„PKK und YPG leisten den Löwenanteil des Widerstands gegen den IS“

Rote-Fahne“-Interview mit Ulla Jelpke (Linkspartei) über die Situation in Syrien und Nordirak

Ulla Jelpke, Mitglied des Bundestags für die Linkspartei, bereiste in den letzten Wochen die Kampfgebiete in Syrien und Nordirak. Für die „Rote Fahne“ gab sie ein Interview über die Situation vor Ort.

Was kannst du über die Zusammenarbeit der kurdischen Kräfte aus der Türkei, aus Syrien und aus dem Nordirak bzw. ihrer Organisationen wie PKK, Peschmerga und PYD sagen?

Die PKK hat ja ihre Camps in den Kandil-Bergen in der kurdischen Autonomiezone an der Grenze zum Iran und war damit bereits mit Tausenden Guerillas in der Region, als die Offensive des IS erfolgte. Nach der Offensive der Dschihadisten gegen die kurdischen Siedlungsgebiete des Irak ist die Guerilla in die bedrohten Gebiete gekommen, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Auch die Volksverteidigungseinheiten YPG aus dem Selbstverwaltungsgebiet Rojava in Nordsyrien haben die Grenze überquert, um gemeinsam mit der PKK einen Fluchtkorridor für die bedrohten Yeziden aus Sindschar zu schaffen. Zumindest an einigen Fronten gibt es inzwischen einen gemeinsamen Kampf der Peschmerga aus der kurdischen Autonomieregion im Nordirak, der PKK-Guerilla, den YPG und örtlichen Selbstverteidigungsmilizen. Zum Beispiel haben PKK, YPG und Peschmerga gemeinsam die strategisch auf halber Strecke zwischen Mossul und Kerkuk gelegene Kleinstadt Mahmour verteidigt. Dieser Sieg war wichtig, weil sonst für IS auch der Weg zur 40 Kilometer entfernten kurdischen Hauptstadt Erbil freigelegen hätte. Doch es gibt bislang kein gemeinsames militärisches Oberkommando aller gegen den IS kämpfenden Kräfte.

In den deutschen Medien wurde wiederholt berichtet, dass die Peschmerga beim Vormarsch der IS den Rückzug angetreten hätten. Kannst du das bestätigen?

Ja, das haben mir viele Flüchtlinge, mit denen ich gesprochen habe, bestätigt. Konkret geht es um die Peschmerga der Demokratischen Partei Kurdistans des kurdischen Präsidenten Massud Barzani. Diese hatten sich bereits vor den Angriffen des IS aus der von Yeziden bewohnten Region Sindschar sowie von der Grenzstadt Rabia zurückgezogen und damit den Vormarsch der Dschihadisten erst ermutigt. Die Yeziden hatten seit Juni mehr Schutz durch die Peschmerga gefordert. Doch das hat Barzani ebenso verweigert, wie er ein Angebot der PKK zurückgewiesen hat, ihre Guerillas nach Sindschar zu schicken. Mir haben Flüchtlinge sogar berichtet, die Peschmerga der KDP hätten den Dorfbewohnern vor ihrem Rückzug sogar ihre wenigen eigenen Waffen abgenommen. Ich kann mir dieses Verhalten der KDP nur so erklären, dass so eine Situation provoziert werden sollte, in der der Westen der kurdischen Regierung die schon lange erbetenen schweren Waffen nicht mehr verweigern kann. Barzani hat ja ein Referendum für einen unabhängigen kurdischen Staat angekündigt. Doch ohne schwere Waffen könnte sich so ein Staat nicht verteidigen. Ich muss an dieser Stelle anfügen, dass die Peschmerga der Patriotischen Union Kurdistans PUK und einzelne KDP-Peschmerga den Rückzugsbefehl verweigert haben, um an der Seite von YPG und PKK gegen die Invasoren zu kämpfen.

Was brauchen die Menschen vor Ort aktuell am dringendsten?

Humanitäre Hilfe. Nahrungsmittel, Medizin, Zelte. Es fehlt insbesondere den Zehntausenden yezidischen Flüchtlingen, die von Sindschar nach Rojava fliehen konnten und jetzt dort in Camps sind, an allem. Ein Grund dafür ist die Blockade gegen Rojava, an der sich nicht nur die Türkei, sondern auch die KDP beteiligt. Die KDP lässt Hilfsgüter nicht über die innerkurdische Grenze. Darunter leiden außer den Flüchtlingen auch die Einheimischen. Gleichzeitig klagen auch viele Flüchtlinge in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak über schlechte Versorgung.

Wie schätzt du den Wert der aktuellen US-Luftschläge gegen die IS ein?

Diese Luftschläge halte ich für kontraproduktiv. Wer mit Drohnen und Kampfflugzeugen auf die in zivilen Dörfern und Städten verschanzten Gotteskrieger schießt, riskiert ebenso wie in Afghanistan und Pakistan zivile Opfer. Teilweise sollen die US-Flieger sogar bereits geräumte IS-Stellungen bombardiert haben. Kurdische Politikerinnen und Politiker aus dem Umfeld der PKK haben deutlich gemacht, dass sich die Kurden gut selber schützen könnten und keine Hilfe durch imperialistische Staaten brauchen. Was sie wollen, ist allerdings, dass endlich die Nachschubwege für den IS aus der Türkei und die Finanzströme aus den Golfmonarchien an die Gotteskrieger dicht gemacht werden. Doch daran denken bislang offenkundig weder Berlin noch Washington.

Glaubst du, dass Angela Merkel und Barak Obama ihr Herz für die Kurden entdeckt haben?

Mit Sicherheit nicht. Sie haben ihr Herz für die riesigen Erdölvorräte in Kurdistan entdeckt. Und sie haben in Präsident Barzani einen Gleichgesinnten für ihre neoliberale und militaristische Politik gefunden. Wenn jetzt von Bewaffnung der Kurden die Rede ist, geht es ganz konkret um die Peschmerga von Barzani. Deutsche Regierungsberater der Stiftung SWP warnen dagegen ausdrücklich davor, dass Waffen an die PKK oder YPG geliefert werden – obwohl diese Formationen bislang den Löwenanteil des Widerstandes gegen den IS geleistet haben. Doch die PKK steht weiterhin auf den Terrorlisten von EU und USA und ist in Deutschland verboten, während der IS hier bislang frei agieren und seine schwarze Fahne zeigen kann.

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