Internet-Überwachung, Polizeiterror … – wovor fürchten sich die Herrschenden?
Da werden gigantische staatliche Überwachungsmaßnahmen wie das „PRISM“-Projekt des US-Geheimdienstes NSA von mutigen Insidern aufgedeckt. Kaum haben deutsche Regierungspolitiker zahme Bedenken dazu geäußert, wird bekannt, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst BND längst eigene technische Zugänge an den wichtigsten Knotenpunkten des Internet-Datenstroms eingerichtet hat. Seit 2001 durchforstet er bis zu 20 Prozent des Fernmeldeverkehrs in Deutschland. In der Affäre um die Pläne zur Anschaffung unbemannter Kampfdrohnen ist die Regierung mittlerweile genauso in der Defensive wie im „Verfassungsschutz“-Skandal um die faschistische Mörderbande NSU. Im einen Fall soll vertuscht werden, dass die Bundeswehr mit solchen Waffen zur aggressiven Bekämpfung revolutionärer Entwicklungen und gezielten Ermordung politischer Gegner gerüstet werden soll. Im anderen Fall, dass Teile der Geheimdienste tief in den Aufbau konterrevolutionärer Terrorgruppen verstrickt sind. Dabei ist das nur die Spitze eines Eisbergs zunehmender staatlicher Repression. Dazu gehören auch Fälle wie der von Gustl Mollath, der einen Finanzskandal bei der HypoVereinsbank aufdeckte und dafür zwangspsychiatrisiert wurde (siehe S. 12/13). Oder der einer türkisch-stämmigen Anwältin, die sich gegen rassistische Beleidigung durch Polizisten zur Wehr setzte und dafür festgenommen wurde (siehe S. 11). Auch wenn scheinbar kein direkter Zusammenhang besteht, steckt hinter all dem eine tiefe Angst der Herrschenden vor den Massenbewegungen und revolutionären Entwicklungen der Zukunft.
2,9 Millionen „Telekommunikationsverkehre“ hat der BND 2011 aus dem Internet herausgefischt, die meisten davon waren E-Mails. Lediglich 136 davon waren „nachrichtendienstlich relevant“. Ein solch gigantischer Aufwand angesichts solch „magerer Ausbeute“ macht nur unter einer Voraussetzung Sinn: Wenn es dabei um die Vorbereitung der Bespitzelung breiter Teile der Bevölkerung geht, sobald diese sich auch in Deutschland zu Massenstreiks und -demonstrationen oder revolutionären Kämpfen erheben. Der türkische Innenminister Güler kündigte dieser Tage an, dass die Inhalte von „Twitter“ und „Facebook“ der vergangenen drei Wochen nach „strafrechtlich relevanten“ Informationen durchforscht würden. Wobei sich der türkische Staatsapparat dabei vor allem für Hinweise auf die Organisatoren der Proteste interessiert. Das funktioniert natürlich nur, wenn die kompletten Inhalte dieser „sozialen Netzwerke“ bereits vorsorglich herausgefischt bzw. abgespeichert sind. BND und „PRISM“ lassen grüßen!
Außerdem zeigt das eindringlich, dass sich die kämpferische Opposition in der Organisierung ihrer Proteste keinesfalls solch trügerischer Helfer wie Facebook bedienen darf, die von den Geheimdiensten durchsetzt sind (siehe S. 6/7).
Nervosität der Herrschenden nimmt zu
Nach wie vor setzt das allein herrschende internationale Finanzkapital zur Absicherung seiner Macht in den meisten Ländern der Welt vor allem auf die Methode des Betrugs im Rahmen bürgerlich-demokratischer Verhältnisse. Dazu bedienen sich die Herrschenden heute eines internationalisierten Systems der kleinbürgerlichen Denkweise. Es ist schwerer zu durchschauen, weil es sich solidarische und gesellschaftskritische Anschauungen und Forderungen, Traditionen, Gefühle und Verhaltensweisen der Arbeiterklasse scheinbar oder formal zu eigen macht, um sie zu missbrauchen und in ihr Gegenteil zu verkehren (siehe auch Artikel „Präsident Gaucks ,aufgeklärter Antikommunismus‘“ auf S. 23).
Ganz in diesem Sinne kritisiert Bundeskanzlerin Merkel das „viel zu harte“ Vorgehen der Polizei in der Türkei. Sie will damit den Eindruck erwecken, das „demokratische Europa“ stünde im Gegensatz zu den „undemokratischen“ Verhältnissen dort. Wie „demokratisch“ es in Deutschland zugeht, bekamen am 1. Juni unter anderem die „Blockupy“-Demonstranten in Frankfurt/Main zu spüren.
Das Problem nicht nur von Merkel ist, dass sich auch diese Methode der Herrschenden, sich scheinbar fortschrittlich, sozial, friedlich oder ökologisch zu geben, mehr und mehr abnützt. Die Abrechnung mit Merkels scheinheiliger Kritik an Erdogan stand mit im Zentrum der zahlreichen Solidaritätsaktionen in Deutschland für die Massenproteste in der Türkei.
