inzwischen vom Tisch. Nach wachsender Kritik unter den Bergleuten und in der Öffentlichkeit konnten weitere Repressalien gegen andere Kumpels zumindest zum Teil abgewehrt werden.
Wie rf-news bereits berichtete, erlitt die RAG (Ruhrkohle AG) bisher vier Niederlagen vor den Arbeitsgerichten in Wesel und Gelsenkirchen gegen die Klagen von sogenannten „Nichtanpassungsberechtigten“ gegen ihre Zwangsversetzung von der Zeche in ein „Mitarbeiter-Entwicklungs-Centrum“. Es geht um diejenigen Kumpel, die bis zur von RAG und Bundesregierung geplanten Schließung der letzten Zechen im Jahr 2018 und dem Ende der Abräumarbeiten im Jahr 2022 noch zu jung sind, um in die bergbautypische Vorruhestandsregelung – genannt Anpassung – zu gehen. Das betrifft sowohl Kumpel unter Tage als auch über Tage, auch Angestellte. Um sie ohne größeres Aufsehen und ohne Unruhe los zu werden, hat die RAG mit Unterstützung der IGBCE-Führung einen Regelwerk ausgehandelt. Das Kleingedruckte blieb unter Verschluss, bis der „Vortrieb“ enthüllte: Die betreffenden Kollegen sollen gezwungen werden, angebotene Jobs außerhalb des Bergbaus mit Lohnverlusten anzunehmen, als Leiharbeiter quer durch die ganze Republik und die Beneluxländer eingesetzt zu werden und andere Zwangsmaßnahmen mehr. Wer sich dem nicht beugt, sollte bei der zweiten Ablehnung eines Jobangebotes gekündigt werden.
Mit den Urteilen unter anderem vom 3. April durch das Arbeitsgericht Gelsenkirchen ist zunächst der Tarifvertrag in Frage gestellt und damit der Plan von RAG und IGBCE-Führung, die Abwicklung der Zechen bis 2018 ohne größere Unruhe über die Bühne zu kriegen. Deshalb will die RAG gegen die Urteile in Revision gehen. In der „WAZ“ Gelsenkirchen vom 12. Juni wird über die klagenden Kumpel gehetzt: „Ex-Kumpel sägen am eigenen Ast“. Damit wird die Leitlinie der RAG und einiger IGBCE-Funktionäre gedeckt, die diesen Tarifvertrag mit Umschreibungen wie „alternativlos“ und „so sozial ist kein anderes Unternehmen in Deutschland“ weißwaschen wollen. Ähnlich wie aktuell bei Opel soll damit den Arbeitern die Schuld für Entlassungen zugeschustert werden, wenn sie solche „Erpresserververträge“ ablehnen und sich wehren.
Rund 1.000 der „Nichtanpassungsberechtigten“ sind trotz dieser Daumenschrauben und Abfindungsangeboten immer noch bei der RAG. Sie wollen sich ihre Zukunft nicht einfach kaputt machen lassen. Das Angebot hoher Abfindungen hat die RAG verlängert und droht jetzt auf Aushängen „200% Abfindung nur noch bis Ende Juni“.
Dieser „Schandtarifvertrag“ berührt nicht nur die „Nichtanpassungsberechtigten“. Auch den älteren Kollegen wird darin ein bundesweiter Einsatz als Leiharbeiter und dergleichen angekündigt, auch wenn die RAG sich bisher nicht getraut, diese Passagen des Vertrages anzuwenden. Außerdem wurden in diesem Zusammenhang Verschlechterungen bei der Berechnungsgrundlage des Anpassungsgelds eingeführt.
Protest wie auf den Betriebsversammlungen bei Auguste Victoria sind ein wichtiges Signal für alle Bergleute, sich in der kämpferischen Bergarbeiterbewegung zu organisieren und sich über die Ablehnung dieses Tarifvertrages hinaus an der Vorbereitung eines Massenkampfes gegen die Stilllegung des Steinkohlebergbaus zu beteiligen!