Was sind die Ursachen für zunehmende Extremwetterereignisse?
Das Auftreten von zwei „Jahrhundertfluten“ an der Elbe in den letzten elf Jahren (2013 und 2002) ist kein Zufall. In Verbindung mit dem Umschlag in eine Weltklimakatastrophe entwickelt sich eine außergewöhnliche Häufung von Flutkatastrophen, Hitzewellen und kalten, schneereichen Wintern in Europa, Asien und Nordamerika. Wie die Wissenschaftler Petoukhov, Rahmsdorf und Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimaforschung kürzlich zeigen konnten, haben diese unterschiedlichen Erscheinungen ihre gemeinsame Ursache in der irreversiblen Destabilisierung von globalen Zirkulationssystemen der Luft durch die rasche Erwärmung besonders des Nordpolargebietes.
Das Wettergeschehen auf der Nordhalbkugel wird sehr stark von der Stärke und Form von Jetströmungen beeinflusst. Dies sind schnelle, sich viele tausend Kilometer erstreckende Winde in hohen Atmosphärenschichten an der Grenze zwischen Troposphäre und Stratosphäre. Sie bewegen sich von West nach Ost um die Erde (Abb. 1).
Zwei solcher Westwindgürtel auf der Nordhalbkugel, der polare Jet und der subtropische Jet, haben einen sehr großen Einfluss auf die Bildung und die Bewegung von Hochdruck- und Tiefdruckgebieten in Europa, Asien und Nordamerika. Die Jetströmungen entstehen durch die Druck- und Temperaturunterschiede der Luftmassen zwischen der Arktis und den Subtropen. Dadurch bilden sich Luftströmungen in Süd-Nord-Richtung, die durch die Wirkung der Erddrehung (die sogenannte Corioliskraft) in West-Ost-Richtung abgelenkt werden. Sind die Temperatur- und Druckunterschiede zwischen dem Polargebiet und den Subtropen groß, dominiert die Corioliskraft und formt einen Gürtel aus Jetströmungen (Abb. 2).
Diese Jetströmungen halten die kalten und feuchten arktischen Luftmassen jenseits des nördlichen Polarkreises gefangen. Hochdruckgebiete des Südens und Tiefdruckgebiete des Nordens gleiten normalerweise in West-Ost-Richtung über Europa. Kontaktzonen mit starken Niederschlägen können sich dadurch normalerweise nur kurzzeitig bilden.
Die Auswirkung der raschen Erwärmung des Nordpolargebietes
Wird das Druckgefälle zwischen Süden und Norden durch die rasche Erwärmung des Nordpolargebietes geringer, werden die Jetströmungen geschwächt. Die relative Trennung der polaren Tief- und subtropischen Hochdruckgebiete löst sich auf. Die kalte Polarluft kann weit nach Süden in die mittleren Breiten vorstoßen, wo sie für lange Winter, frostige Wetterlagen und verstärkten Schneefall sorgt. Besonders stark betroffen davon waren in letzter Zeit die Ostküste der USA sowie Nordeuropa. Gleichzeitig kann warme Luft aus den subtropischen Regionen weit in den Norden vordringen und dort zu Extremhitzeperioden führen, wie zum Beispiel im Jahr 2010 in Russland.
Tatsächlich hat sich das Nordpolargebiet seit den 1970er Jahren mit +2 Grad Celsius rascher erwärmt als die Erdoberfläche im weltweiten Mittel mit +0.6 Grad Celsius. Das Seeeis ist in den letzten 20 Jahren schon um mehr als 40 Prozent zurückgegangen. Die Erwärmung im Nordpolargebiet hat sich bereits durch eine Rückkopplung verstärkt: Durch den Rückgang der Eis- und Schneebedeckung im Polarmeer wird weniger Sonnenstrahlung in den Weltraum reflektiert und das Polarmeer nimmt verstärkt Wärme auf. Durch diesen Rückgang der sogenannten Albedo (Rückstrahlung) hat sich die Geschwindigkeit der Erwärmung schon von der Wirkung des unnatürlichen Treibhauseffekts abgelöst.
