Rojava – Brennpunkt im Kampf für Freiheit und Demokratie

Weltweit stieß 2011 der „arabische Frühling“ – die Rebellion für Freiheit und Demokratie – auf Sympathie und Begeisterung.

Doch nach anfänglichen Erfolgen und dem Sturz verschiedener Diktatoren wie Mubarak in Ägypten oder Ben Ali in Tunesien machte sich Ernüchterung breit. In beiden Ländern gelangten zumindest zeitweise reaktionär-islamistische Kräfte an die Regierung. In Ägypten herrscht nunmehr wieder das Militär. Glaubt man den Mainstream-Medien, droht der „arabische Frühling“ in Chaos, Mord und Totschlag zu versinken. Wenig berichten die Medien über die Entwicklung in Rojava (Westkurdistan), dem kurdischen Teil Syriens. Diese auffällige Schweigsamkeit hat aus Sicht der Imperialisten auch gute Gründe. Denn in Rojava erscheint tatsächlich eine positive Perspektive für den Kampf um Freiheit und Demokratie.

Syrien bildet heute einen Brennpunkt der zwischenimperialistischen Widersprüche im Kampf um Rohstoffe und Einflussgebiete. Im syrischen Hafen Tartus befindet sich der einzige Mittelmeerhafen der russischen Kriegsmarine. 95 Prozent der syrischen Öl-Exporte fließen in die EU. Syrien ist ein wichtiger Faktor in dieser ölreichsten und strategisch bedeutsamen Region.

Die seit 2008 andauernde Weltwirtschafts- und Finanzkrise wirkte wie ein Katalysator auf die zwischenimperialistischen Widersprüche. Sie verschärfte den weltweiten Konkurrenzkampf enorm.

Auch in Syrien begann 2011 ein berechtigter Kampf um Demokratie und Freiheit. Von Anfang an mischten allerdings auch reaktionäre Kräfte im Land mit, um die Situation für sich zu nutzen. Hierin sahen die NATO-Imperialisten ihre Chance gekommen. Ihr Ziel: Syrien aus dem traditionellen Einflussgebiet ihrer russisch/chinesischen Konkurrenten herauszulösen. So haben sie sich inzwischen maßgeblichen Einfluss auf den sogenannten „Syrischen Nationalrat“ und dessen militärischen Arm, die „Freie Syrische Armee“ („FSA“), verschafft. Mit einer mehr oder weniger verdeckten militärischen Unterstützung der Aufständischen halten sie den Bürgerkrieg – inzwischen längst ein blutiger Stellvertreterkrieg – am Laufen.

Zuletzt versuchten die USA und Großbritannien einen verbrecherischen Giftgaseinsatz als Rechtfertigung für ein direktes militärisches Eingreifen zu missbrauchen. Bis heute ist – maßgeblich auf Intervention der USA – ungeklärt, wer diesen Giftgaseinsatz zu verantworten hat. Dass der NATO-Angriff zunächst unterblieb, ist vor allem dem Widerstand und Misstrauen der Massen weltweit gegen den US-Imperialismus und seine Helfershelfer geschuldet. Die MLPD und die ICOR haben den Kampf gegen einen imperialistischen NATO-Angriff voll unterstützt.

Assad oder die NATO?

Revisionistische Kräfte, wie die syrische „Kommunistische Partei“, wiederum schlagen sich auf die Seite von Assad. Weil sie den Völkern keine Selbstbefreiung zutrauen, huldigen sie ausgerechnet dem russischen Präsidenten Putin als Friedensstifter. In ihrer Prinzipienlosigkeit ist für sie jeder automatisch fortschrittlich, wenn er nur Gegner der USA ist.

