Eine soziale und ökologische Katastrophe
Frühschoppen zur Untertage-Giftmülleinlagerung
Trotz kurzfristiger Einladung kamen rund 80 aktive Bergleute, Ruheständler, Umweltschützer, Anwohner und Betroffene auf Einladung der überparteilichen Bergarbeiterbewegung „Kumpel für AUF“ am 25. August zu einem Frühschoppen nach Gelsenkirchen. Aktueller Anlass war die geplante Änderung der Wasserhaltung durch die RAG (siehe „Rote Fahne“ 34/2013). „Kumpel für AUF“ (KfA) sieht darin die Gefahr einer zumindest regionalen Umweltkatastrophe.
Christian Link (Mitglied der Koordinierung von KfA) eröffnete die Diskussion mit der These, dass eine qualifizierte Wasserhaltung auf ewig erhalten bleiben muss. Das Gift muss wieder aus den Bergwerken raus und umweltgerecht auf Kosten der Verantwortlichen entsorgt werden. Die Giftmülleinlagerung unter Tage ist zudem alles andere als ein Vergangenheitsproblem. Sie wird von Unternehmensberatungsfirmen im Gegenteil als Zukunftsverfahren gehandelt.
Andreas Tadysiak, Elektriker unter Tage, Betriebsrat auf der Zeche Auguste Victoria und Hauptkoordinator der Internationalen Bergarbeiterkonferenz, kritisierte den Missbrauch der Bergwerke als Mülldeponien aller Art. „Eigentlich ist der untertägige Bergbau die umweltschonendste Art des Bergbaus, wenn er vernünftig gemacht wird. Trotzdem ist weltweit der Übertageabbau auf dem Vormarsch, weil er billiger ist.“
Klaus Wallenstein, ehemaliger Grubenelektriker auf Zeche Niederberg und heute Kommunalpolitiker in Neukirchen-Vluyn, deckte die schon heute wirkenden Folgen der Vergiftung auf: „Auf der Zeche Niederberg wurde in den 1980er Jahren gegen den Einsatz PCB-haltiger Öle gekämpft. Seit 2001 sind diese Öle gesetzlich verboten. Die RAG behauptete, dass alles ungefährlich sei, weil die Öle nicht mit dem Grubenwasser in Kontakt kämen. 2004 wurden im abgepumpten Grubenwasser 16.000 µg/kg PCB gemessen.“ Zulässig sind laut Umweltamt 20µg/kg. Grubenwasser gilt nicht als Abwasser. Es wird deshalb nicht weiter überprüft und gelangt nach einer teilweisen Entsalzung in normale Gewässer. Im Fall der Zeche West über einen Nebenarm in den Rhein.
Christian Link erklärt an einer Zeichnung das Ausmaß der Gefährdung (Bild oben). Mit dem Beginn der Zechenstilllegungen wurden nach und nach alle Bergwerke im Ruhrgebiet zu einem Verbund zusammengeschlossen. Es gibt praktisch nur noch ein großes System der Wasserhaltung. Dadurch verbreitet sich bei einer Flutung das vergiftete Wasser über die gesamte Fläche.
