20.12.2009: "Das Berliner Krisenmanagement ist wie ein Tanz auf dem Vulkan"

Stefan EngelEin ereignisreiches Jahr neigt sich dem Ende zu; ein guter Anlass, Bilanz zu ziehen! Siehst du eigentlich große Unterschiede zwischen alter und neuer Regierung?

Die Merkel/Westerwelle-Regierung hat vorerst die Politik der großen Koalition im Wesentlichen nicht verändert. Die Regierung setzt das international vereinbarte Krisenmanagement fort.
Klar, den Herrschenden ist es bisher gelungen, ein offenes Kollabieren des Weltfinanzsystems zu verhindern, die Wirtschaftskrise zu dämpfen und offene Massenkämpfe gegen die Auswirkungen der Krise auf dem Rücken der Arbeiter einzudämmen. Die Massen haben diese Krisendämpfungspolitik bisher zähneknirschend geduldet. Aber sie ahnen, dass sie früher oder später gravierende Folgen auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu erwarten haben.
Die neuen Regierungsparteien hatten noch vor den Bundestagswahlen unisono erklärt, dass die Weltwirtschaftskrise zu Ende gegangen sei. Nach den Wahlen hat Kanzlerin Merkel plötzlich erläutert, dass das Schlimmste dieser Krise noch vor uns steht.
Das sind neue Töne, die nichts Gutes erwarten lassen. Gleichwohl werden die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Massen weiter tunlichst verschwiegen. Das ökonomische Krisenmanagement steckt in einem schweren Dilemma. Aus politischen Gründen versucht man, die Auswirkungen der Krise auf die Volkswirtschaft und die Massen zu dämpfen. Gleichzeitig will man aber die Voraussetzungen für die zügige Überwindung der Krise schaffen und ein neues umfassendes Wachstum der Industrieproduktion und des Bruttosozialprodukts erreichen. Doch je effektiver die Maßnahmen zur Dämpfung der Krisenauswirkungen sind, desto ungünstiger werden aber die Voraussetzungen für die zügige Überwindung der Weltwirtschafts- und -finanzkrise sein. Das Berliner Krisenmanagement ist wie ein Tanz auf dem Vulkan, der jederzeit ausbrechen kann.

Das klingt doch paradox!?

Mag sein! Aber allenfalls kann man die Wirkungen der Überproduktionskrise in Spannung halten oder zeitweilig überbrücken. Diese Gesetzmäßigkeiten bedeuten, dass eine Maximalprofit bringende Produktion erst um den Preis von gigantischer Kapitalvernichtung, Reallohnabbau und gesenkter Produktionskosten wieder in Gang kommt. Jede Maßnahme der Krisendämpfung zögert so zugleich den Prozess der in der kapitalistischen Krise notwendig gewordenen Kapitalvernichtung hinaus. Die Krise zieht sich in die Länge.

Was bedeutet das für die staatliche Politik?

Das In-Spannung-Halten der Krisenerscheinungen ist mit einem gigantischen staatlichen Aufwand verbunden. Das Krisenmanagement erfolgt auf spekulativer Grundlage: Es geht von der irrigen Annahme aus, dass man mit Verschuldung reales zusätzliches Wirtschaftswachstum erreichen kann. Das ist aber ein Phantom! Vielmehr entsteht die latente Gefahr des Umschlagens der staatlichen Maßnahmen in ihr Gegenteil. Die Verschuldung wächst schneller als das Bruttoinlandsprodukt. Das stagnierende Wirtschaftswachstum, der weitere Anstieg der Massenarbeitslosigkeit und das Voranschreiten der absoluten Verelendung der Massen bei gleichzeitiger Entlastung der Monopole von Steuern und Sozialleistungen führt unweigerlich zum Sinken der Steuereinnahmen des Staates. Gleichzeitig potenzieren sich die Zinsbelastungen, die den am schnellsten wachsenden Posten im Staatshaushalt bilden. Werden die Zinsen aus neuen Schulden finanziert, wächst die Zinslast immer schneller, verbunden mit der Tendenz, dass der latente in einen offenen Staatsbankrott umschlägt.

Ist das denn wirklich eine reale Gefahr?

Natürlich! Eine solche Entwicklung können wir aktuell bereits in Griechenland beobachten, wo nur noch mit Hilfe eines internationalen Krisenmanagements der EU der offene Staatsbankrott aufgehalten werden kann. Die Regierungspolitik des fortgesetzten Krisenmanagements führt innerhalb der Bourgeoisie, aber auch zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu heftigen Widersprüchen. So werden in den Medien und den Verlautbarungen der verschiedenen Monopolverbände bereits immer mehr Kritiken an der Regierung laut. Vor allem wird kritisiert, dass jetzt Steuererleichterungen durchgeführt werden, anstatt den Staatshaushalt zu "sanieren". Früher oder später – vielleicht nach den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen – wird die Regierung dazu übergehen müssen, die Krisenlasten verstärkt auf die Massen abzuwälzen. Damit läuft sie natürlich Gefahr, dass der Geduldsfaden einer wachsenden Zahl von Menschen reißt!

Wäre dieser Zeitpunkt die von dir angekündigte Zäsur?

Die Zäsur ist momentan eher programmatisch zu verstehen. Die gegenwärtige CDU/CSU/FDP-Koalition beinhaltet die Bereitschaft ebenso wie die Weichenstellung zu einer offen volksfeindlichen Politik. Die Regierung ist allerdings auch von einer sehr schwachen Massenbasis gekennzeichnet. Wenn diese volksfeindliche Politik direkt durchgezogen würde, könnten die Regierungsparteien noch weiter an Einfluss verlieren. Damit würde eine starke Kraft für die Geschäftsführung der Monopole fehlen. Die CSU steht tatsächlich in der Gefahr, unter die für sie notwendige bundesweite Fünf-Prozent-Marke zu fallen. Dadurch könnten CDU/CSU abrutschen wie die SPD. Laut Koalitionsvertrag sind die entscheidenden Vorhaben vorerst an zig verschiedene Arbeitskreise überwiesen worden. Sobald einer der Koalitionspartner seine geheimen Wünsche zum Besten gibt, fallen nicht nur die Oppositions-, sondern auch die anderen Regierungsparteien sofort darüber her und gebärden sich als Interessenvertreter ihrer Massenbasis. Es wird selbst für diese Wunschregierung der Monopole schwer werden, den volksfeindlichen Kurs zu verwirklichen. Die Massen werden die Schwäche dieser Regierung erkennen und entsprechend gegen sie kämpfen.

