Interview mit Gabi Fechtner (geb. Gärtner): Bewusstseinsbildung in aufgewühlten Zeiten vorantreiben!

Am 14. Mai – bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen – trat zum ersten Mal die Internationalistische Liste/MLPD an. Über die Bilanz sprach die Rote Fahne mit Gabi (sie heißt heute Gabi Fechtner).
Interview mit Gabi Fechtner (geb. Gärtner): Bewusstseinsbildung in aufgewühlten Zeiten vorantreiben!

Gabi Gärtner ist seit April Vorsitzende der MLPD und trat als Spitzenkandidatin des Internationalistischen Bündnisses in NRW an (rf-foto)

Rote Fahne: Bei den Landtagswahlen in NRW wurde die Kraft/Löhrmann-Regierung überraschend krachend abgewählt. Was ist da passiert?

 

Gabi Gärtner: Die Landtagswahl in NRW war für SPD und Grüne ein Debakel. Sie verloren zusammen circa 750.000 Stimmen und über 12 Prozentpunkte ihres Stimmenanteils. Sie hatten auf ein – auf Hannelore Kraft personifiziertes – System der kleinbürgerlichen Denkweise gesetzt. Das Bild der ausgleichenden Landesmutter, der „Kümmerin“, hatte aber schon länger Risse bekommen.

 

Auch die Lebenslüge von der sozialen Gerechtigkeit ist den Leuten immer weniger zu verkaufen. Der Heile-Welt-Wahlkampf, der tunlichst alle gesellschaftlichen Probleme ausblenden sollte, scheiterte angesichts der gesellschaftlichen Polarisierung. Auch die angeblich „strahlende Siegerin“ CDU fuhr ihr zweitschlechtestes Ergebnis in NRW seit dem II. Weltkrieg ein. Die NRW-Landtagswahl vertieft die latente Krise des herkömmlichen Regierungssystems der kleinbürgerlichen Denkweise. Da die NRW-Wahl Testwahl für die Bundestagswahl im September war, sandten die Ergebnisse Schockwellen in die Berliner Parteizentralen, insbesondere die von SPD und Grünen, und stürzten beide in offene Parteikrisen.

Ein Hintergrund ist, dass wenige Wochen vor der Wahl die Monopolverbände von der Option einer SPD-Grünen-Regierung in NRW oder im Bund abgerückt sind. Sie waren schon Anfang März Sturm gelaufen gegen die von SPD-Chef Martin Schulz geäußerten leisen Kritiken an der Agenda 2010. Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitergeberverbände (BDA), Ingo Kramer, tadelte diesen scheinheiligen Versuch, die Krise der SPD durch kleine Zugeständnisse an die Kritik der Arbeiter zu lösen: Das sei „verantwortungslos“1. Der Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbandsgruppe e. V.2, Wolfgang Schmitz, warnte Schulz davor, „wichtige Schritte der Agenda 2010 rückgängig zu machen … Schulz’ Rückwärtsrolle ist ein süßes Gift …“3.

 

Darauf ruderte Schulz prompt untertänigst zurück. Das unterstrich für die breiten Massen und die Arbeiter den Verrat der SPD an ihren Interessen. Bei ihnen ist die Kritik an der Agenda 2010 fest verankert – unter anderem durch die Montagsdemos. Die Internationalistische Liste/MLPD stand dagegen in den brennenden Fragen und Kämpfen der Arbeiter und ihrer Familien an der Spitze. Gerade auch da, wo die SPD an den sozialen und Umweltverbrechen beteiligt war wie beim Deputatklau oder Giftmüll unter Tage. Das wirkte sich verstärkend aus auf den schwindenden Masseneinfluss der SPD.

 

Die CDU hat die Wahl mit ihrem Hauptthema „Innere Sicherheit“ gewonnen. Zeigt das einen Rechtsruck unter den Massen?


Dieses Thema wurde nachweislich von den Monopolverbänden gemeinsam mit der CDU ins Zentrum gerückt. Drei Wochen vor der Wahl gab nicht nur der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) eine entsprechende Erklärung ab. An genau demselben Wochenende vom 21. bis 23. April veröffentlichte die CDU ihr 10-Punkte-Programm zur „Inneren Sicherheit“ und am 29. April Innenminister De Maizière (CDU) seine reaktionären Thesen zur „deutschen Leitkultur“.

 

Der Rechtsruck geht also klar von Monopolverbänden, Regierung und bürgerlichen Parteien aus, wenngleich ein Teil der Wähler dadurch beeinflusst wurde.


Ab da wurde die „Innere Sicherheit“ Hauptthema in den bürgerlichen Medien, mit Sondertalkshows, in den TV-"Duellen“ usw. So wurde versucht, ein Gefühl der Angst zu erzeugen, um den Rechtsruck der Regierung zu rechtfertigen. Die CDU wurde so mit einem ihrer „Kernthemen“ erheblich gepuscht. SPD, Grüne und Linkspartei kritisierten das nicht etwa, sondern passten sich reumütig an. Etwa ab Ende April drehten sich dann die anfänglichen Umfrageergebnisse – von circa 35 Prozent für die SPD, 30 Prozent für die CDU und unter 10 Prozent für die FDP – in Richtung des Wahlergebnisses4.

 

Der Rechtsruck geht also klar von Monopolverbänden, Regierung und bürgerlichen Parteien aus, wenngleich ein Teil der Wähler dadurch beeinflusst wurde. Die Wahl in NRW brachte die gesellschaftliche Polarisierung zum Ausdruck. Linke Parteien – einschließlich der Linkspartei – haben rund 230.000 Stimmen dazugewonnen.


Die Herrschenden haben manipulativ eine Koalition aus CDU und FDP durchgesetzt. SPD-Regierungen werden für die Monopole uninteressant, je weniger Einfluss sie auf die Arbeiterklasse und die breiten Massen haben. Merkel beherrscht das System der kleinbürgerlichen Denkweise derzeit besser als die SPD, der die Leute ihre halbseidenen Versprechen immer weniger abnehmen. So hat Merkel es mit Schützenhilfe der bürgerlichen Medien und Monopolverbände geschafft, die zeitweise verbreitete Stimmung gegen die Regierung wieder abzudämpfen. Parteienübergreifend gaben Wähler als zweitwichtigste Frage für die eigene Wahl „die unruhige weltpolitische Lage“ an; dabei sind 70 Prozent der Meinung5, dass Merkel dafür sorgt, dass es den Menschen in Deutschland trotzdem gut ginge.

