Wenn „Leiden lassen“ auf „Bombenwürfe“ trifft

Opel: Betriebsrätin deckt die fiese Strategie des Opel-Managements auf, mit der die Belegschaft abgefertigt werden soll

Was tun, wenn man ein Werk schließen will – wie kann man einer Belegschaft das Rückgrat brechen, um einen Kampf zu verhindern? Das fragen sich heute viele Monopole. Vor dieser Frage stand auch das Opel-Management vor 1,5 Jahren. Man holte sich Rat – unter anderem bei der Boston Consulting Group: wie kann die Werkschließung in Bochum ausgerechnet gegen die widerständige Bochumer Belegschaft durchgedrückt werden? Das ist bis heute nicht gelungen. Zu allem Elend für die glücklosen Manager haben Beratungsfirmen ihre Weisheiten auch ins Internet gestellt. Man preist sich an – schließlich sind die Ratschläge buchstäblich „Gold wert“! So konnte Annegret Gärtner-Leymann, Betriebsrätin der Liste „Offensiv“, bei der Belegschaftsversammlung am 2. Juni darstellen: offenbar arbeitet Opel mit einem brutalen Drehbuch. Was für die Arbeiter manches Mal eher zufällig erscheinen mag, erweist sich als knallhart ausgetüftelter Klassenkampf von oben. Als nächstes soll das Ergebnis der sogenannten „Sozialtarifvertrags“verhandlungen bekannt gegeben und „freiwillig“ zugestimmt werden. Ob die Opel-Belegschaft das schluckt? Sie hat sich bisher schon nicht an das Opel-Drehbuch gehalten. Wir freuen uns, diesen Beitrag in Auszügen veröffentlichen zu dürfen. Sicher werden zahlreiche Belegschaften sich wiederfinden.

Es gibt einen ganzen Geschäftszweig von Unternehmensberatern, die Managern beibringen, wie man den Widerstand gegen die Restrukturierungen und Werksschließungen brechen kann. … Da schreibt ein Unternehmensberater, der übrigens lange für Boston Consult gearbeitet hat, mit der Opel ja auch eng zusammenarbeitet: „Wenn Sie wollen, dass die Mitarbeiter und Führungskräfte bei Ihrem Veränderungsvorhaben mitziehen, müssen Sie ihnen das Problem verkaufen, bevor Sie ihnen dessen Lösung verkaufen. Das kann auf unterschiedliche Art geschehen – in jedem Fall aber ist wichtig, nicht nur die Köpfe zu erreichen, sondern auch die Herzen … Damit sind die zwei zentralen Energiequellen für Veränderungsbereitschaft benannt: Leidensdruck und Hoffnung. Leidensdruck bedeutet, dass das Problem körperlich spürbar wird – entweder in Form von (physischem oder seelischem) Schmerz oder in Form von Angst vor einer drohenden Gefahr. Gerade weil diese Gefühle so unangenehm sind, motivieren sie ungleich stärker zum Handeln als intellektuelle Erkenntnisse.“ … (1)

Es ist schon brutal, wie offen hier begründet wird, dass man die Kollegen körperlich leiden lassen muss, nur um abartige Unternehmenspläne durchsetzen zu können.

Aber das Zitat ging ja noch weiter: Nach dem erzeugten Leidensdruck kam, dass man auch Hoffnung vermitteln muss. Das ist meiner Meinung nach der Hauptgrund, warum die Verhandlungen so lange dauern und alles in die Länge gezogen wird. … Wir sollen die Hoffnung behalten, dass der Vertrag noch verbessert wird, dass Opel vielleicht doch noch zur Vernunft kommt usw. Wir sollen den Schließungsbeschluss schlucken, aber das Gefühl bekommen, an der Ausgestaltung beteiligt zu sein. Wenn der Vertrag erst mal fertig ist, dann gibt es keinen Grund mehr „bei der Stange zu bleiben“, dann gäbe es vielleicht Proteste, aber auch die Motivation zur Arbeit nähme verständlicherweise ab. Genau davor haben sie Angst.

Ein anderer Manager schreibt: „Um möglichen Widerstand gegen Veränderungen zu absorbieren, nutzt die sogenann­te Bombenwurfstrategie den Überraschungseffekt aus. Das meist umfassende und tiefgreifende Veränderungsprogramm wird im Stab der Unternehmensleitung detailliert ausgearbeitet und eines Tages von ihr unwider­ruflich verordnet. Man erwartet sich davon die kurzfristige Lähmung des Widerstands und versucht in dieser kurzen Zeitspanne unumkehrbare, meist strukturelle und personelle Tatsachen zu schaffen.“ (2)

Erinnert das nicht sehr an die Verkündung der Werkschließung von Sedran im Dezember 2012 oder an die plötzliche Schließung von Werk 2? Auch der letzte Satz ist wichtig: Man solle der Belegschaft und ihren Vertretern das Gefühl geben, einbezogen zu sein, natürlich ohne die Beschlüsse generell in Frage zu stellen – die Werksschließung, aber es sei wichtig, in der konkreten Ausgestaltung Spielraum zu lassen – genau das, was mit den Verhandlungen die ganze Zeit läuft.

