Bürgerlicher Bildungsbetrieb in der Sackgasse

Immer mehr junge Menschen machen Abitur oder Fachhochschulreife (inzwischen 64 Prozent) und beginnen anschließend ein Studium.

Die Zahl der Studierenden an Hochschulen lag Anfang 2014 bei 2,6 Millionen und entspricht einer Zunahme von 600.000 in den vergangenen zehn Jahren! Fachhochschulen mit Bindungen an Betriebe und mehr Praxisnähe verzeichnen mit plus sieben Prozent auf fast eine Million den größten Zuwachs (Quelle: destatis). Mit 2,6 Millionen ist die Zahl der Studierenden in Deutschland so hoch wie nie zuvor.

Gut ausgebildete Wissenschaftler und Ingenieure sind für Unternehmen ein Pro­duktionsvorteil im internationalen Konkurrenzkampf. Mit dem Slogan „Zukunftssicherung durch Bildung“ haben sie in den vergangenen zehn Jahren den Hochschulbesuch massiv gefördert und damit zugleich die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland kaschiert. Insbesondere im Zuge der von 2008 bis 2014 andauernden Weltwirtschaft- und Finanzkrise wichen viele Jugendliche, die keine Lehrstelle bzw. keinen Arbeitsplatz fanden, an die Hochschulen aus.

Zeitgleich wurden Bildung und Forschung immer direkter den Interessen des internationalen Finanzkapitals untergeordnet. Das begann 1999 mit dem „Bologna-Prozess“ zur Bildung eines gemeinsamen Hochschulraums in Europa. In Bologna wurden Beschlüsse gefasst zur Vereinheitlichung des Studiums: Bachelor- und Masterstudiengänge, Einführung eines Leistungssystems mit Credit-Points, Begrenzung der Studienzeiten usw. Die Hochschulen sollten einheitlich und schneller (kostensenkend) Absolventen vor allem für die Monopole liefern – deshalb auch die Verkürzung der Schulzeit mit einem achtjährigen Gymnasium (G8). Letzteres hat die hohe Zahl an Studenten/innen durch die doppelten Abi­turjahrgänge noch verstärkt.

Das System mit Bachelor-Abschluss und anschließendem Master-Studium zielt auf Elitebildung: Bachelor für die Masse und Masterstudium mit höheren Anforderungen für wenige. Die staatlichen Hochschulausgaben sanken von 7.360 auf 7.200 Euro pro Studierender. Zeitgleich stieg die Konzernfinanzierung (Drittmittel) von 94.000 auf 153.000 Euro pro Professorenstelle an (Zeit­­raum 2004–2010). Die „Sparzwänge“ der Länder und Regierungen haben ihre Ursachen unter anderem in den Milliardenausgaben zur Stützung von Konzernen und Banken während der Weltwirtschafts- und Finanzkrise.

Zukunft durch Bildung?

Bildung als Zukunftssicherung“ wurde zu einem Kern im System der kleinbürgerlichen Denkweise. Tatsächlich liegt die Arbeitslosenquote bei Menschen mit einem Hochschulabschluss mit 3,1 Prozent (2010) niedriger als bei Arbeitern. Allerdings gilt dies nur für die von den Monopolen besonders gesuchten technischen Inge­nieure. Insgesamt arbeitet jeder Zweite mit Hochschulabschluss erst mal befristet, fast jeder Zehnte mit Niedriglohn.

Noch krasser sieht es bei den – von der Gesellschaft nicht minder benötigten Geisteswissenschaftlern – aus. Die Hälfte der Geisteswissenschaftler sind ein Jahr nach dem Studium immer noch arbeitslos. Nur zwölf Prozent haben eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung. Wenn die Krisengeneration, also die sprunghaft gestiegene Zahl von Studierenden in der Weltwirtschafts- und Finanzkrise, die Hochschulen verlässt, wird die Akademiker-Arbeitslosigkeit weiter wachsen.

