Rebellion gegen die EU ist gerechtfertigt!

Ein Aufschrei durch alle Nachrichtensendungen und den europäischen Blätterwald bis zur offenen Hetze: „So stürzt Tsipras Europa ins Chaos“ („BILD“), „Griechische Ruinen“ („FR“). Was ist passiert?

Am 5. Juli wird in Griechenland aller Voraussicht nach eine Volksbefragung über die neuen Forderungen der EU-Troika aus EU-Kommission, IWF und Europäischer Zentralbank (EZB) stattfinden. Schon Stunden nach dieser Ankündigung erklärte Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem das Ende des EU-Programms und das Verfallen bereitstehender Kredite.

Wenige Stunden später erklärt die EZB, dass sie die Notkredite (ELA) der griechischen Notenbank an die griechischen Banken auf dem Niveau vom 26. Juni 2015 einfriert. Am Dienstag wurde eine von Griechenland fällige Rate an den IWF über 1,6 Millionen Euro nicht bezahlt. Das erste Mal, dass die Tsipras-Regierung nicht pünktlich und vollständig fällige Zahlungen leistete. Sie verwirklichte bisher eine Zahlungsmoral, von der alle anderen EU-Staaten sich eine Scheibe abschneiden könnten. Tausende gingen auf die Straße, um ihre Regierung zu stützen. Die Mehrheit der Bevölkerung will zwar im Euro bleiben, doch forderten 59 Prozent gleichzeitig, nicht nachzugeben.(1)

Provokative Verschärfung

Vorausgegangen war der unverblümte Versuch der Erpressung der griechischen Regierung durch die Troika. Obwohl Tsipras ihr im Vorfeld bereits weit entgegengekommen war, haben die EU-Finanzminister im Stil einer Kolonialmacht die griechischen Vorschläge in ihrem Sinne umgeschrieben. Die EU-Troika fordert unter anderem den weiteren Abbau von Arbeiterrechten und Einschränkungen des Mindestlohns. Mit Schuldentilgung hat dies wenig zu tun, aber viel mit besseren Ausbeutungsbedingungen.

Angst vor der nächsten Krise?

In den gedämpften Tönen von Kanzlerin Angela Merkel und dem Einschalten von US-Präsident Barack Obama zeigt sich die Furcht des alleinherrschenden internationalen Finanzkapitals vor einer wachsenden Instabilität.

Schon im April sprach IWF-Chefin Christine Lagarde von einer akuten Gefahr des erneuten Ausbruchs einer Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Im März lag die Industrieproduktion der EU um 9,2 Prozent unter dem Höchststand vor der Krise.

Mit der aktuellen Zuspitzung entfaltet sich die offene EU-Krise weiter.

Die Rolle der deutschen Regierung

Griechenland im Euro halten, aber ein knallhartes Diktat aufzwingen – das ist die Politik der deutschen Regierung. Intensiv war Merkel persönlich an der Ausarbeitung der als „großherziges Angebot“ deklarierten Verschärfung an die griechische Regierung beteiligt. Scheinheilig betonen deutsche Politiker jetzt verbreitet die verheerenden Folgen von Tsipras’ Entscheidung für die einfachen Leute. EU-Politiker wie Edmund Stoiber (CSU) behandeln bei Günther Jauch die SYRIZA, namentlich Theodoros Paraskevopoulos, wie dumme Schuljungen, die man duzt. Allen Ernstes beschwert er sich, dass Griechenland immer noch einen höheren Lebensstandard habe als Slowenien. Auch die SPD-Führung lässt noch am Sonntag „Empörung über das Vorgehen Athens“ verlauten(2).

Woher kommen die Schulden Griechenlands?

Griechenland hat im letzten Jahr mit neun Prozent den höchsten Exportzuwachs in der ganzen Eurozone. Seine Neuverschuldung liegt mit geschätzten 2,1 Prozent 2015 unter der von Belgien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Kroatien, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien und Ungarn. Würden Zinszahlungen herausgerechnet, wäre Griechenland neben Deutschland das einzige Land mit einem Haushaltsüberschuss.

Gerne wird behauptet, die Schulden würden aus der Zeit vor dem EU-Beitritt stammen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Selbst die Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg räumt ein, dass die Staatsverschuldung Griechenlands sich vor allem seit 2008 stark erhöht hat.(3) Die Behauptung bürgerlicher Ökonomen, enorme und zu schnelle Lohnerhöhungen vor 2008 wären die Ursache der Verschuldung, ist eine reine Legende. Andere Länder wie Dänemark haben höhere Löhne oder schnellere Zuwächse, wie zum Beispiel Ungarn. In keinem der Länder konnte ein direkter Zusammenhang zwischen Löhnen und Staatsverschuldung nachgewiesen werden.(4)

Eine Ursache ist allerdings in der Weltwirtschafts- und Finanzkrise zu suchen. In ihrer Abdämpfung stieg die Staatsverschuldung in sämtlichen europäischen Ländern und weltweit stark an.

