Willi Dickhut und der Aufbau einer demokratisch-antifaschistischen Volksfront in Solingen ab April 1945, Teil 2
Willi Dickhut im Jahr 1945
In „Rote Fahne“ 33/2015 wurde über den Aufbau einer Volksfront in Solingen auf demokratischer und antifaschistischer Grundlage infolge des II. Weltkriegs berichtet. Willi Dickhut, Marxist-Leninist, führend an der Befreiung Solingens vom Hitler-Faschismus beteiligt und später Vordenker und Mitbegründer der MLPD, hatte dabei führenden und prägenden Einfluss. Hier der zweite Teil des Artikels:
Schon unmittelbar nach Kriegsende verwendete Willi Dickhut große Energie auf den legalen Wiederaufbau der KPD zu einer alle antifaschistischen Kräfte anziehenden Massenpartei. Für die damals noch illegale KPD in Solingen war er die unbestrittene „führende Persönlichkeit“1. Gleichzeitig mit der Schrift über die Strategie und Taktik verfasste er Anfang Mai eine Schrift „Probleme der proletarischen Einheit“. Darin hieß es:
„Die Massen wünschen eine Einheit der Arbeiterklasse auf revolutionärer Basis. Da das Ziel der Arbeiterklasse – die Erringung der sozialistischen Gesellschaftsordnung – nur auf revolutionärem Wege erreicht werden kann, unterstellen sich die Massen bereitwillig der Führung der Kommunisten, sofern diese eine klare marxistisch-leninistische Linie vertreten und sich durch Aktivität im Kampf bewähren. Kann diese Voraussetzung durch eine Verschmelzung der KPD mit der SPD durch Bildung einer Einheitspartei erfüllt werden? … die Bildung einer solchen Einheitspartei, die auf einen Mischmasch von revolutionären Phrasen und reformistischen Handlungen fundiert ist, (ist) falsch …“2
Später schrieb er dazu:
„Unsere Haltung den Sozialdemokraten gegenüber war grundsätzlicher Art. Wir waren nicht prinzipiell gegen eine Verschmelzung beider Parteien, aber das sollte erst nach grundsätzlichen Diskussionen und Anerkennung des Marxismus-Leninismus durch die Sozialdemokraten geschehen. Wir ließen uns auch nicht von dem egoistischen Verhalten der maßgeblichen SPD-Mitglieder hier am Ort verleiten, um grundsätzlich eine Vereinigung abzulehnen.“3
Trotz noch nicht hergestellter Legalisierung entfalteten Hunderte KPD-Genossinnen und Genossen eine gewaltige Aktivität zum praktischen und politischen Wiederaufbau – in den Betrieben, in Massenorganisationen und in der Kommunalpolitik. So wie es Willi Dickhut auch in seiner Schrift vom Mai klargestellt hat:
„Sollen Kommunisten staatliche oder kommunale Funktionen übernehmen? Jawohl! Alle Kommunisten haben in diesen Funktionen die Aufgabe, praktisch und positiv in allen Zweigen des öffentlichen und betrieblichen Lebens im Interesse der werktätigen Bevölkerung zu arbeiten. Es kommt nicht darauf an, durch radikale Parolen oder Phraseologie und unter dauernder Betonung des Kommunismus unter den Massen zu wirken und zu agitieren, sondern wir werden einen wachsenden Einfluss gewinnen, wenn wir tatsächlich die Aktivisten bei der Durchsetzung der Volksinteressen beim Wiederaufbau und dergleichen sind …“4