Gilt diese Krisendämpfungspolitik auch auf politischem Gebiet?

Der reaktionäre Charakter der Regierung wird auf politischem Gebiet bereits wesentlich offensichtlicher. Offen hat sie ihren Feldzug gegen den sogenannten "Linksextremismus" auf ihre Fahnen geschrieben und auch im Afghanistankrieg ist sie immer mehr bereit, einen ausdrücklichen Vernichtungskrieg zur Durchsetzung ihrer imperialistischen Interessen zu führen. Beides führt jetzt bereits dazu, dass die Proteste und der Unmut zunehmen. Der ehemalige Verteidigungsminister Jung musste wegen des Massakers von Kundus seinen Hut nehmen und auch der neue Verteidigungsminister zu Guttenberg bewegt sich auf schwankendem Boden. Die Herrschenden befinden sich politisch in der Defensive. Eine denkbar schlechte Startposition für die neuen Geschäftsführer der Monopole.

Was hat es mit den Kontokündigungen gegen die MLPD und dich persönlich auf sich?

Als mir mein persönliches Konto bei der Commerzbank ohne Angabe von Gründen gekündigt wurde, haben mir einige Freunde empfohlen, einfach still und leise ein anderes Konto zu eröffnen. Doch dieses Ausweichen löst das Problem nicht. Vor allem würde so die Bankentaktik aufgehen, den politischen Hintergrund dieser Kontokündigung zu verdecken. Inzwischen ist kaum mehr zu verbergen, dass die Kontokündigungen Bestandteil eines systematischen rechtswidrigen politischen Boykotts bundesdeutscher Banken gegen die MLPD ist.
So wurden nach der persönlichen Kontokündigung inzwischen auch der MLPD von der Deutschen Bank alle Konten gekündigt. Volksbank, Commerzbank, Nationalbank und SEB haben die Eröffnung von Konten durch die MLPD verweigert bzw. bereits eröffnete Konten wieder gekündigt. Damit wird nicht nur massiv die Geschäftsfähigkeit der MLPD attackiert, die Marxisten-Leninisten sollen auch anrüchig, irgendwie dubios und unseriös erscheinen. Das ist eine ernstzunehmende Form der Kriminalisierung der MLPD. Die formellen Begründungen bei den Kontokündigungen zeigen zugleich die politische Defensive der Akteure. Unter allen Umständen wollen die Herrschenden ihre Politik der politischen Isolierung der MLPD aufrecht erhalten. Dazu müssen sie sie aus der Öffentlichkeit der Medien heraushalten. Das wäre bei einem offenen politischen Angriff auf die MLPD aber kaum zu realisieren. Bei der formellen Begründung stecken sie allerdings in der Zwickmühle, zu rechtfertigen, warum die MLPD angeblich ohne konkreten Anlass auf diese Art und Weise diskriminiert, politisch verfolgt und attackiert wird.
Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir den politischen Hintergrund dieser Kontokündigungen begreifen. Hier wird offensichtlich eine Methode der sogenannten "Terroristenbekämpfung" verfolgt, mit der seit einigen Jahren politisch fortschrittliche Kräfte zielstrebig kriminalisiert werden. Das sogenannte "Austrocknen" der finanziellen Basis ist dabei eine der typischen Methoden. Es ist eine glatte Unverschämtheit und wir werden uns strikt dagegen wehren, dass wir als "Terroristen" diffamiert und verfolgt und die demokratischen Rechte und Freiheiten einer zugelassenen Partei in dieser Art und Weise mit Füßen getreten werden. Will man in Deutschland künftig beliebig politisch Andersdenkenden und regierungskritischen Parteien und Organisationen ihre demokratischen Rechte und Freiheiten aberkennen, sie finanziell ruinieren und politisch ins Abseits stellen? Da bleibt doch nur eine Farce der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland übrig!

Meinst du, dass diese Auseinandersetzung klammheimlich über die Bühne gehen kann?

Das werden wir zu verhindern wissen! Dass diese Auseinandersetzung mit der MLPD in eine Situation der allgemeinen politischen Verschärfung fällt, ist ein zweischneidiges Schwert für die Herrschenden. Die Massen sind auf der Suche nach Alternativen zu den gescheiterten bürgerlichen Parteien. Eine Polarisierung gegen die MLPD könnte dazu führen, dass sich die Massen mehr mit der MLPD und ihrer gesellschaftlichen Alternative des echten Sozialismus befassen und auf ihre Seite schlagen. Im Moment kommt es vor allem darauf an, eine breite demokratische Öffentlichkeit für den Protest gegen die undemokratischen Kontokündigungen zu gewinnen und diesen politischen Angriff offensiv zurück zu schlagen.

Findet das in der Öffentlichkeit Resonanz?

Inzwischen gibt es schon einen ganzen Ordner voll von Solidaritätsbekundungen aus verschiedenen politischen Richtungen, natürlich aus der MLPD und ihrem Umfeld, aus den Montagsdemonstrationen, aber auch von Mitgliedern der Linkspartei, aus Kreisen der Autonomen, der DKP und der Gewerkschaft. Wir werden alles tun, dass diese Attacke der Kontokündigung ein Rohrkrepierer der neuen Regierung und des gesamten Bankenverbands sein wird.

Was bedeuten diese politischen Verschärfungen für die Entwicklung der politischen Krise in Deutschland?

