China: Ein zutiefst korruptes Regime schlägt um sich

Am 26. Januar wurde der chinesische Rechtsanwalt Xu Zhiyong in Peking zu vier Jahren Haft verurteilt. Sein Verbrechen: Er hatte gefordert, dass die führenden Kader der Partei ihre Vermögensverhältnisse – und die ihrer Familien – offenlegen. Seit Jahren war der bürgerliche Demokrat an Aktivitäten gegen skandalöse Korruptionsskandale beteiligt. Selbst solche Forderungen sind für die Führung der Volksrepublik China riskant, die sich immer noch „kommunistisch“ nennt, sich aber nach dem Tod Mao Zedongs 1976 längst in eine neue herrschende Kapitalistenklasse verwandelt hat.

Mit dem rasanten Aufstieg Chinas zu einer neuen impe­ria­listischen Macht, mit dem Vordringen chinesischer Großkonzerne in die Spitzengruppe des internationalen Finanzkapitals hat unter den Herrschenden eine atemberaubende Bereicherung eingesetzt. Die Masse des 1,3 Milliarden zählenden Volkes ist dagegen nach wie vor bitter arm. Die seit 2008 anhaltende Weltwirtschafts- und Finanzkrise hat diesen Prozess enorm beschleunigt. Das internationale Krisenmanagement sorgte dafür, dass überschüssiges Kapital in großem Stil nach China (und in andere BRICS-Länder) transferiert wurde. Ende 2008 war der Bestand von ausländischem Kapital in China auf 1,251 Billionen US-Dollar angeschwollen, Ende 2012 waren es bereits 2,255 Billionen US-Dollar.

Der Reichtum wuchs – aber ebenso die Armut – und China gehört heute zu den Ländern mit der größten Differenz zwischen ganz reich und ganz arm. In China gibt es mittlerweile 315 Menschen, die ein Vermögen von mehr als einer Milliarde Dollar angehäuft haben. Besonders das Millionenheer der Wanderarbeiter ist trotz teilweise erfolgreicher Kämpfe für Lohnerhöhungen völlig recht- und mittellos.

Immer wieder branden in China Massenproteste gegen extrem korrupte lokale und regionale Amtsinhaber auf. Der Partei- und Staatschef Xi Jinping trat 2012 mit dem Versprechen an, die Korruption zu bekämpfen. Publikumswirksam sorgte er für die Entlassung von mehr als 100.000 Beamten in den niedrigeren Rängen – einzelne Urteile wurden breit bekannt gemacht.

Zuletzt ließ er sich im Internet feiern, weil er doch tatsächlich in einem Pekinger Lokal ein einfaches Essen bestellt und sogar bezahlt hatte! „Er trug seinen Teller mit eigenen Händen“, heißt es in den Jubelberichten, die ihm nicht einmal peinlich zu sein scheinen. Zugleich wurden Websites zensiert und gesperrt mit Berichten darüber, dass und wie Großkonzerne und die reichs­ten Familien des Landes im großen Stil lukrativste Geschäfte über Briefkastenfirmen in der Karibik abgewickelt haben.

Das geht aus bislang streng geheimen Unterlagen – den sogenannten Offshore-Leaks-Daten – hervor, die dem Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) vor zwei Jahren mit riesigen Datenmengen anonym zugespielt wurden. Das Material hat bereits einigen Bankern und Superreichen weltweit mit Ermittlungen und Rücktritten Probleme gemacht. Nun hat die „Süddeutsche Zeitung“ in aufwändiger Recherchearbeit mit einem internationalen Journalistenteam die Quellen erforscht („Süddeutsche Zeitung“ vom 22. und 23. 1. 2014).

Ein Vermögen von schätzungsweise bis zu vier Billionen US-Dollar wurde so aus dem Land geschleppt und in Hunderten von Briefkastenfirmen auf Samoa oder den britischen Jungferninseln gewaschen, um zum Teil wieder in der chinesischen Wirtschaft investiert zu werden: in der Ölindustrie, im Bergbau, in Umwelttechnologie bis zum Waffenhandel. So kommt es zu der abstrusen Situation, dass die kleinen Jungferninseln der größte ausländische Direkt­investor in China sind. Allein 2012 wurden von dortigen Scheinfirmen etwa 320 Milliarden US-Dollar in China investiert – etwa doppelt so viel wie alle amerikanischen und japanischen Firmen zusammen in China investierten.

