„Die vorsätzliche Verbreitung von PCB in die Umwelt ist eine schwere Umweltstraftat“

„Die vorsätzliche Verbreitung von PCB in die Umwelt ist eine schwere Umweltstraftat“

Dr. Harald Friedrich: Wasser- und Abfallexperte

Die Rote Fahne sprach mit dem Wasser- und Abfallexperten Dr. Harald Friedrich. Der frühere Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Umweltministerium ist heute Berater des Arbeitskreises der Landesregierung zum Thema Giftmüll unter Tage

Rote Fahne: Worin sehen Sie die Problematik der unter Tage verbrachten Abfall- und Reststoffe?

Dr. Friedrich: Die Deponierung als ein Teil der Umwelttechnik baut darauf auf, gefährliche Abfälle aufgrund der toxischen Inhaltsstoffe derart technisch aufzubewahren, dass die Abfälle und deren Stoffausträge von der Biosphäre1 weitgehend und dauerhaft ferngehalten werden. Daher werden Filterstäube aus Müllverbrennungsanlagen trocken nach dem Prinzip des dauerhaften Einschlusses in Salzbergwerken unter Tage nach Stand der Technik deponiert. Eine Ablagerung in ausgebeuteten Steinkohle-Bergwerken, die nach Beendigung des Bergbaues geflutet werden, stellt das genaue Gegenteil an Sicherheit dar.

Gab es eine hinreichende wissenschaftliche und gesetzliche Grundlage für diese Art der Entsorgung?

Es gab damals von bergbaufreundlichen Instituten eine Studie, die in das politische Konzept des damaligen Umweltministers Matthiesen und der steinkohlefreundlichen Landesregierung passte. Mit wissenschaftlichen Sicherheitsüberlegungen vor allem unter Langzeitgesichtspunkten hatte das damals nur nachgeordnet zu tun. Im Vordergrund stand ein neues Geschäftsfeld für das Steinkohleunternehmen RAG.

Hatten die Reststoffe tatsächlich alle den sogenannten „puzzolanischen Effekt“2 für die Verfestigung in den ausgekohlten Stollen?

Die Genehmigungsbehörde hat damals versäumt, die übliche und gängige Nebenbestimmung in die Genehmigungen der Errichtung von Sonderabfalldeponien unter Tage aufzunehmen, nämlich täglich Prüfkörper von den angerührten Rezepturen der Sonderabfall-Gemische herzustellen. Da kein technischer Beleg vorliegt, kann heute keine naturwissenschaftlich verlässliche und durch tatsächliche Fakten belegbare Aussage getroffen werden, ob die Sonderabfälle überhaupt verfestigt wurden. Zudem wurden zusätzlich Stoffe unter Tage verbracht, die sich den Annahmen einer puzzolanischen Wirkung entziehen, bei denen tatsächlich die Verfestigung in Frage gestellt werden muss.

Welche Gefahren für die Bevölkerung gehen von dem unter Tage verbrachten Giftmüll aus, insbesondere bei einer Flutung der stillgelegten Bergwerke?

Da die wichtige Beweisführung in der Genehmigung für die Verfestigung weggelassen wurde, ist aus heutiger Sicht die Gefahr gegeben, dass sämtliche gefährlichen Inhaltsstoffe der Sonderabfälle sich in dem Grubenwasser lösen und bei Flutung der Bergwerke zur Erdoberfläche und in die Biosphäre gelangen. Die Rechtmäßigkeit der Genehmigung ist in Frage zu ziehen, formal-rechtlich mag dies eine Genehmigung darstellen, technisch stellt dies eine vorsätzliche Anlegung einer Altlast dar.

Welche Gefahren sehen Sie durch das unter Tage zurückgelassene PCB?

Der Bergbautreibende hat die 11.000 Tonnen PCB nicht ordnungsgemäß übertägig entsorgt, sondern sie vorsätzlich unter Tage belassen und geht bei der Flutung der Bergwerke das technisch eindeutige Risiko des Austrages von PCB mit dem Grubenwasser ein. Bei den PCBs handelt es sich um die giftigsten und krebserzeugendsten Substanzen, die von Menschenhand erzeugt wurden. Die vorsätzliche Verbreitung von PCB in die Umwelt stellt eine schwere Umweltstraftat dar.

Wo sehen Sie die Hauptverantwortlichen und was muss man von ihnen fordern?

Die Verantwortung liegt hier eindeutig in dem Zusammenwirken des Bergbautreibenden mit den Genehmigungsbehörden. Es ist nicht strafbar, den Genehmigungsversuch zu starten, PCB entgegen den gesetzlichen Vorgaben nicht ordnungsgemäß zu entsorgen. Die Bergbehörde hätte dem aber auf keinem Fall zustimmen dürfen, sie hat eine eindeutig strafrechtlich bewehrte Tätigkeit des Bergbautreibenden geduldet.

Die aktuelle Gefahrenabwehr kann nur und muss bedeuten, dass alle genehmigungsrechtlichen und genehmigungstechnischen Maßnahmen von den aktuell verantwortlichen Behörden und der Landesregierung ergriffen werden, jeden weiteren möglichen PCB-Austrag zu unterbinden und dem Bergbautreibenden mit einem rechtskräftigen Bescheid die Aufbereitung des Grubenwassers aufzugeben.

Die Aufbereitung des Grubenwassers kann durch den Bergbautreibenden finanziert werden. Immerhin hat er eine Summe in sechsstelliger Millionenhöhe eingespart, weil er das PCB nicht ordnungsgemäß entsorgt hat, und er hat weitere sechsstellige Millionenbeträge durch die Entsorgung der hochgiftigen Sonderabfälle vereinnahmt. Zudem sollten vordringlich alle Anstrengungen unternommen werden, die gefährlichen Abfallmengen in den noch nicht gefluteten Teilbereichen der Bergwerke, in denen sich die Unter-Tage-Deponiebereiche und die hot spots der PCB-Hinterlassenschaft befinden, vor dem Ansteigen des Grubenwassers zu bergen und einer korrekten Entsorgung zuzuführen.

Vielen Dank für das Interview!

 

1 Der Teil der Erde, der Leben ermöglicht und Lebensformen enthält

2 Chemische Reaktion von beigefügten Stoffen zur nachhaltigen Härtung von Beton

 

Dr. Harald Friedrich war Abteilungsleiter des NRW-Umwelt­ministeriums unter der Ministerin Bärbel Höhn (Grüne). Während der folgenden CDU/FDP-Regierung wurde er 2008 von Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) unter dubiosen Anschuldigungen aus dem Amt entlassen, nachdem er Belastungen des Trinkwassers im Ruhrgebiet mit gefähr­lichen Stoffen aus den Abläufen der Kläranlagen des Ruhr­verbands untersuchen ließ und aufgrund der schlechten Ergebnisse Maßnahmen zur Verbesserung des Trinkwassers forderte. Wer mehr über Dr. Harald Friedrich erfahren möchte:

http://www.anstageslicht.de/menschen-dahinter/dr-harald-friedrich/

 

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