Jede Wirtschaftskrise ist gesetzmäßig mit einer politischen Krise verbunden. Durch das internationale Krisenmanagement wurde bisher verhindert, dass die politische Krise offen ausbricht. Mit der faktischen weiteren Verschärfung der Probleme haben sich Skepsis und Unzufriedenheit der Massen weiter verstärkt. Der Loslösungsprozess von den bürgerlichen Parteien, dem bürgerlichen Parlamentarismus und seinen Institutionen hat bei den Bundestagswahlen seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Sozialdemokratie steckt in einer existenziellen Krise.
Dass die politische Krise nicht offen ausbricht, funktioniert nur so lange, wie das System der kleinbürgerlichen Denkweise als hauptsächliches Betrugsinstrumentarium unter den Massen Wirkung zeigt. Diese Wirkung wiederum ist an die Fortsetzung des allgemeinen Krisenmanagements und eine spürbare Entlastung der Massen gebunden. So müssen die Herrschenden äußerst vorsichtig agieren,um nicht das Porzellan ihrer relativen Ruhe im Klassenkampf zu zerdeppern.

Offensichtlich ist aber auch die parlamentarische Opposition in Berlin nicht in der Lage, die Situation für sich auszuschlachten ...

Die SPD ist auch nach ihrem scheinselbstkritischen Parteitag und der Inthronisierung ihres neuen Parteivorsitzenden Gabriel nicht aus ihrer Krise herausgekommen. Nach wie vor dümpelt sie bei den Umfragen um die 20 Prozent. Die Leute verzeihen der SPD ihre offensichtliche Parteinahme für die Geschäftsführung der Monopole in den verschiedenen Konstellationen mit Schröder/Fischer, Merkel/Müntefering bzw. Merkel/Steinmeier nicht. Die Grünen und die Linkspartei können bisher nicht besonders aus dem Dilemma der neuen Regierung profitieren, weil natürlich jeder weiß, wie gerne sie sich den sogenannten "Sachzwängen" unterwerfen, nur um sich an Landesregierungen zu beteiligen.
Der weiter bestehende Linkstrend unter den Massen ist für die Herrschenden, aber auch für die bürgerlichen Parteien ein zusätzliches Problem. Einerseits wollen sie ihn loswerden. Schließlich können aus ihm offene Klassenauseinandersetzungen im Übergang zur Arbeiteroffensive, die Rebellion der Jugend und der aktive Volkswiderstand – kurz: der Beginn einer revolutionären Gärung unter den Massen – erwachsen. Solange der Linkstrend aber existiert und an Attraktivität gewinnt, müssen sie sich selbst scheinbar an ihn anpassen, um sich bei den Massen nicht zu isolieren. In diesem Dilemma befindet sich nicht nur die SPD, sondern auch zum Teil die CSU/CDU, die doch mit erstaunlichen Sprüchen wie vom "Turbokapitalismus" daherkommt und sich zuweilen – wie in der Person des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Rüttgers oder Hessens CDU-Chef Roland Koch – demonstrativ auf die Seite der Arbeiter stellt.
Die Linkspartei ist mit dem Eintritt in die Landesregierung von Brandenburg ihrerseits in einem Dilemma. Sie konnte einerseits von dem Linkstrend profitieren, auf der anderen Seite aber muss sie durch die Einbindung in die Regierung jetzt selbst eine massenfeindliche Politik mittragen. Die Leute werden das auf Dauer nicht mittragen. Wenn die Massen keine parlamentarische Alternative mehr sehen, stehen sie vor der Entscheidung, selbst aktiv werden, zu kämpfen und sich der sozialistischen Alternative der MLPD zuzuwenden.

Der Streik bei Daimler Sindelfingen passt irgendwie nicht so richtig in das Bild der relativen Ruhe ...

Der selbstständige Kampf vom 2. bis 6. Dezember 2009 bei Daimler in Sindelfingen war der erste große Massenkampf in Deutschland gegen die Folgen der Neustrukturierung der Automobilindustrie in der Weltwirtschafts- und Finanzkrise. Die Arbeiter im zweitgrößten deutschen Automobilwerk duldeten die geplante Verlagerung "ihrer" C-Klasse aus Sindelfingen nicht und traten in selbständige Streik- und Protestaktionen. Die Atmosphäre war explosiv und Anwesende berichteten von zeitweise geradezu aufstandsähnlichen Stimmungen. Als Schlachtruf wurde skandiert "Zetsche raus" (Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender von Daimler - Anm. der Redaktion) oder "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin".
Die Gewerkschaftsführung und rechte Betriebsratsspitze rief in diesen Tagen zu Kundgebungen und Demonstrationen bzw. zahlreichen außerordentlichen Betriebsversammlungen auf, um die Initiative wieder zu gewinnen und den selbständigen Kampf der Arbeiter wieder zu kontrollieren.
Zugleich beeinflusste der Kampf die politische Situation in der gesamten Region um Stuttgart: Neben den Kämpfen in Sindelfingen fanden auch in den Stuttgarter Daimler-Werken Arbeitsniederlegungen mit Protestkundgebungen statt. Beim Autozulieferer Behr blockierten die Kollegen die Pragstraße, eine der Hauptverkehrsadern von Stuttgart. Beim Automobilzulieferer Mann & Hummel in Ludwigsburg fanden Proteste gegen Massenentlassungen statt. Im Zentrum stand die Kritik an dem kapitalistischen Krisenmanagement, mit dem auf dem Rücken der Massen den Banken und Konzernen das Geld in den Rachen geworfen wird. Viele waren bewegt von der Sorge um die Zukunft der Jugend in der Region. Massenhaft machte sich in der bisher noch weniger von Arbeitslosigkeit betroffenen Region Angst vor dem Abstieg in Hartz IV breit. Ebenso zeitgleich durchdrangen sich in Stuttgart verschiedene Proteste des aktiven Volkswiderstandes – gegen den Afghanistankrieg und vor allem gegen das Projekt "Stuttgart 21" als Monopolprojekt mit dramatischen finanziellen aber auch umweltpolitischen Folgen. Dagegen hat sich eine eigene Montagsdemonstration entwickelt, an der zeitweise über 2.000 Leute teilnahmen. In Sindelfingen entstand breiter Protest gegen kommunale Kürzungen. Diese gehen wesentlich darauf zurück, dass Daimler seit Jahren keine Gewerbesteuer mehr bezahlt. Selbst beim Fußballspiel des VfB Stuttgart gegen den VFL Bochum kam es zu politischen Massenäußerungen. Sie veranlassten den Präsidenten des Kapitalistenverbandes BDA und Aufsichtsratsvorsitzenden des VFB Stuttgart, Dieter Hundt, zur folgenden Einschätzung:
"Die Randale nach dem Spiel ist für mich ohnehin in hohem Maß besorgniserregend... Die Kritik hat sich ja gegen vieles gerichtet. Gegen die Scheißmillionäre, gegen Daimler, gegen die Regierung, ganz pauschal gegen die da oben." ("Stuttgarter Zeitung", 08.12.09) Solche eruptionsartigen Entwicklungen sind in der nächsten Zeit grundsätzlich auch in anderen Regionen möglich. Wir müssen uns auf überraschende, schnellere und neue Entwicklungen und die Führung des Klassenkampfs im eigentlichen Sinn einstellen.
Dabei steht die Automobilindustrie und besonders deren Zulieferindustrie im Zentrum: Dort hat die MLPD einen großen Einfluss, stehen die weitreichenden Auswirkungen der Krise noch bevor und ist die Klassenzusammenarbeitspolitik der rechten Betriebsratsspitzen durch die Krise der Sozialdemokratie tiefgreifend in Frage gestellt.
Allein in Deutschland wird mit der Vernichtung von 240.000 Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie gerechnet. Weltweite Produktionskapazitäten von 94 Millionen Fahrzeugen stehen 2009 einem erwarteten Absatz von gerade einmal 55 Millionen Fahrzeugen gegenüber. Die Schlacht um die Neuaufteilung des Weltmarktes wird als gegenseitige Vernichtungsschlacht auf dem Rücken der Arbeiterklasse ausgetragen. Ich gehe davon aus, dass sich hier der Ausgangspunkt für den Übergang zur Arbeiteroffensive ausbildet.

