02.06.05 - MLPD kandidiert flächendeckend zur Bundestagswahl

Interview mit Stefan Engel - Vorsitzender der MLPD

Rote Fahne: Du hast in Deinem Interview vor einer Woche bekannt gegeben, dass die MLPD sich an den Bundestagswahlen beteiligen will, und von einem bevorstehenden weiteren Prozess der Meinungsbildung in der Partei über die Art und Weise der Kandidatur gesprochen. Wie weit ist dieser Prozess fortgeschritten und wie ist die gegenwärtige Beschlusslage?


Stefan Engel: Nachdem PDS, WASG und Oskar Lafontaine auf unser Angebot zur Beteiligung an dem linken Wahlbündnis bisher nicht reagiert haben, haben wir beschlossen, eigenständig zur Bundestagswahl zu kandidieren.

Wir werden flächendeckend in allen Bundesländern antreten und in einigen Konzentrationsgebieten zusätzlich Direktkandidaten aufstellen. Bei der Kandidatur laden wir befreundete Vertreter von Selbstorganisationen in der Frauen- und Gewerkschaftsarbeit, bei den Montagsdemonstrationen oder in der Umweltbewegung ein, auf unseren Listen zu kandidieren. Die MLPD/Offene Liste versteht ihren Wahlkampf als Unterstützung des breiten Zusammenschlusses der kämpferischen Opposition gegen die volksfeindliche Regierungspolitik und steht für die Perspektive des echten Sozialismus.


Rote Fahne: Was ist aus dem Vorschlag für ein linkes Wahlbündnis geworden?


Stefan Engel: Die MLPD hat den Vorschlag von Oskar Lafontaine zu einem linken Wahlbündnis umgehend aufgegriffen und konstruktive Vorschläge an alle Beteiligten gemacht, wie ein breiter und gleichberechtigter Zusammenschluss zustande kommen könnte. Das wurde von den Spitzen von PDS und WASG ignoriert und die Verhandlungen von vornherein nur auf diese beiden Organisationen konzentriert. Ein Bündnis unter Ausschluss der MLPD als Partei des echten Sozialismus ist kein wirklich breites Bündnis, sondern eine Halbheit ohne revolutionäre Perspektive.

Ich schließe es nicht absolut aus, sehe es jedoch als sehr zweifelhaft an, ob ein solches Bündnis überhaupt zustande kommt. Nicht nur aus zeitlichen oder wahlrechtlichen Gründen, sondern auch aus politischen. So fordern mittlerweile die drei Landesverbände der WASG in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen den sofortigen Abbruch der Gespräche. Zum einen, weil kein einziges WASG-Mitglied von der Basis bzw. einem Parteitag zu solchen Gesprächen legitimiert worden sei, zum anderen, weil die PDS in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin gemeinsam mit der SPD an der Umsetzung der Hartz-IV-Beschlüsse beteiligt ist. Dann gibt es natürlich auch innerhalb der PDS große Widersprüche, z.B. die Partei in eine sogenannte Wahlpartei einzubringen, weil damit verschiedenste Nachteile verbunden wären. Mehr oder weniger stehen auf beiden Seiten parteitaktische und parteiegoistische Motive im Vordergrund, womit die vorhandenen Erwartungen einer wachsenden Masse von Menschen, die eine linke Alternative suchen, enttäuscht werden. Dafür müssen PDS und WASG die Verantwortung übernehmen. Außerdem pflegen und verbreiten die Spitzen von WASG und PDS immer wieder aggressive antikommunistische Vorbehalte unter anderem gegen die MLPD. Damit boykottieren sie eine ernsthafte linke Kooperation, die ohne die Offenheit für den echten Sozialismus eine Farce wäre.

Die MLPD ist nach wie vor zur Zusammenarbeit auf der Grundlage des Kampfes und auf gleicher Augenhöhe gegen die Agenda 2010 bereit. Aus verständlichen Gründen müssen wir jetzt aber mit Volldampf unsere eigene Wahlzulassung durchkämpfen, für die wir immerhin ca. 40.000 Unterstützungsunterschriften in 16 Bundesländern und einer Reihe von Direktwahlkreisen zu sammeln haben.