In Peking zeigt sich die Partei- und Regierungsspitze mit weißer Weste, um gleichzeitig mit rabiater Zensur und Unterdrückung zu agieren. Ihre Geschäfte laufen über ihre Kinder, Schwiegerkinder, Ehefrauen und Verwandte. Die leben im Ausland und sind deshalb von der chinesischen Justiz nicht zu verfolgen – selbst wenn die das wollte.

In den Dokumenten tauchen als Akteure dieser – auf dem Papier natürlich verbotenen – Machenschaften neben anderen der Schwager des amtierenden Staatspräsidenten und „Korruptionsjägers“ Xi Jinping auf, aber auch der Sohn, die Tochter und der Schwiegersohn von Ex-Premierminister Wen YinBao. Die Tochter des früheren Premiers Li Peng findet sich dort ebenso wie zahlreiche Verwandte führender Funktionäre. Sie werden im Volk als „rote Prinzen“ bezeichnet – erinnert das ganze Gebaren doch an feudale Zeiten der skrupellosen Selbstbereicherung.

Helfershelfer mit dem notwendigen „Know-how“ zur Geldwäsche sind europäische Banken – nicht zuletzt die Deutsche Bank. Für internationale Großbanken ist es ein besonders beliebtes Verfahren, Söhne oder Töchter mächtiger Familien einzustellen, die an westlichen Eliteuniversitäten studiert haben. Ihnen eilt der Ruf voraus, gegen Geld bei der hochrangigen Verwandtschaft in Peking „Dinge zu ermöglichen“. Auch bei der Deutschen Bank war zumindest zeitweise die Tochter von Vize-Premier Wang Yang angestellt. Man ist da sehr diskret und gibt keine aktuellen Auskünfte …

In den Offshore-Leaks-Papieren als Teil dieser mafiösen Bande enttarnt wird auch der Schwiegersohn Deng Xiaopings. Deng war der erbitterte Gegner Mao Zedongs und der Kulturrevolution. Er wurde zur Frontfigur der Restauration des Kapitalismus in China nach dem Tod von Mao. Seine Losungen „Bereichert euch!“ und „Reich werden ist ruhmvoll!“ haben die Nachfahren sich wahrlich zu eigen gemacht.

Genau diese Bereicherungsmentalität, die im krassesten Gegensatz zu allen kommunistischen Idealen steht, stand im sozialistischen China und ganz besonders in der Großen Proletarischen Kulturrevolution massiv in der Kritik. Wer damals überführt wurde, wurde vor die damals noch sozialistische Gerichtsbarkeit gestellt, verlor seinen Posten und muss­te sich mit einfacher Arbeit begnügen. Muss es da verwundern, dass es bei den heute in China Herrschenden und den im Westen agierenden Schreiberlingen ganz besonders die Kulturrevolution ist, die ihren ganzen Hass auf sich zieht?

Trotzdem schmücken sich die heutigen Machthaber mit dem Porträt Mao Zedongs, und dieser Etikettenschwindel wird von westlichen Antikommunisten genüsslich ausgeschlachtet. Tatsächlich zeigt sich hier unverblümt die ganze Unversöhnlichkeit mit den kommunistischen Prinzipien, die Mao Zedong in seinem Auftrag an die Mitglieder der kommunistischen Partei unter anderem so formulierte: „Wir müssen bescheiden und umsichtig sein, uns vor Überheblichkeit und Unbesonnenheit in acht nehmen und mit Leib und Seele dem chinesischen Volk dienen …“ („Worte des Vorsitzenden Mao Zedong, S. 201)

Von Mao Zedong stammt auch die Losung „Rebellion ist gerechtfertigt“. Davor fürchten sich die bürokratischen Herrscher mehr denn je. In seinem Schlussplädoyer – das er nicht halten durfte, das aber im Internet veröffentlicht wurde – schreibt Xu Zhiyong: „Wenn alle Hoffnungen auf Reform zerschlagen werden, dann werden die Menschen eines Tages auf­stehen und rebellieren.“ Die „Süddeutsche Zeitung“ kommentiert: „Die KP hält sich im Zweifelsfall für stärker. Wetten möchte man nicht darauf.“ (27. 1. 2014)

Anna Bartholomé

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