26.08.09: Interview mit Stefan Engel: "Die Offensive für den echten Sozialismus ist nicht mehr aufzuhalten!"

 

Mit der fulminanten Auftaktveranstaltung in Hamburg hat der Bundestagswahlkampf der MLPD begonnen. Wie ist dieser Auftakt gelungen?

Dieser Auftakt war wirklich eine runde Sache! Die Wählerinitiativen aus den nördlichen Bundesländern nahmen diesen Auftakt zum Anlass für einen Ausflug, der die zentrale Veranstaltung zu ihrer Sache machte, aber auch den solidarischen Zusammenhalt stärkte. Hinzu kamen die zahlreichen Teilnehmer und Besucher aus Hamburg und von der ganzen Wasserkante. Die Kundgebung besuchten 800, die Kulturveranstaltung 1.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und an der Demonstration zwischen Kundgebung und Kulturfest beteiligten sich 1.000 Leute. Das wiederum haben tausende Passanten und Anwohner in Hamburg mitbekommen und so – oft das erste Mal – die MLPD als kämpferische und attraktive – eben revolutionäre! – Partei kennen gelernt. Der Grundgedanke dieser begeisternden Auftaktveranstaltung war, die Ausrichtung des Bundestagswahlkampfs mit der ersten größeren Wahlveranstaltung zu verbinden und dabei unseren Aufbauschwerpunkt Hamburg zu verwirklichen. Das ist voll und ganz gelungen! So wird der "Geist von Hamburg" auf unseren Wahlkampf im ganzen Land ausstrahlen.

Auf was kommt es bei der Bundestagswahl am meisten an?

Es ist wichtig, dass wir uns prinzipiell vom bürgerlichen Parlamentarismus abgrenzen. Dieser behauptet, dass die Geschicke der Menschen durch parlamentarische Wahlen entschieden werden. In Wirklichkeit ist es aber so, dass die Anzahl der Wählerstimmen nur wenig Einfluss auf die Politik der herrschenden Monopole haben wird.

Gleichwohl kämpfen wir um jede Stimme bei diesen Wahlen. Das mag manchem zunächst als Widerspruch erscheinen. Der Kampf um jede Stimme ist aber das Entscheidende. Dieser Kampf zielt auf die Veränderung der Menschen, schafft Bewusstsein und Selbstbewusstsein.

Damit führen und erlernen wir einen Kampf um die Denkweise, der letztlich darauf abzielt, die entscheidende Mehrheit der Arbeiterklasse für den Sozialismus zu gewinnen und die breiten Massen in den Kampf gegen die Regierung einzubeziehen. Wer diese Dialektik nicht versteht, wird schnell vom bürgerlichen Parlamentarismus beeinflusst. Er bemisst die Aktivitäten der MLPD einseitig am Wahlergebnis. Auf dieses haben wir aber aufgrund der gegebenen Verhältnisse mit einem ganzen System der Wahlmanipulation ohnehin nur bedingt Einfluss.

Vollen Einfluss haben wir jedoch darauf, wie wir den Massen gegenübertreten, wie wir mit den Menschen diskutieren, wie wir sie überzeugen, wie wir unsere Partei darstellen, welche Organisationsformen wir schaffen und wie es uns gelingt, unsere Partei systematisch aufzubauen und ihr eine größere Ausstrahlung auf den Kern des Industrieproletariats, die breiten Massen und dabei besonders die Masse der ­Frauen und der Jugend zu verleihen.

Was sind die wichtigsten Inhalte des Bundestagswahlkampfs der MLPD?

Schluss mit dem Krisenchaos - Vorwärts zum echten Sozialismus!Wir müssen uns natürlich mit den wichtigsten Grundfragen der politischen und wirtschaftlichen Situation auseinandersetzen. Geradezu penetrant versuchen die Herrschenden in diesem Wahlkampf, insbesondere diese Grundfragen an die Seite zu drängen. Sie wollen keinesfalls polarisieren! Unter den Bedingungen der herrschenden Weltwirtschaftskrise laufen sie natürlich immer Gefahr, dass sich der Unmut der Bevölkerung gegen sie als regierende Parteien und gegen die Verursacher der Krise in den Konzernspitzen der internationalen Übermonopole entlädt. Deshalb kommt es für uns darauf an, gerade diese entscheidenden Kernfragen in den Mittelpunkt zu rücken, die bürgerlichen Parteien zu attackieren und zu polemisieren. Ihren – noch dazu äußerst verkrampften – Schmusekurs machen wir natürlich nicht mit.