 

In unserer weiteren taktischen Offensive müssen wir den Hauptstoß noch deutlicher gegen die verlogene Merkel’sche Politik und den Rechtsruck ihrer Regierung richten! Sie hat nicht etwa die Lage im Griff, sondern diese Regierung ist mit ihrer aggressiven imperialistischen Politik wesentlich mitverantwortlich für die krisenhafte Lage auf der Welt! In den Wochen vor der Wahl überwog immer mehr die negative Berichterstattung gegen die SPD-Ministerpräsidentin Kraft, die jetzt auf einmal als stets genervt und kritikunfähig dargestellt wurde. Das war sie aber schon lange! Nunmehr wurden diese Tatsachen aber von den bürgerlichen Medien systematisch in Szene gesetzt, um den Wechsel vorzubereiten.

 

Nach der NRW-Wahl treten Monopolverbände deutlich offener auf als während des Wahlkampfs, sind Gast in Talkshows und stellen offensiv ihre Forderungen. Der künftige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) traf sich am Tag vor Beginn der Koalitionsverhandlungen mit Vertretern der führenden NRW-Monopole zu einem vertraulichen „Industriegipfel“, um deren Leitlinien für die Koalitionsverhandlungen zu empfangen6.

 

Die AfD bekam über sieben Prozent der Stimmen. Waren die vielen antifaschistischen Proteste nicht ausreichend?


Die ultrareaktionäre faschistoide AfD hatte mit 7,4 Prozent und über 624.000 Stimmen einen erheblichen Zuwachs, wenn sie auch ihre hochtrabenden Ziele und in früheren Umfragen vorausgesagten zweistelligen Ergebnisse verfehlte. Auf ihrem Kölner Parteitag im April 2017 bekräftigte die AfD den Kurs der Leute um Alexander Gauland: sich nicht nach rechts von offen rassistischen und faschistischen Positionen und Kräften – wie dem Thüringer Björn Höcke – abzugrenzen.

 

In einem Interview erklärte Alice Weidel, die für diesen Kurs neu gekürte AfD-Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl: „Wir haben im Fall Höcke einen Dissens, aber das ist nicht weiter schlimm und stört unsere Arbeitsebene nicht. Wir müssen eng zusammenarbeiten, um im Wahlkampf die ganze Programmatik abdecken zu können.“7 Mit der „ganzen Programmatik“ meint sie, dass sich die AfD ausdrücklich weiter als Sammelbecken von Faschisten und Rassisten anbietet. Aufgrund dieser Politik ist die faschistoide Gruppe „Pro NRW“, die allein 110.000 Stimmen bei den letzten NRW-Wahlen bekam, nicht angetreten. Sie veröffentlichte auf ihrer Webseite, dass eine „Konkurrenzkandidatur zur AfD kontraproduktiv wäre“.

 

Wir müssen noch stärker beherzigen, dass heute im antifaschistischen Kampf der massenhafte Kampf um die Denkweise im Zentrum stehen muss. Die AfD muss inhaltlich und weltanschaulich viel entschiedener attackiert werden.

 

Die faschistische NPD und die REP haben offenbar unter der Hand zur Zweitstimme für die AfD aufgerufen. Die NPD verlor 11.074 Stimmen. Die AfD kam also höchstwahrscheinlich nur aufgrund ihrer Zugeständnisse an die Faschisten in den Landtag. Zugleich hat sie in ihrem Wahlkampf gegenüber den Massen wiederum nicht offen faschistisch argumentiert, weil sie weiß, dass man damit in Deutschland keinen nennenswerten Rückhalt bekommt.

 

Die bürgerlichen Medien haben in NRW erheblich die Etablierung der AfD als angebliche „Protestpartei“ betrieben. Es war schon hanebüchen, wie sie als einzige nicht im Landtag vertretene Partei „gleichberechtigt“ zu den etablierten bürgerlichen Parteien gehandelt wurde. Sie konnte ihre Kandidaten und Positionen massenhaft vorstellen, wurde in Fernsehreportagen begleitet und konnte endlos in Talkshows ihr Gift verspritzen. Die inszenierte vermeintliche Gegnerschaft zwischen bürgerlichen etablierten Parteien und AfD hat diese sicherlich am meisten aufgewertet.

 

Zugleich wurde die tatsächlich einzige, linke Alternative der Internationalistischen Liste/MLPD konsequent totgeschwiegen. Die Internationalistische Liste/MLPD hat sich klar gegen die AfD positioniert. Aber wir müssen noch stärker beherzigen, dass heute im antifaschistischen Kampf der massenhafte Kampf um die Denkweise im Zentrum stehen muss. Die AfD muss inhaltlich und weltanschaulich viel entschiedener attackiert werden. Es gilt, ihren Charakter als Sammelbecken für Faschisten und Rassisten und damit als Wegbereiterin des Faschismus aufzudecken und ihre Demagogie als Protestpartei zu zerpflücken.

 

Wir müssen uns auch mit den AfD-Wählern, die natürlich nicht alle Faschisten sind, kritisch auseinandersetzen: Wer AfD gewählt hat, hat eben nicht Protest gewählt! Er oder sie hat beigetragen, dass die Verantwortlichen von Arbeitslosigkeit, Armut usw. aus der Schusslinie geraten, die internationalen Monopole! Dass der Kampf gegen sie geschwächt und gespalten wird! Dass die Wut auf die Falschen – wie die Flüchtlinge – gelenkt wird! Wir werden dem Internationalistischen Bündnis vorschlagen, gemeinsam eine Massenbroschüre gegen die AfD herauszugeben, damit unsere Argumentationslinie verbessern und sie massenhaft verbreiten.

 

Der Rechtsruck der Merkel-Gabriel-Regierung und der bürgerlichen Parteien hat sich seit der NRW-Wahl verschärft. Gleichzeitig grenzt sich Merkel betont als ausgleichende, moderate Kraft zum Beispiel gegen Trump ab. Wie passt das zusammen?


Sofort nach der NRW-Wahl verabschiedete die Merkel/Gabriel-Regierung ein Maßnahmenpaket, welches die Rechte von Flüchtlingen massiv weiter beschneidet. Es sieht unter anderem eine Ausweitung der Abschiebehaft vor, schärfere Überwachung am Aufenthaltsort, das Auslesen von Handydaten und eine verschärfte Residenzpflicht8. Genau diese Politik kritisieren wir die ganze Zeit: dass Flüchtlinge wesentlicher Grundrechte beraubt und wie Menschen zweiter oder dritter Klasse behandelt werden.

 

In den bürgerlichen Massenmedien wird dies als Reaktion auf einen angeblichen Rechtsruck der Bevölkerung und auf faschistische Attentate wie in Berlin dargestellt. Allerdings werden über die Ursachen und Täter solcher faschistischer Anschläge derzeit ganz andere Indizien deutlich, als dass die Flüchtlinge Kriminalität ins Land gebracht hätten. So wurde unlängst öffentlich, dass Teile der Behörden und der Ex-Innensenator Frank Henkel (CDU) in Berlin mit krimineller Energie Dokumente fälschten. Sie vertuschten, dass es Haftgründe für den Faschisten Anis Amri gab. Er wurde in NRW und Berlin scheinbar „völlig unerklärlich“ an der langen Leine gelassen.

