Tarifrunden 2015: Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wollen wirkungsvolle Streiks
Nach dem Streik der Piloten bei der Lufthansa am 12. und 13. Februar steht aktuell Auseinandersetzungen bei der Bahn sowie die in der Metall- und Elektroindustrie im Zentrum.
Die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) will nach Ablauf eines Ultimatums am Mittwoch, den 18. Februar ihren neuerlichen Streikbeschluss bekanntgeben. Ihr Vorsitzender Claus Weselsky kündigte eine Streikdauer über vier Tage mit 100 Stunden an. Seit Sommer 2014 verweigert die Deutsche Bahn (DB) provokativ der GdL das Recht, einen Tarifvertrag abzuschließen bzw. Teile des Zugpersonals in den Flächentarifvertrag aufzunehmen. Die Bahn spekuliert darauf, die GdL mit dem von der Regierung beschlossenen „Tarifeinheitsgesetz“, das bis Sommer ratifiziert werden soll, auszubooten. Mit diesem Gesetz soll das Streikrecht noch weiter eingeschränkt werden.
In der Metall- und Elektroindustrie wurde am Freitag, den 11. Februar die Marke von 600.000 Beteiligten bei Warnstreiks bundesweit geknackt. Auch danach gehen die Warnstreiks weiter. In der nächsten Woche steht die 4. Verhandlungsrunde für die 3,5 Millionen Beschäftigte an. Das bisherige „Angebot“ des Unternehmerverbands ist eine Provokation: Statt der geforderten 5,5 Prozent eine Erhöhung von unter 2 Prozent mehr Lohn/Gehalt (2,2 Prozent für zehn Monate bei zwölf Monaten Laufzeit); jegliche finanzielle Förderung von Weiterbildung wird abgelehnt und die Bedingungen für die Altersteilzeit sollen sogar noch verschlechtert werden. Die Kapitalisten wollen den Anteil der Berechtigten von 4 Prozent der Beschäftigen auf gerade noch mal 2 Prozent reduzieren.
52 Milliarden Euro Gewinn
Angesichts eines offiziell ausgewiesenen Gewinns von 52 Milliarden Euro 2014 in der Metall- und Elektroindustrie fällt es Gesamtmetall-Chef Dr. Rainer Dülger schwer, dies zu rechtfertigen und verweist auf die ungewisse Zukunft für die Metallindustrie angesichts der Entwicklung der Eurokrise mit Griechenland bzw. des Kriegs in der Ukraine. Zum einen ist das Jammern auf hohem Niveau, zum anderen ist es notwendig, die Lohnforderungen an den Anforderungen der Arbeiterhaushalte zu messen. Allein von 2003-2013 stieg die Arbeitsproduktivität in der Industrie um 40 Prozent von 144 Euro auf 201 Euro pro Arbeitsstunde.
Es ist Ausdruck der Merkelschen Krisendämpfungspolitik, dass sich die Regierung zu den Tarifauseinandersetzungen bisher vornehm zurückhält. Wenn es jedoch konkret wird, zeigt sich, wo die Regierung steht. So der Chef der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, Sachsens Innenminister Jens Bullerjahn (SPD), der die Forderung von ver.di nach 5,5 Prozent zum Auftakt der Tarifrunde als völlig überzogen bezeichnete. Noch frecher tönt dagegen Herr Dülger von Gesamtmetall: „Die Summe der Belastungen, die eine Gewerkschaft durchsetzt, darf sich nicht ins Unermessliche steigern.“
Das liegt auf einer Linie mit der Richtung, die der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, diese Woche vorgab. Er kritisierte die Festlegungen der Regierung zum Mindestlohn und zur Rente und forderte stattdessen die Rente mit 70.
Scheinheilig sorgt er sich um den Fachkräftemangel. Tatsächlich wurden jedoch allein in der Metall- und Elektroindustrie in den letzten 10 Jahren mehr als jeder dritte Ausbildungsplatz (fast 300.000) abgebaut und liegt die Ausbildungsquote in der Automobilindustrie bei gerade noch 3,3 Prozent der Zahl der Gesamtbeschäftigten.
In einigen Tarifrunden wie bei VW wird auch die Forderung nach der Erhöhung der Ausbildungsquote um jährlich 1.400 aufgestellt; in der Versicherungsbranche die Forderung nach der unbefristeten Übernahme aller Auszubildenden.
Kampfkraft bündeln
Die gleichzeitig verlaufenden Tarifrunden in verschiedenen Branchen sind Gelegenheit die Kampfkraft zu entfalten und zu bündeln. In Mülheim an der Ruhr beteiligten sich am 11. Februar zehntausend Kolleginnen und Kollegen aus der Region an einem Sternmarsch mit gemeinsamer Kundgebung. Sie verbanden die Tarifrunde mit dem Protest gegen die geplante Arbeitsplatzvernichtung bei Siemens.
In Bremen legten Daimler-Kolleginnen und -Kollegen große Teile des Bremer Ostens lahm als sie ihre Kundgebung mitten auf einer Kreuzung abhielten. Sie kämpfen aktuell auch für die Rücknahme der Abmahnungen gegen über 600 Nachtschichtkollegen, die gegen Auslagerungen und die Ausweitung von Leiharbeit streikten. In Wörth/Baden-Württemberg dehnte die Belegschaft von Daimler ihren Warnstreik selbständig über drei Schichten aus. „In der Kritik standen nicht nur die Angebote des Arbeitgeberverbands, sondern vor allem auch die Arbeitsbedingungen in der Fabrik … mit stolzgeschwellter Brust fuhren die Kolleginnen und Kollegen in den Feierabend und ins Wochenende,“ so eine Zuschrift aus Wörth.