Im Mittelpunkt wird wohl die Auseinandersetzung um die Weltwirtschafts- und Finanz­krise stehen.

Natürlich! Seit letzter Woche wurde versucht, das Ende der Weltwirtschafts- und Finanzkrise herbeizureden. Das kam wie bestellt unmittelbar mit dem Auftakt des Bundestagswahlkampfs und ist ein durchsichtiges Manöver.

Es stimmt, dass die Talfahrt der Wirtschaft abgebremst wurde und einzelne Faktoren auch zeitweilig sogar eine positive Entwicklung genommen haben. Allerdings ist im Moment noch völlig offen, ob das nur kleine Schwankungen im Rahmen des Krisenabschwungs sind oder ob die Krise bereits in eine Stagnation auf nied­rigs­tem Niveau übergeht.

Gleichzeitig muss man sehen, dass wir uns bei der Industrieproduktion immer noch auf dem Niveau des Jahres 2000 befinden. Auch die deutschen Ausfuhren lagen im Juni noch 22 Prozent unter dem Niveau von Juni 2008.

Keinesfalls kann man vom Ende der Weltwirtschafts- und Finanzkrise sprechen. Im Gegenteil – die Hauptwirkungen dieser Weltwirtschafts- und Finanzkrise stehen noch vor uns. In den USA geht das Bankensterben weiter. Am letzten Freitag ist die 81. Bank seit Beginn der Weltwirtschafts- und Finanzkrise zusammengebrochen. Weitere gigantische Spekulationsblasen wie im Kreditkartenbereich oder mit weiteren faulen Papieren können ­jederzeit platzen und einen ­neuen Schub der Krisenentwicklung auslösen. In Deutschland beginnen erst die Vorbereitungen auf den umfassenden Abbau von Arbeitsplätzen in der Großindustrie, bei den Dienstleistungen, im Handel usw. Die bisherigen Insolvenzen waren nur eine Art Vorgeschmack auf das, was jetzt kommt.

Allein im Juli haben 64 internationale Monopole einen weltweit geplanten Abbau von 600.000 Arbeitsplätzen verkündet. Sogar bürgerliche Experten rechnen mit einem Anstieg selbst der offiziellen Arbeitslosigkeit um 1 bis 1,5 Mil­lio­nen bis Ende des nächs­ten Jahres.

All das wird auf die wirtschaftliche Entwicklung zurückwirken. Vor allem aber werden die Krisenlasten auf verschiedene Art und Weise auf die Leute abgeladen werden. Im Mittelpunkt steht die gigantische Steigerung der Ausbeutung der Arbeiter in den Betrieben durch erhöhte Arbeitsintensität. So wird gnadenlos die Angst vor dem Verlust der Arbeitsplätze und die Methode der Kurzarbeit usw. ausgenutzt, um die Ausbeutung in den Betrieben zu steigern und die Leute fertig zu machen. Gleichzeitig wird die Krise genutzt, um die Betriebe umzustrukturieren, auf eine neue Runde im internationalen Konkurrenzkampf auszurichten und die Arbeiter zur Identifikation mit ihrem jeweiligen Monopol zu erpressen. Im Mittelpunkt steht dabei die Autoindustrie. Das wird mit einer Reihe von Angriffen auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen, aber auch auf die Arbeiterrechte verbunden sein, was natürlich erst nach den Wahlen offen diskutiert werden wird.

Am Montag dieser Woche wurde von der Financial Times Deutschland gegenüber ihrem exklusiven Leserkreis von einem Stillhalteabkommen zwischen den führenden Monopolen und der Bundesregierung berichtet, Massenentlassungen und andere massive Angriffe auf die Belegschaft bis zum Wahltag – aber nur bis dahin! – aufzuschieben. Auch von staatlicher Seite werden umfassende Angriffe auf die Massen vorbereitet, denn die gigantischen Krisenprogramme mit hunderten von Milliarden Euro müssen ja irgendwie refinanziert werden. Im Mittelpunkt steht sicherlich die geplante Erhöhung der indirekten Steuern, der Abbau sozialer Leistungen, die weitere Auflösung der paritätischen Sozialversicherungsfinanzierung, der Abbau der Renten, weitere Kürzung von Hartz IV – kurz: tiefe Einschnitte in sämtliche soziale Sicherungssysteme. Wir nutzen deshalb den Wahlkampf, um die Massen darauf vorzubereiten: Nach den Wahlen kommt das Zahlen! Dagegen muss die Arbeiterklasse, müssen die breiten Massen in Stellung gebracht werden: Sie müssen dagegen kämpfen, dass die Krisenlasten auf ihren Rücken abgeladen werden.

