Lokführer, Erzieherinnen, Postler … – Streiks im Aufwind
Dazu kommen viele weitere Kämpfe der Lehrer, der Amazon-Beschäftigten usw. Am 9. Juni gingen rund 6.000 Kolleginnen und Kollegen bei Siemens auf die Straße – im Rahmen eines seit langem erstmals wieder durchgeführten konzernweiten Aktions- und Streiktages. Sie protestierten gegen das Arbeitsplatzvernichtungsprogramm „Vision 2020“. Bei HSP in Dortmund streikte die Belegschaft am 1. Juni selbständig 24 Stunden lang gegen die geplante Werksschließung. Am 16. Juni führte sie eine kämpferische Demonstration in Salzgitter sowie anschließend neue Streiks durch. Die unermüdliche Kleinarbeit der MLPD und ihrer Betriebsgruppen zur Stärkung des Geists der Arbeiteroffensive trug zu dieser gesamten Entwicklung bei.
Kampfwille wächst
Vor allem die gewerkschaftlichen Streiks beleben sich. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft fielen 2015 bisher 500.000 Arbeitstage durch gewerkschaftliche Streiks aus. Das sind dreimal mehr als im gesamten Vorjahr. Der letzte Höhepunkt gewerkschaftlicher Streiks war in den Jahren 1992/1993. 1993 fielen insgesamt 600.000 Arbeitstage durch gewerkschaftliche Kämpfe aus.
Nicht erfasst sind in dieser Statistik die Höhepunkte selbständiger Streiks und Streikwellen wie die tagelangen Streiks der Bergleute und Stahlarbeiter 1997 und die vielen konzernweiten Streiks der Jahre 2004/2005 mit dem Höhepunkt des Opel-Streiks in Bochum. Er leitete damals den Übergang zur Arbeiteroffensive auf breiter Front ein. Vor allem in der Weltwirtschafts- und Finanzkrise von Ende 2008 bis 2014 waren sowohl gewerkschaftliche wie selbständige Streiks stark zurückgegangen. 2011 hatte sie einen Tiefpunkt erreicht. Die jetzige Belebung der Arbeiterkämpfe drückt ein gewachsenes Klassenbewusstein aus.
Angebliche „Sachzwänge“ werden attackiert
Viele Gewerkschaftsmitglieder sind nicht mehr bereit, sich vermeintlichen „Sachzwängen“ wie dem internationalen Konkurrenzkampf der Postdienste oder Drohungen mit „Bahnchaos“ und „leeren kommunalen Kassen“ unterzuordnen. Sie streiten selbstbewusst für ihre Forderungen und setzen sich mit der Verzichtslogik der bürgerlichen Politiker und Unternehmerverbände auseinander. Die positive Gewerkschaftsarbeit der MLPD, die Mitarbeit ihrer Betriebsgruppen an Kollegenzeitungen sowie unzählige Diskussionen der Mitglieder der MLPD im Kollegenkreis haben daran einen wichtigen Anteil. So meint ein Leserbrief-Schreiber im „Kölner Stadt-Anzeiger“ zum Streik der KiTa-Beschäftigten: „Angeblich sei kein Geld da, sagen dann die Sachzwang-Prediger. Natürlich ist das Geld da, es wird nur für andere Prioritäten ausgegeben. Das mediale Streik-Gejammer geht mir auf den Nerv.“ (3.6.2015)
Starke politische Züge
Die ver.di-Forderung nach Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe richtet sich gegen eine wesentliche Auswirkung der doppelten Ausbeutung der Masse der Frauen im Kapitalismus. Denn wie andere „typische Frauenberufe“ werden sie heute als „Zuverdienst“-Möglichkeit abqualifiziert. Gleichzeitig wird die Arbeitskraft der Frauen niedriger bewertet, weil sie aufgrund ihrer Belastungen in der häuslichen Familienarbeit nicht uneingeschränkt für die Ausbeutung zur Verfügung steht.
Auch die Gewerkschaft der Deutschen Lokomotivführer (GDL) fordert in ihren Streiks nicht „nur“ höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, sondern weist zudem das neue „Tarifeinheitsgesetz“ zurück, mit dem Streiks kämpferischer Gewerkschaften und Berufsverbände verhindert werden sollen.