Denn der seit längerem angestimmte Jammer von Arbeitergeberverbänden über einen Mangel an Ingenieuren dient vor allem dazu, billige Arbeitskräfte aus Südeuropa oder Indien zu bekommen. Neue gesetzliche Regelungen erlauben es Unternehmen inzwischen, hochqualifizierte ausländische Fachkräfte einzustellen, mit einem Mindestlohn von 32.500 Euro im Jahr – früher 66.000 Euro. Derzeit kommen sechs passende Bewerber auf ein Jobangebot. So werden anderen Ländern dringend benötigte Fachkräfte entzogen und die Ausbildungskosten auf abhängige Länder abgewälzt – das sogenannte „Brain-Drain“. Mit der Neuorganisation der internationalen kapitalistischen Produktion seit den 1990er Jahren vollzog sich so auch eine Unterordnung der nationalen Arbeitsmärkte unter die internationalen Monopole. Das erhöht auch die Konkurrenz zu den Absolventen aus Deutschland und drückt deren Einstiegslöhne.

Studium zur Zukunftssicherung erweist sich zunehmend als tote Hose!

Überfüllte Hörsäle und unerfüllte Hoffnungen

Aus der Masse den intellektuellen Nachwuchs für die kapitalistische Gesellschaft heranziehen mit Hilfe sozialer, ideo­logischer und politischer Auslese – das ist eine wesentliche Aufgabe des Bildungssystems im Kapitalismus. Mit Verschulung des Studiums durch die Regelungen des Bologna-Prozesses wurden die Studierenden in ein „Hamsterrad“ gepresst, das zu einer ungeheuren sozialen und politischen Auslese führt.

So ist die Abbrecherquote der Studienanfänger von 25 Prozent in 2006 auf 35 Prozent in 2013 angestiegen. Vor allem Kinder aus Arbeiterfamilien oder Familien mit wenig Geld werden ausgesiebt. 678 Euro Bafög-Höchstfördersatz reicht bei Lebenshaltungskosten von mindestens 800 Euro nicht (20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks). Die beschlossene Anhebung zum Wintersemester in zwei Jahren auf 735 Euro würde bereits heute nicht zum Leben reichen. Gezahlt wird auch nur für die Dauer der sogenannten Regelstudienzeit (Bachelor: drei Jahre). Das schaffen die, welche ne­benher noch arbeiten gehen müssen, oft nicht. Überhaupt werden nur 40 Prozent der Abschlüsse im Rahmen der Regelstudienzeit bewältigt.

Trotz steigender Studierendenzahlen ist Wohnraum in vielen Unistädten knapp, weil seit Jahren in lukrative Immobiliengeschäfte investiert wird. Für die meisten der 8.000 an der Frankfurter Goethe-Universität neu eingeschriebenen Erstsemester sind Mieten von 400 bis 600 Euro unbezahlbar.

Wachsende Proteste

Gegen die Verschlechterung der Studienbedingungen gibt es seit Jahren Proteste. Im Juni 2014 gingen Studenten auf die Straße. In Leipzig waren es knapp 12.000 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Sie forderten Verbesserungen und protestierten gegen die Streichung von 1.042 Vollzeitstellen an den sächsischen Hochschulen. In Wiesbaden waren es über 3.000. Die MLPD und ihr Jugendverband REBELL haben nach Kräften die berechtigten Anliegen Studierender unterstützt. Sie fordern: Statt Eliteförderung und Auslese ein einheitliches und kostenloses Schulsystem von der Kita bis zur Hochschule für alle! Gleichzeitig kritisierte Lisa Gärtner, die Vorsitzende des Jugendverbands REBELL, die einseitige Ausrichtung des Jugendaktionstages („Revolution Bildung“) durch die IG-Metall-Führung Ende September in Köln: „Für Revolution bin ich immer zu haben, aber sie tun jetzt so, als ob Bildung die Lösung wäre. Das heißt doch im Umkehrschluss, wir sind arbeitslos, weil wir zu blöd sind. Natürlich brauchen wir eine bessere Bildung, aber das Hauptproblem ist, dass wir Arbeitsplätze brauchen.“