Was ist das Wesen des Wahlkampfes der MLPD?

Es kommt vor allem darauf an, den Bundestagswahlkampf als Offensive für den echten Sozialismus zu führen. Das bedeutet, dass wir im Rahmen des gegenwärtigen Linkstrends unter den Massen darum kämpfen, die Leute für eine revolutionäre sozialistische Alternative zu gewinnen. Noch hat die linksreformistische Tendenz im Linkstrend die Oberhand. Die Linkspartei konnte die parlamentarischen Illusionen unter den Massen für sich ausnützen. Deshalb müssen wir uns auch mit der Politik der Linkspartei kritisch auseinandersetzen, ohne dass wir allerdings das Tischtuch zerschneiden. Viele Mitglieder und Anhänger der Linkspartei sind nach wie vor die potenziell wichtigsten Bündnispartner im Kampf gegen den Abbau sozialer Errungenschaften, gegen den Neofaschismus, gegen den Kriegseinsatz in Afgha­nis­tan. Nichtsdestotrotz müssen wir den Leuten die Wahrheit sagen. Die von Lafontaine propagierte Losung von der "Wirtschaft freier Menschen", ohne den Kapitalismus abzuschaffen, ist eine illusionäre und grob irreführende Fantasterei, die dem Klassenkampf schadet.

Wenn sich die Arbeiterklasse von Ausbeutung und Unterdrückung befreien will, muss sie das kapitalistische System überwinden. Deshalb heißt Offen­sive für den echten So­zialismus auf der einen Seite Auseinandersetzung mit der ­illusionären Auffassung der kleinbürgerlich-reformistischen, kleinbürgerlich-revisionistischen und kleinbürgerlich-parlamentarischen Denkweise insbesondere der Linkspartei. Auf der anderen Seite heißt es auch, unsere Vorstellung vom echten Sozialismus lebendig, überzeugend, populär und selbstbewusst unter die Massen zu tragen. Dafür sind sie so aufgeschlossen, wie ich es noch nie erlebt habe.

Wie stellt sich diese Aufgeschlossenheit dar?

Im Vorfeld dieser Bundestagswahl haben wir die Erfahrung gemacht, dass der Antikommunismus nicht mehr die primäre Rolle als Hindernis in der Auseinandersetzung um die Unterschriftensammlung gespielt hat. Wir haben 40.000 Unterschriften gesammelt und dafür etwa 200.000, zum Teil sehr anspruchsvolle Einzelgespräche führen müssen. Dort wurde deutlich, dass das Hauptproblem heute eine bestimmte Politikverdrossenheit und Unmut gegen „die Politiker“ insgesamt ist. Wir mussten uns erst mal als „Politik-Rebellen“ überzeugend abgrenzen und positionieren, damit wir nicht die Prügel für die bürgerlichen Parteien einsteckten.

Den Leuten muss klar werden, dass dumpfe Unmutsäußerungen nicht reichen. Statt in Negativismus und Defätismus zu verfallen, muss man für seine Interessen kämpfen und sich organisieren. Reiner Unmut aus dem hohlen Bauch heraus ist sogar auch ein Nährboden für rechte Populisten.

Die Unterschriftensammlung war ein wichtiges Vorgefecht, das wir insgesamt sehr erfolgreich bewältigen konnten. Wir sind die einzige Partei in Deutschland, die Unterschriften sammeln musste und das auch in allen Bundesländern geschafft hat. Das ist ein großartiger Erfolg, auf dem wir jetzt aufbauen werden. Der Wahlkampf wird die begonnene Auseinandersetzung und die Methode der tiefgehenden Überzeugungsarbeit weiter intensivieren.

Jede Offensive ist an eine besondere Kraftanstrengung gebunden und sie muss eine Top-Qualität haben! Es gibt die Zeit des Urlaubs und der Entspannung und es gibt die Zeit der Mobilisierung aller Kräfte und ihrer Anspannung. Jetzt ist die Zeit großer Kräfteanspannung! Wir werden die nächsten Wochen täglich auf den Straßen, bei und unter den Menschen sein und uns vollständig auf diese Offensive der Kleinarbeit unter den Massen konzentrieren. Unsere Wählerinitiativen müssen aufgebaut, unsere Kontakte gefestigt werden und wir müssen viele Leute für die MLPD und den Kampf um den Sozialismus gewinnen. Daran werden wir messen, ob unsere Offensive in Verbindung mit den Bundestagswahlen Erfolg hat oder nicht.