 

Damit wurde sein Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt in Berlin zumindest billigend in Kauf genommen. Kurz danach flogen die – unter den Augen des MAD lange geduldeten – faschistischen Aktivitäten des Bundeswehr-Oberleutnants Franco A. und seiner Verbündeten auf. Ihre perfide Taktik war, Anschläge zu verüben, um sie Flüchtlingen in die Schuhe zu schieben. Als Schlussfolgerung zieht das Innenministerium nun nicht etwa, die faschistischen Terrornetze im Staatsapparat aufzudecken. Im Gegenteil: Sie rollt massenhaft bewilligte Asylanträge neu auf.


Nachgewiesen wurde auch, dass der Chef der faschistischen Terrorgruppe „Blood and Honour“ V-Mann des Verfassungsschutzes war und Verbindungen zu den NSU-Faschisten hatte. Offenbar gibt es eine organisierte Struktur faschistischer Seilschaften in Teilen des Staatsapparates. Es ist auch mehr als auffällig, wie „gelegen“ Merkel, De Maizière oder Trump solche islamistisch verbrämte faschistische Anschläge kommen, um die Faschisierung des Staatsapparates voranzutreiben. Diese Faschisierung des Staatsapparates ist der eigentliche Zweck der sogenannten „Sicherheitsdebatte“. Mit ihr soll eine Stimmung der Angst und Verunsicherung geschürt werden, und damit bereiten sich die Herrschenden auf revolutionäre Situationen vor.


Gleichzeitig halten die führenden internationalen Übermonopole in Deutschland – im Gegensatz zur Änderung der Herrschaftsmethoden durch Trump – am System der kleinbürgerlichen Denkweise als Regierungsmethode fest. Auch der designierte NRW-Ministerpräsident Laschet von der CDU steht für diese Richtung. Das ist natürlich ein Spagat, der die latente politische Krise der Regierung und aller bürgerlicher Parteien vertieft hat. Denn die Leute merken ja immer deutlicher, dass die ihnen aufgetischten Lebenslügen vom demokratischen Rechtsstaat, der friedliebenden Außenpolitik, der sozialen Gerechtigkeit usw. nicht zur Lebenswirklichkeit passen.

 

Die FDP konnte als scheinbare Verteidigerin demokratischer Rechte und Freiheiten punkten vor allem unter der Jugend oder im liberalen Bürgertum. Sie wurde in den Medien erheblich aufgewertet. Gleich nach den Wahlen hatte Parteichef Lindner allerdings erstmal keine Lust auf die NRW-Landesregierung. Berechtigt fürchtete er, allzu schnell wieder Farbe bekennen zu müssen. Angesichts der unumgänglichen Regierungsbeteiligung verkündete er dann, dass sie mit 12 Prozent natürlich nicht den Kurs der Regierung bestimmen und ihre Ziele wohl nicht alle würden durchsetzen können. In den Koalitionsverhandlungen sieht er prompt keine Probleme, mit der CDU in Fragen der „Inneren Sicherheit“ einig zu werden.

 

Mit verdachts- und anlassunabhängigen Kontrollen („Schleierfahndung“) und dem Ausbau der Videoüberwachung will die CDU jetzt die Faschisierung des Staatsapparats vorantreiben. Wir werden, gegen diese Entwicklung, den Kampf um demokratische Rechte und Freiheiten in der weiteren taktischen Offensive stärker ins Zentrum rücken.

 

Du hast direkt nach der Wahl von einem „Achtungserfolg“ der Internationalistischen Liste/MLPD bei den NRW-Wahlen gesprochen. Woran machst du das fest?


Das Ziel, die Wahlen in NRW als „Warm-up“ für die Bundestagswahlkampagne zu nutzen, ist gut aufgegangen. Die MLPD und alle Bündnisorganisationen haben hervorragenden Einsatz gebracht, nicht nur in NRW. Das ist umso höher zu bewerten, als zu Beginn der Kampagne das Bündnis noch ganz neu und einige noch nicht so recht im Offensivmodus waren. Auch galt es, als Bündnis erst gemeinsam kampagnenfähig zu werden.

 

Eindeutig ist aber: Die Forderungen der Internationalistischen Liste/MLPD, die Art und Weise, wie sich dieses Bündnis zusammengeschlossen hat, sein Politikstil, seine beeindruckenden Repräsentanten und wie die MLPD als Partei neuen Typs arbeitet – all das hat sich voll bewährt. Wir haben an Bekanntheit, an Ausstrahlung, Selbstbewusstsein und Rückhalt gewonnen.


Ein großer Trumpf ist das System der Kleinarbeit der MLPD, mit dem sie seit Jahrzehnten systematisch Einflussgebiete erkämpft. Die Bandbreite der Arbeit kam in den Forderungen und „Gesichtern“ der Internationalistischen Liste mit Arbeitern, aktiven Gewerkschafter, Migranten, Milchbauern, Wissenschaftlern, Umweltaktivisten, Jugendlichen, Frauen usw. gut zum Tragen.

 

Die Forderungen der Internationalistischen Liste/MLPD, die Art und Weise, wie sich dieses Bündnis zusammengeschlossen hat, ihr Politikstil, ihre beeindruckenden Repräsentanten und wie die MLPD als Partei neuen Typs arbeitet – all das hat sich voll bewährt.

 

Während unserer vierwöchigen Warm-up-Phase wurden 45.000 Plakate und über 478.000 Wahlprogramme verbreitet. Mit mehr als 300.000 Menschen wurden persönlich gesprochen, rund 2.400 Unterstützerinnen und Unterstützer für das Internationalistische Bündnis dazugewonnen. Es gab über 100 Kundgebungen und Aktionsstände mit offenem Mikrofon, unzählige Informationsstände, Straßenumzüge, Einsätze vor Betriebstoren, Hausbesuche und Gespräche im persönlichen Umfeld. Im gleichen Zeitraum organisierten die 14 Wählerinitiativen in NRW 1.256 neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter mit und ohne Wahlrecht.

 

Die Internationalistische Liste/MLPD verband ihren Wahlkampf eng mit den Kämpfen und Anliegen der Arbeiterklasse und der Massen: So unterstützten wir den Kampf der Stahlarbeiter gegen die geplante Arbeitsplatzvernichtung und den der Bergleute gegen die Rentenkürzung mit dem Deputatklau, beteiligten uns an zahlreichen antifaschistischen Demonstrationen, und die Jugendplattform führte eine aufsehenerregende Kundgebung am Flughafen Düsseldorf gegen Abschiebungen durch. Ebenso gab es Proteste gegen den Giftmüll unter Tage und zu weiteren Umweltthemen. Alle diese Kämpfe und die Forderungen unserer Plakate bzw. des Wahlprogramms haben durch den Wahlkampf und das gesteigerte Stimmergebnis weiteren Rückenwind bekommen.


