Erziehungs- und Sozialdienst: Unbezahlbar?

Seit dem 8. Mai stehen 240.000 Beschäftigte im kommunalen Erziehungs- und Sozialdienst in einem unbefristeten Streik.

Aufgerufen sind nicht nur Erzieherinnen und Erzieher in KiTas, sondern auch an Horten, offenen Ganztagsschulen, in Jugendzentren, in der Schulsozialarbeit, in Heimen für Kinder und Jugendliche sowie Beschäftigte in Einrichtungen der Behindertenhilfe. Mit der großen Mehrheit von 93,4 Prozent bei ver.di, 96,4 bei der GEW und 96,5 beim Beamtenbund wurde der Streik in Urabstimmungen beschlossen. Hohe Kampf- und Streikbereit­schaft zeigten zuvor schon Zehntausende bei Warnstreiks und Protestaktionen. Die Streikenden reihen sich ein in eine Belebung gewerkschaftlicher Kämpfe mit den Streiks der GDL1, den Post-Beschäftigten, Klinik-Beschäftigten in der Berliner Charité, Piloten, angestellte Lehrkräfte oder im Einzelhandel. Einige dieser Streiks haben wichtige poli­tische Aspekte. Das 17. Internationale Pfingstjugendtreffen und vor allem die Zukunftsdemo am Pfingstsamstag sind beste Gelegenheiten für die Streikenden, ihre Anliegen einzubringen.

Die Streikenden im Erziehungs- und Sozialdienst fordern eine nachhaltige Aufwertung ihrer Arbeit. Sie wollen eine Neu­regelung ihrer Eingruppierungsvorschriften und Tätigkeitsmerkmale sowie Einkommensverbesserungen. Denn noch immer gelten die Tätigkeitsmerkmale von 1991. Zum Teil werden Beschäftigte beim Wechsel des „Dienstherren“ wie Berufsanfänger eingruppiert. Die Forderungen von ver.di bedeuten im Schnitt eine Erhöhung von 10 Prozent für die Beschäftigen.

Die Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) hatte sich in bisher fünf Verhandlungsrunden geweigert, irgendetwas an den tariflichen Eingruppierungen zu ändern.

Obwohl die VKA bisher rigoros jedes Zugeständnis abgelehnt hat, behauptet VKA-Hauptgeschäftsführer Manfred Hoffmann: „Es gibt keinen Grund, … einen Streik zu organisieren und die Kinder und ihre Eltern so massiv zu belasten.“

Höhere Eingruppierung gerechtfertigt

Die Anforderungen an die Beschäftigten im Erziehungs- und Sozialdienst sind in den letzten 20 Jahren erheblich gestiegen. Allein seit 2012 hat sich die Zahl der KiTa-Plätze verdoppelt. Aber lediglich 17 Prozent neue Erzieher/innen wurden eingestellt. Die Kindergruppen haben sich so stark vergrößert. Zudem werden wesentlich höhere Ansprüche an die Kinder- und Jugenderziehung gestellt – insbesondere durch eine vorschulische Bildungsarbeit, die Inklusion (den Einschluss) von Behinderten usw. „Wir sind Berater, Manager, Planer, Begleiter, Tröster, Mutmacher, Zuhörer, Ausbilder, wir erklären, verbinden, vermitteln, schreiben, berichten, dokumentieren, resümieren, rechnen, stellen Statistiken auf, müssen einstecken, geben weiter, müssen aushalten, der Realität ins Auge sehen, durchhalten und weitermachen …“, so Petra Müller, eine der Streikenden auf der Kundgebung des DGB am 1. Mai in Gelsenkirchen: „Wir haben ein riesi­ges Repertoire an Fähigkeiten und Berufskenntnissen.“

Durch Ausweitung der Arbeitszeiten, oftmals versetzte Schichten der Eltern, dem Abladen von Pflege- und Gesundheitsleistungen auf die Familien usw., nehmen psychische Belastungen rapide zu, zerrütten mehr Familien und steigt die Zahl der Alleinerziehenden drastisch. Die chronische Krise der bürgerlichen Familienordnung überträgt und verlagert sich als zusätzliche Anforderungen in den Erziehungs- und Sozialdienst. Die Zahl verhaltensauffälliger und hyperaktiver Kinder nimmt zu, auch Defizite z. B. bei der Sprachentwicklung. Auf die Sozialarbeit kommen so immer mehr Belastungen aufgrund der krisenhaften gesellschaftlichen Entwicklung zu.

Leere Kassen?