In Hamburg gab es am 12. Februar einen 24-stündigen Warnstreik der Metallbetriebe die in drei Zügen zur gemeinsamen Kundgebung zusammentrafen.
Kritik an Tarif-Regie
Aus Bayern wird berichtet, dass es bei SKF in Schweinfurt, Siemens München und in Erlangen eine höhere Beteiligung von Angestellten gibt – ein wichtiges Signal, die von den Konzernen geschürte Spaltung in Arbeiter und Angestellte zu überwinden.
In Chemnitz setzten die Metall-Belegschaften schon im Januar ein internationalistisches und antifaschistisches Zeichen: Bezirksleiter Höbel forderte alle Kolleginnen und Kollegen auf, in den Betrieben aktiv einzutreten für internationalen Zusammenhalt und sich gegen die Hetze der „Pegida“ zu engagieren.
Die richtige Antwort auf die Ablehnung der Forderungen von Unternehmerverbände und Regierung kann in der Metallindustrie nicht einfach in weiteren Warnstreiks bestehen. Jetzt ist die Einleitung von Urabstimmung und der Übergang zum unbefristeten Flächenstreik gefordert. Mit der selbständigen Ausweitung und kämpferischer Durchführung von Aktionen von der Basis wird die Regie der IGM-Führung infrage gestellt, die in den letzten Jahren mit ihrer Grundlinie des Co-Managements wirkungsvolle Streiks vermied. Seit Jahren gingen daher die gewerkschaftlichen Streiks insbesondere in den großen Industriebetrieben zurück. Die Einigung auf faule Kompromisse ohne vollen Einsatz der gewerkschaftlichen Kampfkraft wollen viele Kolleginnen und Kollegen zu Recht nicht mehr akzeptieren.
So gab es prompt Kritik, als bereits nach der dritten Verhandlungsrunde in NRW eine „Streikpause“ mindestens bis Aschermittwoch erklärt wurde. Offene Türen rannte die IGM-Spitze in NRW nur beim Unternehmerverband ein. „Wir gehen hier jetzt vom Konfrontations- in den Arbeitsmodus über“, frohlockte Hubertus Engemann, Sprecher des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen.
Was ist das für eine Gesellschaft?
Die MLPD fördert die Entwicklung der Gewerkschaften als Kampforganisationen und dabei auch die Diskussion um die Höherentwicklung des Kampfs und seine Perspektive.
Was ist das für eine Gesellschaft, wenn Arbeiterinnen und Arbeiter nach Jahrzehnten der Schufterei darum bangen müssen, in die Altersarmut zu fallen. Eine Gesellschaft in der der die Milliardäre immer reicher werden – die hundert „Reichsten in Deutschland“ verfügen über 336 Millarden Euro! Eine Gesellschaft, in der die natürlichen Lebensgrundlagen der Menscheit durch die Profitwirtschaft bedroht sind. Eine Gesellschaft in der immer mehr gesellschaftliche Aufgaben auf die Familien abgewälzt werden.
In einer sozialistischen Gesellschaft – ohne die kapitalistische Ausbeuterordnung – wäre es kein Problem, die Arbeitszeit bei höherer Entlohnung drastisch zu verkürzen, eine systematische Weiterbildung zu organisieren, im Alter würdig und auf der Grundlage der Einheit von Mensch und Natur zu leben.
Diese sozialistische Perspektive gehört in die breite Diskussion. Herausgefordert ist in den aktuellen Tarifkämpfen im besonderen Maße auch die internationale Solidarität und das Eintreten für den gemeinsamen Kampf über Ländergrenzen hinweg – gegen das Verbot des Streiks in der Metallindustrie in der Türkei und mit dem Streik der polnischen Bergarbeiter gegen die von der EU forcierten Zechenstilllegungen, um Fracking durchzusetzen.
Der entschlossene Kampfwille vieler Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter nährt sich auch aus dem Bestreben, den Kampf gegen die Ausbeutungsoffensive in den Betrieben aufzunehmen.
Notwendig ist heute auch, dazu überzugehen, weitergehende politische Ziele in der Tarifrunde zum Gegenstand zu machen, die Rente mit 67 abzulehnen, für eine Rente mit 60 bzw. mit 55 für Frauen bei vollem Rentenausgleich einzutreten. Für eine Ausbildungsquote von 10 Prozent, die unbefristete Übernahme der Auszubildenden nach der Ausbildung und die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Weg mit dem Gesetz der Bundesregierung zur weiteren Einschränkung des Streikrechts, für ein allseitiges und vollständiges gesetzliches Streikrecht. Zukunftsweisend ist auch, dass in einigen Branchen wie im öffentlichen Dienst (Länder) bzw. auch im Versicherungsgewerbe Forderungen nach einem Festgeldsockel aufgestellt werden, weil dies die unteren Lohn- und Gehaltsgruppen stärkt. Das käme besonder den Frauen zu Gute. Oder auch die Forderung, dass Teilzeitbeschäftigte das Recht bekommen, jederzeit wieder in Vollzeit zu wechseln, was auch überdurchschnittlich viele Frauen betrifft.
Reinhard Funk