Entsprechend dem Charakter als Warm-up gibt es natürlich auch noch eine ganze Reihe Fehler und Schwächen auszuwerten, auch unnötig aufkommende Hektik; argumentativ und thematisch ist einiges zu verbessern und die Vereinheitlichung und enge Zusammenarbeit aller Beteiligten zu stärken. Auch aus der Vorbereitung und Planungsarbeit werden wir weitere Schlüsse ziehen. Mit diesem intensiven Lernprozess wird das ganze beeindruckende Potenzial des Internationalistischen Bündnisses zum Tragen kommen.

 

Drücken denn die Stimmergebnisse diesen Erfolg voll aus?


Natürlich ist das Stimmergebnis noch kein qualitativer Sprung und entspricht bei Weitem nicht unserem realen gesellschaftlichen Einfluss – und erst recht nicht der Bedeutung des Internationalistischen Bündnisses und der MLPD. Angesichts der Wahlbehinderungen gegen uns und der Manipulierung der öffentlichen Meinung im Sinne der Herrschenden sind die Stimmenzahlen der revolutionären Kräfte bekanntlich immer nur ein relativer Gradmesser für die Entwicklung des Klassenbewusstseins und den Erfolg einer Wahlkampagne.

 

Aber die Internationalistische Liste/MLPD hat im Vergleich mit bisherigen Wahlbeteiligungen der MLPD in NRW das beste Stimmenergebnis erreicht. Wir bekamen 7.712 Zweitstimmen, aber mindestens 8.600 Menschen gaben uns eine oder beide Stimmen. Das sind über 3.000 Stimmen mehr, als die MLPD in NRW bei der letzten Bundestagswahl bekam – trotz deutlich niedrigerer Wahlbeteiligung eine Zunahme von 69 Prozent. Ein solches Ergebnis hätte keine der am Bündnis beteiligten Kräfte alleine erreichen können.

 

In den Einflussgebieten der Internationalistischen Liste/MLPD im Ruhrgebiet sind die Stimmenzahlen am besten und konnten in den meisten Wahlkreisen um 30 bis 85 Prozent gegenüber der Bundestagswahl 2013 gesteigert werden. Und das, obwohl wir erstmals seit 2005 wieder einen Flächenwahlkampf durchgeführt und dafür in unseren Einflussgebieten zum Teil sogar weniger Wahlkampf gemacht haben als vorher. Auf all den Erfahrungen der letzten Jahre konnten wir sehr gut aufbauen.

 

Die Internationalistische Liste/MLPD bekam 7.712 Zweitstimmen, aber mindestens 8.600 Menschen gaben uns eine oder beide Stimmen. Das sind über 3.000 Stimmen mehr, als die MLPD in NRW bei der letzten Bundestagswahl bekam – trotz deutlich niedrigerer Wahlbeteiligung eine Zunahme von 69 Prozent. Ein solches Ergebnis hätte keine der am Bündnis beteiligten Kräfte alleine erreichen können.


Man merkte auch deutlich, unsere im Bündnis aktiven Freunde verschiedener Organisationen haben gute Arbeit geleistet. Gerade in den Zentren mit hohem Migrantenanteil und Schwerpunkten von migrantischen Bündnispartnern, besonders aus der Türkei und Kurdistan wie in Essen, Herne, Duisburg, Wesel, Düsseldorf, Köln und Wuppertal, erhielten wir überdurchschnittlich Stimmen. In Aufbaugebieten – wie dem Rhein-Sieg-Kreis – wurde das Ergebnis vervierfacht, in Mönchengladbach, im Hochsauerlandkreis, Aachen, Viersen und Paderborn mehr als verdreifacht.

 

Die Internationalistische Liste/MLPD wurde die Kraft links von der Linkspartei. Sie erzielte mehr als doppelt so viele Stimmen wie die DKP. Interessant ist auch eine indirekte Wirkung unserer Arbeit und unseres Wahlkampfs in den Stimmenergebnissen anderer Parteien. So hat die SPD in unseren Konzentrationsgebieten besonders stark verloren. Bei den besten Wahllokalen der MLPD in Gelsenkirchen zeigt sich beispielsweise ein überdurchschnittlicher Verlust der SPD. Teilweise profitierte von unserem Wahlkampf auch indirekt die Linkspartei, selbst wenn sie die ganze Zeit über wenig politisch in Erscheinung tritt.

 

Hier wurden offensichtlich viele Menschen von uns überzeugt, nicht die SPD zu unterstützen, und wählten dann aber aufgrund der undemokratischen Fünf-Prozent-Sperre die Linkspartei. Dabei ist die Linkspartei mit ihrer Anbiederung an eine rot-grüne Regierung keinesfalls als linke Alternative zu werten. Ihre Entwicklung zeigt, dass sie nicht etwa den Kapitalismus zähmt, sondern, wie schon die Grünen, selbst vom Kapitalismus gezähmt wird.


Zugleich wirkten einige objektive Faktoren gegen uns: Die Proteststimmung gegen die Regierung wurde im Wahlverlauf deutlich abgedämpft. Das stand in enger Verbindung mit der weiteren wirtschaftlichen Sonderentwicklung der BRD-Wirtschaft. Sie hat sich erneut zum Export-Weltmeister hochgearbeitet – und damit auch einige Mittel für Zugeständnisse an die Massen in der Hand. Fernsehen, Radio und die bürgerlichen Zeitungen haben die Internationalistische Liste/MLPD weitgehend boykottiert. Wir werden weiterhin massiv bekämpft mit antikommunistischer Stimmungsmache.

 

Viele Wählerinnen und Wähler wurden mit einem heraufbeschworenen Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Kraft und Laschet zum taktischen Wählen gedrängt. Andere sind erst gar nicht zur Wahl gegangen. Dazu kommt, dass viele Migranten, Flüchtlinge und Jugendliche, bei denen wir einen erheblich gewachsenen Einfluss haben, kein Wahlrecht besitzen. Zudem gab es mit 31 kandidierenden Listen so viele wie nie zuvor und eine große Zersplitterung der Stimmen.


Die Stimmen für uns waren damit sehr bewusste Stimmen von Wählerinnen und Wählern, die sich dem kleinbürgerlich-parlamentarischen Mainstream entzogen haben. Es hat sich bewährt, um jede Stimme zu kämpfen! Das war zu Beginn des Wahlkampfes noch nicht genügend im Bewusstsein. So, als käme es auf die Bewegung an sich an, und nicht vor allem darauf, dass die Leute mit unserer Wahl eine bewusste Entscheidung für die antikapitalistische, internationalistische, revolutionäre und antifaschistische Richtung treffen!

