Ukraine: Merkels imperialistische „Friedensmission“
1,6 Millionen Menschen mussten aus ihrer Heimat fliehen, 600.000 ins Ausland, die meisten davon nach Russland. Vor allem im Osten der Ukraine sind die Menschen Opfer eines gefährlichen Machtpokers um das zweitgrößte Land Europas. Die Ukraine ist als Rohstofflieferant, Industrie- und Landwirtschaftszentrum und vor allem als Absatzmarkt für alle Beteiligten strategisch wichtig.
Im Osten des Landes ist das ukrainische Militär in den letzten Wochen offenbar ins Hintertreffen geraten, die sogenannten „Separatisten“ der Ostukraine verzeichnen Geländegewinne. Auf beiden Seiten laufen umfassende Mobilmachungen gegen die es in der Ukraine aber auch in Russland wachsende Proteste gibt.
Erstmals seit der Kuba-Krise 1962 ist wieder eine akute Kriegsgefahr zwischen den imperialistischen Hauptblöcken entstanden – NATO und EU auf der einen und Russland auf der anderen Seite. Der US-Imperialismus berät die Lieferung von Waffen im Wert von drei Milliarden US-Dollar an das Militär der Ukraine, was den Konflikt erheblich verschärfen würde.
Die Bundesregierung startet in diesen Tagen zwischen Kiew, Moskau und Washington eine hektische Reisediplomatie. Derzeit versucht Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande eine offene Eskalation des in der Ukraine tobenden Stellvertreterkriegs zu vermeiden.
Gleichzeitig sind die internationalen Übermonopole der EU aber auch nicht bereit, zurückzustecken und ihrem russischen Konkurrenten das ukrainische Feld zu überlassen.
Ein erneutes Treffen der beteiligten Regierungen (ohne die USA) in Minsk/Weißrussland zur Wiederbelebung des im September 2014 vereinbarten und gescheiterten „Minsker Abkommens“, war für den 12. Februar angesetzt. Bis zum Redaktionsschluss wurde es von deutschen, französischen, russischen und ukrainischen Diplomaten in Berlin fieberhaft vorbereitet. Aber auch die Kampfhandlungen dauerten an – es wurde um weitere Gebietsgewinne gekämpft. Die Szenarien für einen neuen Waffenstillstand reichen bis zur Stationierung von UN-Truppen in einem autonomen Gebiet zwischen Russland und einer westintegrierten Ukraine.
Die Schlacht um Absatzmärkte
Nach dem Ende der Weltwirtschafts- und Finanzkrise hat sich im Zuge der chronischen Überakkumulation von Kapital das Verhältnis der verschiedenen Investitionsarten verändert. Ersatzinvestitionen bilden heute mit rund zwei Drittel aller Investitionen den Schwerpunkt.(1) Erweiterungs- und Rationalisierungsinvestitionen, um die Produktion auszuweiten, sind angesichts verengter Absatzmärkte zurückgegangen. Das steigert den Druck auf alle Imperialisten, neue Märkte zu erschließen beziehungsweise sie Konkurrenten abzunehmen.
Die Einbindung der Ukraine in die EU und das Herausbrechen aus dem russischen Einfluss war der Ausgangspunkt des Ukraine-Konflikts. Die Ukraine ist mit 600.000 Quadratkilometern das größte Land Europas mit vollständigen Grenzen in Europa. Bevölkerungsmäßig ist sie das siebtgrößte Land Europas. 45 Millionen Menschen leben dort und sollen – geht es nach Merkel und Hollande – künftig mit Waren „Made in EU“ beglückt werden. Profite versprechen sich die westlichen Monopole auch aus der Umstellung der ukrainischen Rohstoffgewinnung (Erze, Kohle) und Schwerindustrie sowie der weiteren Industrialisierung des großen landwirtschaftlichen Sektors.
Allein für die Umstellung auf europäische Produktionsstandards wird ein Kapitalbedarf von 165 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren geschätzt.(2)
In der Ukraine laufen nicht nur ein Großteil der Pipelines nach Europa, sondern wurden auch enorme Lagerstätten von Schiefergas entdeckt – nach Einschätzung der US-Energie-Informationsbehörde die drittgrößten in Europa(3).
Zur Beherrschung der Ukraine setzen die Imperialisten die verschiedensten kriegerischen, diplomatischen, wirtschaftlichen und politischen Mittel ein – die Ziele bleiben gleich!