Auch die demokratische Massenbewegung in der Türkei konnte sich erst entwickeln, nachdem immer größere Teile der Arbeiterklasse, der Jugend und der kleinbürgerlichen Zwischenschichten – darunter viele Frauen – mit dem spezifischen System der kleinbürgerlichen Denkweise der Erdogan-Regierung fertig geworden sind. Angesichts der allgegenwärtigen Unterdrückung und Bevormundung nehmen sie ihm seinen „modernen“ Islamismus nicht mehr ab. Angesichts wachsender Klassenwidersprüche haben auch seine Versprechungen, die Massen würden vom Wirtschaftsaufschwung der Türkei inmitten der tiefsten Weltwirtschafts- und Finanzkrise ebenfalls profitieren, erheblich an Wirkung verloren.
Es ist auffällig, dass sich gerade auch in Brasilien eine solche Massenrevolte mit den unterschiedlichsten sozialen und politischen Anliegen Bahn bricht. In einem Land, das sich mit der Herausbildung von Monopolen, ja einzelnen Übermonopolen genauso wie die Türkei in einem möglichen Übergang zu einem imperialistischen Staat befindet und relativ hohe Wachstumsraten verzeichnet. Auf der Grundlage einer forcierten Abwälzung der Krisenlasten durch die Rouseff-Regierung findet auch hier ein tiefgehender Verarbeitungsprozess reformistischer Illusionen eines „sozialeren“ Kapitalismus statt. Auslöser der Massenproteste in Brasilien waren Preiserhöhungen für Bustickets, die für die große Zahl pendelnder Werktätiger eine wichtige Existenzgrundlage sind.
Es ist nicht nur die eruptive Entladung aufgestauter Widersprüche in immer mehr Ländern, die die Herrschenden nervös macht. Es ist vor allem auch die Tatsache, dass dies jetzt auf solche Länder übergreift, die sie bisher als relativ stabil wähnten.
Koordinierung und Revolutionierung der Kämpfe im Visier
Ein Hauptergebnis einer aktuellen ILO-Studie ist, dass gerade in der EU die „Gefahr sozialer Unruhen“ weiter ansteige. Hier hat der „Social Unrest Index“ der ILO im Zeitraum von 2006/2007 bis 2011/2012 von 34 auf 46 Prozent mit am stärksten zugenommen. Er kennzeichnet die geschätzte Wahrscheinlichkeit „sozialer Unruhen“.
Die grenzüberschreitende Überwachung rückt deshalb immer stärker in den Fokus der Geheimdienste und ihrer internationalen Zusammenarbeit. Sie richtet sich gegen die Koordinierung und Revolutionierung der Kämpfe des internationalen Industrieproletariats und seiner revolutionären Parteien.
Die Schwäche der Herrschenden
In Deutschland vertieft sich die latente politische Krise der Regierung und eines Teils der bürgerlichen Oppositionsparteien (SPD, FDP) im Vorfeld der Bundestagswahlen. Dafür stehen insbesondere der Drohnen-Skandal um Verteidigungsminister Thomas De Maiziere, die weiter schwelende Geheimdienstkrise im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess, das Scheitern der Krisendiktate in den südeuropäischen Ländern. Die Merkel-Regierung versucht das auszusitzen und durch scheinheilige Wahlversprechungen auszublenden.
Manchem scheinen die Imperialisten mit ihren Geheimdiensten als übermächtig. Müssen sie aber nicht gerade deshalb zum verstärkten Einsatz ihrer Gewaltapparate greifen, weil der Prozess der länderübergreifenden Revolutionierung der Massen zwar noch am Anfang steht, aber zweifelsohne begonnen hat? Dennoch zeigen die verschiedenen Maßnahmen, dass sich die Arbeiter- und Volksbewegung auf harte Klassenauseinandersetzungen einstellen und vorbereiten muss.
Wirkliche Demokratie im echten Sozialismus
Die Arbeiterbewegung und die unterdrückten Massen auf der Welt müssen den Klassenkampf im eigentlichen Sinn aufnehmen. Dieser bleibt nicht bei einzelnen bürgerlich-demokratischen Zugeständnissen stehen, bei Versprechungen demokratischer Wahlen oder dem Auswechseln einer besonders verhassten Regierung durch eine andere. Er verfolgt das Ziel der Abschaffung der Diktatur des allein herrschenden Finanzkapitals überhaupt. Die Massen auf der Welt sind heute sensibler denn je gegen bürokratische Bevormundung und politische Unterdrückung. Von Leuten, die eine demokratische Massenbewegung als „Terroristen“ diffamieren, die mehr und mehr die gesamte Weltbevölkerung ausspionieren und mit Kampfdrohnen Befreiungskämpfer liquidieren und ganze Landstriche terrorisieren, ist nicht zu erwarten, dass sie ihre Macht freiwillig abgeben. Dazu heißt es im Buch „Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution“: „Die Krisenhaftigkeit der gesellschaftlichen Ordnung erweist sich als unaufhebbar. … Aber die alte Herrschaft wird nicht freiwillig weichen, selbst wenn sie die gesamte Menschheit mitreißt in die kapitalistische Barbarei. Die Entscheidung für die internationale Revolution müssen die Arbeiter und Volksmassen selbst treffen.“ (S. 611)
Solche Leute müssen allerdings auch mit aller Entschiedenheit unterdrückt werden, wenn die Arbeiter im echten Sozialismus die gesellschaftliche Macht erobert haben. Nur so wird es möglich sein, dass sie selbst erstmals in den Genuss einer wirklich breiten Demokratie kommen.