Unmittelbar nach der Genehmigung von Parteigründungen durch die Alliierten wurde die KPD am 7. Oktober 1945 legal neu gegründet. 1.000 Teilnehmer der Gründungsversammlung verabschiedeten die Gründungsentschließung und wählten Willi Dickhut zum ersten Vorsitzenden des vorläufigen Kreisvorstandes. Ende 1945 hatte die KPD in Solingen wieder knapp 1.500 Mitglieder – in 98 Straßengruppen und neun Betriebsgruppen. „Es gab rund 450 Funktionärs-Kader, die auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens die Initiative ergriffen und mit Hilfe der anderen Parteimitglieder überall Aktivität und Zusammenarbeit mit anderen Organisationen entfalteten.“5
Das Ringen um die proletarische Einheitsfront
Die proletarische Einheitsfront als Rückgrat der Volksfront bedeutete nach den bitteren Erfahrungen der Niederlage gegen den Faschismus vor allem die Wiederherstellung der Einheit der Arbeiterklasse. In seiner Schrift zur Strategie und Taktik vom Mai 1945 schrieb Willi Dickhut:
„Die Einheit der Arbeiterklasse ist eine dringende Notwendigkeit! Die Arbeiterklasse ist die einzige fortschrittliche Klasse überhaupt. Die anderen demokratischen Schichten des Volkes sind Verbündete der Arbeiterklasse. Nur dann, wenn die Arbeiterklasse geschlossen und mächtig auftritt, werden sich alle schwankenden Elemente dieser Kraft anschließen. Die Aufspaltung der Arbeiterklasse muss überwunden werden. Auf gewerkschaftlichem Gebiet gilt es zuerst eine organisatorische Einheit herzustellen und zwar in einer Einheitsgewerkschaft. Im Verlaufe des Kampfes und nach gründlicher Durchdiskutierung aller grundsätzlichen und praktischen Fragen muss auch eine organisatorische Einheit der Arbeiterklasse auf politischem Gebiet erfolgen. Unser Ziel muß sein: Schaffung einer einheitlichen, einzigen Arbeiterpartei! In allen Orten muß unsere Parteileitung mit der Parteiführung der SPD eine Arbeitsgemeinschaft bilden. In gemeinsamen Gesprächen müssen alle Fragen, die die Arbeiterklasse angehen, gemeinsam beraten und demgemäß gemeinsamer Beschlüsse gefaßt werden.“6
Diese Richtlinie wurde auch mit Energie in die Tat umgesetzt: Schon im Mai wurden in vielen Betrieben antifaschistische Vertrauenskörper als Grundlage für den späteren Aufbau der Einheitsgewerkschaften gewählt. Zwei Genossen stellten als frühere Gewerkschaftssekretäre den Antrag auf Bildung einer Einheitsgewerkschaft. Trotz Querschüssen reformistischer Gewerkschaftsfunktionäre fand am 11. August 1945 eine erste gemeinsame Sitzung von fünf Vertretern der früher weltanschaulich gespaltenen Gewerkschaften statt – ein wichtiger Schritt zur Gründung einer neuen Einheitsgewerkschaft.
Gemeinsamer Aktionsausschuss
Gegen mindestens ebenso heftiges Störfeuer rechter Sozialdemokraten wurden ein gemeinsamer Aktionsausschuss von KPD und Sozialdemokraten gebildet und dafür Richtlinien verabschiedet. Diese Zusammenarbeit von Sozialdemokraten nicht nur an der Basis, sondern auch auf Leitungsebene war eine wesentliche Lehre aus der Spaltung der Arbeiterbewegung vor 1933. Sie wurde von Willi Dickhut bis in die 1950er Jahre beispielhaft mit bundesweitem Aufsehen fortgeführt. Das war damals allerdings nur möglich, weil die SPD damals noch von ihrer sozialen Zusammensetzung her eine Arbeiterpartei war und sich auch noch nicht programmatisch wie dann ab dem Godesberger Programm 1959 vollends als Partei des Monopolkapitals etabliert hatte.
