Arbeitszeitverkürzung dringend notwendig!
„Die Mehrheit von uns hat es satt, bis zum Umfallen zu arbeiten“, schreiben die Kolleginnen und Kollegen bei VW in ihrer Zeitung „Vorwärtsgang“. Und weiter: „2013 erneut Produktionsrekorde. Für uns waren das Sonderschichten, Ergo-Schichtmodelle mit fester Wochenendarbeit, Arbeitshetze am Band oder Langzeit-Stress im Büro. Und das geht gerade so weiter. Viele sind einfach kaputt von der Arbeit. Kaum Zeit für die Familie, Freunde und Freizeit.“
Der Personalrat des Uniklinikums Essen protestiert, dass schon bei der Aufstellung der Dienstpläne die wöchentliche Höchstarbeitszeit der Beschäftigten in einigen Bereichen überschritten wird. Teilweise werden dann kurzfristig Azubis als Notstopfen auf fremden Stationen eingesetzt (1).
In einer großen Umfrage der IG Metall unter 100.000 Arbeitern und Angestellten antworteten vier von fünf Kollegen, dass sie in den letzten Jahren immer mehr Arbeit in der gleichen Zeit bewältigen müssen. Die Hälfte aller Kolleginnen und Kollegen muss häufig oder ständig unter Zeitdruck oder „gehetzt“ arbeiten. Im April 2014 berichtete der DGB, dass ein Sechstel der Beschäftigten regelmäßig unbezahlte Überstunden leistet, um mit dem Arbeitspensum überhaupt fertig zu werden. Eine Kollegin aus dem Altenheim berichtet, dass sie und ihre Kolleginnen fast jeden Tag ohne Bezahlung eineinhalb Stunden früher kommen, um die Arbeit zu schaffen. Bereits Karl Marx schreibt von der „Tendenz des Kapitals, … sich durch systematische Steigerung der Intensitätsgrades der Arbeit gütlich zu tun.“ (2)
Ausbeutung und Stress belasten die Gesundheit
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellte in einer Untersuchung in zehn Ländern fest, dass „jeder fünfte Arbeitnehmer … unter psychischen Erkrankungen leidet“ und bringt das in Zusammenhang mit „zunehmendem Stress und Druck“(3). Die Verschärfung der Ausbeutung in Wechselwirkung mit der Zerstörung der Natur „überfordert zunehmend die physische und psychische Selbstregulierung des Menschen“.(4)
Kampf um die Arbeitszeit seit es Ausbeutung gibt
Seit es kapitalistische Ausbeutung gibt, versuchen die Kapitalisten alles, um die Arbeitszeit auszudehnen oder zu intensivieren. So können sie ihren Profit steigern. Der Kampf um die Verkürzung der Arbeitszeit ist von daher eine der Kernforderungen der Arbeiterbewegung seit ihrem Beginn. Auf dem Genfer Kongress der damals noch revolutionären Sozialdemokratie von 1866 wurde auf Vorschlag von Karl Marx der gesetzliche 8-Stunden-Tag gefordert, „um die Gesundheit und die körperliche Energie der Arbeiterklasse wiederherzustellen … und die Möglichkeit geistiger Entwicklung, gesellschaftlichen Verkehrs und sozialer und politischer Tätigkeit zu sichern.“ (5) Bereits im Jahr 1871 streikten die Bergarbeiter in Deutschland erstmals für den 8-Stunden-Tag. Einer der bedeutendsten Kämpfe damals war der große Streik der rheinisch-westfälischen Bergarbeiter 1889 für den 8-Stunden-Tag.
1974 stellte die Vorläuferorganisation der MLPD als erste und damals einzige Organisation in Deutschland die Forderung nach der Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich auf. SPD, DKP, „linke“ Gruppen und vor allem rechte Gewerkschaftsfunktionäre wetterten gegen die Marxisten-Leninisten. Genossen erinnern sich, wie Gewerkschaftsfunktionäre Transparente zur Arbeitszeitverkürzung aus Demonstrationszügen herauszuprügeln versuchten. Aber es hilft ihnen alles nichts und 1978 streiken im Ruhrgebiet zehntausende Stahlarbeiter für diese Forderung. Fünf Jahre später stehen rund 500.000 Metaller und Drucker im bis dahin größten und längsten Streik der Bundesrepublik. Bei seiner weiteren Ausdehnung hätte er zur Vertiefung der damaligen politischen Krise führen können und wurde deshalb gemeinsam von den Konzernen und der Gewerkschaftsführung abgewürgt mit einen faulen Kompromiss – 38,5 Stunden bei flexibler Anwendung zwischen 37 und 40 Stunden.
Die MLPD war Mitte der 1990er Jahre auch die erste Partei, die die Forderung nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich aufstellte. Sie förderte damals eine internationale Initiative für den 6-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich, an der sich Organisationen aus über 30 Ländern beteiligten.
Immer wieder ist es der Arbeiterklasse in den letzten 150 Jahren gelungen, eine Verkürzung der Arbeitszeit durchzukämpfen. Das schuf vielfach erst die Möglichkeit, sich zu organisieren, soziale Beziehungen zu pflegen und einem politischen oder gesellschaftlichen Engagement nachzugehen. Aber der Kapitalismus stellt alle erkämpften Fortschritte fortlaufend wieder in Frage.
Auf wessen Kosten?