Wenn behauptet wird, dass Griechenland über seine Verhältnisse gelebt habe, dann gilt das sicher nicht für die Bevölkerung. Auf Drängen von NATO und EU liegt der Rüstungshaushalt Griechenlands gemessen am Gesamthaushalt doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt. Willfährige griechische Regierungen kauften noch 2010 in Frankreich sechs Fregatten für 2,5 Milliarden Euro. Deutschland verkaufte Griechenland im gleichen Zeitraum sechs U-Boote zum Preis von einer Milliarde Euro.(5) Dafür wurden Kredite gewährt. Bei jedem Otto-Normalverbraucher, der mit den Raten für sein Auto nicht nachkommt, pfändet die Bank das Auto. Von Griechenland will niemand die U-Boote zurück. Hier sollen stattdessen die Renten weiter sinken.

Ein weiterer Grund für das griechische Schuldenelend ist zweifellos die mangelnde Steuer­moral. Genau das will die griechische Regierung ändern. Interessant ist dabei, dass die EU-Troika sich in den vergangenen Wochen wiederholt gegen Versuche der griechischen Regierung ausgesprochen hat, die Unternehmenssteuern zu erhöhen.

Von wegen großzügig

Europäische Banken geben seit 2008 dem griechischen Staat Milliardenkredite. Derzeit können sie sich Geld bei der EZB für null Prozent Zinsen leihen. Griechenland bekommt dann das Geld für „großzügige“ ein Prozent Zinsen. Über 40 Milliarden Euro haben die Banken so bereits an Zinszahlungen verdient.(6) 90 Prozent der sogenannten „Griechenlandhilfe“ gehen direkt oder indirekt an das internationale Finanzkapital, ein Drittel davon an deutsche Banken. Jeder vierte Euro des griechischen Staatshaushalts fließt in Zinsen und Tilgung der Auslandsschulden.(7)

Teuerste Rente Europas“?

Die griechischen Staatsausgaben für Renten und Pensionen sind mit 16,2 Prozent des BIP 2013 zwar relativ hoch. Das liegt aber nicht an zu hohen Renten, sondern an der geringen Wirtschaftsleistung des Landes! Als Troika-Auflage wurde das Rentenalter 2013 auf 67 Jahre erhöht. Und zwar ab 2022 und damit schneller als in jedem anderen Land. Die durchschnittliche Rente beträgt 664,69 Euro. Bauern erhalten mit 67 eine Rente von 431 Euro. Auch im öffentlichen Dienst gibt es mit durchschnittlich 1.011 Euro keine „Luxusrenten“! Zusatzrenten werden nur Beschäftigten ohne zeitweise Arbeitslosigkeit oder Ähnliches gezahlt. Etwa 700.000 Menschen leben mit Renten unter der offiziellen Armutsgrenze von 665 Euro – und da sind die Bauern und ihre Familien noch nicht einmal eingerechnet. Ein kleines Appartement in Athen kostet circa 300 Euro im Monat, vor allem Grundnahrungsmittel sind teuer.(8)

Wer würde einen Grexit zahlen?

Deutsche Medien und Politiker schüren die Angst, dass die „Griechenlandpleite“ teuer für „die“ Deutschen würde. Der deutsche Staat haftet tatsächlich mit einem bestimmten Prozentsatz für die Gelder, die von der Euro-Zone und vom IWF an Griechenland geflossen sind.(9)

Die Wirklichkeit wird aber verschleiert, wenn von „den Deutschen“ die Rede ist, die dafür gerade stehen sollen. Denn mit dem Geld werden vor allem Banken bedient – die Arbeiterklasse und Massen in Deutschland und Südeuropa müssen zahlen. Nicht die Verursacher des Staatsbankrotts, sondern seine Opfer würden zur Kasse gebeten.

Zwickmühle der Imperialisten

CSU-Großmaul Markus Söder plauderte aus, was die EU-Mächtigen lieber nicht so offen sagen. Er warnt vor der „Ansteckungsgefahr …, dass Länder sich sagen: Machen wir doch das griechische Modell und wählen einfach nur sehr extreme linke Regierungen …“(10). Tatsächlich verzeichnet die Partei Podemos in Spanien mit dem Programm des Schuldenschnitts und Austritts aus dem Euro Gewinne bei den Lokal- und Regionalwahlen. Die portugiesische Bevölkerung muss die harten Auflagen der EU-Troika schultern, weil ihre Regierung sie ohne Widerstand umgesetzt hat. Auch in Großbritannien und Frankreich gibt es ein Erstarken der EU-Gegner, teilweise aus dem rechten bzw. faschistischen Lager. Das ist der Hintergrund klagevoller Töne Junckers, man sei „bis an die Schmerzgrenze gegangen“, man würde „die Tür offen halten“. Die EU-Imperialisten fürchten die politischen Folgen der griechischen Volksbefragung am 5. Juli und möchten sie am liebs­ten vermeiden: Gewinnt Tsipras, ist klar, dass sich die Masse der Bevölkerung nach wie vor der rigorosen Abwälzung der Krisenlasten auf ihrem Rücken widersetzt. Verliert er, kommt es eventuell zu Neuwahlen oder einem Rücktritt der Regierung, wird Politisierung, Radikalisierung bis hin zur Revolutionierung der Massen umso wahrscheinlicher.

