„Ukraine – ein Filetstück für die europäischen Expansionsbestrebungen“

Interview mit Jürgen Wagner von der „Informationstelle Militarisierung e.V“. in Tübingen

Die Tübinger „Informationstelle Militarisierung e.V.“ (IMI) hat zum aktuellen Konflikt in der Ukraine und der Verwicklung der imperialistischen Nachbarstaaten darin eine Studie mit dem Titel „Ukraine: Ringen um die Machtgeometrie“ herausgebracht. Die „Rote Fahne“ sprach dazu mit dem Autor Jürgen Wagner.

 

Clausewitz und Lenin haben den Krieg ja als Fortführung der Politik mit anderen Mitteln bezeichnet. Welche Situation ging der aktuellen Zuspitzung in der Ukraine voraus?

Insbesondere die EU und Deutschland waren hier ja seit Jahren aktiv. Die Ukraine stellt allein schon aufgrund ihrer Größe eine Art Filetstück für die deutschen und europäischen Expansionsbestrebungen dar. Hinzu kommt noch ihre immense geopolitische Bedeutung als Schlüsselstaat – so wird es zumindest im Westen gesehen – um Russland machtpolitisch langfristig niederhalten zu können. Als Juschtschenko dann 2010 sang- und klanglos abgewählt wurde, kam als Nachfolger Wiktor Janukowitsch an die Macht. Dieser verfolgte zwar wieder einen eher prorussischen Kurs – so erteilte er den Ambitionen, der NATO beitreten zu wollen, eine Absage und verlängerte den Pachtvertrag für die russische Schwarzmeerflotte auf der Krim-Halbinsel – gleichzeitig setzte er aber auch die Verhandlungen mit der EU über das Assoziationsabkommen fort.

Damit diese auch zu einem „erfolgreichen“ Abschluss kommen würden, investierte die Europäische Union zwischen 2007 und 2013 allein aus dem Topf des Europäischen Nachbarschaftsinstruments etwa eine Milliarde Euro. Die USA wiederum investierten nach Aussagen der im US-Außenministerium für Europafragen zuständigen Abteilungsleiterin Victoria Nuland seit Ende des Kalten Krieges fünf Milliarden Dollar für „Frieden und Demokratie“ in der Ukraine. Das Gros dieser Maßnahmen zielte sicher darauf ab, einen prowestlichen Kurs zu unterstützen bzw. auf eine kritische Protestmasse zurückgreifen zu können, sollte dieser Prozess massiv ins Stocken geraten.

Und genau dies sollte dann aus westlicher Sicht auch erforderlich werden. Denn glaubhaften Quellen zufolge setzte sich im Laufe der Verhandlungen um das Assoziationsabkommen innerhalb der Janukowitsch-Regierung die – absolut nachvollziehbare – Auffassung durch, es werde sich extrem negativ auf die Wirtschaft des Landes auswirken. … Als der IWF im Austausch für einen 15- Milliarden-Dollar-Kredit dann auch noch die Daumenschrauben anzog und Russland gleichzeitig anbot, denselben Betrag in ukrainischen Staatsanleihen aufzukaufen (und den Gaspreis substanziell zu senken), fällte Janukowitsch im November 2013 die Entscheidung, die Verhandlungen mit der EU auf Eis zu legen. Damit hatte er sich jedoch in Washington, Brüssel und Berlin mächtige Feinde gemacht, die danach auch massiv die unmittelbar einsetzenden Proteste unterstützten.

 

Wie sind die ukrainischen Parteien, die zu Zeiten der Vorgänge um den Maidan in der westlichen bürgerlichen Presse herausgestellt wurden, vom Westen aufgebaut und finanziell unterstützt worden?

Es gab sicher durchaus nachvollziehbare Gründe, dass viele Menschen bereit waren, gegen die korrupte Janukowitsch-Regierung auf die Straße zu gehen. Allerdings wurden diese Proteste schnell durch ein Dreierbündnis gekapert.

Es bestand aus der rechtsradikalen „Swoboda“ („Freiheit“) mit Oleg Tjagnibok an der Spitze, die zusammen mit dem „Rechten Sektor“ die extrem gewalttätige Speerspitze der Proteste stellte, ohne die der Sturz von Janukowitsch wohl unmöglich gewesen wäre. Washington setzt vor allem auf die Partei „Batkiwschtschina“ („Vaterland“), die Teile der Oligarchie repräsentiert und von der ebenfalls korrupten Julia Timoschenko angeführt wird. Deutschland machte sich wiederum vor allem um den dritten im Bunde „verdient“, „Udar“ („Schlag“) mit dem Aushängeschild Witali Klitschko. Die Partei des ehemaligen Box-Weltmeisters wurde massiv seitens der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und auch durch die Europäische Volkspartei (EVP), die konservative Fraktion im Europaparlament, unterstützt. Nach den bis heute unklaren Umständen um die Todesschüsse auf dem Maidan wurde Ende Februar 2014 eine durch nichts legitimierte „Übergangsregierung“ eingesetzt.

 

In Ihrer Studie wird diese Unterstützung als „Testlauf für die neue deutsche Weltmachtpolitik“ benannt. Warum?

Nun, dass sich etwas verändert hat, wurde ja spätestens mit der Rede von Bundespräsident Joachim Gauck bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2014 offensichtlich. Dort hatte er – assistiert von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Außenminister Frank-Walter Steinmeier – gefordert, Deutschland müsse seine bisher angeblich praktizierte „Kultur der (militärischen) Zurückhaltung“ ad acta legen. Als wirtschaftlich starke Großmacht trage Deutschland eine Verantwortung für den Erhalt des internationalen Systems, von dem es (zulasten zahlreicher Anderer, möchte man hinzufügen) erheblich profitiere – mit „zivilen“ Mitteln wenn möglich, militärisch, wenn nötig.

Und genau dies wurde in der Ukraine durchexerziert: Der Anspruch, als „regionale Ordnungsmacht“ die Geschicke der Region im eigenen Sinne zurechtzurücken. Dabei wird zuerst auf „zivile“ Mittel zur Expansion der Einflusssphären gesetzt. Dahinter steht jedoch in letzter Konsequenz auch die Option, militärisch zu agieren Ob es zu einer – direkten – militärischen Eskalation im Falle der Ukraine kommt, ist angesichts der russischen Stärke zwar fraglich. Es handelt sich aber hier um ein brandgefährliches Spiel mit dem Feuer, bei dem Deutschland nicht einmal davor zurückschreckt, offen rechtsradikale Kräfte zu hofieren und so zu ihrer Stärkung beizutragen. So sieht sie aus, die „neue“ und „verantwortungsbewusste“ deutsche Politik, die auch noch pünktlich zu den Jahrestagen des I. und II. Weltkriegs auf die Spur gebracht wird.

 

Die Studie kann unter www.imi-online.de heruntergeladen werden.

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