Tarifrunden 2015: Wir brauchen Gewerkschaften als Kampforganisationen
Kaum hatte die Industriegewerkschaft Metall (IGM) 5,5 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten gefordert, erklärte der Verhandlungsführer des Unternehmerverbands Metall NRW, Arndt Kirchhoff, das sei bei einer Inflationsrate von 0,8 Prozent „realitätsfern“. Weil es heute „Problemmärkte“ für verschiedene Unternehmen gäbe, könne es auch nicht überall die gleichen Lohnsteigerungen geben. Außerdem wären die Produktivitätszuwächse in der Industrie von den „hohen Energiekosten“ aufgezehrt worden.
An das Märchen glaubt Kirchhoff selbst nicht. Rund 2.100 Unternehmen machen in diesem Jahr allein 5,1 Milliarden Euro zusätzliche Profite, weil sie keine Umlage für erneuerbare Energien zahlen müssen. Es waren gerade die Arbeiterhaushalte, die mit horrend steigenden Energiekosten klarkommen mussten. Ein Grund mehr für eine offensive Lohnforderung und den Kampf um ihre Durchsetzung.
Hinzu kommt, dass die Berechnung der Inflationsrate nach dem Warenkorb des Statistischen Bundesamtes unrealistisch ist. Die Preise für Nahrungsmittel, Heizkosten, Bekleidung sowie Mieten und Mietnebenkosten, die für Arbeiterfamilien den überwiegenden Teil ihrer Lebenshaltungskosten bilden, sind weit stärker als 0,8 Prozent gestiegen. So willkommen der sinkende Benzinpreis ist, macht er doch nur einen geringen Teil der laufenden Kosten aus. Post, Bahn und Kommunen erhöhen 2015 wieder die Preise und Gebühren.
Sogar offiziell sind zwischen 2001 und 2011 die Reallöhne um mindestens 2,5 Prozent, in den unteren Einkommensgruppen sogar zwischen 16 und 22 Prozent gesunken. Die offiziell erklärten leichten Reallohnsteigerungen der letzten drei Jahre sind nur ein Durchschnittswert unter Einschluss aller Gehälter. Insbesondere für Familien mit niedrigem Einkommen ging der Reallohnverlust oftmals weiter. In vielen Betrieben wurden deshalb deutlich mehr als 5,5 Prozent gefordert, 6,8 Prozent z. B. von den Vertrauensleuten bei Daimler Untertürkheim.
Ausbeutung verschärft
Wenn die Kapitalisten von „Produktivitätszuwächsen“ sprechen, verlieren sie kein Wort über die damit einhergehende verschärfte Ausbeutung. Die 29 größten deutschen Konzerne, die zu den 500 größten internationalen Übermonopolen der Welt gehören, erwirtschaften heute einen Jahresumsatz pro Beschäftigten von zirka 365.000 Euro pro Jahr. 1991 war es mit 115.000 Euro weniger als ein Drittel davon. Bei einem jährlichen Bruttoverdienst von etwa 30.000 Euro, pressen die Übermonopole heute ungefähr 335.000 Euro Umsatz über den ausgezahlten Lohn heraus.
Jetzt am Ende der Weltwirtschafts- und Finanzkrise verschärft sich der Konkurrenzkampf der internationalen Übermonopole enorm. Damit wird die Ausbeutungsschraube noch fester angezogen. Überall in den Betrieben werden „Sparprogramme“ durchgezogen, das heißt zum Beispiel Arbeitsplätze vernichtet, Teilbereiche ausgelagert, die Taktzeiten angezogen, Leiharbeit ausgeweitet, Werkvertragsbeschäftigte zu Niederiglöhnen eingestellt usw.
Gewerkschaften – Kampforganisationen!
