„Regierung verstößt gegen Genfer Flüchtlingskonvention“
Peter Klusmann
Interview mit Rechtsanwalt Peter Klusmann
Rote Fahne: In den letzten Wochen verstärkt sich die Stimmungsmache gegen Flüchtlinge. Was ist davon zu halten, wenn jetzt der Eindruck erweckt wird, mit ihnen kämen massenhaft kriminelle Elemente nach Deutschland?
Peter Klusmann: Das ist durch nichts belegt. Eine typische Methode der Stimmungsmache ist, dass wichtige Fakten unterschlagen werden. So werden z. B. männliche Migranten aus bestimmten Ländern jetzt pauschal mit sexueller Gewalt gegen Frauen in Verbindung gebracht. Diese ist natürlich durch nichts zu entschuldigen. Sie ist aber leider auch in der deutschen Gesellschaft verbreitet und keineswegs ein spezifisches Migrantenproblem. Bestimmte Straftaten nach dem Ausländerrecht, wie etwa unerlaubte Einreise oder Verstöße gegen die sogenannte „Residenzpflicht“ (Pflicht, sich an einem bestimmten Ort oder Landkreis aufzuhalten), können überhaupt nur von Migranten begangen werden, da sie einem diskrimierenden Sonderrecht unterworfen sind. Solche Verstöße werden in der Statistik pauschal als „Ausländerkriminalität“ mitgezählt.
Offenbar dient dies als Vorwand für weitere Verschärfungen des Ausländerrechts …
Man muss erst einmal feststellen, dass das Ausländerrecht bereits im letzten Jahr zweimal gravierend verschärft worden ist. So wurde die der Liste der sogenannten „sicheren“ Herkunftsländer erweitert, Sozialleistungen für Flüchtlinge aus solchen Ländern wurden eingeschränkt – dies übrigens unter Verstoß gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – Abschiebungen dürfen den Betroffenen nicht mehr angekündigt werden, und vieles mehr. Von den jetzt hektisch propagierten weiteren Verschärfungen sind mir bisher drei Punkte bekannt:
Ausweisungen sollen nunmehr regelmäßig bei jeder Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe erfolgen, selbst wenn diese zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das würde auch Migranten mit kurzen Bewährungsstrafen betreffen und wäre völlig unverhältnismäßig.
Die Möglichkeit, anerkannten Flüchtlingen den Schutzstatus zu entziehen (bisher nur bei einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren möglich), soll ausgedehnt werden, um die Betroffenen in die Verfolgerstaaten abschieben zu können.
Auch für anerkannte Flüchtlinge sollen Wohnsitzbeschränkungen eingeführt werden. Dies wäre ein klarer und meines Erachtens bewusster Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, da das Bundesverwaltungsgericht bereits 2008 entschieden hat, dass dies nicht zulässig ist.
Setzt das nicht eine verstärkte Verbindung der Flüchtlingssolidarität mit dem Protest gegen die Regierungspolitik auf die Tagesordnung?
Es ist unerträglich, wie diese Regierung mit Frau Merkel an der Spitze sich einerseits als Anwältin von Menschenrechten weltweit darstellt und jetzt, nachdem sie im Sommer 2015 noch eine „Willkommenskultur“ propagiert hat, mit reaktionärsten Regimes wie der Erdo˘gan-Regierung der Türkei paktiert und hier das reaktionäre Ausländerrecht weiter verschärft. Deswegen ist es auch erforderlich, die Solidarität mit den Flüchtlingen und das Eintreten für ein wirklich umfassendes Asylrecht mit dem Protest gegen diese heuchlerische Politik zu verbinden.