Die MLPD begrüßt uneingeschränkt den Widerstand gegen die EU-Programme. Dazu schreibt Monika Gärtner-Engel im Namen der MLPD an SYRIZA, in der auch die Kommunistische Organisation Griechenlands (KOE) mitarbeitet: „Wir versichern euch unsere volle Solidarität im Kampf gegen das Diktat von EU-Kommission, IWF und EZB – der immer noch aktiven Troika! Mit der Wahl von Syriza haben die Massen in Griechenland unterstrichen, dass sie die Abwälzung der Krisenlasten auf ihren Rücken nicht mehr hinnehmen. Das ist vollständig berechtigt!

Mit dem Referendum gebt ihr das Signal: Das Volk muss selbst entscheiden. Das ist völlig richtig! Und gerade deswegen wird nun international – gerade auch in Deutschland – eine beispiel­lose Hetze losgetreten. Dagegen vertreten wir Marxisten-Leninisten in Deutschland unbeirrbar: Der Kampf der griechischen Massen ist auch unser Kampf!

Zugleich wird deutlich, dass solche Kämpfe heutzutage gar nicht in einem Land erfolgreich ausgefochten werden können.“

Was ist die Lösung?

Griechenland befand sich 2010 im Übergang in eine revolutionäre Gärung mit einer Serie von Generalstreiks. Europas Herrschenden ist es nicht gelungen, den Widerstandswillen des griechischen Volkes zu brechen.

Der Chef des Europäischen Rettungsschirms, Klaus Regling warf SYRIZA vor, ein anderes als das kapitalistische Wirtschaftssystem für Europa zu wollen.(11) Darüber gibt es bei der heterogenen Syriza-Partei geteilte Meinungen. Ein „anderes Europa“ lässt sich aber nicht am Verhandlungstisch der EU durchsetzen. Diese Erkenntnis wächst. Nötig ist die Ausrichtung und Organisierung eines europaweiten harten Kampfs der europäischen und griechischen Arbeiterklasse und Volks­massen gegen das EU-Diktat.

Schon Ende Januar brachten die griechischen Vertreterinnen auf der Europakonferenz der Weltfrauen zum Ausdruck, dass sie die neue Regierung „kritisch beobachten und nicht von den Straßen weichen“ werden. Das ist besonders bedeutsam, weil die kämpferische Frauenbewegung organisiert im Weltfrauenprozess vorgeht.

Am 20. Mai organisierten Krankenhausbeschäftigte aus Verwaltung und Pflege mit den Ärzten einen 24-Stunden-Streik gegen die desaströsen Auswirkungen auf das Gesundheitswesen. Am 31. Mai und 1. Juni streikten die Fluglotsen. Am 11. Juni besetzten Vertreter der Gewerkschaft PAME der revisionistischen KKE das Finanzministerium. Ende Juni gab es Demonstrationen von Rentnern gegen die geplanten Verschärfungen.

Außer den linken Kräften in SYRIZA setzt sich so vor allem die KKE an die Spitze der wachsenden Massenproteste, während gleichzeitig die Rechte zur Destabilisierung der SYRIZA-Regierung mobilisiert.

Ende Mai sprachen sich im ZK der SYRIZA 44 Prozent der Delegierten für einen Antrag der KOE aus, die wie die MLPD Mitglied der ICOR ist. Sie forderten darin die Maximalforderungen aus dem Wahlprogramm umzusetzen. Mit 47 Prozent waren nur knapp mehr Delegierte für den moderateren Tsipras-Kurs.(12)

Europaweiter Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten – Rebellion gegen die EU ist gerechtfertigt! Das geht nur, wenn die revolutionären Kräfte gestärkt werden. Sie müssen die Kämpfe gegen das alleinherrschende internationale Finanzkapital und seine Regierungen länderübergreifend im Rahmen der ICOR koordinieren und revolutionieren. Das erfordert auch eine starke marxistisch-leninistische Partei in Griechenland. 

 

Quellen:

1 Meinungsforscherungsinstitut Public Issue, 23.6.15

2 „Frankfurter Rundschau“, 29.6.15

3 Ursachen der Krise in Griechenland, www.lpb-bw.de

4 Nach Angabe G.S.A. e.V.

5 „Rote Fahne“ 13/2015, Seite 17

6 www.zeit.de, 5.6.15

7 „Rote Fahne“ 11/2015, Seite 4

8 „Neue Zürcher Zeitung“, 19.6.15

9 Bei Verlusten der EZB liegt der Anteilssatz bei 25,57 Prozent. Bei IWF-Krediten 6,12 Prozent. www.spiegel.de, 30.6.15

10 Interview „Deutschlandfunk“ am 30.6.15

11 Sendung „Günther Jauch“ am 26.6.16

12 „telepolis“ vom 25.5.15

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