Für diese Ziele ist der Geist, der von unserem Auftakt in Hamburg ausging, sehr wichtig: Die starke Überzeugungskraft, die Angriffslust und das Selbstbewusstsein, aber auch die Ausstrahlung, die von der großen Solidarität und gewachsenen Bündnisarbeit ausgeht. Besonders muss dabei die Bündnisarbeit mit verschiedenen Migrantenorganisationen hervorgehoben werden, mit denen wir einen gemeinsamen Wahlkampf führen. Die entscheidende Methode unserer Offensive ist eine wirklich systematische und intensive Kleinarbeit unter den breiten Massen – darauf baute auch der ­Erfolg von Hamburg auf.

Erlaubst du uns einen Blick hinter die Kulissen, was in der MLPD gerade an Problemen diskutiert wird?

Natürlich spiegelt sich jede gesellschaftliche Auseinandersetzung immer auch in der Partei auf die eine oder andere Weise wider. Wer vom Pseudo-Schmusekurs der Regierung beeinflusst ist, der meidet die Polarisierung. Wer mit den Stimmenzuwächsen der Linkspartei hadert, kann die geduldige Begleitung der Massen, mit der kleinbürgerlich-parlamentarischen Denkweise fertig zu werden, nicht leisten. Wer enttäuscht ist, dass die Arbeiter nicht sofort mit Ausbruch der Krise kämpfen, huldigt selbst der Anbetung der Spontaneität. Dilettantismus und Desorganisation machen sich breit, wenn man nicht unermüdlich an seinem Niveau der Beherrschung der dialektischen Methode arbeitet. Wir sind aber gut vorangekommen, alle diese Probleme zu lösen, weil wir im Ganzen als Partei bestens aufgestellt sind und hervorragende und begeisterte Mitglieder haben, nach deren Einsatzbereitschaft sich die anderen Parteien die Finger lecken würden. Die Offensive für den echten Sozialismus läuft und ist auch nicht mehr aufzuhalten.

Wie kommen MLPD und Jugendverband REBELL mit der Selbstveränderung ihrer Jugendarbeit voran?

Gerade wurden die Sommercamps als gemeinsames Projekt von Jugendverband REBELL und MLPD erfolgreich abgeschlossen. Mit den politischen Themen der Zeltgruppen, einer ganzen Bandbreite kultureller und sportlicher Freizeitaktivitäten, neuen Impulsen für Gemeinschaftsgefühl und Zusammenhalt unter Jugendlichen und gelungenen neuen Seiten der Rotfuchs-Arbeit waren sie wieder ein wichtiger Schritt vorwärts.

Wir müssen uns aber kritisch mit einer Auffassung auseinandersetzen, dass die Sommercamps der wichtigste Beitrag des REBELL zur Offensive für den echten Sozialismus seien. Kleine Brötchen backen ist nicht unsere Leit­linie in der Jugendarbeit! Wir wollen eine Jugendmassenorganisation aufbauen! Der ganze Kern ist die Selbstveränderung der systematischen Kleinarbeit des REBELL in der Offensive und die Verwirklichung der drei grundlegenden Wechselbeziehungen zwischen Partei und Jugendverband: Der ideo­logisch-politischen Führung, der praktischen Zusammenarbeit und der Förderung der organisatorischen Selbständigkeit. Wir hatten festgelegt, dass die ganze Offensive für den echten Sozialismus vorrangig auf die Jugend ausgerichtet sein muss. Hier muss noch viel mehr ideologisch-politischer Kampfgeist und Experimentierfreudigkeit walten!

Was willst du den Genossen mitgeben?

Wir müssen wirklich um jede Stimme kämpfen – nicht um der Stimme willen, aber wegen der Menschen, die für diese Stimmabgabe oft ihre Denkweise, ihr Bewusstsein verändern müssen und für die die Stimmabgabe für die MLPD oft ein erster Schritt ist, sich künftig am Kampf für eine neue Gesell­schaft im echten Sozialismus zu beteiligen.

Vielen Dank für das Interview!

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