Griechenland: Wo ist der Ausweg?

Mit dem Wahlsieg von Syriza (Bündnis der radikalen Linken) am 25. Januar 2015 mit 36,5 Prozent der Stimmen entzogen die griechischen Massen den herkömmlichen bürgerlichen Parteien massiv das Vertrauen.

Die vorherige Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) fiel auf 27 Prozent, die sozialdemokratische PASOK kam nur noch knapp mit 4,7 Prozent ins Parlament. Der Protest gegen die Abwälzung der Krisenlasten durch das allein herrschende internationale Finanzkapital und die Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfond (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) auf die Massen ist in Griechenland am stärksten ausgeprägt. Er ist Teil des Widerstands gegen die EU-Krisenprogramme – vor allem in den südeuropäischen Ländern.

 

Merkel zynisch

Griechenland müsse zeigen, dass es zu Reformen bereit sei, forderte diese Woche Kanzlerin Angela Merkel zynisch während ihrer Japan-Reise. Als ob sie nicht wüsste, dass seit Beginn des EU-Diktats Griechenlands Schulden weiter auf 322 Milliarden Euro wuchsen, dass 90 Prozent der bisherigen sogenannten „Griechenlandhilfe“ direkt oder indirekt an das internationale Finanzkapital gingen – davon fast ein Drittel an deutsche Banken. Jeder vierte Euro des griechischen Staatshaushalts fließt inzwischen in Zinsen und Tilgung der Auslandsschulden.

Als ob sie nicht wüsste, dass Schulden und Armut parallel wachsen, dass 60 Prozent der 15 Millionen Griechen unter der Armutsgrenze leben1, über 30 Prozent nicht mehr krankenversichert sind2. Dass der Gesundheitsetat um 40 Prozent geschrumpft ist.2 Dass Leih- und Zeitarbeit sich unter den noch Beschäftigten ausbreiten3. Dass die Suizidrate sich verdreifacht hat.3 Dass in Gegenden wie Dykiti Macedonia die Jugendarbeitslosigkeit inzwischen bei über 70 Prozent liegt.3 Dass die Kürzungen bis ins letzte Detail gehen: So stieg 2011 die HIV-Infektionsrate innerhalb von sechs Monaten um 52 Prozent. Grund: Präventionsprogramme für Drogenabhängige endeten.2 Und diesen Kurs wollen Merkel, Wolfgang Schäuble und die EU-Troika ungebremst fortsetzen.

 

Nackte Erpressung

Von der ersten Stunde an reagierte die Troika auf das Wahlergebnis mit einer Verschärfung ihres Diktats. In den Verhandlungen forderten die Vertreter der Troika, dass die neue griechische Regierung die bisherigen Zwangs- und Knebelverträge nicht nur erfüllt, sondern zusätzliche Maßnahmenvorschläge an die EU macht. Griechenland legte am 21. Februar ein Programm vor, dass der Troika nicht weit genug ging.

Griechenland benötigt weitere Kredite, da es sonst mit der hohen Auslandsverschuldung in wenigen Wochen bankrott wäre. So muss das Land im Juli/August Staatsanleihen in Höhe von 6,7 Milliarden Euro bedienen, die sich in Händen der EZB befinden.

Während Griechenland rigoros auch nur ein Zahlungsaufschub verweigert wird, startete die EZB am 9. März das größte Geldprogramm ihrer Geschichte. 60 Milliarden Euro werden monatlich vor allem durch Aufkauf von Staatsanleihen an europäische Staaten ausgegeben. Ausdrücklich ausgenommen von diesem Geldsegen sind nur Zypern und Griechenland.

Die Troika buchte außerdem die rund 10 Milliarden Euro bereits gewährter neuer Kredite vom griechischen Bankenhilfsfonds (HFSF) an den Europäischen Rettungsfonds (EFSF) zurück. Damit wird der griechischen Regierung und den griechischen Banken jeder Zugriff darauf verwehrt. Mit diesem Schritt sei sichergestellt, dass das Geld „während der verlängerten Programmlaufzeit ausschließlich aufgrund von Entscheidungen der europäischen Bankenaufsicht“ eingesetzt werden könnte, so Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.4

 

Wer oder was ist faul?