Stefan Engel, öffentlicher Sprecher der Bergarbeiterzeitung „Vortrieb“ und Spitzenkandidat der MLPD weitete den Blick noch darüber hinaus: „Alles Leben spielt sich in der Biosphäre, von der Lithosphäre bis zur obersten Schicht der Atmosphäre, in einem dialektischen System ab. Der Bergbau greift in die Lithosphäre ein, die bis zu fünf Kilometer Tiefe reicht. Dort findet ein ständiger Prozess der Umwandlung von anorganischer Materie in organische statt und umgekehrt. Das globale Wassersystem in seinen unterschiedlichen Formen ist eine grundlegende Voraussetzung für biologisches Leben überhaupt. Wenn an einer Stelle wie hier, das Wassersystem einer ganzen Region vergiftet wird, hat das Auswirkungen auf das ganze Wassersystem. Eine künstliche Reduzierung der Auswirkungen auf das Grubenwasser ist nicht möglich, da alles Wasser in irgendeinem Zusammenhang miteinander steht (Grundwasser, Grubenwasser, Tiefenwasser, Flüsse, Weltmeere usw.).“
Werner Engelhardt, Spezialist im Kampf gegen das Fracking, Initiator für eine Umweltgewerkschaft und Stadtrat in Bergkamen, stellte den Bezug zum internationalen Wasserrecht her. In den USA wurde das Gasbohren aus dem Wasserrecht ausgenommen, womit Fracking erst ermöglicht wurde. Peter Weispfenning, Rechtsanwalt, informierte, dass die Schröder/Fischer-Regierung 1999 sogar von der EU gerügt wurde, weil sie das Bergrecht missbrauche, um giftige Stoffe zu lagern. Das Bergrecht sah ursprünglich nur vor, Stoffe aus der Erde zu bergen, aber nicht, (giftige) Stoffe in die Erde zu verbringen. Die damalige Bundesregierung ging über diese Rüge hinweg, so wie alle Regierungen bis heute. Gesetze werden nach den Interessen der internationalen Konzerne gestaltet. „Deshalb sei der Begriff ,Umweltverbrecher‘ fragwürdig“, wandte Stefan Engel ein. „Dieser ganze Giftmüllskandal ist doch voll gesetzlich abgedeckt. Das eigentliche Problem ist, dass diese Vergiftung mit der kapitalistischen Gesellschaft konform geht. Gegen Verbrecher bräuchte man nur einen Kriminalkommissar und ein Gericht. Gegen die systematische Vergiftung muss der aktive Widerstand und der Kampf für eine sozialistische Gesellschaft entfaltet werden.“
Gerhard Bongardt, Unternehmer und Bergbaugeschädigter aus Kamp-Lintfort, ist aktiv im Zusammenhang mit dem aktuellen Umweltgutachten eines Landwirts über vergiftete Böden. Er berichtete, wie problematisch es ist, von der RAG bzw. der Landesregierung Recht zu bekommen: „Das geht von der Falschinformation über die tatsächlichen Bergbauschäden durch die RAG und die Bezirksregierung Arnsberg, Abteilung 6 (früher Landesoberbergamt Dortmund) bis hin zum bewussten Unterdrücken des Protokolls einer Sitzung des Umweltausschusses im Landtag.“
Monika Gärtner-Engel, Stadträtin für „AUF Gelsenkirchen“ bestätigte, dass die Giftmüllverbringung weitgehend unter Ausschluss kommunaler Parlamente durchgezogen wurde. Sie hat nun einen Antrag auf umfassende Information und die Behandlung im Rat gestellt. Offen ist auch die Frage, wer eigentlich der Eigentümer dieser Giftstoffe ist.
Weder SPD, noch Grüne, noch CDU oder FDP können behaupten, man habe nichts gewusst. So berichteten Umweltaktivisten und Mitglieder der MLPD von den Protesten und Strafanzeige gegen die Giftmülleinlagerungen auf der Zeche Hansa in Dortmund 1986 oder 1988 auf Pluto in Wanne-Eickel, die als Großversuch getarnt waren. Diese richteten sich auch gegen die unmittelbare Vergiftung der Kumpel unter Tage. Täglich fallen neue Tonnen Giftstäube unter anderem in der Müllverbrennung an. Man muss die ganze Art der Müllwirtschaft in Frage stellen.
Die in Gelsenkirchen versammelte Sachkompetenz war für Viele beeindruckend. Sie bestärkte die Anwesenden, die drohende regionale Umweltkatastrophe zu bekämpfen. Das mit der Schließung der Zechen einhergehende Ende der Wasserhaltung muss verhindert werden. So hätte die Schließung der Zechen nicht nur katastrophale soziale, sondern auch globale ökologische Auswirkungen.
Der Frühschoppen wurde als Anfang begriffen, alle Faktoren vollständig aufzudecken, wissenschaftlich zu bewerten und durch einen aktiven Widerstand zu bekämpfen. Es wurde vorgeschlagen, eine Dokumentation zu erstellen, um die Öffentlichkeit zu informieren und für den Schutz der Lebensgrundlagen im Ruhrgebiet in Stellung zu bringen.