Rote Fahne: Zur Zeit sind die bürgerlichen Medien voller Spekulationen über die Art und Weise des Weges zu Neuwahlen und wann und wie Schröder die Vertrauensfrage stellen wird. Was meint die MLPD zu diesem ganzen Szenario?


Stefan Engel: Das für den 1. Juli beabsichtigte Stellen der Vertrauensfrage durch Bundeskanzler Schröder ist eine parlamentarische Farce erster Ordnung. Tatsächlich hat die Schröder/Fischer-Regierung ja das Vertrauen der Masse der Bevölkerung längst verloren. Wozu dann noch eine Vertrauensfrage? Innerhalb der Regierungskoalition geht nichts mehr und verschärfen sich die Widersprüche bis hin zu Überlegungen bei den Grünen, ihre Minister gegebenenfalls aus der Regierung zurückzuziehen. Die Regierung ist am Ende und der beste Weg, um zu Neuwahlen zu kommen, ist ihr sofortiger Rücktritt!

Das wäre wenigstens ehrlich und man könnte auf unsinnige parlamentarische Rituale wie das "konstruktive Misstrauensvotum" usw. verzichten. Nebenbei würde dies auch einiges an Steuergeldern für überflüssige Sitzungen und dergleichen sparen. In Anbetracht der Kürze des Wahlkampfs mit dem wahrscheinlichen Wahltermin am 18. September möchte ich außerdem die Forderung aufstellen, dass die Verpflichtung zur Sammlung von zehntausenden Unterstützungsunterschriften durch nicht im Bundestag vertretene Parteien umgehend ausgesetzt wird. Das war schon immer eine erhebliche Wahlbehinderung, die sich im jetzigen Fall des vorgezogenen "Blitzwahlkampfs" aber noch weit schärfer auswirken wird.  Fallen müssen auch die undemokratische Fünfprozentklausel, mit deren Hilfe die Hartz-IV-Parteien im Bundestag unter sich bleiben wollen, und eine Reihe anderer Wahlbehinderungen. Zugleich muss in diesem Bundestagswahlkampf auch Schluss gemacht werden mit der finanziellen und medienmäßigen Unterstützung faschistischer Parteien und Organisationen. Sie dürfen nicht zugelassen werden!


Rote Fahne: Für die CDU tritt Angela Merkel als erste Kanzlerkandidatin in der Geschichte der Bundesrepublik an. Ist es bei aller Ablehnung der Politik der CDU nicht auch ein Beitrag zur Gleichberechtigung der Frau?


Stefan Engel: Als Frau und aus den neuen Bundesländern stammend war Angela Merkel als Kanzlerkandidatin in der stockkonservativen CDU/CSU lange umstritten. Jetzt hat sie sich im innerparteilichen Machtkampf durchgesetzt. Ob dies ein Beitrag ist auf dem Weg zur Befreiung der Frau oder auch zur Überwindung der Spaltung zwischen Ost und West, wage ich zu bezweifeln. Frau Merkel wird eher in die Fußstapfen der berühmt-berüchtigten Margret Thatcher und ihres arbeiter-, frauen- und gewerkschaftsfeindlichen Kurses im Großbritannien der 1980er Jahre treten. Die Übernahme verantwortlicher Positionen von Frauen - was in der CDU/CSU die Ausnahme darstellt - ist in der MLPD übrigens die Regel. Wir haben den größten Frauenanteil aller Parteien in Deutschland und auf unseren Listen stehen überall kompetente Vertreter und Vertreterinnen der Arbeiter- und Volksbewegung aus Ost- und Westdeutschland. Auf beides sind unsere Mitglieder sehr stolz!


Rote Fahne: Die flächendeckende Kandidatur in 16 Bundesländern ist natürlich ein ehrgeiziges Ziel. Wie will die MLPD es schaffen, allein die dazu notwendigen Unterschriften zu sammeln?