Ich lese euch alle dieses Zitate nicht nur vor, um deren Brutalität und Skrupellosigkeit zu zeigen, sondern letztlich auch ihre Schwäche. Zeigen sie doch, wie bedeutend es für das Management ist, uns als Beleg­schaft im Griff zu halten, ruhig zu halten. Welchen Aufwand sie dafür betreiben, welche Angst sie und auch, welche Macht wir haben. Für einen leichten Gegner braucht man keine solch ausgeklügelten Stra­tegien, tausende Bücher, teure Seminare usw. Schließlich sind auch ihre Taktiken nicht aufgegangen. Im Dezember 2012, nach dem ersten „Bombenwurf“ durch Sedran waren wir eben nicht in Schockstarre, sondern die A-Schicht hat für zwei Stunden die Arbeit niedergelegt. … Die Belegschaft hat die Werkschließung nicht akzeptiert. Aber man muss auch sagen, so sehr die meisten sehen, dass sie den Arbeitsplatz brauchen, so glauben dennoch die wenigsten daran, das Werk noch erhalten zu können. Hier kommt der letzte Manager-Trick zur Anwendung:

Es gibt zwei Möglichkeiten, Machtkämpfe zu verhindern: Zum einen, dafür Sorge zu tragen, dass die Betroffenen keinen Grund sehen, eine Auseinandersetzung anzuzetteln, zum anderen, dafür zu sorgen, dass sie jeden Widerstand für aussichtslos halten und deshalb auf Gegenwehr verzichten. … Deshalb versuchen politische Diktaturen regelmäßig, die Bevölkerung durch ein brachiales Vorgehen und unnachgiebige Verfolgung jeglichen Widerstands davon zu überzeugen, dass Gehorsam und Unterwerfung ,alternativlos‘ sind. … In den meisten Fällen genügt es, wenn die Geschäftsleitung die Mitarbeiter und Führungskräfte davon überzeugt, dass sie felsenfest entschlossen ist, die Veränderungen durchzusetzen, und dafür auch die nötige Beharrlichkeit aufbringen wird. Wenn diese Ansage glaubwürdig ist, … stehen Mitarbeiter, Führungskräfte und Betriebsrat vor der Frage, ob es ihnen lohnend erscheint, sich trotzdem auf einen Machtkampf einzulassen, oder ob sie sich lieber in ihr Schicksal fügen.“ (1)

Es zeigt, dass wir nicht alles für bare Münze nehmen müssen, was sie uns so erzählen. Wenn sie es zum Beispiel als unabwendbar darstellen, das Werk zu schließen, dann ist das nicht unbedingt real, sondern Teil dieser Taktik. Lassen wir uns nicht von der beabsichtigten Stimmung „es ist gelaufen“ anstecken. Lassen wir sie nicht in aller Ruhe den nächsten „Bombenwurf“ vorbereiten. Der könnte sein, dass sie uns mit einem Vertrag überrumpeln und am nächsten Tag nach Hause schicken, wie in Werk 2, sobald sie genug Autos haben. Lasst uns vorher aktiv werden und sie bei ihren Vorbereitungen stören, dann kann dieser Bombenwurf bzw. Schuss auch nach hinten losgehen … .

(1) Winfried Berner und Kollegen, www.umsetzungsberatung.de, download 30. 5. 14

(2) P. Heimerl, R. Sichel: „Strategie, Organisation, Personal, Führung“ (Wirtschaftswissenschaften) über Googlebooks, amazon.de

 

Weitere Zitate von Winfried Berner*

„… ihnen die Veränderungen zu erläutern: Ihnen deren Unabhänderlichkeit auf freund­liche, wenn auch unmissverständliche Weise deutlich zu machen und ihnen bei der Ausgestaltung Freiräume zu lassen, wo immer dies ohne Verwässerung der Ziele möglich ist.

Es ist ein Unterschied, ob sie erläutert, aus welchen Gründen sie auf bestimmten Veränderungen insistiert, oder ob sie unhinterfragten Gehorsam verlangt. Und es ist ein Unterschied, ob sie nur die Ziele vorgibt, aber Freiräume für die Art ihrer Umsetzung gibt, oder ob sie erzwingt, dass die Dinge exakt nach ihren Vorstellungen (oder denen ihrer Berater) umgesetzt werden …“

und die Konsequenz:

Es genügt nicht, Leidensdruck aufzubauen; man muss ihn, sobald er zu greifen beginnt, mit Hoffnung verbinden – und das heißt, mit einem glaubhaften Weg zu einer Lösung.

Wichtig ist dabei die Reihen­folge: Der Leidensdruck muss zuerst da sein, denn nur er weckt den Wunsch, die gegenwärtige Situation zu verändern. Doch erst das Gefühl der Hoffnung liefert die Energie zum Handeln. Das heißt, die positive Perspektive muss dem Leidensdruck alsbald folgen, denn nur dann wird die mobilisierte Energie kanalisiert. Eine positive Perspektive ohne Leidensdruck bleibt kraftlos; Leidensdruck ohne Hoffnung hingegen ist nutzlose Quälerei – wie Vollgas im Stand: Die mobilisierte, aber nicht genutzte Energie wird am Ende selbstzerstörerisch, die zerfrisst ihre ,Gefäße‘ von innen.

* Winfried Berner ist Diplom-Psychologe und Unternehmensberater u.a.bei der Boston Consulting Group mit der Opel zusammenarbeitet

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