Unternehmerverbände fordern ultimativ neues Krisenprogramm

Das im Frühjahr erreichte Ende der tiefsten Weltwirtschafts- und Finanzkrise nach fünf Jahren Dauer bedeutet kein Ende der Krisen­programme – der Abwälzung der Lasten auf die Massen.

Das betonte der Vorsitzende der MLPD, Stefan Engel, schon in einem Interview Ende Juli. Darin erklärte er, dass die zeitweilige Belebung der Bundesregierung zwar krisendämpfende Zugeständnisse zur Beruhigung der Massen erlaubte. Mindestlohn, Mütterrente, Rente mit 63 – das waren die Maßnahmen, die Merkel und Co. bereit hielten. „Tendenziell wird die staatliche Umverteilung zu Gunsten der Monopole und zu Lasten der breiten Massen jedoch weitergehen. Das gebietet das Diktat der zugespitzten Konkurrenz in der Weltwirtschaft.“1 Eine schärfere Gangart zu einem ­neuen Krisenprogramm fordern nun ultimativ die Vertreter der großen Monopolverbände.

Sie verlangen ein Ende sozia­ler Zugeständnisse – und seien sie noch so minimal. Stattdessen sollen die Steuergelder aus dem jetzt schon hoch verschuldeten Staatshaushalt für mehr Investitionen locker gemacht werden:

Geld soll in Straßen, Bahnen und Brücken fließen, die die Just-in-time-Produktion der Großindustrie begünstigen. Ebenso werden Investitionen in schnellere IT-Verbindungen verlangt.

Gefordert werden weitere Steuervergünstigungen, so zum Beispiel mit einer steuerlichen Forschungsförderung für Monopolunternehmen.

Noch energischer gestoppt werden soll der Ausbau er­neuer­barer Energien. „Die Energiekosten in Deutschland benachteiligen die deutsche Industrie auf dem Weltmarkt. Und zwar massiv“, klagt Ulrich Grillo, Präsident des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) beim Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum „Tag der Deutschen Industrie“ am 23. September. Er ließ keine Zweifel, was er stattdessen will: „Wir brauchen auch mehr Mut zur Innovation. Angesichts unserer Abhängigkeit von russischem Gas, angesichts der ständig steigenden Kosten für Energie, können wir es uns nicht leisten, Technologien wie das Fracking vorschnell abzulehnen. Unser ,Fracking-Sausen‘ ist gefährlich!“ Gefährlich – für Mensch und Natur ist aber das Fracking selber mit seinen tiefen Eingriffen in die Erdkruste, mit der Verseuchung des Grund- und Trinkwassers bis hin zu seinem Beitrag zur fossilen Verbrennung und damit zur drohenden Klimakatastrophe.

Zu den Kernforderungen der Monopolverbände gehört auch der schnelle Abschluss eines „exzellenten Freihandelsabkommens mit den USA“. Exzellent am US-europäischen Freihandelsabkommen TTIP ist die Absenkung der Standards beim Umweltschutz und bei sozialen Rechten sowie die Durchsetzung eines sogenannten Investitionsschutzes zugunsten der internationalen Monopole. TTIP müsse gegen „bewusst geschürte Zweifel“ durchgedrückt werden, verlangt Grillo und lobt Sigmar Gabriel und die DGB-Spitze für ihr Einknicken in dieser Frage.

Verzichtsappelle aus „komfortabler“ Position

Ungewohnt scharfe Töne schlägt er gegenüber der Bun­desregierung an: „Wir fragen uns schon, ob die Politik der großen Koalition bislang nicht zu rückwärtsgewandt ist, zu viel mit der Komfortsicherung beschäftigt und zu wenig auf Zukunft und Wachstum ausgerichtet ist. Bis heute gibt es kein schlüssiges Konzept, keinen klaren Fahrplan für die Entwicklung des Industriestandorts Deutschland bis 2017 und darüber hinaus.“2

Komfortsicherung“ – das aus dem Munde von Herrschaf­ten, die nichts anderes im Sinn haben als die noch komfortablere Sicherung ihrer Maximalprofite – bei skrupelloser Ausplünderung von Mensch und Natur!