Widersprüche zwischen den Imperialisten
Die Widersprüche verlaufen derzeit auch zwischen den USA und den westeuropäischen Imperialisten, vor allem Deutschland und Frankreich. Streit ist entbrannt um die Frage, ob die Ukraine offen militärisch aufgerüstet werden soll. US-Präsident Barack Obama unterstützt öffentlich die Gespräche in Minsk, droht aber zugleich für ihr Scheitern mit Waffenlieferungen an die ukrainische Armee. Die ökonomische Abhängigkeit vom Handel mit Russland ist in den USA ungleich geringer als in der EU. Den USA geht es auch darum, ihre Rolle als letzte derzeit verbliebene Supermacht zu stärken – gegen Russland, das militärisch nach wie vor in der ersten Liga im Kampf um die Weltherrschaft spielt. Dazu wird versucht, mit der Embargopolitik Russland wirtschaftlich und politisch zu erdrosseln.
Russland wiederum versucht, die Ukraine und Teile Westeuropas mit der Abhängigkeit von seinen Gaslieferungen zu erpressen. In Konkurrenz zur EU baut Russland an einem eurasischen Wirtschaftsraum unter seiner Führung.
Vor diesem Hintergrund erfolgte die scharfe öffentliche Kritik aus Teilen der US-Politik an Merkels Verhandlungen.Dagegen führt Angela Merkel bei der Münchner „Sicherheitskonferenz“ Anfang Februar ins Feld, dass im Zeitalter der Freihandelsabkommen auch Geschäfte mit Russland möglich sein müssen. Ihr sitzt ein Teil der deutschen, internationalen Monopole im Nacken.
Immerhin konnte die BRD 2014 einen Exportüberschuss von 217 Milliarden Euro erzielen – mehr als je zuvor. Die Monopole drängen deshalb auf eine Verständigung mit Russland, um die Exportoffensive nicht zu gefährden. Denn mit bedingt durch die Sanktionen der EU sank das deutsche Exportvolumen nach Russland 2014 bereits um 5,7 auf 27,7 Milliarden Euro.4 Der Export in die Ukraine sank gar um fast 50 Prozent auf 3,3 Milliarden Euro.(4) Ein Grund mehr für Merkel, eine weitere Eskalation nach Möglichkeit zu vermeiden.
Aber auch die Merkel/Gabriel-Regierung ist – bei aller Reisediplomatie – durchaus engagiert, die Präsenz der Bundeswehr in Osteuropa zu stärken. In der neuen sogenannten „Speerspitze“ der NATO, der Spitze einer „schnellen Eingreiftruppe“ für Osteuropa, hat die Bundeswehr sogar die Führung übernommen.
Das ist kein Widerspruch zur aktuellen „Friedensmission“, sondern eine konsequenten Anwendung des imperialistischen Pazifismus. Die Offensive des imperialistischen Pazifismus in der Ukraine-Frage reagiert auf den Friedensplan der Massen und ihre Ablehnung imperialistischer Kriege. Der imperialistischen Pazifismus verfolgt die gleichen Ziele wie offene imperialistische Kriegsabenteuer, kann sich aber friedliebend geben: „Der imperialistische Pazifismus rechtfertigt imperialistische Aggressionen mit Phrasen, dass solche Militäreinsätze ,Frieden schaffen‘ oder ,Menschenrechte durchsetzen‘ würden, …“(5)
Mit dieser Ideologie und Politik erklären die Imperialisten ihre Militäreinsätze zu „Friedensmissionen“. Diese Karte spielen alle beteiligten Imperialisten. Wladimir Putin mit seiner Mär von rein humanitären Hilfsgütern ebenso wie Obama, der Waffenlieferungen „als letzte Option“ nur als Drohkulisse verstanden haben will.
Für eine sozialistische Ukraine
Die akute Kriegsgefahr erfordert aktiven Widerstand gegen die imperialistischen Aggressoren, weltweit.
Der Weg zu einer unabhängigen, vereinigten sozialistischen Ukraine kann nur durch den Kampf des ukrainischen Volkes beschritten werden. Weltfrieden wird erst dann möglich, wenn die Herrschaft des Imperialismus über die Welt durch die internationale sozialistische Revolution beendet und die Vereinigten Sozialistischen Staaten der Welt errichtet sind.
(1) Studie des Ifo-Investitionstests vom Frühjahr 2014 für Deutschland
(2) Gerd Bedszent in „Machtkampf in der Ukraine“, freitag.de
(3) Adding Fuel to the Fire, Foreign Policy, 6.März 2014
(4) www.bild.de „Das sind Deutschlands Export Schlager“
(5) Stefan Engel, „Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution“, S. 304