Hat sich mit dem Regierungswechsel auch das Verhalten der Gewerkschaft verändert? Vorher gab es ja jahrelange Stillhalteabkommen mit der Regierung. Wird das mit der neuen Merkel/Westerwelle-Regierung auch der Fall sein, nachdem vorher massiv gegen sie mobil gemacht wurde?

Bisher deutet nur wenig darauf hin, dass die Gewerkschaften gegen die Regierung kämpfen wollen. Die gesamte Krisendämpfungspolitik ist immer in konzertierter Aktion von Unternehmerverbänden, rechter Gewerkschaftsführung und Regierung in die Wege geleitet und umgesetzt worden. Die Gewerkschaften übernehmen zum Teil den Part, dass sie in den Betrieben Zugeständnissen an die Kapitalisten zustimmen als vermeintliche Gegenleistung für den angeblichen Erhalt der Arbeitsplätze. Damit beteiligen sie sich aktiv an der Abwälzung der Krisenlasten auf den Rücken der Arbeiter. Statt gerade in Krisenzeiten eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich von den Kapitalisten zu fordern, um Arbeitsplätze zu erhalten, hat die Gewerkschaft der Ausweitung der Kurzarbeit zugestimmt. Diese wird aber nicht auf Kosten der Profite, sondern letztlich von den Sozialversicherungsbeiträgen finanziert und führt auch zu erheblichen Lohneinbußen bei den Betroffenen.
Die andere Seite der Klassenzusammenarbeitspolitik ist das aktuell erheblich verschärfte Vorgehen der IG-Metall-Führung gegen die MLPD, z.B. durch die Gewerkschaftsausschlüsse gegen langjährige, höchst aktive Gewerkschafter in Essen, die der MLPD zugerechnet werden. Damit widerspricht der IGM-Vorstand zutiefst dem Gedanken der Einheitsgewerkschaft von Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen usw. Er war eine wesentliche Schlussfolgerung aus der Spaltung der Arbeiterbewegung und den leidvollen Erfahrungen im Hitlerfaschismus.
Es ist zudem ein Skandal, wie der einmütige Auftrag des letzten IGM-Kongresses, die Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegen die MLPD endlich abzuschaffen, jetzt vom IGM-Vorstand in sein genaues Gegenteil verkehrt wird. Der SPD-hörige IGM-Vorstand sollte realisieren, dass nur noch 25 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder bei der Bundestagswahl SPD gewählt haben und diese deshalb nicht besonders erfreut darüber sein werden, wenn jetzt wieder antikommunistische Säuberungen losgehen.
Wir begrüßen auch, dass ausgehend von einer Konferenz kritischer und kämpferischer Gewerkschafter in Dortmund sich mit der "Dortmunder Erklärung" eine bundesweite Bewegung in den Gewerkschaften herausbildet unter dem Motto "Jetzt erst recht für starke und kämpferische Gewerkschaften in der Krise", wo entschieden gegen die innergewerkschaftlichen Maßregelungen Front gemacht wird.
Wir müssen die bevorstehenden Betriebsratswahlen nutzen, um die Klassenzusammenarbeitspolitik der reformistischen Gewerkschaftsführer zu kritisieren und für kämpferische Alternativen eintreten. Was die Arbeiterbewegung in der nächsten Zeit am wenigsten brauchen kann, ist eine Spaltung in verschiedene politische Richtungen.

In den letzten Wochen bekommt man den Eindruck, dass sich die Umweltbewegung wieder deutlich belebt hat ...