 

Am wichtigsten ist, dass wir auf die Bewusstseinsbildung der Massen Einfluss nehmen konnten. Diesbezüglich müssen unsere Argumente noch prägnanter ausgerichtet werden auf die zentralen Forderungen und den Kampf um die Denkweise der Massen. Statt zum Beispiel zu meinen, Fakten sprächen für sich. Gegen die Herrschenden gilt es, noch mehr zu polemisieren. Auch muss der Kampf um jede Stimme noch stärker für die Briefwähler organisiert werden, und damit früher ansetzen.

 

Es gibt von einzelnen Linken den Einwand, dass man sich mit der Beteiligung an Wahlen von der eigentlichen revolutionären „Kernarbeit“ abbringen lasse?


Tatsächlich muss man als revolutionäre Partei jede Wahlbeteiligung nutzen zu einer grundsätzlichen Kritik am bürgerlichen Parlamentarismus. Im Gegensatz zu den Befürchtungen konnten wir die letzten vier Wochen genau dafür sehr gut nutzen. Wir haben großen Wert darauf gelegt, die wichtigen tagesaktuellen immer in Verbindung mit den grundsätzlichen Fragen und Zusammenhängen zu diskutieren, sie mit der Propaganda für den echten Sozialismus und gegen den modernen Antikommunismus zu vertiefen.

 

Dazu haben wir massenhaft unser überarbeitetes Parteiprogramm verbreitet. Über 35.000 wurden schon vom Verlag Neuer Weg ausgeliefert. In NRW hatten wir vor dem Wahlkampf bereits 1.250 Stück vertrieben. Allein in der vierwöchigen heißen Phase des Wahlkampfs verdoppelten wir das auf 3.304 Exemplare. Man muss wissen, dass wir dieses Programm nicht einfach umsonst unter die Leute bringen, wie die steuer- und industriefinanzierten Berliner Parteien. Im Durchschnitt einen Euro spendeten die Empfänger für das Programm. Dieses vom X. Parteitag verabschiedete Programm ist zugleich Anleitung, wie wir mit Tiefgang und massenwirksam argumentieren können und müssen.

 

Die Wahlbeteiligung gab uns die Gelegenheit zu Zehntausenden Gesprächen: zum Sozialismus, zum Verrat des Sozialismus in allen ehemals sozialistischen Ländern, zur Kritik an Opportunismus, Anarchismus, Revisionismus oder Linksreformismus, zum Charakter der MLPD als Partei neuen Typs oder zur Rolle der Klassiker des Marxismus-Leninismus und zum Kampf gegen den modernen Antikommunismus. Diese Diskussionen sind Gold wert. Unser Stil hebt sich dabei auch fundamental und wohltuend ab von platten Twitter-Botschaften und oberflächlichen Internetdiskussionen.


Kurz vor dem Wahltag besuchten am 10. Mai 450 Leute in Gelsenkirchen die Veranstaltung „Das imperialistische Weltsystem nimmt Kurs auf Krieg und Reaktion“ – mit Stefan Engel, dem langjährigen Vorsitzenden der MLPD. Am 26. Mai kamen über 60 Teilnehmer zur gleichen Veranstaltung nach Coburg. Stefan Engel verstand es beeindruckend, die anspruchsvolle Materie verständlich zu vermitteln. An der angeregten Diskussion beteiligten sich gerade Arbeiter, Jugendliche, etliche Mitglieder anderer Parteien wie DKP oder Linkspartei.

 

Wir haben großen Wert darauf gelegt, die wichtigen tagesaktuellen immer in Verbindung mit den grundsätzlichen Fragen und Zusammenhängen zu diskutieren, sie mit der Propaganda für den echten Sozialismus und gegen den modernen Antikommunismus zu vertiefen.

 

Diese Art anspruchsvoller, gleichzeitig aber verständlicher, tiefgehender und topaktueller Bildungsarbeit ist ein Alleinstellungsmerkmal der MLPD. Die große Resonanz zeigt, welches Bedürfnis unter den Massen besteht: nach Klarheit über die Ursachen und Konsequenzen aus der neuen Qualität der allgemeinen Krisenhaftigkeit des Imperialismus. Wir werden diese Veranstaltungen auch auf dem Pfingstjugendtreffen, in Stuttgart, im Rahmen der Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg sowie an weiteren Orten durchführen. Wir veröffentlichten auch eine aktuelle Analyse über eine neue Qualität der allgemeinen Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems und die Chancen der Revolutionäre.


Zugleich muss uns noch überzeugender gelingen, den Wahlkampf mit der Grundsatzkritik am bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parlamentarismus zu verbinden, damit die Leute mit der kleinbürgerlich-parlamentarischen Denkweise noch besser fertigwerden. Wir müssen eine Art Anti-Wahlkampf machen. Der bürgerliche Parlamentarismus ist eine Farce, um die Massen zu täuschen, ihnen Scheingefechte und Scheinalternativen zu bieten und sie an dieses System zu binden.

 

Aber von offenem Wahlbetrug wie zum Beispiel in der Türkei kann man doch hier nicht sprechen, oder?


Natürlich gibt es hier gegenüber faschistischen Regimes noch demokratische Rechte und Freiheiten, und dennoch sind die bürgerlichen Wahlen manipuliert! Die Zeitungen, die einen wesentlichen Teil der öffentlichen Meinung bilden, sind in NRW zum Beispiel in ganzen zwei Konzernen monopolisiert: Die Funke Mediengruppe (WAZ, NRZ, Westfalenpost und andere) und die Rheinische Post Mediengruppe (Rheinische Post, Aachener Nachrichten, Wuppertaler Rundschau und andere).

 

Es ist unreal, welche Rolle uns in den Medien zuerkannt wird. Wer die politischen Verhältnisse zum Beispiel in Gelsenkirchen – dem Sitz unserer Parteizentrale – kennt, der weiß, dass die MLPD sehr viel mehr gesellschaftliche Relevanz, Kräfte und Mobilisierungspotenzial hat als die meisten der bürgerlichen Parteien. Aber unsere Kandidaten wurden von der führenden Tageszeitung WAZ dort fast vollständig zensiert und nicht ansatzweise gleichberechtigt zu den anderen Parteien behandelt.

 

Das Argument war, wir seien ja bisher nicht im Landtag vertreten. Abgesehen davon, dass die AfD umfangreich dokumentiert wurde, die ebenso wenig im Landtag war, sorgt man mit dieser Methode dafür, dass immer nur die groß bleiben, die es schon sind. Nach der Wahl zog die WAZ dann hämisch über unser Stimmergebnis her. Jetzt plötzlich maß sie es „ganz gleichberechtigt“ an den Ergebnissen aller anderen Parteien. Derartig gezielte Meinungsmanipulation hat, ebenso wie die weiterhin massive Verbreitung des modernen Antikommunismus, mit demokratischer Willensbildung rein gar nichts zu tun.