Die VKA stellt die geforderten Anpassungen als „nicht angemessen und nicht bezahlbar“ hin. Kein Geld für KiTas, da sind sich VKA und Bundesregierung offenbar einig. Letztere hat bereits in ihrem Koalitionsvertrag ein schon zugesagtes „Investitionsprogramm KiTa-Qualität“ nachträglich gestrichen. Die Rechtfertigung, für höhere Löhne der Erzieher/innen sei „kein Geld“ da, ist nichts anderes als der Versuch, die Krise der kommunalen Finanzen auf die Beschäftigten und auf die Familien abzuwälzen. Die Krise der Kommunen ist Teil der staatlichen Umverteilung, denn die im Staatshaushalt vorhandenen Mittel werden immer stärker auf die Förderung der größten internationalen Monopole konzentriert.

Von 2013 auf 2014 haben die Massen in Deutschland 6 Mil­liarden Euro mehr Mehrwertsteuer bezahlt – insgesamt 203,1 Milliarden Euro. Um 10 Milliarden stieg die Lohn­steuer. Der Anteil der großen Kapitalgesellschaften am Gesamtsteueraufkommen sinkt dagegen und beträgt nur noch 3,2 Prozent.2 Gleichzeitig wurde vor allem Monopolunternehmen von der EEG-Umlage befreit, was einer Subvention von jährlich 5 Milliarden Euro gleichkommt. Die Mehrkosten tragen die kleinen Stromkunden.

Im aktuellen Streik entbrennt die Auseinandersetzung , wer die Kosten tragen soll, wenn es zu Lohnerhöhungen kommt. Die bürgerliche Politik will vor allem die Eltern zur Kasse bitten. Die VKA behauptet, jeder Euro Erhöhung müsse „durch Gebührenerhöhungen oder Einsparungen an anderer Stelle finanziert werden.“ Oder: Man würde Einrichtungen schließen müssen.

Die MLPD kritisiert diese Richtung prinzipiell und fordert in ihrem Programm die kostenlose und qualifizierte Ganztagsbetreuung der Kinder in Krippen, Kindergärten, Horten und Ganztagsschulen“. Dafür müssen die Kommunen durch eine Gemein­definanzreform entlastet werden. Dazu gehört unter anderem die konsequente Anwendung des Konnexitätsprinzip: Wer ein Gesetz beschließt, wie zur U3-Betreuung, ist auch für die Finanzierung verantwortlich. Die Gewerbesteuer insbesondere für große Unternehmen muss erhöht werden. Fortschrittliche und revolutionäre kommunalpolitisch aktive Menschen fordern zudem einen Schuldenschnitt für Kommunen.

Aber sämtliche dieser notwendigen Reformen können die dem Kapitalismus gesetzmäßig innewohnende Tendenz der staatlichen Umverteilung ebenso wenig beseitigen, wie die anderen Krisen des Kapitalismus. Die staatliche Regulierung der staatsmonopolistischen Wirtschaft verschlingt im Gegenteil einen immer größeren Teil des Bruttosozialprodukts in allen kapitalistischen Ländern. Die allgemeine und universelle Krisenhaftigkeit wurde sogar zum charakteristisches Merkmal der heutigen kapitalistischen Gesellschaft.

Kritik an Klassenzusammenarbeit

Der Streik im Erziehungs- und Sozialdienst ist wie die Streiks der Lokführer auch eine praktische Kritik an der Richtung der immer offeneren Klassenzusammenarbeit, wie sie vor allem von den Führungen der IG BCE, IGM, IG BAU und EVG3 jetzt mit einem Bündnis „Zukunft der Industrie“ mit den Unternehmerverbänden und der Regierung verabredet wurde. Darin ist die Rede von „Sozial­partnerschaft“ und „vertrauensvoller Zusammenarbeit“. Diese vielbeschworene „Sozialpartnerschaft“ ist eine Farce. Wenn die Profite zur Disposition stehen, wollen Konzerne und Regierung davon nichts mehr hören. Da werden Werke wie Opel Bochum geschlossen oder aktuell bei Siemens Tausende Arbeitsplätze vernichtet – „vertrauensvoll“ und „sozialpartnerschaftlich“ versteht sich.

Überhaupt wird von bürgerlichen Politikern und Medien gerne verbreitet, Streiks seien nicht mehr „zeitgemäß“. Sie gehörten in die „Mottenkiste des Klassenkampfes“. Demagogisch wird erklärt, wenige Streikende würden große gesellschaftliche Gruppen (Bahnkunden, Flugreisende, Eltern usw.) als „Geiseln“ nehmen.

Damit werden die den Streiks zugrunde liegenden Klassengegensätze vernebelt und die Anfälligkeit der internationalen Monopole überdeckt. Denn gerade in der hoch organisierten internationalen Produktion sind Streiks eine scharfe Waffe.

Insbesondere gegen die Streiks der GDL wird massiv Stimmung gemacht, wird gelogen, gehetzt und verunglimpft, weil ihr Streik „die Wirtschaft“ in der Tat empfindlich trifft.

