Türkei: Erdogan in Bedrängnis

Nachdem immer mehr Korruptionsfälle im engsten Familienkreis führender Minister bekannt wurden, hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am 25. Dezember zehn seiner 26 Minister ausgewechselt. Einige traten – teilweise erzwungen – zurück, andere wurden entlassen. So traten die Minister für Wirtschaft und Inneres sowie der Städtebau- und Umweltminister wegen Korruptionsermittlungen gegen ihre Söhne zurück. Der bisherige EU-Minister Egemen Bagis, der ebenfalls unter Korruptionsverdacht steht, wurde seines Amtes enthoben. Die Ermittlungen wurden direkt aus dem Justiz- und Polizeiapparat losgetreten.

In den Medien wird dabei vor allem die Verbindung dieser Kreise zu der konkurrierenden islamistischen Bewegung um Fettulah Gülen hervorgehoben. Gülen lebt seit 1999 in den USA und hat enge Kontakte zur CIA. Das allein herrschende internationale Finanzkapital, die EU und auch Kräfte aus den USA machen Druck auf die Erdogan-Regierung, die Türkei noch stärker dem Einfluss der USA und der EU zu öffnen. Dabei bedienen sie sich zum Teil der Bewegung um Gülen. Regierungsnahe Zeitungen in der Türkei fordern bereits die Ausweisung des US-Botschafters, weil dieser angeblich „den Sturz eines Imperiums“ angekündigt hat.

Die Korruptionsskandale haben eine offene politische Krise ausgelöst, die sich auf immer mehr Bereiche des türkischen Staatsapparats ausweitet. Landesweit wurden mehr als 500 Polizeibeamte ihrer Posten enthoben. Nach dem früheren Innenminister ist mittlerweile ein weiterer Abgeordneter aus Protest gegen die Behinderung der Ermittlungen aus der AKP ausgetreten. Unter anderem, um zu verhindern, dass diese auch auf einen seiner eigenen Söhne ausgedehnt werden, hat Erdogan dem für Istanbul zuständigen Staatsanwalt den Fall ohne Begründung entzogen. Mittlerweile distanziert sich sogar Staatspräsident Abdullah Gül von Erdogan.

Erdogan, der stets mit dem Image als unbestechlicher „Saubermann“ und Bekämpfer der Korruption hausieren ging, verspielt dadurch auch in der eigenen Massenbasis immer mehr an Kredit. Während die Medien die Verwicklung in illegale Geschäfte mit dem Iran breit treten, flossen die Schmiergelder vor allem für die Genehmigung und Durchsetzung gigantischer Bauprojekte gegen die Interessen der Massen. „Lügner“ und „Dieb“ stand auf Plakaten, die bei erneuten Demonstrationen in Istanbul und anderen Städten das Bild des Präsidenten zeigten.

Um als „Alternative“ zu Erdogan zu erscheinen, gibt sich die Gülen-Bewegung als Vertreter eines „toleranten“ bzw. „modernen“ Islam. Dieses Bild wird auch über die westlichen Medien bereitwillig verbreitet.

Tatsächlich trug das seit Ende der 1990er Jahre zwischen der AKP Erdogans und der Cemaat-Bewegung Fethullah Gülens geschlossene Bündnis wesentlich zum Wahlerfolg der AKP 2002 und der anschließenden Regierungsübernahme bei. Bereits seit den 1980er Jahren hatten Gülens Anhänger wachsenden Einfluss vor allem im Staats- und Justizapparat gewonnen. Seine Bewegung ist islamistisch-chauvinistisch und tritt für ein Imperium aller Turkvölker vom Balkan bis zur chinesischen Mauer ein. Gülen war auch Mitbegründer des „Vereins zur Bekämpfung des Kommunismus“ in seiner Heimatstadt Erzurum. Vor einer drohenden Inhaftierung wegen Vorbereitung eines reaktionär-islamistischen Putsches floh er im März 1999 in die USA, wo er mit Hilfe seiner CIA-Kontakte Daueraufenthalt erhielt.

Das zunehmende Zerwürfnis zwischen den beiden Gruppen hat einen Ausgangspunkt im Einbruch der Massenbasis der AKP in Verbindung mit den Gezi-Park-Protesten, besonders aber in wachsenden zwischenimperialistischen Widersprüchen. So hat sich die großbürgerliche neoimperialistische Machtpolitik der Türkei in letzter Zeit stärker mit den imperialistischen Mächten Russland und China sowie der Regionalmacht Iran verbunden. Um deren Einfluss zurückzudrängen wird jetzt von den USA und der EU Druck gemacht bis hin zu einem möglichen Rücktritt Erdogans. Das äußerte sich in den letzten Monaten in einem verstärkten Kampf um Einfluss auf Posten und Ressourcen und eskalierte in der Aufnahme der Korruptionsermittlungen.

In den wieder aufflammenden Protesten in der Türkei richten sich fortschrittliche und revolutionäre Kräfte gegen jede Form von reaktionär-islamistischer Unterdrückung. Der Ruf nach Demokratie und Freiheit ist völlig berechtigt und wird die Auseinandersetzung um die notwendige sozialistische Perspektive dieses Kampfs von Neuem beleben.

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