Das imperialistische Diktat wird von einer Propagandawelle in den Massenmedien begleitet. Die „BILD“ schreibt von „Griechen-Raffkes“, die ganz Europa auf der Tasche liegen. Die griechische Regierung wird in der „FAZ“ als „Haufen durchgeknallter Polit-Anfänger“ und ihr Handeln als „politisches Ganoventum“ (FAZ) verunglimpft. Die Forderungen der neuen Regierung werden als „unfinanzierbar“ und „sozialromantisch“ verzerrt. Dieses Trommelfeuer richtet sich gegen eine wachsende Sympathie und Solidarität mit dem widerständischen griechischen Volk.

Tatsächlich verdient am Elend des griechischen Volkes neben dem internationalen Finanzkapital auch die griechische Monopolbourgeoisie. Allein 2013 wuchs das Vermögen der 565 griechischen Multimillionäre um 10 auf 70 Milliarden US-Dollar.5 Allein im Januar und Februar verschoben Angehörige der griechischen Bourgeoisie 20 Milliarden Euro ins Ausland.

Nicht die griechische Arbeiterklasse und breiten Massen sind faul. Das imperialistische System der Ausbeutung und Unterdrückung ist zutiefst verfault und parasitär.

 

Reparationszahlungen

So aggressiv die deutsche Regierung die Schuldentilgung einfordert, so säumig geht sie mit den eigenen Schulden um. Am 10. März brachte der griechische Regierungschef Alexis Tsipras erneut und berechtigt die Frage der deutschen Schulden aus dem II. Weltkrieg in die Diskussion. Die Hitler-Faschisten bedienten sich bei den Finanzministerien und Notenbanken der besetzten Länder. Nach heutigem Stand mindestens 3,5 Milliarden Euro stünde Griechenland an Rückzahlung zu. Aber Deutschland hat 1990 mit dem sogenannten „2+4-Vertrag“ einen Schuldenschnitt beschlossen – selbstverständlich, ohne ein Wort mit Griechenland oder anderen Gläubigern zu sprechen.

 

Regieren mit Rassisten?

Trotz dieser und anderer richtiger Forderungen hat sich die Tsipras-Regierung von ihrem eigenen „radikal linken“ Anspruch verabschiedet. Schon der Amtsantritt in Koalition mit der rassistischen und nationalistischen ANEL-Partei („Unabhängige Griechen“) war eine Unterwerfung gegenüber dem parlamentarischen Pragmatismus unter der Losung Hauptsache regieren. ANEL ist im Europaparlament mit der AfD verbunden und bekannt für rassistische Ausfälle gegenüber Flüchtlingen. Flüchtlinge werden in Griechenland ohnehin so schäbig behandelt, dass selbst Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) Anfang 2015 erneut einen einjährigen Abschiebestopp nach Griechenland verhängte. Statt diese Zustände zu beseitigen, macht Tsipras den größten Scharfmacher zum Verteidigungsminister: Panos Kammenos von ANEL. Tsipras und Syriza machten auch den ehemaligen Innenminister und Mitglied der konservativen ND Prokopis Pavlopoulos zum Staatspräsidenten – auch das geht. Beides ein Tabu für Menschen, die dem Kapitalismus radikal – heißt an die Wurzeln gehend – entgegentreten wollen.

 

Kniefall vor der Troika?

Bereits in der Vereinbarung zwischen der griechischen Regierung und der Führung der Euro-Zone vom 20. Februar wurde einen Monat nach dem Wahlsieg die Forderung nach einem Schuldenschnitt fallen gelassen. Praktische Verbesserungen, wie Hilfen für Bedürftige oder die Erhöhung des Mindestlohnes auf 750 Euro wurden ausgesetzt oder unter Finanzierungsvorbehalt gesetzt. Privatisierungen – so die des Hafens von Piräus – bleiben in Kraft und die versprochene Steuerbefreiung für Einkommen bis 12.000 Euro wird es nicht geben, ebenso nicht die Wiedereinstellung von 9.500 entlassenen Staatsbediensteten oder 300.000 neue Arbeitsplätze. Selbst Dimitris Belantis und Stathis Kouvelakis vom Syriza-Zentralkomitee kritisieren die Vereinbarung: „Die wichtigsten Punkte unseres Programms werden dadurch praktisch außer Geltung gesetzt.“6

Nur ein einziges – allerdings kostenneutrales – Zugeständnis gab es für die neue Regierung: die verhasste „Troika“ firmiert künftig als „europäische Institution“. Wie kosmetisch das ist, zeigt der deutsche Finanzminister Schäuble, der provokant weiter den verhassten Begriff „Troika“ verwendet.