Stefan Engel: Bereits am Wahlabend der Landtagswahl in NRW und Schröders Offenbarungseid haben wir zu den Delegiertenversammlungen aufgerufen, wo die Landeslisten aufgestellt werden. Wir werden also nächste Woche bereits mit der Unterschriftensammlung beginnen und wollen das in einer konzentrierten Arbeit bis zum 1. August 2005 möglichst abschließen. Die MLPD verfügt in allen Landesverbänden über Gruppen und Mitglieder, ist aber kräftemäßig in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich verteilt. Dazu hat das ZK einen umfassenden Plan ausgearbeitet, um eine gegenseitige Unterstützung zwischen den einzelnen Landesverbänden bzw. Städten zu organisieren. Natürlich müssen die großen Landesverbände in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen und auch die entwickelten Kreise die hauptsächliche Unterstützungsarbeit in den kleineren Kreisen leisten. Wir rufen auch alle mit uns zusammenarbeitenden parteilosen Sympathisanten auf, sich als Wahlhelfer zur Unterstützung der Wahlzulassung der MLPD einzusetzen. Wir werden überall Wählerinitiativen gründen, an denen auch Parteilose oder Mitglieder anderer Parteien, Initiativen oder Bündnisse gleichberechtigt mitarbeiten können. Wir gehen davon aus, dass die Wahlhelferbewegung um ein vielfaches größer sein wird als die gegenwärtige Mitgliedschaft von MLPD und REBELL.

Gleichzeitig besteht im gemeinsamen Wahlkampf auch die Möglichkeit, die Arbeit der MLPD besser kennen zu lernen und sich evtl. auch zu entscheiden, selbst Mitglied zu werden. Wir haben uns vorgenommen, im Laufe des Wahlkampfs mehrere hundert neue Mitglieder für Partei und REBELL zu gewinnen. Bisher ist es uns bei allen Wahlkampagnen der MLPD gelungen, die Partei nachhaltig zu stärken. Ich gehe davon aus, dass die Situation heute sogar günstiger ist als bei allen bisherigen Wahlkämpfen, weil die Leute uns gegenüber offener geworden sind, die MLPD einen erheblicheren Bekanntheitsgrad genießt und insbesondere unter den Industriearbeitern ein enger Schulterschluss entstanden ist, der sich insbesondere in den konzernweiten Kämpfen bei Siemens, DaimlerChrysler oder auch im Opelstreik ausgewirkt hat. Die MLPD hat sich auch einen Namen gemacht in der bundesweiten Montagsdemonstrationsbewegung, in der Umweltbewegung, im Friedenskampf oder auch im antifaschistischen Kampf. Das Umfeld der MLPD und die Beziehungen der MLPD zu den Massen sind um ein Vielfaches größer als noch bei der letzten Wahl, an der wir teilgenommen haben. Und nicht zuletzt sind wir auch mitgliedermäßig und organisatorisch gegenüber früher erheblich gewachsen. Insofern findet der Wahlkampf auf einem anderen, neuen Niveau statt.

Wir wollen uns nicht einfach nur am Wahlkampf beteiligen, sondern auch unüberhörbar in die öffentliche Wahlkampfauseinandersetzung eingreifen. Es ist damit zu rechnen, dass die bürgerlichen Medien und Parteien in erster Linie auf die sogenannte Schicksalswahl zwischen Schröder und Merkel hinwirken und auf der linken Seite höchstens über PDS oder Wahlalternative berichten wollen. Wir stellen aber in Stil und Inhalt eine umfassende Alternative zu dem ganzen Spektrum der bisherigen Parteien dar. Deshalb wird unser ganzer Wahlkampf sich auf den Straßenwahlkampf konzentrieren. Wir haben während dem Wahlkampf keinerlei Saalveranstaltung geplant, höchstens Kundgebungen, regelmäßige Treffs der Wählerinitiativen und natürlich unsere abschließenden Wahlfeten.

Nicht zuletzt haben wir die schon vorher beschlossene Spendenkampagne für 500.000 € für den Parteiaufbau der MLPD vorgezogen, um u.a. den Wahlkampf zu finanzieren.

