„Wir dürfen uns an der Gewaltfrage nicht spalten lassen!“

Die Polizei hatte in Hamburg drei „Gefahrengebiete“ eingerichtet – Schanzenviertel, Altona und St. Pauli – und damit über 85.000 Menschen praktisch den Ausnahmezustand verhängt. Menschen können ohne Verdachtsgründe kontrolliert, inhaftiert und aus dem Gebiet ausgewiesen werden. „Hauptgrund“ für die Einrichtung der „Gefahrengebiete“ sei, so Senat und Polizei, ein „Anschlag auf die Davidwache“ vom 28. Dezember 2013. Doch plötzlich gibt es erhebliche und berechtigte Zweifel an dem von der Polizei dargestellten Hergang. Die Polizei kommt in Erklärungsnot. Der Hamburger Rechtsanwalt Andreas Beuth überführt sie der Falschaussage. Die „Rote Fahne“ hatte am vergangenen Freitag die Gelegenheit zu einem aufschlussreichen Interview mit Andreas Beuth. Inzwischen wurden die „Gefahrengebiete“ in Hamburg aufgehoben.

Sie haben mit Ihrer Behauptung, dass es den „linksextremistischen“ Angriff auf die Davidwache am 28. Dezember 2013 nicht gegeben habe, einen erheblichen Erklärungsnotstand bei Polizei und Senat ausgelöst. Was sind die Fakten?

Es wird behauptet, 30 bis 40 Leute seien organisiert und vermummt mit polizeifeindlichen Parolen vor die Wache gezogen, hätten Steine und Flaschen geworfen. Mandanten, die zufällig dort waren, sahen eine Gruppe von Partygängern an der Wache vorbeigehen und die Reeperbahn überqueren, um auf der anderen Seite weiterzufeiern. Es ist nichts geworfen worden, weder auf die Wache noch auf Beamte. Was wohl passierte, allerdings in 200 Metern Entfernung und zwei Minuten später, ist ein Zusammentreffen von unbekannten Personen mit zwei Polizeibeamten und dabei wurden wohl auch Polizeibeamte verletzt. Das alles ist deshalb wichtig, weil allein mit diesem angeblichen zweiten Angriff auf die Davidwache die Einrichtung des Gefahrengebiets begründet wurde. So etwas kann ich nur gezielte Desinformation oder Falschinformation nennen.

Was bezwecken Polizei und Senat mit den Maßnahmen?

Nach dem Motto: „Wir schaffen es sonst nicht gegen die bösen Gewalttäter“, ist das alles zum einen Anlass für Polizeiforderungen nach mehr Stellen, nach besserer Bezahlung und Ausrüstung. Da wurde Schusswaffengebrauch gefordert. Jetzt tut man so, als sei der Taser, der jetzt im Gespräch ist, also ein Elektroschockgerät, ein mildes Mittel – das sind aber sehr gefährliche Waffen, mit denen in den USA in den letzten zehn Jahren 300 Menschen umgebracht worden sind. Der andere Grund ist, dass man durch die ständige Aufrechterhaltung des Krawall-Themas von den eigentlich brisanten ungelösten Themen ablenkt. Der „Rote-Flora“-Konflikt kann sich wieder verschärfen. Und vor allem hat sich an der Lage der Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg nichts verändert. Ihre Forderung nach Gruppen-Bleiberecht aus politischen Gründen wird ja nach wie vor abgelehnt. Und dann der eingeleitete Abriss der Esso-Wohnhäuser an der Reeperbahn, nachdem die Eigentümer diese jahrzehntelang haben verfallen lassen. Die Esso-Häuser sind natürlich nur stellvertretend für ein grundlegendes Problem von Mieten, die sich die Leute nicht mehr leisten können … Es wurden 6.000 neue Wohnungen versprochen pro Jahr und im letzten Jahr sind gerade mal 1.500 gebaut worden und davon nur ein kleinerer Teil Sozialwohnungen. All das ist Ausdruck einer katastrophalen Wohnungsbaupolitik.

Können Sie uns etwas über die Entstehung der Einrichtung von „Gefahrengebieten“ sagen?

Dafür gibt es keinerlei bundesweite Rechtsgrundlage, das ist allein Hamburger Polizeivollzugsgesetz. Seit 2005 hat es hier 40 „Gefahrengebiete“ gegeben, einige – wie auch in anderen Städten – nur für einige Stunden bei Fußballspielen, einige aber auch – und das ist einmalig in Deutschland – unbefristet. In den „Gefahrengebieten“ kann die Polizei verdachtsunabhängig Personen anhalten und die Identität feststellen, mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen und Leute abtasten. Wenn die nicht kooperieren, gibt’s Platzverweis, absurderweise auch für die, die im „Gefahrengebiet“ wohnen.

Welche Strategie und Taktik der Herrschenden steckt dahinter?

Die Polizei ermächtigt sich selbst und macht, was sie für angeblich richtig hält. Das Problem ist eben, dass das (Einrichtung der „Gefahrengebiete“) immer eine Prognose der Polizei ist, also eine Ermessensentscheidung der Polizei, nicht kontrolliert von der Bürgerschaft oder anderen politischen Institutionen oder der Staatsanwaltschaft und der Richter. Ja, die Gewöhnung der Bevölkerung an Polizeiterror ist ein wichtiger Aspekt. Die können ja die Leute so von der Straße wegfischen. Und das unterhalb der Notstandsgesetze, bei denen es ja dann zusätzlich noch um den Einsatz von Militär ginge.

Worauf muss man sich im Zusammenhang mit den Ereignissen in Hamburg einrichten? Was muss man fordern?

Die Linkspartei hat angekündigt, dass sie die Verfassungswidrigkeit der „Gefahrengebiete“ gerichtlich klären lassen will. Meiner Information nach wollen sie es aber doch nicht tun. Wir überlegen dann, das als Kanzlei zu machen. Ich halte allein schon den Entstehungsprozess für verfassungswidrig, da es keinerlei parlamentarischer oder juristischer Kontrolle bedarf, ein Gefahrengebiet einzurichten. Der weitere Widerstand muss jetzt intensiviert und verbreitert werden. Vor allen Dingen dürfen wir uns nicht an der Gewaltfrage spalten lassen! Alle Gewalt geht vom Staate aus, alle strukturelle Gewalt, alle Polizeigewalt. Viele Leute in der Linken waren zunächst verunsichert: „Also, mit Steinen, ich weiß nicht …“. Die Stimmung war schon eingeschüchtert. Das ist jetzt vollkommen gekippt. Und das ist gut.

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg für Ihren mutigen Einsatz gegen die Übergriffe der Staatsgewalt!

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