Aber die Assad-Familie, Russlands Junior-Partner, regiert korrupt seit 1963 ununterbrochen mit Ausnahmezustand. Sie unterdrückt mit größter Härte Streiks, Demonstrationen und andere Formen des Widerstands – nicht nur in den kurdischen Gebieten. Freiheit und Demokratie finden die Völker weder im Bündnis mit der NATO noch von Gnaden der von Russland und China getragenen Shanghai-Gruppe. Mil­lio­nen syrischer Flüchtlinge dokumentieren, dass die Masse der Bevölkerung inzwischen von keiner der beiden Bürgerkriegsparteien eine Perspektive erwartet.

Der Freiheitskampf in Rojava lehnt sich dagegen nicht an eine der imperialistischen Mächte an und erteilt den islamistisch-faschistischen Kräften eine scharfe Absage. Bis Oktober kehrten bereits über 27.000 Flüchtlinge in die derzeit von der kurdischen Bewegung kontrollierten Gebiete zurück. Viele Syrer – auch anderer Volkszugehörigkeit – fliehen aus anderen Landesteilen gerade in diese Gebiete.

 

Rojava – zeigt eine positive Perspektive

4 Millionen Kurdinnen und Kurden leben heute in Syrien. Sie bilden rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung. Viele sind im Gebiet von Rojava konzentriert. Aber auch in den kurdischen Großstädten stellen sie oft einen Teil der Arbeiterklasse, darunter viele Bauarbeiter. Ihr Kampf gegen das reaktionäre Assad-Regime hat eine lange Tradition.

Unter Ausnutzung der besonderen Situation der Schwächung des Assad-Regimes und der zwischenimperialistischen Widersprüche begann die kurdische Freiheitsbewegung seit Juni 2012, mit dem Aufbau von Selbstverwaltungsstrukturen. Von der kurdischen Stadt Ko­ba­ni ging das Signal für den Aufstand aus. Massenversammlungen in den Moscheen beschlossen im Juni 2012 die Regierungsstellen von Assad in der Region zu stürmen. Der Militärstützpunkt wurde belagert, bis das Militär sich ergab. Überall wurden Volksräte gebildet. Sie sind die ausführenden Organe der Volkshäuser, die das Zentrum der demokratischen Beratungen und Entscheidungen bilden. Der Ständige Volksrat Westkurdistans tagte im Dezember 2012 und verabschiedete verschiedene Gesetze. Er besteht aus 63 Mitgliedern, die im Oktober 2011 gewählt wurden, und bildet eine Dachorganisation aller bestehenden Volksräte in Westkurdistan und in weiteren Teilen Syriens. Überall sind Frauen zu 40 Prozent beteiligt.

Der Kampf um die Befreiung der Frau bildet sogar einen Schwerpunkt und Trumpf der Bewegung. Organisiert haben die Frauen durchgesetzt, dass Verbrechen an Frauen heute als Verbrechen gegen die Gesellschaft aufgefasst werden. Dementsprechend werden die Täter zur Rechenschaft gezogen. In ehemals staatlich genutzten Häusern wurden Frauenzentren eingerichtet für die politische, soziale und kulturelle Bildung. In allen Städten gibt es heute Frauenkomitees.

Das Volk in Rojava besteht zum überwiegenden Teil aus seiner kurdischen Bevölkerung. Aber es ist an keine bestimmte Religion gebunden. Muslime, Alewiten, Christen, Atheisten, Drusen usw. leben und kämpfen gemeinsam. Ilham Ahmet, eine von zwei Frauen des kurdischen Hohen Rates, erklärt in Bezug auf Rojava: „Das Verhältnis zwischen den Völkern … (ist) friedlich. Als Beispiel kann ich das Zusammenleben der Kurden, Assyrer, Armenier und Araber in (den westkurdischen Städten) Derîk oder Quamislo anführen. Das Zusammenleben ist so sehr ineinandergewachsen, dass man diese Gruppen nicht mehr trennen kann.“

In Syrien gibt es 16 kurdische Parteien. Die bei weitem einflussreichste ist die „Partei der Demokratischen Union“ (PYD). Sie ist eng mit der Kurdischen Arbeiterpartei PKK verbunden. Die jetzt erkämpften Erfolge sind Ergebnis einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung.

