Wie man antikommunistische Vorurteile erzeugt

Der sowjetische Strafvollzug als Highlight der psychologischen Kriegsführung gegen den Kommunismus (Teil 2)

Jahrzehntelang wurde mit dem Schlagwort „Gulag“ die sozialistische Sowjetunion der Stalin-Ära in der antikommunistischen Propaganda als Hort der Unterdrückung und Versklavung präsentiert. Der erste Teil des Artikels (RF 4/2015) beschäftigte sich kritisch mit der Umsetzung des Ziels des sowjetischen Strafvollzugs, der Besserung Krimineller durch Arbeitseinsatz für die Gesellschaft. Bürokratische Fehler, die dabei vorkamen, wurden 1956 von Chruschtschow ausgenutzt, als er auf dem XX. Parteitag der KPdSU seinen niederträchtigen Angriff auf Stalin startete, den Marxismus-Leninismus revidierte und die Zerstörung des Sozialismus in der Sowjetunion einleitete.

1964 erschien in der Sowjetunion ein Aufruf revolutionärer Kommunisten, der das hinterhältige Vorgehen der Revisionisten aufdeckte: „Der ‚Wildheit‘ Stalins ihre ‚Humanität‘ gegenüberstellend, rehabilitierten sie alle politischen Gefangenen ohne jede Verifizierung und juristische Prozedur, indem sie auf ihre verletzten Gefühle rechneten und ihnen das Stimmrecht in der Gesellschaft gaben. Da aber dies ihnen noch nicht genug war, erhielten alle Banditen, die die Gesellschaft wiederholt terrorisiert hatten, Generalpardon. Diese ganze sogenannte Politik wurde mit dem Treffen Chruschtschows mit einem der reuigen Banditen und mit seiner freigiebigen Belohnung gekrönt, weil er beschlossen hatte, schließlich ein ehrlicher Mensch zu werden …“ (1)

Durch Chruschtschow hatte die antikommunistische Propaganda gewissermaßen offiziellen Segen von den „Kommunisten“ selbst erhalten. Eine sachliche Auseinandersetzung über Stärken und Schwächen des sowjetischen Strafvollzugs wurde damit verhindert. Vor allem hatten die neuen Machthaber kein Interesse, den weltweit verbreiteten Horrorphantasien über das Ausmaß der Strafgefangenen die tatsächlichen Zahlen entge­genzusetzen.

Erst als nach dem Zerfall der Sowjetunion westliche Historiker teilweisen Zugang zu den Archiven bekamen, mussten diese die antikommunistischen Lügen zwangsläufig widerlegen. Dies geschah in einem grundlegenden Artikel von J. Arch Getty (Professor an der University of California), Gabor T. Rittersporn (Nationales Zentrum für wissenschaftliche Studien, Paris) und Viktor N. Zemskov (Institut für Russische Geschichte an der Akademie der Wissenschaften, Moskau) in der Ausgabe 4 vom Oktober 1993 der renommierten Wissenschaftszeitschrift „The American Historical Review“. Es zeigte sich, dass der Höchststand 1,75 Millionen Häftlinge im Jahr 1953 betrug und dass die größte Gesamtzahl der zu Lagerhaft Verurteilten und in Arbeitskolonien Angesiedelten (die nicht inhaftiert waren) im Jahr 1950 mit 2,6 Millionen erreicht wurde. Zum Vergleich: In den USA befinden sich aktuell nicht weniger als 2,4 Millionen Menschen in Haft(2), die „Haftbedingungen gelten als Folter“(3), im Strafvollzug herrschen „verheerende Zustände“(4). Konzerne wie Microsoft, IBM, Motorola usw. „entdecken zunehmend die Gefängnisse als Möglichkeit zur Steigerung ihrer Profite. Sie lassen im großen Stil in Haftanstalten produzieren …“  (5)

Und mehr sowjetische Bürger, als jemals gleichzeitig in Straflagern inhaftiert waren, wurden während des II. Weltkriegs als Zwangsarbeiter nach Hitler-Deutschland verschleppt: Von den insgesamt 7,6 Millionen ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter waren 2,8 Millionen Russen!(6)

Die antikommunistische Gulag-Propaganda

Die erstmals veröffentlichten Zahlen waren ein Schlag ins Kontor für alle antikommunistischen Hetzer, deren maßlose Übertreibungen damit entlarvt wurden.

Es waren die Hitlerfaschisten, die im Zuge ihrer psychologischen Kriegsführung als ers­te das Märchen von der Versklavung der sowjetischen Bevölkerung in die Welt gesetzt hatten. Der am 2. Mai 1945 in Berlin umgekommene Dr. Karl Greife, Leiter des dortigen „Russisch-Wissenschaftlichen Instituts“, bezifferte in seinem 1936 erschienenen faschistischen Standardwerk „Zwangsarbeit in der Sowjetunion“ die Zahl der „Zwangsarbeiter“ auf „mindestens 6 Millionen“.