Auch der Präsident der BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände), Ingo Kramer, verlangt mehr Investitionen und das, was sie „Innovationen“ nennen. Bei den Massen aber soll alles beim Alten bleiben – oder sich weiter verschlechtern. Auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung liegt das Lohnniveau in Ostdeutschland bei 77 Prozent des Niveaus im Westen – bei nahezu gleich hohen Lebenshaltungskosten. Aber gewerkschaftlichen Forderungen nach einer weiteren Angleichung von Löhnen hält Ingo Kramer entgegen: „Jede Vereinheitlichung von Löhnen würde zu Lasten der Beschäftigung gehen.“3

Die taktischen Widersprüche zur Regierung bestehen vor allem darin, dass Merkel sich nur deshalb so lange an der Regierung halten konnte, weil sie mit enormem finanziellem Aufwand und gewissen Zugeständnissen eine Krisendämpfungspolitik betrieb, während die führenden Vertreter der internationalen Monopole nun eine andere Art des Krisenmanagements fordern. Sie wollen die Politik der Zugeständnisse beenden und zu einer rigorosen Abwälzung der Krisenlasten auf die Massen übergehen. Dazu attackieren sie auch das ohnehin in Deutschland kastrierte Streikrecht und hetzen aktuell gegen die Streiks bei der Bahn und der Lufthansa. Hintergrund für die rigorosen Forderungen nach einem Taktikwechsel der Regierung, einem „Ende der Wohltaten“, wie es Kanzlerin Merkel umgehend versprach, sind unsichere Aussichten bei der Wirtschaftsentwicklung.

Veränderte wirtschaftliche Rahmendaten

Noch im Juli hatte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel von einem „breit angelegten Aufschwung“ geträumt. Jetzt stellen die Herbstgutachten der führenden Wirtschaftsinstitute rückläufige Entwicklungen und starke Schwankungen in der weltwirtschaftlichen Entwicklung fest.

Besonders empfindlich reagiert die Börse. Der deutsche Aktienindex (DAX) hatte noch bis Juni Höhenflüge in der Hoffnung auf künftige Gewinne in einem „Aufschwung“ erlebt. Erstmals in seiner Geschichte erreichte er die 10.000-Punkte-Grenze. Aber seither sackte er wieder ab auf 8.800 Punkte, dem niedrigsten Stand seit zwölf Monaten. „Ein verlorenes Jahr“, jammern die Spekulanten.4

In ihren Herbstgutachten haben die „Wirtschaftsweisen“ auch die Schuldigen für die „düsteren Aussichten“ der deutschen Wirtschaft dingfest gemacht: „Mindestlohn, Mütterrente und die Rente mit 63 hemmen die Investitionsbereitschaft der Unternehmen.“5

Ein weiteres schwerwiegendes Hindernis für den Aufschwung haben darüber hinaus CDU- und CSU-Politiker entdeckt: die Frauenquote in den Führungsetagen der Wirtschaft! „Es darf keine weitere Belastung der Wirtschaft durch die Frauenquote geben“, erklärt der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Bröhmer.6 Das regt SPD-Regierende furchtbar auf, auch wenn sie keinen Beleg dafür liefern können, dass sich Frauen in den Konzernspitzen bisher als Wohltäterinnen der Massen geoutet hätten.

Flut billigen Geldes

Aber mit solchem Geplänkel lässt sich trefflich von den tieferen Ursachen der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus ablenken, die nun wieder deutlicher in Erscheinung tritt.

Erneut türmt sich ein Problem auf, das bereits 2008 die Weltwirtschafts- und Finanzkrise ausgelöst hatte: ein riesiger Berg überakkumulierten Kapitals, das kaum Anlagemöglichkeiten mit der Aussicht auf Maximalprofit fand. Also floss es in Spekulationsobjekte – bis die Blasen platzten.