Kritik wächst

Eine wachsende Zahl von Studierenden wehrt sich nicht nur gegen die schlechten Studienbedingungen, sondern kritisiert auch politische und weltanschauliche Vorgaben. Sie sind zunehmend weniger bereit, z. B. den Raubbau an Mensch und Natur durch die Herrschenden zuzulassen. In einer von der MLPD-Hochschulgruppe Stuttgart mitini­tiierten Demonstration gegen die geplanten Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TISA gingen am 11. Oktober Studierende an der Seite von Arbeitern auf die Straße. Viele Studierende entwickeln Sensibilität gegen den menschenfeindlichen Missbrauch von Wissenschaften und Unterdrückung fortschrittlicher Erkenntnisse durch die internationalen Konzerne und die Bereitschaft dagegen zu kämpfen. Unter Studierenden der Wirtschaftswissenschaften entwickelt sich Kritik an Begriffen wie „Sozialstaat“ oder „soziale Marktwirtschaft“. Studierende der „Internationalen studentischen Initiative für plurale Ökonomik“ (www.isipe.net/home-de) aus 19 Ländern üben Kritik an „kapitalismusfreundlichen Lehrinhalten“, weil die Ursachen und Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise „kaum in den Hörsaal“ durchdringt. Sie wünschen sich mehr „Raum für freies, selbständiges und alternatives Denken“.

Das zeigt, dass die Studierenden ihr „Hamsterrad“ mehr und mehr infrage stellen. Die Arbeiterbewegung unterstützt solche berechtigten Anliegen. MLPD und REBELL treten für den gemeinsamen Kampf unter Führung der Arbeiterklasse ein, als Weg zu Veränderungen grundsätzlicher Art. Die Kämpfe in den Monopolbetrieben wie Daimler und Opel sind Ergebnis oft tiefgehender Auseinandersetzungen über den Kapitalismus und die Rolle der Arbeiterklasse. Der Flächenstreik der Lokführer deutete an, welch große Stärke die Arbeiterklasse entwickeln kann!

Bei einem Vortrag an der Fachhochschule Recklinghausen zum Thema Giftmüll unter Tage und Fracking waren die Studierenden vor allem beeindruckt vom entschlossenen, selbstbewussten und unbeugsamen Auftreten des Bergmanns Christian. Link. Es ist ein Auftrag der Hochschularbeit der MLPD, dass Studierende sich mit dem Leben und Kampf der Arbeiter verbinden.

Zukunftsdebatte an den Hochschulen!

Viele Studienanfänger treten mit dem Wunsch nach einer sicheren Zukunft für sich und ihre Familie an und wollen gleichzeitig etwas gesellschaftlich Sinnvolles leisten. Viele wollen z. B. dazu beitragen, den Hunger in der Welt zu beseitigen oder etwas für die Umwelt und gegen die drohende Umweltkatastrophe zu tun. Wünsche, die der Kapi­talismus gravierend infrage stellt: durch die individuell wachsende Unsicherheit ebenso wie durch die wachsende Überausbeutung von Mensch und Natur.

Diskussionen über den Sturz des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft sind freilich im bürgerlichen Universitätsbetrieb nicht üblich. Den Raum hierfür muss man sich erkämpfen. Die MLPD und fortschrittliche Studierende müssen sich mit dem modernen Antikommunismus anlegen, der den Kapitalismus als alternativlos darstellt und eine positive Auseinandersetzung über den echten Sozialismus verunglimpft und un­terdrückt. Die Hochschulgruppen der MLPD und die Oberschüler- und Studentengruppen des REBELL treten für eine breite Debatte über diese Fragen ein. Sie fordern hierzu die freie politische Betätigung an den Hochschulen und die Abschaffung der Zensur.

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