Angesichts dieser Entwicklung hat sich der Richtungskampf in den Gewerkschaften über ihren zukünftigen Kurs verschärft. Von rechten Gewerkschaftsführungen wird immer offener das Co-Management des „Mitgestaltens“ zur Leitlinie gemacht. In dieses Bild passen Streiks zur Durchsetzung von Forderungen immer weniger. Immer seltener führt die IGM Erzwingungsstreiks. Seit Jahren bleibt es bei Warnstreiks, die nach faulen Kompromissen beendet werden, statt sie zur Entfaltung der vollen gewerkschaftlichen Kampfkraft zu nutzen. So beobachtet Dr. Heiner Dribbusch, Arbeitskampfforscher der Hans-Böckler-Stiftung „seit etwa zehn Jahren einen Trend zu einer Verschiebung des Arbeitskampfgeschehens in den Dienstleistungsbereich. Dieser setzte sich auch 2013 fort. Rund 80 Prozent aller tariflichen Arbeitskämpfe fanden im Dienstleistungssektor statt. Alleine ver.di war in über 169 Arbeitskämpfe involviert.“1
Ganz im Trend der Streik- und Kampfvermeidung liegt das neue Bündnis „Zukunft der Industrie“, das IGM-Chef Detlef Wetzel mit dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Ulrich Grillo und Vizekanzler Sigmar Gabriel eingegangen ist. Es soll mit einer „Neugestaltung des Systems der Produktion“ die „industrielle Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“ stärken und für „strukturelle Maßnahmen in den Betrieben … die Akzeptanz fördern“. Das ist der Weg der immer offeneren Unterordnung unter die Profitinteressen der in Deutschland und in Europa ansässigen internationalen Übermonopole und ihrer Berliner Regierung.
Immer mehr Kolleginnen und Kollegen lehnen das Co-Management ab, weil es im Ergebnis immer zu Arbeitsplatzvernichtung, Leistungsverdichtung, mehr Leiharbeit, Lohnverzicht usw. führt. Manch einer resigniert deswegen und verlässt die Gewerkschaft. Das ist aber der falsche Weg, weil dadurch die organisierte Arbeiterbewegung geschwächt wird. Einen anderen Weg wollen die Daimler-Vertrauensleute in Untertürkheim gehen: „Wir sind kampfbereit.“
Es ist nötig „die Gewerkschaften zu Kampforganisation für den Tageskampf, für Reformen zu gestalten“, wie Willi Dickhut, Mitbegründer und Vordenker der MLPD in seinem Buch „Gewerkschaften und Klassenkampf“ ausführt. „Auch wenn die Gewerkschaften sich nur auf den Tageskampf zur Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen beschränken, müssen sie trotzdem stark sein, um erfolgreich zu sein. Darum setzen sich auch die Kommunisten in ihrer praktischen Gewerkschaftsarbeit für die Ausbreitung und Stärkung der Gewerkschaften ein.“2
Dementsprechend unterstützen die Genossinnen und Genossen der MLPD und ihre Betriebsgruppen in ihrer positiven Gewerkschaftsarbeit die volle Entfaltung der gewerkschaftlichen Kampfkraft über Urabstimmung zum Vollstreik. Sie fördern dabei die kämpferische Aktivität und Eigeninitiative der Masse der Gewerkschaftsmitglieder.
Die Forderung der IG Metall nach besserer tariflich geregelter Alters- und Bildungsteilzeit wird von den meisten Kolleginnen und Kollegen unterstützt. Es erweitert die Rechte der Beschäftigten. Bessere Bedingungen zur Fort- und Weiterbildung erhöhen das Kulturniveau der Arbeiterklasse und den Wert ihrer Arbeitskraft. Es ist allerdings ein Mythos, den die IG-Metall-Führung gerne verbreitet, dass das Problem der Arbeitslosigkeit durch bessere Bildung gelöst werden könnte. Es orientiert auf einen individuellen Ausweg. Arbeitsplätze werden allein zur Profitmaximierung geschaffen oder vernichtet und nicht, weil Beschäftigte besonders gebildet oder ungebildet sind. Auch kann der tarifliche Kampf um Altersteilzeitregelungen nicht den politischen Kampf gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters – und damit gegen die Regierung ersetzen.
Angesichts der zunehmenden Arbeitsplatzvernichtung, Arbeitshetze und Verschärfung der Ausbeutung muss die Forderung nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wieder auf die Tagesordnung sowie die Verkürzung der Lebensarbeitszeit durch Senkung des Renteneintrittsalters.