Beim Poststreik geht es um die Wiedereingliederung bzw. tarifliche Gleichstellung der in 49 ausgelagerten Gesellschaften der Paketzustellung beschäftigten Kolleginnen und Kollegen und die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung von 38,5 auf 36 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich. Von Anfang an politisierte sich die Auseinandersetzung bei der Post auch durch massive Einschüchterungsversuche von Streikenden und den Einsatz von Beamten als Streikbrecher.
Im Gegenwind gestärkt
Die Rechnung der Unternehmerverbände und der Regierung geht nicht auf. Sie machten Stimmung gegen die streikenden Lokführer, die Bahnreisende in „Geiselhaft“ nähmen, und versuchten Eltern und KiTa-Erzieherinnen gegeneinander aufzubringen.
Allen Streiks ist gemeinsam, dass die Kolleginnen und Kollegen solchen Versuchen trotzten und dabei noch selbstbewusster wurden. Die GDL-Mitglieder wiesen die Spaltung durch oft persönliche Angriffe auf ihren Vorsitzenden Claus Weselsky zurück: Sie sind keine Handpuppen ihres Gewerkschaftschefs und entscheiden selbst, ob und wie lange sie streiken. Vorwürfe, dass „kleine Minderheiten“ ihre „Privilegien“ verteidigten, wurden überzeugend widerlegt, indem die Belastungen durch die Arbeitsbedingungen, Schichtarbeit usw. publiziert wurden. Außerdem erleichtern erfolgreiche Tarifabschlüsse auch Tarifkämpfe in anderen Bereichen – nicht umgekehrt.
Gegen Versuche, sie gegeneinander aufzuhetzen, verbündeten sich Eltern der KiTa-Kinder mit den Erzieherinnen und diese suchten den Schulterschluss mit den Eltern. Auf einer gemeinsamen Streikkundgebung in Dresden berichteten Streikaktivisten von der Post, wie sie mit dem massiven Druck auf Streikende umgehen: „Das schweißt uns aber noch mehr zusammen, wir lassen uns nicht erpressen.“
Im Gegenwind der Medienmanipulation schärften die Streikenden ihre Argumente. Grundlegende Fragen der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und der Eigentumsverhältnisse werden aufgeworfen und diskutiert: die Frage des Streikrechts, die Entwicklung und Perspektive der Gewerkschaften und vieles mehr. Beim Siemens-Aktionstag meinte ein Redner in Nürnberg, „… im Kapitalismus folgt ein ,Sparprogramm‘ dem nächsten“. Er habe „genug davon“ und könne „dieses Wort gar nicht mehr hören“.
Um der Konfrontation ihre Schärfe zu nehmen, suchten Bahn-Vorstand und „kommunale Arbeitgeber“ ihre Zuflucht jeweils in Schlichtungsverfahren. Dabei konnten sie sich im öffentlichen Dienst auf eine nach den letzten großem Streiks 2009/2010 eingeführte reaktionäre Regelung stützen, nach der es ausreicht, wenn „eine Seite“ die Schlichtung anruft.
Weitere Proteste und Demonstrationen konnten die Unternehmervertreter auch damit nicht verhindern. Allein am 13. Juni nahmen rund 26.000 Menschen in Hannover, Nürnberg, Köln und Dresden an DGB-Kundgebungen zur Unterstützung der Arbeitskämpfe bei der Post, den Erzieher- und Sozialdiensten teil. Sie treten für die Gewerkschaften als Kampforganisationen ein. Und es rumort in weiteren Bereichen. In vielen Industriebetrieben stehen Ankündigungen zur Arbeitsplatzvernichtung im Raum. Im Groß- und Außenhandel sowie erneut bei den Piloten stehen die Zeichen ebenfalls auf Streik.
Einfluss des offensiven Geistes der Opelaner und des Linkstrends
Ein wesentlicher Ausgangspunkt der Belebung der Kämpfe ist der Geist der Unbeugsamkeit der Bochumer Opelaner gegen die Werksschließung. Die Belegschaft hatte im März 2013 mit 74,6 Prozent die Erpressung mit ungesicherten Versprechungen abgelehnt und bis zum Schluss die Schließung nicht akzeptiert.
