Nach der Weltwirtschaftskrise wieder steigende Löhne und Gehälter?
In der Haushaltsdebatte im November 2016 kam Bundeskanzlerin Merkel zu dem Schluss: „Den Deutschen ging es noch nie so gut.“ Die Lebenswirklichkeit in vielen Familien sieht anders aus
Tatsache ist: Die Nettoreallöhne blieben 2016 unter dem Niveau von 1993. Sie betrugen 2008/2009 nur noch 90 Prozent der Kaufkraft von 1993. Mit Ausnahme von 2013 gab es nur sehr geringe Zuwächse (2015: 2,0 Prozent). Selbst 2016 wird der Stand der Nettoreallöhne von vor 24 Jahren mit 99,1 Prozent noch verfehlt.1 2017 zieht die Inflation wieder an.
2016 lagen in Deutschland die Nettoreallöhne im Vergleich zu 2015 mit 1,5 Prozent tatsächlich im Plus.1 Mit dem Ende der Weltwirtschaftskrise in Deutschland gab es einen stärkeren Anstieg der Brutto-Löhne und -Gehälter. Das war vor allem das Ergebnis von Tarifkämpfen gegen einen weiter anhaltenden Lohnraub. In den Krisenjahren war die Anzahl der Streikenden in Tarifauseinandersetzungen deutlich zurückgegangen. Seit 2012/2013 nahmen sie wieder erheblich zu und lagen 2013 bei 1,6 Millionen Streikenden, 2015 bei über 2,7 Millionen.2
Der Druck des Monopolkapitals auf die Löhne hat in Deutschland enorm zugenommen. Nicht nur durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors durch die Hartz-Gesetze, wofür auch der neue Heilsbringer Martin Schulz von der SPD mitverantwortlich ist. Seit 1998 haben die Monopolverbände die Tarifbindung von Betrieben und Beschäftigten bundesweit gesenkt. Arbeiteten in Westdeutschland 1998 noch 76 Prozent der Beschäftigten unter dem Schutz von Tarifverträgen und in Ostdeutschland 63 Prozent, sind es 2015 nur noch 59 Prozent in Westdeutschland und 49 in Ostdeutschland (siehe Schaubild). In Nordrhein-Westfalen arbeiten nur noch 48 Prozent aller Beschäftigten tarifgebunden, stellt die Hans-Böckler-Stiftung fest: „Damit wird die Legitimation des Flächentarifvertrags systematisch untergraben.“ 3
Mit den Hartz-Gesetzen und seit Ende der Weltwirtschaftskrise sinken – außer bei Metall und Chemie – die Reallöhne weiter. Die Unterschiede zwischen und innerhalb der Branchen werden stärker als früher – insbesondere durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors. Das hat dazu geführt, dass Unternehmen Produktion und Dienstleistungen in Tarifbereiche mit geringeren oder gar keinen Lohntarifen auslagern.
Die Entwicklung des Nettoreallohns als Durchschnittswert berücksichtigt auch nicht die horrenden Mieten in den Ballungszentren. In Hamburg stiegen die örtlichen Mieten seit 2010 um 12, in Berlin um 26 Prozent.4 Die weitere Enteignung der Kleinsparer durch die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank sowie die Gebührenerhöhungen bei Banken, Sparkassen und Kommunen tragen zum Lohnraub bei. Die wichtigsten Massensteuern (Lohnsteuer, Mehrwertsteuer …) machten 2016 70 Prozent des Gesamtsteueraufkommens aus. Das Steueraufkommen der Unternehmen gerade mal 18 Prozent.5 Wenn Merkel mit ihrem Ausspruch diese Spezies gemeint hat, dann kann man ihr ausnahmsweise mal nicht widersprechen.
1 aktualisierte GSA-Tabelle zu den Nettorealverdiensten 2016. Der Nettoreallohn ist der Lohn, den die Arbeiter und Angestellten nach Abzug von Steuern, Abgaben und Inflation tatsächlich in der Tasche haben.
2 GSA-Streik-Statistik
3 Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales NRW, 20. 4. 2017
4 Die Zeit, 15. 8. 2016
5 GSA-CD 2017 zur Entwicklung der Massen- und Unternehmenssteuern