Viele Menschen glauben, dass die beschleunigte Erwärmung am Nordpol kaum Auswirkungen auf das Klima in Europa oder Asien haben wird. Dies ist ein Trugschluss. Die rasche Erwärmung an der Arktis hat drastische Auswirkungen auf das Wettergeschehen in den mittleren Breiten.
Die resonante Verstärkung von Jetwellen
Die Jetströmungen in West-Ost-Richtung unterliegen normalerweise nur relativ schwachen wellenförmigen Nord-Südbewegungen. Diese wellenförmigen Bewegungen werden nach dem US-amerikanischen Meteorologen Rossby-Wellen genannt. Sie wurden in den letzten Jahren mit der polaren Erwärmung ausgeprägter und verharren auch länger an einer Stelle. Die Potsdamer Klimaforscher sprechen in ihrer Untersuchung vom März 2013 von einer resonanzartigen Verstärkung dieser Wellen. Dadurch werden Regionen für längere Zeit in eine Kältefalle eingeschlossen, während dicht nebendran subtropische feuchte und warme Luftmassen weit nach Norden vorstoßen können – mit katastrophalen Folgen.
In Europa sind solche Wetterlagen in abgeschwächter Form und weit kürzerer Dauer schon seit 100 Jahren bekannt und werden als „Mittelmeertief“ bezeichnet. Es waren Ausnahme-Wetterlagen, bei denen atlantische Tiefdruckgebiete in den Mittelmeerraum vordringen, dort Wärme und Feuchtigkeit aufnehmen und diese dann auf ihrem weiteren Weg über Mittel- und Osteuropa entladen. Mit der Destabilisierung der Jetströmungen durch Jetwellen werden sie jedoch häufiger und intensiver und länger: Im Frühjahr 2013 bildete sich eine gigantische polare Jetwelle, die eine tiefe Schlaufe in großem Bogen von Nordeuropa bis in den Mittelmeerraum und zurück formte (Abb. 3 Mitte).
Dieser gigantische Trog führte kalte und feuchte Luft vom Norden bis übers Mittelmeer nach Süden. Die Luftmassen nehmen warmes Wasser auf und beginnen als Tiefdruckgebiete gegen den Uhrzeigersinn zu rotieren: Sie bilden einen Zyklon, der feuchte warme Mittelmeerluft über Italien oder dem Balkan nach Norden leitet. Auf dem Nordostbogen der Jetwelle können Zyklone selber weiter nach Mittel- und Osteuropa vordringen. Sie treffen auf die stationäre Kaltluft, was zu heftigen und langanhaltenden Regengüssen führt.
Neue Erscheinung des Umschlags in eine Weltklimakatastrophe
Der Übergang in eine globale Klimakatastrophe durch die zunehmenden Emissionen von Treibhausgasen vollzieht sich keinesfalls alleine als allmähliche Erwärmung. Diese verharmlosende Vorstellung bürgerlicher Politiker wie Bundeskanzlerin Merkel sind die Grundlage für die imperialistisch-ökologistische Propaganda der „Anpassung an den Klimawandel“ und einer „Begrenzung der Erwärmung“. Schon heute sind irreversible Schäden durch die unverantwortliche Freisetzung von Klimagasen entstanden. Weitreichende Veränderungen globaler Strömungssysteme der Luft sind bereits eingetreten. Die Häufung und resonante Verstärkungen der Jetwellen hat in den letzten zehn Jahren zu enormen Schäden geführt. Die damit verbundenen Extremwetterlagen waren für die Jahrhundertfluten an der Elbe 2002 und in 2013 in nochmals gesteigerter Form in ganz Ostdeutschland verantwortlich. Stehende Jetwellen führten zu den Jahrhundertüberflutungen in England und Schottland im Mai 2007. Im Sommer 2010 verursachte eine gigantische Jetwelle über Kasachstan und der Region China-Tibet extreme und langanhaltende Regenfälle in Pakistan und Indien, während gleichzeitig Russland von einer extremen Trocken- und Hitzewelle heimgesucht wurde, mit den größten Waldbränden in seiner bisherigen Geschichte.