Wenn die letzten Wochen etwas gezeigt haben, dann, dass auf dem Verhandlungsweg, mit Zugeständnissen, Lavieren und nationalen Tönen dem EU-Diktat nicht beizukommen ist. Tsipras’ illusionäre Vorstellungen, die EU könne durch „Reformen“ verändert und dadurch ein „anderes Europa“ erreicht werden, zerplatzen an der Wirklichkeit.

Die EU war, ist und bleibt „ein reaktionäres Bündnis imperialistischer Länder, in dem kein anderes Prinzip gilt als das der Macht: Unterordnung der schwächeren europäischen Länder unter die starken, Austragung der erbitterten Konkurrenz zwischen den imperialistischen Ländern, Bündelung der Macht für den internationalen Konkurrenzkampf gegen die imperialistischen Rivalen USA und Japan, gemeinsame Verschärfung der Ausbeutung der Arbeiterklasse und der breiten Massen in der EU und Unterwerfung der Mehrheit der Länder der Welt unter das Diktat des Neokolonialismus.“7

Auch eine nationale Abkoppelung Griechenlands ist vor dem Hintergrund der Neuorganisation der internationalen Produktion keine Lösung für die Probleme der Massen. Einerseits verfügt das europäische Finanzkapital über alle Machtmittel bis hin zu militärischen, um sein Diktat gegebenenfalls durchzusetzen. Andererseits würde ein Ausscheiden aus dem Euro notwendige Importe für Griechenland weiter extrem verteuern und den ohnehin geringen Export weitgehend zum Erliegen bringen. Die Lage für die Masse der Bevölkerung würde sich weiter verschärfen.

 

Wo ist der Ausweg?

Die Diskussion über den weiteren Weg ist auch in Griechenland voll entbrannt. Die Drohkulisse der EU und das Lavieren der Regierung wirft auch unter den Massen in Griechenland viele Fragen auf. Die Kritik an den Zugeständnissen der Syriza-Führung wächst. Bei einer Abstimmung in der Führung von Syriza stimmten vier Minister gegen das Abkommen. Nach einem bei „infopartisan“ veröffentlichten Bericht sind „die stärksten Einwände bei der Diskussion zur Abstimmung von Aktivisten der KOE (Kommunistische Organisation Griechenlands) und ,Kokkono‘ (Rot) gekommen. Letztere beide waren bereits bei der zweiten Massenversammlung der sogenannten Bewegung der Plätze aufgetreten, mit jeweils scharfen Thesen gegen die Regierungsposition.“ Die KOE gehört wie die MLPD der revolutionären Weltorganisation ICOR an. Bei einer Probeabstimmung auf einer Fraktionssitzung von Syriza hat ein Drittel der 149 Abgeordneten mit Nein oder Enthaltung gestimmt.

Am 14. November 2012 kam es in Europa zu einem ersten gemeinsamen europäischen Generalstreik. Das ist der Weg, gemeinsam und europaweit koordiniert gegen die Abwälzung der Krisenlasten zu kämpfen. Für diesen Weg steht unter anderem das Treffen der europäischen Weltfrauen vor wenigen Wochen nahe Athen. Sie haben „den Weg des Kampfs gewählt“.8

Aber auch ein noch so entschlossener Kampf wird an der Diktatur des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals nichts ändern. Diese Macht muss gestützt werden. Nicht nur in Griechenland, auch in Spanien, Portugal, letztlich in allen EU-Ländern müssen parlamentarische Illusionen überwunden werden, um gemeinsam diesen Weg gehen zu können.

Die MLPD unterstützt die berechtigten Forderungen der griechischen Regierung und solidarisiert sich mit dem Widerstand des griechischen Volkes. Sie steht für die Vorbereitung der internationalen Revolution für die vereinigten sozialistischen Staaten der Welt. Aufbau und Stärkung marxistisch-leninistischer Parteien und ihre Zusammenarbeit im Rahmen der ICOR sind dafür unerlässlich – auch diese Erkenntnis wächst – nicht nur in Griechenland. Rebellion gegen die EU ist gerechtfertigt!

 

 

1 www.wiwo.de

2 www.br.de

3 www.rtl.de

4 „Tagesschau“ vom 21.2.15

5 „Spiegel online“, 12.2.15

6 www.DieFreiheitsliebe.de

7 ‑„Götterdämmerung über der ,neuen Weltordnung‘“, S. 362

8 Siehe Bericht Seite 6 dieser Ausgabe

 

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