 

Das stößt auch auf echte Empörung unter den Leuten, die uns kennen. Wir kennen natürlich den Charakter der bürgerlichen Medien und haben keine Illusionen, dass sie eine revolutionäre Kraft bewerben würden. Trotzdem kämpfen wir um unsere demokratischen Rechte und Freiheiten der freien Meinungsäußerung und des freien Zugangs zu den Medien. Hier wird nicht zuletzt gegen internationales Recht verstoßen. Das Kopenhagener Dokument der OSZE schreibt die Gleichbehandlung von Parteien im Wahlkampf ausdrücklich fest. Die bürgerlichen Presseorgane verpflichteten sich in einem „Pressekodex“, „zur wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit auch über Auffassungen zu berichten, die sie selbst nicht teilt.“9

 

Die Kandidatur zu den NRW-Wahlen war die erste große Gemeinschaftsaufgabe der Internationalistischen Liste/MLPD im Internationalistischen Bündnis. Wie hat sich das bewährt?


Zweifellos hat das Internationalistische Bündnis seine erste größere Bewährungsprobe mit Bravour bestanden. Es ist eine wirklich klasse Leistung, was wir hier in etwas mehr als einem Jahr aufgebaut haben. Stück für Stück ist es in den letzten Monaten zusammengewachsen und hat sein Profil als konsequente Kraft gegen den Rechtsruck der Bundes- und Landesregierung und der bürgerlichen Parteien geschärft.

 

Aber auch international hat es Farbe bekannt. So gab es gemeinsame Erklärungen und Aktivitäten für die „Nein“-Kampagne gegen die versuchte Legitimation des Faschismus des Erdogan-Regimes in der Türkei. Mitgliedsorganisationen des Bündnisses haben durch intensive Klein- und Überzeugungsarbeit beigetragen, dass Erdogan seine Mehrheiten nur knapp und nur mit erheblichem Wahlbetrug erreichen konnte. Es gab auch einen gemeinsamen kämpferischen Block bei den Massenprotesten Zehntausender im April gegen den AfD-Bundesparteitag in Köln.

 

In Köln, Wuppertal, München und anderen Städten führten ADHF, AGIF, ATIF, Linkes Forum e. V., MLPD und Wählerinitiativen gemeinsame Informationsstände und Aktionen zum Protest gegen die Paragrafen 129a/b durch. Mit diesen Paragrafen kriminalisiert und unterdrückt die Bundesregierung fortschrittliche und revolutionäre Migranten. Dutzende sind aufgrund dieser Paragrafen sogar inhaftiert – auch zwei Kandidaten der Internationalistischen Liste/MLPD.


Eine Frauenplattform wurde neu aufgebaut, die Jugendplattform erweitert. Das Potenzial der Arbeiterplattform des Internationalistischen Bündnisses in den Betrieben wurde gestärkt: Initiativen gegen die Spaltung in Stammbelegschaften und Leiharbeiter wie beim Daimler Werk Untertürkheim/Stuttgart, kämpferische Aktionen zum Erhalt der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie und für die strafrechtliche Verfolgung der Umweltverbrecher bei VW. Allein beim Stahlaktionstag am 3. Mai in Duisburg trugen sich über 50 Arbeiter als Kontakt oder Unterstützer des Internationalistischen Bündnisses ein.


An der ganzen Bandbreite des Kampfes gegen den Rechtsruck der Regierung gilt es nun, gemeinsame Aktivitäten der Bündniskräfte zu entfalten, vor allem in der Kleinarbeit vor Ort. Bei der Großdemonstration am 8. Juli im Hamburg gegen den G20-Gipfel wird das Internationalistische Bündnis einen gemeinsamen kämpferischen Block bilden. In Zukunft wird auch noch mehr Wert gelegt werden auf den Aufbau des Bündnisses durch weitere Trägerorganisationen und Einzelpersonen.


Das Ganze ist für alle auch ein großer Lern- und Selbstveränderungsprozess. Die Organisationen haben einen sehr unterschiedlichen Hintergrund, haben weltanschauliche und politische Differenzen, sind vielfach auch gewohnt, hauptsächlich ihre besonderen Anliegen zu vertreten. Umso höher ist das Gemeinschaftswerk des Bündnisaufbaus einzuschätzen. In der Praxis förderten Verbrüderungsaktionen wie die gemeinsame Plakatierung, die Auftaktveranstaltung am 22. April in Köln, politische Aktivitäten und Feste das gegenseitige Verständnis und Vertrauen – und bereicherte alle Beteiligten!

 

Unbestreitbar ist zugleich auch, dass das Bündnis – gemessen an seiner strategischen Bedeutung – noch relativ am Anfang steht. Hier kommt es in Zukunft vor allem an auf die dialektische Handhabung von Gemeinsamkeit und Eigenständigkeit der Beteiligten: zwischen voller Verantwortlichkeit aller für das gemeinsame Vorhaben und gleichzeitiger Vertretung der besonderen Anliegen; zwischen gemeinschaftlicher Gewinnung neuer Kräfte für das Bündnis und Stärkung jeder beteiligten Organisation; zwischen Wählerinitiativen und regionalen und örtlichen Bündnisstrukturen; zwischen erheblicher Verbreiterung und gleichzeitig vertieftem inhaltlichen Meinungs- und Erfahrungsaustausch.

 

Unübersehbar führt jedenfalls der verstärkte Einsatz für die gemeinsame Sache jedem Einzelnen neue Kräfte zu! Auf jeden Fall zeigt sich, welch große Bedeutung das Internationalistische Bündnis für die Zukunft, über die Wahlen hinaus, hat.

 

Stalin und Mao sind ja eigentlich nicht Akteure eines bundesdeutschen Wahlkampfs, werden aber gegenüber revolutionären Kräften ständig ins Feld geführt. Ist es nicht anzustreben, diese „Tabuthemen“ besser rauszuhalten?


Im Gegenteil: Wir müssen den modernen Antikommunismus viel stärker ins Visier nehmen, seine perfiden Inhalte und Methoden attackieren und den Sozialismus propagieren. Viele Menschen sind mit unseren politischen Forderungen, mit unseren Plakaten usw. einverstanden. Auch beim beliebten Wahltester „Wahlomat“ kommt für viele überraschend oft als Ergebnis die MLPD heraus. Aber trotzdem wählen uns die meisten dieser Leute nicht.