Eine Besonderheit der jüngs­ten Weltwirtschaftskrise war, dass die relativ unkontrollierte Kapitalvernichtung durch das internationale Krisenmanagement mit seinen „Rettungsschirmen“ geringer geblieben war als in früheren Krisen. Seither aber drängt die internationale Strukturkrise wieder verstärkt in den Vordergrund. Sie ist verbunden mit einer permanenten, relativ kontrollierten Kapitalvernichtung in gewaltigen Größenordnungen. Und das bedeutet Schließungen und Entlassungen als sogenannte „Synergieeffekte“ bei internationalen Fusionen und Übernahmen. Sie erreichen gerade einen neuen Höchststand. Dank des billigen Geldes aus den Zentralbanken quellen die „Kriegskassen“ der Konzerne über, bei gleichzeitig im Verhältnis dazu „niedrigen“ Profiten.

Die erbitterte Schlacht um neue Weltmarktanteile ist unmittelbar verknüpft mit einer immer skrupelloseren Aus­plün­derung der natürlichen Res­sourcen. Siemens verkauft für 3 Milliarden Euro seine Hausgerätesparte an Bosch.7 Zugleich will Siemens für knapp 6 Milliarden Euro das US-Unternehmen Dresser-Rand kaufen, um den „Fuß in der Tür des lukrativen US-Schiefergas- und Frackingmarkts“ zu haben.8

Wenn zurzeit besonders in der Automobilindustrie immer umfangreichere Programme zur Steigerung der Ausbeutung aufgelegt werden, dann hat das den Hintergrund in der gesteigerten Konkurrenz. Da reichen 5 bis 6 Prozent Profiterwartung nicht mehr, da müssen es 10 Prozent oder noch mehr sein, wie es die Chefs von VW, Daimler oder GM verkünden. So wollen sie sich der Tatsache entgegen stemmen, dass ihre Profitrate im Vergleich zu internationalen Konkurrenten deutlich gefallen ist (siehe auch „Rote Fahne“ 40/2014, S. 20).

Aktuell sind für die teilweise von Monat zu Monat erheblichen Schwankungen der Wirtschaftsentwicklung nicht zuletzt die weltweiten politischen und militärischen Krisenherde in der Ukraine und im Nahen und Mittleren Osten verantwortlich, die Europa und Deutschland wirtschaftlich stärker treffen als die USA. Aber auch die ungelöste Krisensituation in großen EU-Ländern trägt dazu bei. Immerhin gehen 57 Prozent der deutschen Exporte in diese Region. Weder Frankreich noch Italien konnten sich aus dem Krisentief erholen, was mit immer wieder offen aufbrechenden politischen Krisen verbunden ist.

Konzernbelegschaften herausgefordert

Der eingeforderte Taktikwechsel birgt für die Treiber in den Konzernzentralen und in der Regierung aber auch Risiken. Da, wo Belegschaften so unverfroren angegriffen werden wie zuletzt bei Daimler in Düsseldorf, da lassen sich Kolleginnen und Kollegen das nicht gefallen, ringen um die Offensive. Sie lernen von den Kampferfahrungen anderer Belegschaften, wie der Opel-Belegschaft in Bochum. Die Bereitschaft zum Zusammenschluss bei gemeinsamen Aktionstagen wächst, ebenso wie die Suche nach einer grundsätzlichen Alternative.

Selbst das weiß ein Monopolvertreter wie Grillo, dessen größte Sorge der „Vertrauensverlust in Wirtschaft und Politik“ ist. Wer aber um seinen Arbeitsplatz kämpft, bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und bessere Renten fordert, wer soziale Errungenschaften verteidigt, dem geht es eben nicht um „Komfortsicherung“. Der wird gegenüber den „Komfortansprüchen“ auf stets wachsende Maximalprofite der Monopole einen klaren Trennungsstrich ziehen zum Anspruch auf eine lebenswerte Zukunft, zu der auch ein würdiger und bewusster Umgang mit der Natur gehört.

Nach Auffassung der MLPD kann diese nur in einer sozialistischen Gesellschaft verwirklicht werden.

Anna Bartholomé

 

Quellen:

1 „Rote Fahne“ 31/2014

2 BDI, 23.9.2014

3 „FAZ“ 10.10.2014

4 „Süddeutsche Zeitung“ 11./12.10.2014

5 „Süddeutsche Zeitung“, 9.10.2014

6 „Süddeutsche Zeitung“, 15.10.2014

7 „RP-online“, 22.9.2014

8 „Frankfurter Rundschau“ 23.9.2014

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