Die Manipulation der öffentlichen Meinung zielt darauf ab, das Streikrecht wie mit dem „Tarifeinheitsgesetz“ weiter einzuschränken. Insofern, dass nur noch die jeweils größte Gewerkschaft eines Unternehmens tarif- und damit streikfähig wäre. Das Streikrecht muss verteidigt und erweitert werden. Zugleich ist eine kritische Diskussion mit der GDL berechtigt. Eine weitere Aufsplitterung der Belegschaften mit unterschiedlichen Tarifverträgen – wie von der GDL zum Teil angestrebt – ist nicht im Sinne einer kämpferischen Einheitsgewerkschaft – bei aller berechtigter Kritik an der Klassenzusammenarbeitspolitik des EVG-Vorstandes. Tatsächlich zeitgemäß ist das Eintreten für gemeinsame Gewerkschaften als Kampforganisationen. Und genauso zeitgemäß ist die Forderung „Für ein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht!“

Streikgegner ist mit der VKA ein Teil des bürgerlichen Staatsapparats, was den besonderen politischen Aspekt ausmacht. Anders als die streikenden Lokführerinnen und Lokführer können die Erzieherinnen vor allem politischen, aber weniger ökonomischen Druck aufbauen. „Manche Kommunen weigern sich sogar, den Eltern die KiTa-Gebühren zu erstatten“, so eine Streikende zur „Roten Fahne“. „Sogar das Essensgeld wird zum Teil einbehalten. Und unsere Löhne sparen sie auch.“ Eine Forderung der Streikenden ist, dass alle Kommunen die Eltern auszahlen.

Selbstbewusste Frauen

Gerade in den „Dienstleistungsbereichen“, in denen vor allem Frauen arbeiten, entwickelt sich seit längerem ein Frauenbewusstsein sowie ein neues kämpferisches Bewusstsein und entsprechende gewerkschaftliche Strukturen. Grundlage ist auch eine zuneh­mende Anpassung ihrer Arbeitsverhältnisse an die in der Industrie, z.B. durch die Privatisierung der Bahn, der Krankenhäuser usw. oder durch die Verwandlung von Beamten in Angestellte, wie bei den Lehrerinnen und Lehrern.

Bereits 2009 gab es einen 13-wöchigen, allerdings zeitlich versetzten Streik in den KiTas. „Diesmal haben wir in der Gewerkschaft durchgesetzt, dass wir alle gleichzeitg streiken“, so eine Bochumer Streikaktivistin.

Perspektive

Die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich gehört unbedingt in die aktuelle Auseinandersetzung. In vielen Betreuungseinrichtungen gilt längst wieder die 39,5-Stunden-Woche. „Hinzu kommen oft zwei bis drei, meist unbezahlte Überstunden“, berichtet eine Bochumer Erzieherin der „Roten Fahne“. „Das muss man wissen, wenn man hört, dass ausgebildete Erzieherinnen, Heilerziehungspflegerinnen, Sozialpädagoginnen usw. in Vollzeit zwischen 1.800 und 3.100 Euro brutto verdienen.“ Oft bekommen die Frauen aber gar keine Vollzeitstelle oder sind aus persön­lichen Gründen in Teilzeit.

Die Genossinnen und Genossen der MLPD beteiligen sich aktiv am Streik. Die gesamte Partei unterstützt den Streik. Wohngebietsgruppen der MLPD organisieren die Solidarität, planen Besuche usw. Sie laden die Streikenden zum überparteilichen 17. Internationalen Pfingstjugendtreffen ein und besonders zur Zukunftsdemo am Pfingstsamstag. Dort haben die Anliegen der Strei­kenden Platz und es geht um weitergehendere Fragen der Jugendpolitik. Zum Beispiel die Kritik an der bürgerlichen Sozialpädagogik, die Jugendliche und Kinder entmündigt, verhätschelt oder perspektivlos lässt. Die MLPD fördert und fordert Kinder und Jugendliche, sie will sie zum selbständigen Denken und Handeln erziehen. Ihr Jugendverband, der REBELL, organisiert dafür eine allseitige Lebensschule der proletarischen Denkweise.

Die Marxisten-Leninisten stehen für die gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus: den echten Sozialismus. Im echten Sozialismus werden die Frauen „systematisch in alle Bereiche der gesellschaftlichen Produktion und Verwaltung einbezogen und die privaten Einzelfamilien von den gesellschaftlichen Aufgaben wie Kindererziehung und Haushaltsführung entlastet … Alle gesellschaftlich notwendigen Aufgaben werden auch gesellschaftlich organisiert. Die Befreiung der Frau ist eine vorrangige gesellschaftliche Aufgabe.“ (Programm der MLPD)

 

 

1 Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer

2 Siehe auch Artikel Seite 12

3 Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (DGB-Gewerkschaft)

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