Der Weltöffentlichkeit wurde über Jahre – verstärkt noch nach der Wahl Obamas in den USA – suggeriert, dass jetzt in Kopenhagen endlich die dringend notwendigen Schritte zur CO2-Reduktion eingeleitet würden. Umso ernüchternder ist das Ergebnis. Das Spektakel von Kopenhagen demonstriert das offene Scheitern des imperialistischen Ökologismus. Dieser imperialistische Ökologismus versucht das Umweltproblem als Plattform für den imperialistischen Konkurrenz- und Machtkampf zu nutzen. Das Scheitern der ursprünglich ehrgeizigen Ziele in Kopenhagen, die Veränderungen im Weltklima zu stoppen, zeigt die Unfähigkeit des imperialistischen Weltsystems, die drängenden Menschheitsprobleme zu lösen. Schon mit Beginn der Weltwirtschaftskrise und erst recht von der neuen Regierung wurden auch die ohnehin unzureichenden Zugeständnisse in Umweltfragen rückgängig gemacht. Angela Merkel hat sich noch vor wenigen Jahren als "Klimakanzlerin" dargestellt. Jetzt hat die neue Regierung als eine der ersten Amtshandlungen die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängert. Damit wird in vielen Ländern dieser Welt eine kriminelle atomare Verseuchung von Mensch und Natur betrieben. An dem skandalösen Ausbau der Kohlekraftwerke wird festgehalten. Die Fokussierung auf fossile Energieträger wird verewigt. Erneuerbare Energien werden allenfalls da gefördert, wo deutsche Monopole in ihrem Kampf um die Weltmarktführerschaft Chancen sehen. Die deutschen Monopole haben Kanzlerin Merkel beauftragt, in Kopenhagen keine "einseitigen" Zusagen zu machen. Ein verbindliches Klimaabkommen sei nur akzeptabel mit Vorteilen für die deutschen Monopole, um mit ihrem "Exportschlager" Umwelttechnologie zur Weltmarktführerschaft zu gelangen bzw. sie zu festigen. Das alles hat mit der dringend notwendigen Wende zu erneuerbaren Energien und Kreislaufwirtschaft nichts zu tun.
Die heuchlerische Floskel von der Vereinbarkeit von Umweltschutz und Wirtschaft entpuppt sich als schnöde Unterwerfung der Rettung der Umwelt unter die Profitinteressen der Monopole.
Es ist vor diesem Hintergrund bemerkenswert, wie sich der internationale Widerstand gegen die Klimakatastrophe formiert. In 108 Ländern der Erde gab es in den letzten Wochen zum Teil massenhafte Protestaktivitäten für Klimaschutz. Allein in Kopenhagen beteiligten sich ca. 200.000 Menschen an den Massenprotesten. Auch kommt es zur zunehmenden Konfrontation der führenden imperialistischen Länder mit den neokolonial abhängigen Ländern. Diejenigen, die für die menschheitsgefährdende Klimakatastrophe am wenigsten verantwortlich sind, sind zugleich am massivsten von den bereits jetzt eintretenden Klimaveränderungen betroffen. Eine Reihe von Inselgruppen werden in den nächsten Jahrzehnten verschwinden, ganze Landstriche vor allem in den neokolonial abhängigen und unterdrückten Ländern werden den Meeresfluten geopfert. Die Ausdehnung der Wüsten, die Vernichtung der Regenwälder – all das trifft vor allem die Bevölkerung der Länder, in denen der Hunger am allermeisten grassiert. Die Präsidenten von Bolivien, Venezuela und den Malediven solidarisierten sich mit den Demonstranten, eine wachsende Anzahl der afrikanischen Länder fordert, dass die CO2-Belastung wieder auf den Stand von vor 20 Jahren zurückgeführt werden muss. Diese Forderung richtet sich berechtigt vor allem an die imperialistischen Staaten, inklusive der Forderung nach einer Wiedergutmachung für die bisherigen Zerstörungen in diesen Ländern. Das Bewusstsein über den notwendigen Kampf gegen die Monopolkonzerne und ihre Profitgier als Hauptverantwortliche für die Umweltkrise ist wieder gewachsen.
In der Umweltbewegung hat sich auch der internationalistische Geist deutlich belebt. Mit dem teils gewaltsamen Rausschmiss vieler, sogar akkreditierter NGO-Vertreter aus der Kopenhagener Klimakonferenz am 16. Dezember, der Eskalation des Staatsterrors und des Abbaus demokratischer Rechte hat die bisher vorherrschende Lobbying-Strategie des kleinbürgerlichen Ökologismus eine herbe Schlappe erlitten. Kopenhagen war ein wichtiges Lehrstück für die Notwendigkeit, eine internationale Widerstandsfront gegen die Profitgier der Monopole aufzubauen.

Mit den Bildungsprotesten hat sich der rebellische Geist unter der Jugend deutlich belebt. Das muss Gründe haben ...

Unter der Jugend gelingt die Krisendämpfungspolitik der Herrschenden am Wenigsten. Besonders bemerkenswert ist die Entwicklung der letzten Wochen. Während sich im Sommer ca. 270.000 an solchen Bildungsprotesten beteiligten, sind es diesmal bislang ca. 100.000. Dabei muss aber beachtet werden, dass diese Proteste kurz nach dem Regierungswechsel stattfanden und sich ausdrücklich gegen Zweifler und Bremser durchsetzten, die der neuen Regierung und ihren angeblichen Bildungsinitiativen erstmal eine Chance geben wollten.
Im Unterschied zu den Schüler- und Studentenprotesten in den letzten Jahren gab es diesmal eine internationale, europaweit koordinierte Studentenprotestwelle mit Besetzung von Hörsälen, Demonstrationen und politischem Boykott. An manchen Unis beteiligten sich tausende Studenten an Massendiskussionen über das Bildungswesen, über die "Systemfrage", Bündnispartner in der Arbeiterbewegung und sozialen Bewegung usw. Es kam auch zu einzelnen Übergriffen der Polizei auf demonstrierende und kämpfende Schüler und Studenten wie in Essen. Gleichzeitig tut die Regierung so, als würde sie wichtige Forderungen der Schüler- und Studentenproteste ernst nehmen. Sie beschränkt sich aber auf vordergründige Zugeständnisse an Forderungen zur Ausgestaltung der Studiengänge und eine leichte BAFöG-Erhöhung. In den Medien hat sich die Sprachregelung durchgesetzt, es handele sich nur um Proteste zur Verbesserung der Studienbedingungen. In Wahrheit geht der Unmut der Jugend viel tiefer. So greifen die Protestierenden die Disziplinierung durch die sogenannten "Kopfnoten" an, wenden sich gegen die immer direktere Unterordnung der Bildung unter die Profitinteressen der internationalen Monopole. Sie sind betont internationalistisch und mehr und mehr offen für den Zusammenschluss mit der Arbeiterbewegung. Auffallend ist auch, dass die aktiven Schüler meist aus der Mittelstufe kommen, viele Arbeiterkinder und -jugendliche aktiv sind, besonders Migranten.
Das kann ein Signal dafür sein, dass sich der rebellische Geist nach Jahrzehnten einer bestimmten Ruhe unter der lernenden und studierenden Jugend wieder breit macht. MLPD und REBELL spielten in diesen Kämpfen eine aktive Rolle; sie beteiligten sich in mindestens 30 Städten aktiv an Demonstrationen, organisierten Offene Mikrofone, beteiligten sich verstärkt an der unmittelbaren Organisierung von Kampfaktionen. Gleichzeitig gibt es in den Protesten noch eine gehörige Portion Organisationsfeindlichkeit, zum Teil werden auch gezielt antikommunistische Vorbehalte verbreitet. Nur organisiert kann man aber Erfolge erzielen; nur organisiert kann man all das lernen, was für eine erfolgreiche Rebellion gegen die Herrschenden nötig ist; nur organisiert findet man den Rückhalt, den man braucht, um sich dauerhaft gegen den gesellschaftlichen Mainstream zu stellen; nur organisiert wird die Jugend dauerhaft zur praktischen Avantgarde des Kampfes.