Er wurde in einer ebenfalls in Massenauflage verbreiteten antisemitischen Schrift zitiert, in der es über den sowjetischen Strafvollzug hieß: „Die GPU erhält im Rahmen der Fünfjahrespläne eine doppelte Aufgabe gestellt. Sie soll jede Opposition gegen die Durchführung dieser Pläne unterdrücken und die Bevölkerung nötigenfalls durch schärfsten Terror einschüchtern; mit Hilfe der Massen von Verhafteten, die sich auf diese Weise in ihren Gefängnissen ansammeln, hat sie aber außerdem – und diese Aufgabe ist mindestens ebenso wichtig – riesige Bauunternehmungen durchzuführen, die der sowjetischen Aufrüstung dienen …“(7)

Damit wird Geschichte auf den Kopf gestellt und bis heute antikommunistische Vorurteile genährt. Aber was soll denn dagegen sprechen, dass die Tätigkeit von Häftlingen einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft leistet? Und natürlich musste die sozialistische Sowjetunion aufrüsten, denn sonst wäre sie dem fünf Jahre später erfolgten Überfall eben dieser Faschisten hilflos erlegen.

Es waren die US-Imperialisten, die nach dem Krieg die Nazi-Propaganda weiterführten und dabei die Zahlen mehr als verdoppelten. Ihr Erschrecken über die Stärke und den Sieg des Sozialismus führte zu einer speziellen Taktik: Sie bedienten sich der korrupten rechten Gewerkschaftsführung der AFL (American Federation of Labor), um die Arbeiter der westlichen Welt vor der angeblichen „Sklavenarbeit in Russland“ zu warnen.

In der so betitelten Broschüre hieß es: „Unter dem Zeichen von Hammer und Sichel quälen sich zehn bis fünfzehn Millionen Zwangsarbeiter unter barbarischer militärischer Überwachung bei der Anlage von Kanälen, beim Bau von Straßen und bei der Errichtung von Rüstungsbetrieben, im Uranbergbau.“ Verfasser dieser kostenlos verbreiteten Lügenbroschüre waren der 1962 verstorbene Historiker David Dallin, der sich zuvor in den USA als Trotzkist betätigt hatte, und der 1966 verstorbene Boris Nikolajewski, ein nach der Oktoberrevolution aus Russland emigrierter Sozialdemokrat.

In Westdeutschland verbreitete die DGB-Führung in ihrer antikommunistischen Verblendung diese Zahlen, in Frankreich wurden sie von trotzkistischen Kreisen aufgegriffen. Die fortschrittliche Schriftstellerin Simone de Beauvoir schilderte in einem 1954 preisgekrönten Werk die verheerende Wirkung auf zahlreiche linke Intellektuelle: „‚Fünfzehn Mil­lio­nen scheint mir eine sehr gemäßigte Vermutung zu sein‘, sagte Samazelle. ‚Fünfzehn Millionen!‘ wiederholte Lambert. Henri fühlte eine Panik in sich hochsteigen. Er hatte schon oft von diesen Lagern reden hören, aber in unbestimmten Worten, und er hatte sich nicht viel Gedanken darüber gemacht, man erzählte so vieles …“(8)

Von verschiedenen „Experten“ wurden in der Folge noch höhere Zahlen angegeben, immer in dem Bestreben, den Sozialismus als einziges Gefängnis darzustellen. Nachdem sich ihre Horrorzahlen als unhaltbar erwiesen haben, schwenkte die antikommunistische Propaganda um auf die Schilderung tragischer Einzelschicksale. Heuchlerisch werden dabei auch unschuldig zu Lagerhaft verurteilte Kommunisten angeführt, was besonders wirksam ist. Möglich wurde dies vor allem, weil in der Sowjetunion Verräter vom Schlage Chruschtschows, Bresch­news und Gorbatschows den Sozialismus zerstörten und diskreditierten. Sie sorgten auch dafür, dass Alexander Solschenizyn 1974 sein antikommunistisches Machwerk „Archipel Gulag“ veröffentlichen konnte, das im Westen begierig aufgegriffen wurde. Dabei wussten sie wohl, dass Solschenizyn sich längst zu einem rassistischen und antisemitischen – und damit wenig glaubwürdigen – Zeugen entwickelt hatte. Aber, wenn es nur gegen den Kommunismus geht, sieht man über solche Kleinigkeiten gerne hinweg.

Die Revisionisten verhinderten eine kritische, vom revolutionären Standpunkt ausgehende Diskussion des Themas und sind mit hauptverantwortlich für die noch immer wirkende antikommunistische Verwirrung!

 

1 Programmatischer Aufruf der revolutionären (bolschewistischen) Kommunisten der Sowjetunion; Tirana 1965, S. 8/9

2 „Die Welt“, 17. Oktober 2014, S. 8

3 „Süddeutsche Zeitung“, 2. 3. 2012, S. 12

4 „FAZ“, 7. 6. 2011, S. 10

5 Moderne Sklaverei. Ausbeutung von Strafgefangenen stoppen! – www.ethecon.org

6 „Münchner Merkur“, 14. 6. 1988, S. 3

7 Rudolf Kommoss, „Juden hinter Stalin“, Leipzig 1944, S. 63

8 Simone de Beauvoir, „Die Mandarins von Paris“, Hamburg 1987, S. 286

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