 

Hier wirkt die antikommunistische Hetze, Verleumdung und Verzerrung, die aus allen Kanälen der bürgerlichen Medien, Parteien und Regierungsämter verbreitet wird. Da muss nur irgendwo stehen, dass die MLPD Stalin verteidigt, und sofort werden gezielt Assoziationen zu Massenmord, Gulag, Unterdrückung usw. suggeriert. Auch wer kein Antikommunist ist, hat solche Unsicherheiten. Ich wette, dass das sogar ein Hauptgrund ist, dass Leute uns nicht wählen!

 

Darauf müssen wir noch deutlich offensiver eingehen und überzeugende Antworten geben. Wir verteidigen die Errungenschaften im Aufbau des Sozialismus, wozu auch die Verdienste Stalins gehören. Es war das großartige Verdienst der Sowjetunion unter Führung Lenins und Stalins, über Jahrzehnte erstmals in der Geschichte den Sozialismus aufzubauen. Er wurde gegen härteste Attacken und unter größten Opfern verteidigt – und schließlich der Hitler-Faschismus besiegt.

 

Wir wehren uns entschieden gegen den antikommunistischen Mainstream, alle Probleme in diesen Zeiten härtester Klassenkämpfe Stalin persönlich in die Schuhe zu schieben. Wir fordern, dass es eine offene und sachliche Auseinandersetzung gibt: sowohl über die Errungenschaften des Sozialismus, als auch über die Probleme und Fehler etwa zu Stalins Zeit. Denn wir haben selbst größtes Interesse, die Verbrechen und Fehler dieser Zeit gründlich aufzuarbeiten. Ist es nicht ein glaubwürdigeres Motiv, das aufzuarbeiten, weil man den Sozialismus künftig verbessert aufbauen will?

 

Bisher beanspruchen ja ausgerechnet die Kräfte die Deutungshoheit, die ihren Kapitalismus bis aufs Messer verteidigen und jede gesellschaftliche Alternative bekämpfen und unterdrücken – wie glaubwürdig ist da eine sachliche „Aufarbeitung“? Gerade sie verwehren jede offene Auseinandersetzung und arbeiten nur mit negativen Gefühlen und dumpfen Ängsten. Wo sind denn die Talkshows über den sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion? Wo ist der fundierte wissenschaftliche und öffentliche Streit über die persönliche Rolle und Verantwortung von Stalin? Hier müssen und werden wir einiges vom Kopf auf die Füße stellen. Dazu haben wir hervorragende Grundsatzliteratur, die wir stärker verbreiten müssen.


Nehmen wir das heiße Eisen der Diktatur des Proletariats: Kein vorbehaltlos denkender Mensch würde infrage stellen, dass es entschiedene Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Diktatur des skrupellosen allein herrschenden internationalen Finanzkapitals braucht, wenn man eine von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung befreite Gesellschaft aufbauen will.

 

Nicht von revolutionären Kräften, sondern vom imperialistischen Weltsystem geht die größte, sogar institutionalisierte Gewalt aus. Es ist ein System, das verantwortlich ist für 108 Millionen Menschen, die extrem an Hunger leiden10, das 65 Millionen Menschen in die Flucht treibt und so viele Kriege und kriegerische Auseinandersetzungen anzettelt wie seit Jahrzehnten nicht.

 

Erst dieser Tage verweigerte der Gipfel der sieben führenden „alten“ imperialistischen Länder bewusst Hilfen für die Millionen von akutem Hungertod bedrohten Menschen in Afrika. Nichts anderes als die Unterdrückung solcher Kräfte bedeutet die Diktatur des Proletariats. Karl Marx hat sie wissenschaftlich als Gegenpol zur Diktatur der Bourgeoisie und größte Freiheit für die Arbeiter und die breiten Massen entwickelt. Eben dadurch wird der Kommunismus von einer Utopie zu einem realistischen Ziel! Und gerade deshalb zetern die Herrschenden so dagegen.


Wir müssen die Auseinandersetzung mit dem modernen Antikommunismus also offensiv führen. Man kann den Sozialismus und Kommunismus nicht unter Umgehung der „Tabuthemen“ verankern. Im Gegenteil, der Versuch, diesen Themen auszuweichen, überlässt nur der bürgerlichen Meinungsmanipulation das Terrain. Das ist grundlegend, um die Massen für einen neuen Aufschwung im Kampf um den Sozialismus zu gewinnen, der aus Errungenschaften als auch Fehlern und Problemen im sozialistischen Aufbau die richtigen Schlüsse zieht. Dazu werden wir das Jubiläumsjahr zu „100 Jahre Oktoberrevolution“ aktiv nutzen und die diesbezügliche Kampagne der revolutionären Weltorganisation ICOR bewerben und durchführen.

 

Der Schwerpunkt der Arbeit der MLPD liegt in dieser Phase der Offensive für den echten Sozialismus auf der Jugendarbeit. Was soll sich da genau verändern?


Vor allem geht es darum, dass die komplette Parteiorganisation und auch das Internationalistische Bündnis unter der Jugend ihr Hauptreservoir sieht. Denn um die Zukunft der Jugend geht es ja. Sie ist die praktische Avantgarde jeder revolutionären Veränderung! Auch wenn die Bemühungen darum in den letzten Monaten deutlich zugenommen haben: Es hält sich doch relativ hartnäckig ein Verständnis, dass die Jugendarbeit ein Bereich neben vielen anderen und vor allem das Terrain des Jugendverbandes REBELL ist. In dieser Hinsicht müssen viele Genossen und Organisationseinheiten umdenken. Die Jugend ist „Hauptklientel“ jeglicher Arbeit unserer Partei! Wir werden deshalb auch keine besondere Jugendwahlkampagne, einzelne Jugendaktionswochen oder Ähnliches durchführen, sondern unser gesamter Wahlkampf ist Jugendwahlkampf!


Viele Jugendliche sind aufgewühlt und wollen sich engagieren. Gerade angesichts der faschistischen Regierung Erdogan, der ultrareaktionären und faschistoiden Politik Trumps, dem Rechtsruck der Merkel-Gabriel-Regierung und der bürgerlichen Parteien, wozu auch die AfD gehört. Es ist bemerkenswert, wie sich zum Beispiel an den Hochschulen eine zeitweilig eher unpolitische Stimmung in diesem Sinne verändert hat. Wir müssen aktiv dazu beitragen, dass sich die Rebellion der Jugend belebt.

 

Auch die neue schwarz-gelbe Regierung in NRW wird einigen Anlass dafür geben. So kündigten FDP und CDU bereits an, dass sie planen, die von den Studierenden erkämpfte Abschaffung der Studiengebühren wieder rückgängig zu machen. Der Jugendverband REBELL hat in dieser Rebellion eine wichtige Rolle – nicht nur gegen etwas zu protestieren, sondern eine gesellschaftliche Perspektive im echten Sozialismus zu zeigen. Damit jeder Jugendliche, der das sucht, uns finden kann, muss jedes MLPD-Mitglied sich an die Jugend wenden.