Stehen nur Studenten und Schüler zurzeit im Zentrum der Jugendbewegung und welche Aufgaben sieht die MLPD darin?

Die Rebellion der Jugend bezieht sich durchaus nicht nur auf die Schüler und Studenten, sondern beinhaltet auch eine Reihe von Kämpfen der Arbeiterjugend gegen die Nichtübernahme nach der Lehre wie z.B. bei Hoechst in Frankfurt.
Die Organisierung der Rebellion ist das Hauptfeld der marxistisch-leninistischen Jugendarbeit, weshalb sich der Aufbau des REBELL mit der Förderung der Rebellion der Jugend enger verbinden muss. Zugleich muss er verstärkt die sportlichen und kulturellen Interessen der Jugend usw. beachten und die Rebellion der Jugend als Lebensschule der proletarischen Denkweise fördern.
Die im letzten Jahr eingeleitete Kritik-Selbstkritik-Kampagne zur marxistisch-leninistischen Jugendarbeit muss erst noch zu einem vollen Erfolg geführt werden. Hier wurden viele Initiativen der Mitglieder und Leitungen der Partei entwickelt, die aber durch eine bestimmte Führungslosigkeit unserer verantwortlichen Genossen keine nachhaltige Veränderungen unserer Jugendarbeit bewirkten. Vor allem wurde die nötige Neuaneignung unserer jugendpolitischen Linie an den Rand gedrückt und es verstärkte sich teilweise sogar eine pragmatische Tendenz.
Das Zentralkomitee hat daher beschlossen, die Kritik-Selbstkritik-Kampagne zu verlängern und eine ganze taktische Hauptaufgabe zu Beginn 2010 darauf zu konzentrieren. Ab Januar wollen wir auch neuartige Jugendseiten in der "Roten Fahne" einführen, die ein Kompass der Jugendarbeit von Partei, REBELL und Rotfüchsen werden sollen.

In einem der letzten Interviews hast Du vom Aufbau einer Internationalen Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen (ICOR) gesprochen. Was ist aus diesem Projekt geworden?

Die dreijährige Vorbereitung, an der fast 70 Parteien und Organisationen beteiligt sind, hat inzwischen zu einem bedeutenden ersten Erfolg geführt. Nachdem zunächst in einer sehr intensiven Diskussion ein gemeinsames Verständnis über die Bedeutung und Notwendigkeit der Schaffung einer internationalen Organisation der Koordinierung und Kooperation erarbeitet wurde, konnte inzwischen die Phase der konkreten Vorbereitung der Weltkonferenz zur Gründung der ICOR eingeleitet werden.
Die revisionistische Entartung aller ehemals kommunistischen Parteien führte zu einem Tiefpunkt der marxistisch-leninistischen Bewegung.
Mit der ICOR-Gründung wird ein entscheidender Schritt zur Überwindung der Zersplitterung der internationalen revolutionären und Arbeiterbewegung gemacht und eine geeignete gemeinsame Organisationsform für einen neuen Aufschwung des Kampfs für den echten Sozialismus unter den heutigen Bedingungen gefunden werden. Die objektive Grundlage bildet die tiefste Weltwirtschafts- und -finanzkrise seit Bestehen des Kapitalismus.
Natürlich müssen solche grundlegend neuen Aufgaben, die sich für uns Marxisten-Leninisten aus der Neuorganisation der internationalen Produktion ergeben, auch theoretisch verarbeitet und "voraus gedacht" werden. Deshalb arbeiten wir sozusagen parallel zur Beteiligung am praktischen Prozess der ICOR-Vorbereitung an den neuen Ausgaben unseres theoretischen Organs, dem REVOLUTIONÄREN WEG 32-34 zur "Strategie und Taktik der internationalen Revolution". Wie selten zuvor durchdringt sich das mit einem engen und vielfältigen Kontakt zu den Parteien und Repräsentanten der weltweiten marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung, deren vielfältige Erfahrungen und Erkenntnisse natürlich keine Partei der Welt alleine machen kann.
Bereits in der Vorbereitungsphase haben sich Teilnehmer der ICOR für die gemeinsame Unterstützung internationaler Projekte verpflichtet. Eine erste große Bewährungsprobe in dieser Hinsicht ist die Unterstützung und Mitarbeit an der Vorbereitung und Organisierung der Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen im Jahr 2011 in Venezuela.

Ist die Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen in Venezuela in erster Linie eine internationalistische Aufgabe?