Streikrecht
Mit dem „Tarifeinheitsgesetz“ will die Bundesregierung das schon jetzt auf tarifliche Fragen eingeschränkte Streikrecht noch weiter beschneiden. Nicht nur kämpferische Sparten-Gewerkschaften, auch ver.di, NGG und GEW lehnen das ab. Die Führungen der anderen fünf DGB-Organisationen sind zur Absicherung ihrer Co-Management-Politik dafür. „Hände weg von einer gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit – Hände weg vom Streikrecht!“ – haben dagegen die IGM-Delegiertenversammlungen Mittelhessen, Köln und Hanau-Fulda in Resolutionen protestiert! Die Forderung nach einem vollständigen und allseitigen gesetzlichen Streikrecht geht über eine reine Verteidigung des Status Quo hinaus.
Volle Durchsetzung der Forderungen!
Die IGM-Führung begründet die tariflichen Forderungen auch damit, dass sie „der Wirtschaft“ nicht schaden. Der Maßstab der Gewerkschaften muss aber sein, was die Arbeiterfamilien brauchen. Sie können sich nicht abhängig davon machen, ob Unternehmen Probleme auf ihren Märkten haben, ihre Profite zu realisieren.
Tarifentgelte sind in der Regel richtungsweisend auch für nicht tarifgebundene Betriebe, für Durchschnittsberechnungen zu Rentenbeiträgen usw. Damit ist die volle Durchsetzung der gewerkschaftlichen Forderungen auch im Interesse aller Werktätigen, ob arbeitslos, in Rente oder Ausbildung – und jeder kann dazu beitragen: Besuche von Streikaktionen, Artikel in der Schülerzeitung, Soli-Briefe oder Mitgliedergewinnung für die Gewerkschaft usw.
Gemeinsam kämpfen
Eine Besonderheit der Tarifrunde 2015 ist, dass in der Metallindustrie, bei VW, im öffentlichen Dienst und im Bereich Nahrung-Genuss-Gaststätten einheitlich eine Lohnerhöhung von 5,5 Prozent gefordert wird. Ausnahme: die IGBCE, die nur 4 bis 5 Prozent fordert und es fertigbringt, ganz ohne konkrete Forderung in die Steinkohletarifrunde zu gehen.
Das einheitlich von allen Gewerkschaften eine zwölfmonatige Laufzeit gefordert wird, ist Ergebnis der innergewerkschaftlichen Kritik an langen Laufzeiten und damit verbundenen Zahlenspielen, um das Verhandlungsergebnis schöner darzustellen. Die Gewerkschaft ver.di verbindet ihre 5,5-Prozent-Forderung für Landesbeschäftigte mit einer Mindestforderung von 175 Euro pro Monat. Das stärkt besonders die unteren Lohn- und Gehaltsgruppen, in denen überproportional Frauen eingruppiert sind. Die Gewerkschaften ver.di und NGG fordern zudem die Übernahme der Auszubildenden nach der Lehre.
Da alle diese Tarifrunden weitgehend parallel ab Februar verlaufen, ergeben sich besondere Möglichkeiten, die Kräfte zu bündeln, gemeinsam zu kämpfen und den Gedanken der Einheitsgewerkschaft zu verbreiten! Alle Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass Gewerkschaften dann besonders wachsen, wenn sie entschlossen kämpfen.
Strategiedebatte – auch in der Tarifrunde!
IG-Metall- und IGBCE-Spitze haben die Unterschriftensammlung „Für bezahlbaren Strom und gute Arbeitsplätze“ initiert. Darin wird der Schutz der Umwelt der kapitalistischen Konkurrenzfähigkeit untergeordnet. Diese kurzsichtige Denkweise ist für die Menschheit im wahrsten Sinne des Wortes existenzbedrohend und muss in der Gewerkschaftsbewegung gründlich diskutiert und kritisiert werden.
Mit Perspektive
„Den Beschäftigten steht ein fairer Anteil an den Gewinnen zu“, erklärte DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann. Unter der Bedingung der Ausbeutung der Lohnarbeit kann es aber einen solchen fairen Anteil nicht geben. Die MLPD führt den Kampf um Reformen als Schule des Klassenkampfs, um darin die entscheidende Mehrheit der Arbeiterklasse für eine revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung zu gewinnen. Ohne eine starke revolutionäre Partei ist das aber nicht zu machen. So gesehen ist die wichtigste Schlussfolgerung, die MLPD und ihre Betriebsgruppen zu stärken.
1 Pressedienst WSI, 13. März 2014
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