Der Ursprung des Menschen

– eine Geschichte der Vermischung verschiedener Menschenformen (2. Teil)

Der erste Teil des Artikels (in „Rote Fahne“ 4/2016) behandelte den weltanschaulichen Streit, der um die ersten Urmenschen-Funde seit Mitte des 19. Jahrhunderts entbrannte. Die dialektische Deutung als Beleg einer evolutionären Entstehung des Menschen – unter anderem durch Friedrich Engels – wurde von der herrschenden bürgerlichen Wissenschaft unterdrückt. Sie ist bis heute umstritten.

Anfang des 20. Jahrhunderts rückte Asien immer mehr in den Fokus der Archäologen als mutmaßliche „Wiege der Menschheit“. Nach den Java-Funden von Eugène Dubois wurden ab den 1920er Jahren vier Schädel und Überreste von über 40 Individuen des „Peking-Menschen“ („Homo erectus pekinensis“) in der Zhoukoudian-Höhle nahe Peking gefunden.1 Die Ausgrabungsleitung in Zhoukoudian hatte Franz Weidenreich 1935 übernommen. Er entwickelte ab 1938 die Theorie der polyzentrischen Evolution. Sie besagt, dass die menschliche Evolution in verschiedenen Regionen der Welt überall dort stattfand, wo Frühmenschen lebten. Dies geschah nicht gleichzeitig. Regionale Varianten entwickelten sich kontinuierlich, andere starben aus.

Die menschliche Spezies war durch Migration und Gen-Austausch miteinander verbunden und fortpflanzungsfähig. Der Urmensch entwickelte sich weltweit aus frühen zu entwickelteren Typen. Franz Weidenreich dazu: „Die alte Theorie, die besagte, dass sich der Mensch von einem Zentrum aus entwickelte, von dem er sich immer wieder ausbreitete, wenn er eine neue Phase der Evolution erreicht hatte, ist nicht länger in Übereinstimmung mit den paläontologischen Tatsachen“.2

Sowjetische Archäologen kritisierten zugleich Einflüsse der idealistischen Weltanschauung bei Weidenreich. So vertrat dieser, die Evolution des Menschen würde allein aus den biologischen Entwicklungsgesetzen der Organismen bestimmt und nicht vor allem durch den Entwicklungsstand der Arbeit und der Gesellschaft.3

Noch Anfang der 1970er Jahre glaubte kaum ein Anthropologe, dass nur Afrika die „Wiege der Menschheit“ sei.4 In den folgenden Jahren wurde die „Out-of-Africa“-Theorie entwickelt, nach der der Mensch nur in Afrika entstand und bei seiner mehrmaligen Ausbreitung in die ganze Welt alle anderen Frühmenschen ersetzte. Darauf einigten sich im Mai 1982 in einer nichtöffentlichen Konferenz im Vatikan führende Urgeschichtsforscher in einem „prähistorischen Kompromiss“.5 Eine Reihe prominenter Archäologen lehnt dies grundsätzlich ab.6

2010 gelang der Nachweis, dass ein bis zwei Prozent des Erbguts (DNA) der heutigen Europäer und Asiaten von Neandertalern stammen. Damit erwies sich die traditionelle „Out-of-Africa“-Theorie als falsch, die die Vermischung mit Neandertalern leugnete.7 Da jeder Mensch andere DNA-Fragmente in sich trägt, schätzt der führende Steinzeitgenetiker Svante Pääbo, dass heute noch etwa 50 Prozent des gesamten Neandertaler-Genoms erhalten sind.8

Auf dem Gebiet der menschlichen Evolution wurde somit eines der Grundgesetze der Dialektik glänzend bestätigt: die Entwicklung als Negation der Negation (spiralförmige, qualitative Höherentwicklung). Rassisten und Faschisten haben Unrecht, die Menschen haben sich seit frühester Zeit stets vermischt. Schon gar nicht war die gewaltsame Auslöschung „niederer“ Menschenformen charakteristisch: „Man sieht schon in der älteren Zeit, dass sich Neandertaler mit modernen Menschen gemischt haben, Denisovaner mit modernen Menschen, Neandertaler mit Denisovanern, Denisovaner mit noch etwas Älterem.“8

Bisher kann nur in Afrika eine 4 bis 5 Millionen Jahre zurückreichende Entwicklung zum heutigen Menschen nachgewiesen werden. Doch auch in und um das heutige China gibt es Nachweise für fast 2 Millionen Jahre Menschwerdung.9 Schon viel früher als von der „Out-of-Africa“ behauptet haben sich also Frühmenschen in verschiedene Regionen der Welt ausgebreitet, sich dort weiterentwickelt und mit früheren bzw. späteren Entwicklungsformen des Menschen vermischt. Prof. Lutz Fiedler schreibt: „Wahrscheinlicher ist doch, dass sich die Herausbildung echter Menschenformen aus den Vorläufern … in einem viel größeren geographischen Rahmen abgespielt hat …“10

Die „Out-of-Africa“-Theorie engt diese dialektische Auffassung von der Entwicklung des Menschen auf eine einzelne Entwicklungslinie ein. Damit schafft sie nicht zuletzt Spielraum für die Vereinbarkeit mit der christlichen Schöpfungslehre. Das hat sie mit der „Urknalltheorie“ in der Kosmologie gemein, die die Entstehung des Weltalls aus dem „Nichts“ erklärt. In beiden Wissenschaftszweigen entfalten sich begründete Zweifel und Kritik an diesen metaphysisch-idealistischen Theorien.

(Korrespondenz Köln)

 

1 Djia Lan-Po: Die Heimat des Peking-Menschen, Peking 1976,

2 Franz Weidenreich, American Anthropologist, 3/1940,

3 G. F. Debez: Anthropogenie, Sowjetwissenschaft. Gesellschaftswissenschaftliche Abteilung, 1/1952,

4 Chris Stringer, Trends in Ecology & Evolution, 5/2014,

5 Yves Coppens, Spektrum der Wissenschaft, 12/1994

6 Zum Beispiel Richard Leakey, Philip Tobias, Milford Wolpoff, Nicolas Conard, Dietrich Mania, Marcel Otte, A.P. Derevianko, Robert Bednarik, Clive Finlayson und John Hawks

7 „Erbgut des Neandertalers entschlüsselt“, Rote Fahne, 19/2010,

8 Thüringische Landeszeitung, 18.11.2014,

9 K. Rosenberg/X.Wu, in: The Origins of Modern Humans, 2013

10 Lutz Fiedler: „Zweifel an Out-of-Africa“, www.altsteinzeit-hessen.de

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