Die Weltfrauenkonferenz ist ein großes internationalistisches Projekt mit überparteilichem Charakter, das die ganze Bandbreite der kämpferischen und internationalen Frauenbewegung repräsentieren soll. Der Gedanke des internationalen Treffens der Basisfrauen stößt in Deutschland auf große Begeisterung und es gibt viele Initiativen in der Vorbereitung. Wir stellen aber auch in unserer Parteiarbeit fest, dass dies oft noch getrennt wird von der Gewinnung neuer Frauen und Mädchen für die Organisationen der kämpferischen Frauenbewegung wie z.B. den überparteilichen Frauenverband Courage, die Stärkung der Gewerkschaftsfrauenbewegung usw. Letztlich lebt aber auch ein internationalistischer Höhepunkt davon, ob er eine entsprechend starke Basis in den einzelnen Ländern repräsentiert. In unserer Parteiarbeit setzen wir uns das Ziel, in diesen Aufgaben vor allem die kämpferische Frauenbewegung in Deutschland zu stärken und ab Mitte August wollen wir uns auf die Förderung der kämpferischen Frauenmassenbewegung in Verbindung mit der Unterstützung der Vorbereitungen für den Frauenpolitischen Ratschlag und die Weltfrauenkonferenz konzentrieren. Wir stellen das ausdrücklich als Aufgabe für alle Felder unserer systematischen Kleinarbeit.
Man muss sagen, dass sich in der Partei nach früheren Erfolgen inzwischen eine Unterschätzung der "Frauenfrage" eingeschlichen hat. Das bezieht sich auf eine tendenzielle Geringschätzung des Kampfs um die Befreiung der Frau, der Frauenförderung, der Unterstützung der kämpferischen Frauenbewegung und vor allem der Aneignung bzw. Neuaneignung unserer frauenpolitischen Linie. Diese Arbeit wird immer wieder auf einige Verantwortliche und Spezialistinnen abgeschoben anstatt sie zum festen Bestandteil der Leitungs- und Kleinarbeit aller Ebenen zu machen. In dem Buch "Neue Perspektiven für die Befreiung der Frau" hatten wir die bedeutende Rolle der kämpferischen Frauenbewegung qualifiziert, die in diesem gesamtgesellschaftlichen Umfeld nur zu unterstreichen ist: "Da sich die kämpferische Frauenbewegung auf die Veränderung der gesamten Lebensverhältnisse der Massen in der kapitalistischen Gesellschaft bezieht, kann sie auch das Bindeglied zwischen allen fortschrittlichen Bewegungen und dem proletarischen Klassenkampf werden. (...) Die kämpferische Frauenbewegung muss sich überall einmischen und zum Ausdruck bringen, dass es ohne Kampf um die Befreiung der Frau keinen gesellschaftlichen Fortschritt gibt." (S. 323/324) Der Ausgangspunkt für eine erfolgreiche taktische Hauptaufgabe ist die Überwindung der Verdrängung unserer frauenpolitischen Linie der MLPD und deren gründliches Studium.

Welche Bilanz ziehst du mit etwas zeitlichem Abstand über die Offensive für den echten Sozialismus, die die MLPD im Zusammenhang mit der Bundestagswahl durchgeführt hat?

Diese Offensive war eine hervorragende Gemeinschaftsaktion der gesamten Partei. Bei allem Erfolg mussten wir doch außergewöhnlich hart darum kämpfen. Die ganze Offensive fand in einer komplizierten Übergangssituation statt, in der sich der Linkstrend entfaltete, die Weltwirtschaftskrise ausbrach, das einmalige internationale Krisenmanagement ausgerichtet wurde und auch Wirkung zeigte. Dabei gab es auch eine neue Taktik im Vorgehen gegen die MLPD: der Antikommunismus wurde in den bürgerlichen Massenmedien deutlich verschärft ebenso wie direkte Angriffe gegen die MLPD – während die MLPD zugleich nie beim Namen genannt wurde. Wir wurden einem fast hundertprozentigen Medienboykott unterworfen, womit unsere "Bedeutungslosigkeit" unter Beweis gestellt werden sollte. Objektiv wurde damit die Stärkung der Linkspartei als kleineres Übel für die Herrschenden betrieben.
Nicht zuletzt mussten wir gegen eine Tendenz der Skepsis der Massen gegenüber allen Parteien ankämpfen, die unsere Offensive zeitweilig erschwerte.
Wir mussten die Situation verarbeiten und die richtigen Schlüsse ziehen. Wir hatten von Beginn an diskutiert, dass wir in unserer Offensive eine Polemik gegen die bürgerliche politische Ökonomie, das bürgerliche Krisenmanagement der Regierung, aber auch die Träger der linksreformistischen und reformistischen Konzepte entwickeln und den Antikommunismus offensiv angreifen müssen. Doch gerade diese Grundlinie setzte sich erst nach und nach durch. In Verbindung mit einem Zurückweichen vor der zum Teil aggressiven antikommunistischen Hetze gegen unsere Genossen gab es zum Teil die Vorstellung, man könne schneller punkten, wenn man sich dem allgemeinen Linkstrend anpasst oder unkritisch anhängt. Dieser beinhaltet aber eben auch eine starke linksreformistische und parlamentarische Richtung, die sich letztlich gegen die revolutionäre Position der MLPD richtet. Die Aufgabe der MLPD ist die Stärkung der revolutionären Richtung im Linkstrend! Diese Aufgabe hat sie letztlich auch hervorragend wahrgenommen. Aber da, wo angesichts neuer Anforderungen eine bestimmte opportunistische Prägung nicht überwunden wurde, gab es Probleme. Das betraf z.B. eine Gewöhnung, sich auf eine Arbeit als kämpferischer Gewerkschafter zu beschränken und vor der systematischen Überzeugungsarbeit für den echten Sozialismus zurück zu weichen. Diese opportunistische Richtung kam dann offen zum Ausdruck in der "Roten Fahne" Nr. 36, die im September unter der Überschrift "Deine Stimme für die Arbeiteroffensive" erschien. Kurz nach unserem hervorragenden Wahlkampfauftakt in Hamburg verbreitete sie objektiv eine Gegenausrichtung zur Offensive für den echten Sozialismus. Sie blendete den Wahlkampf der MLPD weitestgehend aus. Das ging so weit, dass die landesweiten Auftaktkundgebungen und die Hauptkundgebungen der MLPD noch nicht einmal angekündigt waren. Stattdessen wurde als "Höhepunkt des Wahlkampfs" darauf orientiert, dass unsere Zeit nach der Wahl käme, wenn die Angriffe losgehen und die Arbeiter und die breiten Massen wohl spontan zu Kämpfen übergehen würden. Diese "Rote Fahne" richtete sich auch gegen unseren Personenwahlkampf, in dem die führenden Repräsentanten völlig raus gehalten wurden. Offenbar wirkte hier latent auch die "Personenkult"hetze, die der Verfassungsschutz seit Jahren gegen die MLPD und vor allem meine Person vom Zaun bricht und der man auf diese Weise "den Boden entziehen" wollte. In der Offensive konnten wir die Leute massenhaft und überzeugend gerade da gewinnen, wo wir diese antikommunistischen Parolen offensiv angriffen.
Die offene parteiinterne Debatte um diese "Rote Fahne" ermöglichte eine schnelle Vereinheitlichung und selbstkritische Korrektur und führte dazu, die Offensive für den echten Sozialismus erfolgreich zu steigern und zu Ende zu führen. MLPD und REBELL gingen sozusagen "ab wie eine Rakete". Die letzten Wochen des Wahlkampfes waren von einer solchen Schöpferkraft, revolutionärem Geist, Ideenreichtum und Initiative geprägt, dass wir nicht zufällig in dieser Phase fast die Hälfte der insgesamt 5.600 Wahlhelfer gewannen. Einmal mehr war hier die Lehre von der Denkweise ein Garant, mit der kleinbürgerlichen Denkweise fertig zu werden und im Gegenwind eine erfolgreiche Arbeit zu entfalten.