Die von Willi Dickhut mit Sozialdemokraten gemeinsam gegründete „Antifaschistische Volksfront Solingen“ wurde nur einen Tag nach Einmarsch der Amerikaner von ihm initiiert und noch unter den Bedingungen der Illegalität am 18. April mit 120 Teilnehmern beschlossen. Im leitenden Aktionsausschuss waren vier Kommunisten, zwei Sozialdemokraten und zwei Parteilose. Willi Dickhut wurde ihr Sekretär.7 Die Chronik des Solinger Stadtarchivs (künftig „Chronik“) nennt als „deren Aufgaben: Erfassung der Namen berüchtigter Nazis in Listen, die nach Überprüfung dem CIC vorgelegt werden sollen; Heranziehung von Nazis zum Wegräumen von Schutt u.ä.; Bildung einer Anti-Hitler-Jugend; Bildung antifaschistischer Betriebsausschüsse.“
Selbstbewusst beanspruchte dieses erste antifaschistische Gremium auf Beschlussvorlage von Willi Dickhut die Kontrolle über die provisorische Stadtverwaltung.8 Auch wenn dieser Beschluss von den rechten SPD-Führern heftig bekämpft und hintergangen wurde, schuf sich die „Antifa“ schnell eine selbständig organisierte Massenbasis:
„Wir organisierten trotzdem eine breite Basis der Antifa in allen Stadtteilen. Die Massen drängten danach, sich politisch zu betätigen. Innerhalb von zwei Wochen stampften wir eine Massenbewegung aus dem Boden. Vierzehn Stadtteilausschüsse wurden gebildet, mit je einem Vorsitzenden und Stellvertreter. Hier waren alle politischen Richtungen vertreten, eine echte Volksfront. Das paßte dem Major Hall und den Managern der SPD ganz uns gar nicht.“9
Diese Art von organisierter demokratischer Selbständigkeit unter führendem Einfluss von Kommunisten versuchte die US-Besatzungsmacht im Keim zu ersticken. In einem US-Geheimdienstbericht heißt es:
„Am 15. Mai durchsuchte das CIC die Räume des Zentralausschusses und wies den Sekretär Dickhut an, allen Orts- und Arbeitsausschüssen mitzuteilen, sie seien aufgelöst. … Am darauf folgenden Tag wurde die Bewegung verboten. … Die Beziehungen zwischen den Kommunisten und der Militärregierung wurden jedenfalls abgebrochen. …“10
Doch Willi Dickhut ließ sich nicht beirren, um die Antifa-Bewegung „über die Zeit des Verbots … intakt hinüberzuretten und lebendig zu erhalten. Zu diesem Zweck stellte sich die Partei, als der Motor der ganzen antifaschistischen Bewegung, die Aufgabe, in allen Stadtteilen und Straßen Stubenversammlungen durchzuführen. … So nahmen allein im Juni an 150 Stubenversammlungen 1.205 Menschen teil, darunter 18 Stubenversammlungen für Frauen mit 156 Teilnehmern. Und das alles trotz Verbot durch die Militärregierung.“11
„Antinazi-Bewegung“ wird aktiv
Als im Juni die britischen Militärs die US-Amerikaner in Solingen ersetzten, stellte Willi Dickhut erneut den Antrag auf Zulassung einer „Antinazi-Bewegung“.12
Nüchtern hält die „Chronik“ dazu fest: „15. Juni: Unter dem Namen ,Antinazibewegung‘ wird die Antifa wieder zugelassen. Wichtigste Ziele sind: Wiedererstehen der Stadtteilkomitees, der Betriebsvertretungen, Bildung der Antinazi-Jugend und einer Einheitsgewerkschaft. …
27. Juni: ,Antinazi-Bewegung‘ bildet Zentralausschuß, mit Willi Dickhut, Artur Meistermann (Zentrum, kath. Christen; später CDU; d. Verf.), Lehwalder (ev. Christen; d. Verf.) und Cuno Meisenburg (KPD; d. Verf.) an der Spitze. Aufgabe: ,die Einwohnerschaft für einen schnellen Aufbau des wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens im freien demokratischen Geist zu mobilisieren.‘“