 

Das ist auch das wesentliche Feld, wie sich unser System der Kleinarbeit verändern muss: dass die marxistisch-leninistische Jugendarbeit wirklich Massentaktik des Parteiaufbaus wird. Es ist „Chefsache“, dass in jedem Landesverband, Kreis und in jeder Parteigruppe in dieser Frage eine nachhaltige Selbstveränderung errungen wird. Damit steht und fällt der Parteiaufbau und der Kampf um den echten Sozialismus. Wir merken unter der Jugend ein erheblich gewachsenes Interesse für den Marxismus-Leninismus. Auch dafür hat die MLPD eine große Verantwortung, denn alle Fragen dazu wollen ja auch beantwortet sein.

 

Wurde denn wirklich schon jeder erreicht, der nach einer gesellschaftlichen Alternative sucht, und konnte sich die MLPD daraus stärken?


Unsere Losung „Jeder, der eine revolutionäre Veränderung sucht, muss uns finden“ hat sich bewährt. Aber unser Potenzial ist vielleicht gerade mal zu 50 Prozent ausgespielt! So wurden noch nicht in allen Orten die besten Plätze für unsere Kundgebungen ausgesucht, an denen man zum Beispiel vor den Bahnhöfen oder in den beliebtesten Innenstadtzentren auch wirklich Tausende Leute erreicht.


Sehr bewährt hat sich das breite Plakatieren, um Aufmerksamkeit und Interesse zu wecken. Das sollte bei den Bundestagswahlen noch ausgebaut werden. Wir wollen zudem doppelt so viele Direktkandidaten aufstellen. Die Massen orientieren sich berechtigt nicht nur an Papieren und überzeugenden Reden. Ihnen kommt es stark auf die Person an, und sie prüfen, ob bei den Kandidaten Wort und Tat eine Einheit bilden. Genau in diesem Sinn waren unsere Direktkandidaten ein Trumpf, kriegten deutlich mehr Stimmen, und überall, wo sie antreten, wachsen auch die Zweitstimmen. In einzelnen Wahllokalen in Gelsenkirchen erreichten die Erststimmen 9,3 Prozent (Willi Mast) oder 4,8 Prozent (Lisa Gärtner).


Unsere Aufbauarbeit muss ausgeweitet und verstetigt werden. Wir führten dort bisher 56 Kundgebungen und Aktionsstände mit offenem Mikrofon durch. Einige waren freudig überrascht: „Ich habe eure Plakate gesehen, jetzt lerne ich euch auch persönlich kennen.“ Diese Touren sind etwas Neues und wurden teilweise thematisch organisiert: So fuhren wir zu den (Milch-)Bauern auf die Höfe am Niederrhein, gingen mit Frauenpower auf die belebten Plätze, suchten die rebellischen Jugendlichen auf und besuchten die Umweltschützer ebenso wie die Arbeiter im Braunkohlegebiet im Rheinland.


Die vielen sehr ernsthaften Interessenten sind für die MLPD eine Selbstverpflichtung, den Aufbau in der Fläche voranzutreiben. Dazu legen wir Patenschaften der starken MLPD-Kreise fest und setzen Organizer ein, die gemeinsam mit den Leuten vor Ort diskutieren, alle erdenklichen Fragen klären und eine systematische Kleinarbeit entwickeln. Wir werden Studiengruppen zum Parteiprogramm der MLPD durchführen, damit die Menschen uns und unsere ideologisch-politische Linie intensiver kennenlernen.


Auch wenn wir noch nicht zufrieden sind, so können wir eine Belebung bei der Gewinnung neuer Mitglieder um 8,5 Prozent in NRW feststellen. 70 Prozent unserer neu gewonnenen Mitglieder sind unter 35 Jahre alt. Sie sind sehr international zusammengesetzt. Das Potenzial ist aber noch weitaus größer! Der Geringschätzung der Mitgliedergewinnung liegt eine Geringschätzung des Parteiaufbaus, eine tendenzielle Skepsis in unsere Aufgaben und Möglichkeiten zugrunde. Vor allem bedeutet es eine Tendenz zur Trennung von Parteiaufbau und Klassenkampf, wenn man sich an zahlreichen praktischen Aktivitäten beteiligt, aber viel zu wenig mit bewusster Gewinnung, Betreuung und Ausbildung unserer Kontakte und dem erheblich gewachsenen Umfeld verbindet.

 

Das zu verändern und MLPD und REBELL erheblich zu stärken, rückt ins Zentrum der Kritik-Selbstkritik-Kampagne der MLPD nach dem X. Parteitag. Alles was wir uns vorgenommen haben, ist nur zu verwirklichen, wenn es gelingt, das erheblich gewachsene Potenzial für unsere Arbeit unter der Arbeiterklasse, Jugendlichen, Flüchtlingen, den Bündnisorganisationen, aus den Aufbaugebieten usw. organisiert zum Tragen zu bringen und die Arbeit gemeinsam zu machen. Jeder Landesverband, jeder Kreisverband und jede Gruppe muss jetzt genau überlegen und planen, wie sie das verwirklicht! Ich freue mich auf diese Arbeit in den bevorstehenden Monaten!


Vielen Dank für das Gespräch!

1 Pressemitteilung Nr. 007/2017 BDA, 22. 2. 2017;
2 Die Unternehmerverbandsgruppe e. V. vertritt bundesweit 700 Firmen. Ihr gehört unter anderem der Unternehmerverband Industrie Ruhr-Niederrhein an;
3 Pressemitteilung Unternehmerverbandsgruppe e. V. vom 14. 3. 2017;
4 www.wahlrecht.de, 1. 6. 2017;
5 www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend, 11. 5. 2017;
6 www.waz.de, 22. 5. 2017;
7 www.stuttgarter-zeitung.de, 4. 5. 2017;
8 Frankfurter Rundschau, 20. 5. 2017;
9 Publizistische Grundsätze (Pressekodex)-Richtlinien für die publizistische Arbeit nach den Empfehlungen des Deutschen Presserats, Fassung vom 22. 5. 2017, Richtlinie 1.2, S. 2,
10 World Food Programme, 31. 3. 2017

Artikelaktionen

MLPD vor Ort
MLPD vor Ort Landesverband Nord Landesverband Nordrhein-Westfalen Landesverband Ost Landesverband Rheinland-Pfalz Hessen Saarland Landesverband Baden-Württemberg Landesverband Bayern Landesverband Thüringen
In Deutschland ist die MLPD in über 450 Städten vertreten.
Hier geht es zu den Kontaktadressen an den Orten.
Mehr...
Spendenkonto der MLPD
  • GLS Bank Bochum
  • BIC: GENODEM1GLS
  • IBAN: DE76 4306 0967 4053 3530 00