Die Krise der SPD und die Entwicklung des Klassenkampfs
Die heutige Krise der SPD hat ihren Ausgangspunkt in einem bereits Ende der 1990er Jahre einsetzenden Loslösungsprozess der Massen von den bürgerlichen Parteien, dem bürgerlichen Parlamentarismus und seinen Institutionen. Dieser erreichte am 1. Mai 2003 einen ersten Höhepunkt. Darüber heißt es im Rechenschaftsberichtsentwurf: „Jetzt begann sich der Kern des Industrieproletariats von der SPD und der Regierung offensichtlich zu lösen. Die offene Krise des Reformismus ging einher mit dem gestiegenen Einfluss der MLPD im Kern des Industrieproletariats.“ (S. 3)
Diese Entwicklung setzte sich fort und es ist der SPD bis heute nicht gelungen, sie zu bremsen. So hat sie, die vor dreißig Jahren über eine Million Mitglieder besaß, heute 536.000 Mitglieder. Was neben der Tatsache, dass vor allem Arbeiter die SPD verlassen, ebenso gravierend für die SPD ist, ist ihre zunehmende Überalterung. 42 Prozent der Mitglieder sind älter als 60 Jahre und nur noch 8 Prozent jünger als 35. Die Zukunft repräsentiert diese Partei wahrlich nicht.
Nach wie vor ist die SPD eine von Männern dominierte Partei, die zwei Drittel der Mitgliedschaft ausmachen. Sie hat es also nicht verstanden, die zunehmende Berufstätigkeit und das wachsende Selbstbewusstsein der Frauen mit ihrem reformistischen Frauenprogramm von der angeblichen „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ zu gewinnen.
In diesem Erosionsprozess liegt das eigentliche Dilemma der SPD und der Herrschenden: Die SPD verliert ihre Funktion, die Massen, insbesondere die Arbeiterklasse mit Hilfe des Reformismus an das kapitalistische System zu binden. Das ist ihr historischer Auftrag, seitdem sich die einst revolutionäre Sozialdemokratie am Vorabend des I. Weltkriegs vom Sozialismus verabschiedete und dem deutschen Imperialismus volle Rückendeckung für seine Aggressionskrieg gegeben hatte. Diesen Auftrag hat sie als gewandelte bürgerliche Partei innerhalb der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik fortgesetzt. Dafür hatte sie Anfang der 1930er Jahre das Bündnis mit den Kommunisten gegen Hitlers NSDAP ausgeschlagen.
Nach dem II. Weltkrieg wurde die SPD in den Rang einer Monopolpartei gehoben. Ihr urkundlicher Leistungsnachweis dafür war ihr „Godesberger Programm“ von 1959 mit den folgenden Eckpfeilern:
1. Die eindeutige Verteidigungserklärung der bürgerlichen Demokratie und Diktatur der Monopole: „Die Sozialdemokratische Partei bekennt sich zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.“ (S. 10)
2. Die antikommunistische Grundlage: „Die Kommunisten unterdrücken die Freiheit radikal. Sie vergewaltigen die Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht der Persönlichkeiten und der Völker“ (S. 30/31) Dabei nutzte sie raffiniert die Zustände des bürokratischen Kapitalismus in der DDR und in der Sowjetunion aus. Das hatte eine tiefe Wirkung hinterlassen, weil die Massen die Restauration des Kapitalismus und den Betrug der modernen Revisionisten in der DDR und SU nicht durchschaut haben. Das Zusammenspiel von Reformismus und modernem Revisionismus wurden so eine jahrzehntelange Barriere für die Verbreitung des wissenschaftlichen Sozialismus unter den Arbeitern. Es war die SPD, die es ermöglichte, dass in Deutschland der Antikommunismus zur Staatsreligion wurde und das tief ins Denken der breiten Massen eindringen konnte.
Ein weiterer Ausdruck der Krise der SPD war die Spaltung durch Entstehung der WASG. Deren Zusammenschluss mit der PDS zur Linkspartei ist der Versuch einer Neubelebung des Sozialdemokratismus. Die wenigsten ehemaligen SPD-Mitglieder sehen aber in der Linkspartei ihre Heimat. Viele sind parteilos, und davon ein Teil in verschiedensten kämpferischen Initiativen aktiv. Damit ist ein wachsendes Potenzial der kämpferischen Opposition entstanden, das mit der MLPD zusammenarbeitet. Eine zunehmende Zahl der neuen Mitglieder in der MLPD sind langjährige ehemalige Sozialdemokraten bzw. kommen aus der DKP und deren früherem Umfeld. Das sind untrügliche Anzeichen, dass der vorherrschende Einfluss des Reformismus und des modernen Revisionismus in der Arbeiterbewegung überwunden wird.
Wolf-Dieter Rochlitz