Dieser Kampf einer breiten selbständigen antifaschistischen Massenbewegung unter Führung von Kommunisten, die politischen, sozialen und ökonomischen Geschicke der Stadt maßgeblich zu prägen, stieß auf den entschiedenen Widerstand der Besatzungsmächte und der opportunistischen SPD-Führer, die sich den Besatzern anbiederten, um wieder Pöstchen zu erhaschen. So schrieb die „Chronik“: „30. Juni: Oberbürgermeister Brisch gibt in einer Besprechung mit der Militärregierung zu erkennen, dass er von einer Zusammenarbeit mit der Antinazi-Bewegung nichts hält. Nach seinen jahrelangen Erfahrungen im Stadtkreis möchte er eindringlich davor warnen, unverantwortlichen Elementen eine Freizügigkeit zu gewähren, die die Ruhe und Ordnung selbst in einer für die Militärregierung unangenehmen Weise schließlich gefährden könnten.“
Willi Dickhut verurteilte diese Kumpanei: „Die amerikanische Besatzungsmacht benutzte die sozialdemokratischen Postenjäger, um den starken Einfluß der Kommunisten in Solingen zurückzudrängen.“13
So wurde der Kampf um einen antifaschistisch-demokratischen Neuanfang als Übergang zum Kampf um den Sozialismus von den US-amerikanischen und britischen Behörden bewusst sabotiert und letztlich verhindert. Denn diese wollten in Westdeutschland zwar den Einfluss des Faschismus und Militarismus zerschlagen, aber nur, um Westdeutschland in ihren kapitalistischen Einflussbereich einzugliedern und später als Vorposten gegen den entstehenden sozialistischen Block aufzubauen. Und die rechten Sozialdemokraten spielten deren wichtigsten Erfüllungsgehilfen innerhalb der Arbeiterbewegung und der Kommunalpolitik.
Die „Antinazi“-Bewegung wurde unter diesem Druck sowie aufgrund der ab Herbst 1945 zulässigen Parteigründungen aufgelöst. Willi Dickhut konzentrierte sich daher zunächst auf den Wiederaufbau der KPD, die Weiterentwicklung der Arbeitsgemeinschaftspolitik mit der SPD und die erfolgreiche Bildung eines „Blocks demokratischer Parteien“ aus KPD, SPD, CDP (Vorgängerin der CDU) und LDP (Vorgängerin der FDP). Im Februar 1946 wurden der Kommunist Albert Müller zum ersten neuen Oberbürgermeister nach dem Krieg und Willi Dickhut zum Stadtverordneten in Solingen ernannt. Die Strategieänderung der westlichen Alliierten zur Restaurierung der Macht des deutschen Imperialismus, der eng damit verbundene reaktionäre Antikommunismus der Adenauer-Ära mit dem Verbot der KPD 1956 begruben schließlich diese hoffnungsvollen Ansätze.
Der Kampf der Solinger Kommunisten unter der Führung von Willi Dickhut von 1945 ist nicht nur historisch interessant. Er ist auch ein hervorragendes Lehrbeispiel für die Strategie und Taktik und Methode des antifaschistisch-demokratischen Kampfes als Übergang zum Kampf um eine sozialistische Gesellschaft.
1 Ralf Rogge, Stadtarchiv Solingen, „Willi Dickhut – Anmerkungen zur Bedeutung für Solingens Stadtgeschichte“ vom 20. Mai 2015, S. 1
2 „So war’s damals …“, S. 372 f.
3 ebd., S. 374
4 ebd. S. 386
5 ebd., S. 472
6 ebd., S. 385
7 Faksimile in „So war’s damals …“, S. 387
8 „So war’s damals …“, S. 375 und „Chronik“
9 „So war’s damals …“, S. 379
10 ebd., S. 391
11 ebd., S. 395 f.
12 ebd., S. 397
13 ebd., S. 393