Es gibt eine große Bereitschaft innerhalb der Partei und außerhalb der Partei, diese Offensive für den echten Sozialismus zu unterstützen und sich dafür einzusetzen. Viele Mitglieder und Helfer haben bereits ihren Urlaub verschoben, sich angeboten, insbesondere die Ferienzeit zu nutzen, sich intensiv am Wahlkampf zu beteiligen. Solche Eigeninitiative ist auch notwendig, damit das umfangreiche, mutige Programm auch bewältigt werden kann. Die Partei steht einhellig hinter der Entscheidung des Zentralkomitees. Die Zeit ist reif für einen großen Schritt nach vorn im Parteiaufbau und der Festigung der kämpferischen Opposition.


Rote Fahne: Besteht nicht die Gefahr, dass die Kräfte überspannt werden oder dass die parlamentarische Tätigkeit überbewertet wird?


Stefan Engel: Die wichtigste politische Aktivität der Massen ist nach wie vor die Beteiligung an Wahlen. Es wäre völlig weltfremd und sektiererisch, sich über diesen politischen Ansatz der breiten Masse der Bevölkerung hinwegzusetzen, auch wenn Wahlen die Welt nicht verändern. Das Parlament bleibt ein zentrales Betrugsinstrument, um die Massen über die Diktatur der Monopole hinwegzutäuschen.

Die Tatsache, dass in den letzten Jahren die Wahlbeteiligung tendenziell zurückgegangen ist, hat weniger etwas mit der Entpolitisierung zu tun, sondern eher mit einer politischen Loslösung der Massen von den bürgerlichen Parteien, dem Parlamentarismus und seinen Institutionen. Unser Wahlkampf ist notwendig, um den vielen Menschen, die nach einer Orientierung suchen, eine neue Perspektive zu verleihen und ihnen auch zu ermöglichen, sich aktiv einzubringen. Das alles wird die Partei und die kämpferische Opposition stärken. Es gibt keine Alternative für eine ernsthafte revolutionäre Partei mit einem bundesweiten politischen Anspruch, als diese politische Herausforderung anzunehmen.

Gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass wir unsere Kräfte strikt konzentrieren und andere Vorhaben, die wir in der Zeit hatten, überprüfen, umgestalten, verschieben oder ganz ausfallen lassen. Wir müssen uns vollständig auf diese Arbeit konzentrieren, dann wird es auch eine durchführbare Aufgabenstellung werden. Die Partei ist geübt genug, den Wahlkampf schnell zu beginnen, und wird ihre Kampagnenfähigkeit unmittelbar unter Beweis stellen. Bevor die ganzen bürgerlichen Parteien sich überhaupt besonnen haben, werden wir bereits in der Öffentlichkeit unübersehbar in Erscheinung treten. Ohne die Unterstützung der bürgerlichen Medien und ihrer millionenschweren Sponsoren wären die bürgerlichen Parteien kaum in der Lage, mit unserem Straßenwahlkampf mitzuhalten. Das ist eine wichtige Botschaft für alle diejenigen Menschen, die nicht mehr bereit sind, die herkömmlichen gescheiterten Parteien mit ihrer Stimme zu unterstützen.

Eine offene politische Krise, wie sie heute herrscht, hat immer zwei Seiten: die Herrschenden können nicht mehr in der alten Weise regieren und die Beherrschten wollen nicht mehr in der alten Weise regiert werden.

Aber es ist auch eine Suche nach Auswegen und bei dieser Suche muss die MLPD mit der Perspektive des echten Sozialismus unüberhörbar dabei sein. Es kann nicht sein, dass als Alternative zur Schröder/Fischer-Regierung lediglich eine Merkel/Westerwelle-Regierung in Erscheinung tritt oder vielleicht noch eine linksreformistische WASG und PDS, die lediglich davon träumen, zur alten sozialdemokratischen Politik vor Schröder zurückzukehren. Das reicht den Leuten nicht mehr und deshalb rechne ich mir auch gute Chancen aus, dass unser Projekt einer Offensive für den echten Sozialismus viel Erfolg haben wird.


Rote Fahne: Vielen Dank.

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