Nicht zuletzt passt die gegenwärtige Belebung von Streiks zum Linkstrend unter den Massen, der durch die Ausstrahlung des erfolgreichen Befreiungskampfs der Kurden in Kobanê genauso bestärkt wurde wie durch die antifaschistisch-internationalistische Massenbewegung, die „Pegida“ zum Scheitern brachte.
Die MLPD fördert das Klassenbewusstsein und trägt dazu bei, dass der Gedanke des Kampfs für den echten Sozialismus Verbreitung findet. Sie hilft den Arbeitern, ihre Erfahrungen mit der Klassenzusammenarbeitspolitik zu verarbeiten und Lehren daraus zu ziehen.
Immer wieder werden Belegschaften wie bei HSP in Dortmund vor die scheinbare Alternative gestellt, entweder auf Lohn bzw. einen Teil der Arbeitsplätze zu verzichten oder sofortige Massenentlassungen bis hin zur Werksschließung hinzunehmen. Die HSP-Belegschaft bekommt aktuell zu spüren, wozu diese Verzichtslogik führt. Noch Anfang des Jahres hatte die Betriebsratsspitze der Einführung des Zwei-Schichtbetriebs und Vernichtung von 163 Arbeitsplätzen zugestimmt – mit dem Versprechen, die restlichen Arbeitsplätze zu erhalten. Kein halbes Jahr später kam der Schließungsbeschluss.
Bergleute rücken ins Zentrum
Auf den letzten beiden Zechen im Ruhrgebiet wird heftig diskutiert, den Kampf gegen die Zechenschließung aufzunehmen und damit auch das Fracking dort zu verhindern. Die Zeche Auguste Victoria in Marl soll dieses Jahr geschlossen werden. Dieser Plan kommt gründlich durcheinander, weil die kämpferische Bergarbeiterbewegung und die Betriebsgruppen der MLPD der Ruhrkohle AG (RAG) empfindliche Niederlagen beibrachten. Als Reaktion darauf kündigte die RAG im April den Gesamtsozialplan, strich Zugeständnisse und Rentenanteile, auch an schon vorzeitig ausgeschiedene Bergleute. Insbesondere die schon bisher trügerische Zusicherung „keine betriebsbedingten Kündigungen“ ist mit der Auflösung des Gesamtsozialplans weggefallen. Die RAG will offensichtlich zu offenen Kündigungen und Massenentlassungen übergehen.
Der RAG-Vorstand im Bündnis mit der Betriebsratsspitze versucht, die Situation mit antikommunistischer Hetze in den Griff zu bekommen. Auf der Betriebsversammlung der Zeche Prosper in Bottrop am 14. Juni hetzte der Betriebsratsvorsitzende Mirko Skela vom Podium offen gegen die Kollegenzeitung „Vortrieb“ und unterstellte ihr Lügen. Der „Vortrieb“ hatte die Kündigung des Sozialplans mit seinen ganzen Folgen öffentlich gemacht. Peinlich für Skela, dass unmittelbar danach er selbst die Punkte, die der „Vortrieb“ veröffentlicht hatte, ausführte. Prompt kam ein Zuruf aus der Belegschaft: „Dann hatte der ,Vortrieb‘ ja doch recht!“ Dumm gelaufen.
Die Bergleute stehen jetzt wie andere Belegschaften vor der Entscheidung: lassen sie sich von einer Stimmung „alles schon gelaufen“ und antikommunistischer Stimmungsmache beeinflussen oder gehen sie in die Offensive gegen die Zechenschließungen, gegen das geplante Fracking, gegen die Vergiftung des Grundwassers durch PCB und eingelagerten Giftmüll, für die Aufrechterhaltung der Wasserhaltung bis alle tickenden Zeitbomben unter Tage auf Kosten der RAG beseitigt sind.
Sie können sich der Unterstützung durch die Arbeiterinnen und Arbeiter anderer Branchen, durch die Volks-, Umwelt- und Frauenbewegung und die MLPD gewiss sein. Wichtigstes Kettenglied ist die Erhöhung der Organisiertheit, angefangen von der Mitgliedschaft in den Gewerkschaften über die Mitarbeit in weiteren kämpferischen Selbstorganisationen bis zur Organisierung in MLPD oder REBELL, um der Arbeiteroffensive und der sozialistischen Alternative zum Durchbruch zu verhelfen.