Nach Ausbruch der Weltwirtschafts- und Finanzkrise 2008 wurden für Millionen Beschäftigte Kurzarbeit eingeführt. Im Juli 2009 hatten 1,4 Millionen Beschäftigte Kurzarbeit, das entsprach 500.000 Vollzeitstellen! Gegen ihren eigenen Willen wies die Bundesregierung damit nach, dass Arbeitszeitverkürzung Arbeitsplätze sichert!
Aber die Kurzarbeit mussten die Beschäftigten weitgehend selbst zahlen. Mit Lohneinbußen und über ihre Sozialbeiträge. Dabei haben die Beschäftigten für den vollen Lohnausgleich schon mehrfach selbst „bezahlt“: Die Produktivität in der Industrie ist in Deutschland in den letzten 20 Jahren um 155 Prozent gestiegen! Für eine Produktion, für die 1992 noch 1.000 Industriebeschäftigte benötigt wurden, reichten 2012 405 Beschäftigte!
Deshalb sind auch alle Modelle abzulehnen, in denen Konzerne im Co-Management mit Gewerkschaftsführern die Verkürzung der Arbeitszeit mit Lohnverzicht verbinden. Bei ThyssenKrupp Steel in Duisburg soll ab dem 1. Oktober 2014 die Arbeitszeit von 34 auf 31 Stunden verkürzt werden. Die Stahlvorstände wollten der Konfrontation mit den Stahlarbeitern durch offene Massenentlassungen aus dem Weg gehen. Bezahlt werden sollen aber nur 32 Stunden – also nur ein Lohnausgleich von einer Stunde – ein Verlust von 300 bis 500 Euro im Monat und steigendem Leistungsdruck. Heraus kommt so eine Verschärfung der Ausbeutung statt eine Erleichterung für die Kollegen! Auch die Verknüpfung von Arbeitszeitverkürzung mit Flexibilisierung der Arbeitszeit hilft den Kapitalisten, die Arbeitskraft noch intensiver auszubeuten. Gesellschaftliches Leben wird durch die Rund-um die-Uhr Schichten immer mehr zur Unmöglichkeit.
Konzerne fordern mehr unbezahlte Arbeitszeit
Aktuell planen viele Konzerne einen Umbau mit Fusionen, Verlagerungen, Zusammenlegung von Produktionszweigen. Sie versuchen den Beschäftigten mit Drohungen, Zugeständnisse abzupressen. BMW in München droht mit Verlagerung nach Tschechien oder Mexiko, wenn die Belegschaft nicht verzichtet, z.B. auf Nachtschichtzuschläge oder bezahlte Pausen. Daimler in Düsseldorf droht mit Verlagerung und fordert unter anderem eine Stunde vollständig unbezahlte Mehrarbeit pro Woche.
Der Druck auf die Arbeiterinnen und Arbeiter ist oft kaum mehr auszuhalten. Manche versuchen dem individuell zu entfliehen: Durch Arbeitsplatzwechsel, wo mancher vom Regen in die Traufe kam, weil alle Kapitalisten die Ausbeutung verschärfen. Oder man geht individuell in Teilzeit, also Arbeitszeitverkürzung mit Lohnverzicht. Das nutzen die Betriebe gerne zur Flexibilisierung und Intensivierung der Arbeit. Wenn ein Kollege krank wird, reagieren manche Kollegen zunächst sauer. Ihnen wird von den Vorgesetzten dann noch mehr Arbeit aufgebürdet. Aber die Wut auf die eigenen Kollegen ist perspektivlos. Viele werden ja gerade wegen der Arbeitshetze krank. Deshalb muss die Wut sich gegen die Verursacher richten und Forderungen aufgestellt werden. Solche Gefühle kritisch zu diskutieren und zu überwinden, stärkt die Einheit.
Eine Forderung, um in die Offensive zu kommen
Der Wunsch vieler nach Entlastung, Erholung, Zeit für die Familie wird in verschiedenen Gewerkschaften aufgegriffen. Bereits im Jahr 1995 stellte als erstes gewerkschaftliches Gremium die Bundesfrauenkonferenz der IG Metall die Forderung nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich auf. Die ver.di-Jugend forderte im Frühjahr 2013 Arbeitszeitverkürzung als Mittel gegen die Jugendarbeitslosigkeit. In Ostdeutschland entwickelt sich eine zunehmende Diskussion, die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn endlich durchzusetzen. Die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) fordert aktuell bei der Bahn eine Arbeitszeitverkürzung um zwei Stunden und eine Reduzierung der Schichtdienste.
Die Forderung nach dem 6-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich – in Deutschland als 30-Stunden-Woche an fünf Tagen von Montag bis Freitag – ist eine offensive Klassenforderung. Sie richtet den Kampf gegen die Ursache der Massenarbeitslosigkeit und der Unterbeschäftigung auf Dauer: gegen die steigende Ausbeutung. Hinter dieser Forderung können sich die Beschäftigten in den Betrieben mit der Masse der Arbeitslosen zusammenzuschließen. Sie orientiert die Arbeiterklasse darauf, um die Früchte der wachsenden Arbeitsproduktivität zu kämpfen. Das belebt auch die Diskussion um eine Gesellschaft ohne Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, ohne Unterdrückung der Massen, ohne Zerstörung der natürlichen Umwelt – den echten Sozialismus.
Quellen:
(1) Rundbrief, Personalrat, Juni 2014
(2) Marx/Engels, Bd. 23, S. 440
(3) OECD Studie, 5. Januar 2012
(4) „Katastrophenalarm!“, S. 217
(5) Marx/Engels, Werke, Band 16, S. 192