Im letzten Interview hast du als Aufgabe der MLPD formuliert, nun "die Erfolge der Offensive für den echten Sozialismus zu sichern". Was wurde daraus?

Nach dem Erfolg unserer Offensive sind viele Genossen davon ausgegangen, dass die Offensive weitergeht und sich nur der Schwerpunkt verlagert. Diese Vorstellung verkennt die Gesetzmäßigkeiten einer Offensive, die sehr viel Kraft kostet. So viel, dass sie zuweilen den normalen Kräftehaushalt übersteigt. Andererseits gewinnt jede siegreiche Offensive neue Kräfte. Diese müssen aber erst einmal in die "Truppen" integriert werden, ihre Grundsätze und Spielregeln kennen und verstehen lernen, ihren Platz finden, sich identifizieren und heimisch fühlen, bevor sie zu einer realen Stärkung führen. Deshalb lehrt der berühmte Militärwissenschaftler Clausewitz, dass erstens die Offensive nicht über die Maßen hinaus weitergeführt, sondern zweitens mit dem Sieg unbedingt eingestellt werden muss, um drittens den Sieg in der Verteidigung zu sichern. Wir sind im ZK deshalb zur Erkenntnis gekommen, dass nach der Phase der Offensive notwendigerweise eine zeitweilige defensive Phase in der Parteiarbeit kommen muss. Viele Genossen hatten den Begriff der Defensive in der Parteiarbeit einseitig negativ gedeutet, als ob Defensive Kapitulation oder Zurückweichen bedeuten würde. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass unsere Genossen richtigerweise eine offensive Grundhaltung haben. Mit der Stärkung unserer Kräfte in einer zeitweiligen Defensive im Parteiaufbau – im Clausewitz'schen Sinn – wird auf eine nachhaltige Festigung der Erfolge ausgerichtet, und damit auch eine neue Offensive vorbereitet. Es ist gerade die dialektische Behandlung von Offensive und Defensive in Parteiaufbau und Klassenkampf, die die Einheit von Strategie und Taktik gewährleistet.

Was nimmt sich die MLPD für die nächste Zukunft vor?

In erster Linie müssen wir in der theoretischen Arbeit eine Menge leisten. Die Arbeit am REVOLUTIONÄREN WEG 32 über die Strategie und Taktik der internationalen Revolution muss fertig gestellt werden, ebenso auch Arbeiten an der Fortführung der Lehre von der Denkweise. Innerhalb der Organisation stehen Delegiertentage in den Orten und in den Landesverbänden an. Diese werden eine Bilanz über die erste Bewährungsprobe der neu gewählten Landesleitungen sein. Die MLPD muss um eine neue Qualität des proletarischen Internationalismus kämpfen – das ist die Quintessenz aus den neuen Entwicklungen und wesentlichen Veränderungen der Neuorganisation der internationalen Produktion und der Aufgabenstellung der Vorbereitung der internationalen Revolution.
Das Zentralkomitee hat im Einvernehmen mit den zuständigen Landesleitungen beschlossen, 2011 wieder an den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt teilzunehmen und 2012 die Senatswahlen in Hamburg zu nutzen, um den Parteiaufbau in Hamburg zu stärken. Wir müssen vor allem 2010 und 2011 damit rechnen, dass es öfter zu "Entladungen" wie bei Daimler in Sindelfingen kommt, die wir nutzen werden für die Entwicklung der Arbeiteroffensive, des aktiven Volkswiderstands und der Rebellion der Jugend. Das sind die taktischen Voraussetzungen, um zu einer neuen strategischen Ausgangslage im Kampf für den echten Sozialismus zu kommen. Die Organisation hat sich 2009 im Gegenwind tapfer geschlagen und wird auf diese Aufgaben gut vorbereitet sein.
Ich wünsche allen Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunden, aber auch unseren Kampfgefährten aus der internationalen revolutionären und Arbeiterbewegung ein kämpferisches, erfolgreiches neues Jahr!
Vielen Dank für die hervorragende Zusammenarbeit!

Vielen Dank für das Interview und dir und der MLPD ein erfolgreiches 2010!

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