Solidarität mit Rojava

Rojava bildet heute mit seinem Weg der Unabhängigkeit von den Imperialisten, seinem Mut ein wichtiges Vorbild für die Region. Die Erfolge sind aber auch einer besonderen Situation des teilweisen Machtvakuums geschuldet. Diese Situation wird nicht ewig anhalten.

Nicht nur das Assad-Regime versucht, die Kontrolle über die Region wieder zu bekommen und den Befreiungskampf niederzuschlagen. Die größten Erdölvorkommen Syriens liegen gerade in den kurdisch besiedelten Gebieten. Die Imperialisten werden niemals freiwillig und gewaltlos auf die Verfügungsgewalt darüber verzichten.

Um ihre erkämpften demokratischen Rechte und Freiheiten sowohl gegen das Assad-Regime als auch die pro-westlichen oder islamistischen Kräfte zu schützen, wurden die bewaffneten Volksverteidigungseinheiten YPG gebildet. Das ist auch dringend geboten.

So griffen am 16. Oktober in der Provinz Hasaka faschistische bewaffnete Banden der „Al-Nusra-Front“ bzw. „ISIS“ zwei kurdische Dörfer an. Sie wurden von der YPG verjagt. Aber schon mehrfach gab es blutige militärische Überfälle von Einheiten der FSA. Islamistisch-faschistische Kräfte führten im Juli und August Massaker durch. So wurden am 1. August 2013 mehr als 70 Personen in den Dörfern Til Eran, Til Hasil bei Aleppo getötet.

Die kurdische Bewegung kämpft im Rojava um das Überleben. Sie muss gegen die Konterrevolution verteidigt werden. Dazu haben die ICOR Europa und das ICC der ICOR zu einer weltweiten Rojava-Kampagne aufgerufen. Bereits 2010 erklärte Stefan Engel, Hauptkoordinator der ICOR auf der ICOR-Gründungsveranstaltung: „Es darf nicht noch einmal passieren, dass revolutionäre Kräfte, revolutionäre Aufstände und heldenhafte Befreiungsbewegungen an ihrer nationalen Isoliertheit, an der mangelnden internationalen Solidarität und an einer internationalen Konterrevolution erstickt werden können!“

Die MLPD verbindet ihre aktive Teilnahme an der Solidaritätskampagne auch mit einer kameradschaftlichen und kritischen Diskussion über die Pers­pektiven bzw. Illusionen, die es auch in diesem Kampf gibt. Die Vorstellung der friedlichen Ausbreitung von autonomen Regionen, in die sich der bürgerliche Staat nicht einmischt, ist auf Grund aller Erfahrungen in der Geschichte wirklichkeitsfremd – angefangen von der Pariser Kommune 1871 über Indonesien 1965 bis Chile 1973! Lenin hat in seinem Buch „Staat und Revolution“ als grundsätzliche Frage der proletarischen Revolution gekennzeichnet: „Gerade Marx hat uns gelehrt, dass das Proletariat nicht einfach die Staatsmacht erobern kann in dem Sinne, dass der alte Staatsapparat in neue Hände übergeht, sondern dass es diesen Apparat zerschlagen, zerbrechen, ihn durch einen neuen ersetzen muss.“ (Lenin, Werke, Bd. 25, S. 500)

Der weitere Weg in Rojava ist für alle Revolutionäre, Antifaschisten und Demokraten von Bedeutung. Die MLPD war die einzige deutsche Partei bei der Bundestagswahl, die den Freiheitskampf in Palästina und Kurdistan zum Thema gemacht hat. Aus gutem Grund, sind diese Kämpfe doch wichtiger Teil der Vorbereitung der internationalen sozialistischen Revolution, wenn sie mit dieser Perspektive geführt werden.

Jörg Weidemann

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