Die riesigen Jetwellen führen dabei auch zu extremen Hitzeperioden, wie in Mitteleuropa (2003), in Russland (2010) sowie in den USA (2011). Gleichzeitig häufen sich längere und schneereiche kalte Winter in Europa und Russland (2011, 2012, 2013) sowie im Nordosten der USA (Abb. 4).
Der Umschlag in eine globale Klimakatastrophe hat sich in den letzten Jahren beschleunigt und gerät in Wechselwirkung mit regionalen Umweltkatastrophen. So werden die Überflutungen durch Extremniederschläge durch die Versiegelung der Landschaft sowie die Begradigung der Flüsse mit einem Verzicht auf entsprechende Ausgleichsgebiete weiter verstärkt. Im Falle der Waldbrände in Russland wurden Brandschutzeinrichtungen, die in der sozialistischen Zeit vor 1956 aufgebaut wurden, systematisch abgebaut und desorganisiert.
Rettung des Weltklimas ist Systemfrage geworden
Die resonante Verstärkung der Jetwellen und ihre weitreichenden Auswirkungen sind Ausdruck bereits eingetretener irreversibler Änderungen des Weltklimas. Gleichzeitig sind sie ein Übergangsphänomen im Prozess des fortschreitenden Umschlags in eine Weltklimakatastrophe. Dies geht mit einer atemberaubenden Verschiebung von Klimazonen einher, an die sich die über Jahrhunderte herausgebildeten ökologischen Systeme kaum anpassen können. Die verschiedenen Faktoren des Umschlags in eine globale Umweltkatastrophe durchdringen sich und bauen ein enormes Zerstörungspotenzial auf, das sich in den Zerstörungen der Flutopfer der „Jahrhunderthochwasser“ erst andeutet.
In der Tat ist mit der Bedrohung der Menschheit durch die globale Umweltkatastrophe ein neuer hauptsächlicher Widerspruch im imperialistischen Weltsystem entstanden: der Widerspruch zwischen der kapitalistischen Produktionsweise und den natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit. Derzeit nehmen die imperialistischen Regierungen massiv Einfluss auf den neuen Weltklimabericht des IPCC1, der im September 2013 erscheinen wird. Hier werden die mögliche Fortführung der Nutzung fossiler Energien bis nach 2100 diskutiert und der Anstieg der Treibhausgase auf mehr als das Vierfache des heutigen Wertes als „Erhöhungen der mittleren Erdoberflächen-Temperatur von 1,5 bis 4,8 Grad“ verharmlost.
Tatsächlich planen die internationalen Energiemonopole, die Ausbeutung fossiler Energieträger bis an ihre Erschöpfung weiterzutreiben, um ihre weltmarktbeherrschende Stellung zu behaupten. Notwendig ist die drastische Reduktion der Treibhausgas-Emissionen um 70 bis 90 Prozent bis 2030. Durch einen weltweiten aktiven Massenwiderstand kann und muss dies durchgesetzt werden.
Allseitige Maßnahmen zu ergreifen, die heutige Treibhausgaskonzentrationen durch umfassende Aufforstungsprogramme und Umwandlung von CO2 aus der Luft in nützliche Materialien wieder zu senken, erfordert eine sozialistische Planwirtschaft, die den Bedürfnissen der Menschen in Einheit mit der Natur dient. Die eingetretenen Klimaänderungen wie die Erwärmung des Nordpolargebiets stellen jedoch eine schwere Bürde für den Aufbau des Sozialismus dar und viele Folgen lassen sich, wenn überhaupt, nur in Jahrhunderten wieder rückgängig machen.
1 ‑Intergovernmental Panel on Climate Chance