16.06.05: "Die Offensive für den echten Sozialismus ist gut angelaufen!"

Interview mit dem Vorsitzenden der MLPD, Stefan Engel, vom 16.06.2005

Seit dem Wahldesaster von SPD/BündnisGrünen in Düsseldorf haben wir auch eine Regierungskrise der Schröder/Fischer-Regierung. Hektische Aktivitäten zur Vorbereitung einer vorgezogenen Neuwahl bestimmen das Bild. Nach der positiven Reaktion der Börse hat man den Eindruck, dass das erfolgversprechend zu sein scheint.

Die Börsen spekulieren darauf, dass endlich wieder eine Regierung die Geschäfte übernimmt, die auch eine Massenbasis unter der Bevölkerung hat. Aber das sind eher Wünsche als reale Prognosen. Die Zeiten stabiler Regierungsverhältnisse sind vorbei. Das gilt auch für einen sich abzeichnenden Regierungswechsel. Mit dem Nein der Massen in Frankreich und den Niederlanden zur EU-Verfassung ist das ganze Europaprojekt in die Krise geraten. Das hat natürlich die politische Krise in Deutschland enorm verschärft.

Die Spitzen von SPD und Grünen sind zerstritten und schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu. Keiner will schuld sein am Desaster! Nicht wenige Sozialdemokraten - vor allem in NRW - haben die Nase erst mal voll von Wahlkampf und Wahlniederlagen. Bei den Grünen nagt der Zahn der Verdrossenheit inzwischen sogar schon an Übervater Joschka Fischer.

Befinden sich CDU/CSU und FDP nicht im Aufwind?

In CDU und CSU wird darüber gestritten, wie offen im Wahlkampf und in einer künftigen Regierung der weitere Kurs des verschärften Abbaus sozialer Errungenschaften und demokratischer Rechte und Freiheiten aussehen soll. Wohlgemerkt, der verschärfte Kurs steht außer Zweifel und wird von den Monopolverbänden auch nachdrücklich verlangt. Es geht nur um Form und Verpackung der geplanten Angriffe. Vielleicht kann Merkel die Lage zeitweilig entspannen, lösen kann auch sie die Problematik nicht. Jede Regierung, die die gegenwärtige Monopolpolitik weiterführen will, wird schnell das Vertrauen der Massen verlieren.

Wie beurteilst du die Entwicklung des Bewusstseins und der Stimmung unter den Massen?

Fallende Umfragewerte für die bürgerlichen Parteien sind ja schon der normale Alltag. Aber derzeit entwickeln sich deutlich die Kämpfe in der Arbeiter- und Volksbewegung. Am vergangenen Freitag demonstrierten 5000 Kollegen und Kolleginnen von BASF in Ludwigshafen für höhere Löhne und Gehälter. In Hemer und Lahr kam es zu - teilweise selbständig organisierten! - Massendemonstrationen gegen die angekündigte Arbeitsplatzvernichtung bei Grohe. Bei DaimlerChrysler in Mettingen gab es eine kämpferische Betriebsversammlung von über sechs Stunden mit riesiger kämpferischer Diskussionsbeteiligung. Ein neuer Kampf der Autobauer bei DaimlerChrysler bahnt sich an. Entschieden wurden die geplante Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzung in einem neuen Dienstleistungsvertrag abgelehnt. Im Bergbau werden offene Massenentlassungen vorbereitet und die Kumpels haben bereits entschiedenen Widerstand angekündigt. In der Druckindustrie sind die Tarifverhandlungen am kämpferischen Widerstand der Belegschaften zur Verteidigung der 35-Stunden-Woche gescheitert.

All das baut auf der Entwicklung zur Arbeiteroffensive seit dem 1. Mai 2003 und den Erfahrungen des Opel-Streiks auf. In NRW bekommt die neue Landesregierung auf jede Ankündigung von Verschlechterungen jeweils prompt die Antwort: Tausende Studenten demonstrierten gegen die Einführung von Studiengebühren! Hunderte demonstrierten in Ahaus gegen die neuerlichen Atommülltransporte. Für bedeutend halte ich auch die Proteste zahlreicher ,,kleiner Parteien" gegen die undemokratische Wahlbehinderung im Vorfeld der vorgezogenen Bundestagswahl.

Offenbar will die SPD-Führung nun durch eine Art Linksschwenk wieder Boden gut machen.

Das nimmt inzwischen schon groteske Formen an - wie der Besuch des Karl-Marx-Museums in Trier von Franz Müntefering. Der arme Marx! Doch die pseudolinken Sprüche aus der SPD werden nicht viel fruchten. Die Diskrepanz zwischen scheinheiliger Kapitalismus-Kritik und knallharter Politik der SPD-Führer im Auftrag der deutschen Sektion des internationalen Finanzkapitals ist einfach zu groß. Das vergessen die Arbeiter, die kleinen Angestellten oder die Arbeitslosen so schnell nicht!

Was ist eigentlich aus dem linken Wahlbündnis geworden, das Lafontaine am Tag nach der Landtagswahl in NRW vorgeschlagen hatte?

Die Idee für ein linkes Wahlbündnis ist unter Federführung der Parteispitzen von PDS und WASG zu einem Plan zur Gründung einer neuen linksreformistischen Partei verkümmert. Konkret für die Bundestagswahl ist eine offene Liste der PDS herausgekommen, die für WASG-Vertreter geöffnet wird. Jetzt tobt ein peinlicher Streit um Parlamentssitze, der das ganze Projekt durchaus wieder an den Rand des Scheiterns führen kann. So beansprucht die PDS bereits die ersten fünf Listenplätze in Berlin für sich und versucht der kleineren und organisatorisch schwächeren WASG den Takt zu diktieren, die sich dagegen entschieden zur Wehr setzt. Völlig ausgeklammert wurde bisher die programmatische Vereinheitlichung, was ja im Normalfall das erste ist, was geklärt werden muss, bevor man sich zusammentut.

Wir brauchen in Deutschland auf den Trümmern des reformistischen Scherbenhaufens keine neue linksreformistische Partei - keinen Neuaufguss der SPD vor Schröder, die ebenfalls auf der Lebenslüge von der sozialen Marktwirtschaft aufbaut. Die Arbeiterklasse und die breiten Massen brauchen eine neue gesellschaftliche Perspektive! Und das kann nur eine Bewegung für den echten Sozialismus sein!

Ein tatsächliches linkes Wahlbündnis hätte unter bestimmten Umständen ein wichtiges Signal für die Überwindung der Zersplitterung der Linken im Kampf gegen die neoliberale Monopolpolitik auf Kosten der breiten Massen sein können. Nur darauf wäre es angekommen! Wenn aber die Positionen und Beteiligung der MLPD bewusst ausgegrenzt werden, dann muss das auch als eine bewusst vollzogene Trennungslinie gegenüber der revolutionären Linken verstanden werden. Eine linke Liste ohne Marxisten-Leninisten wäre für mich wie eine Fußballmannschaft ohne Stürmer.

Die MLPD hat den Vorschlag von Oskar Lafontaine zu einem linken Zusammenschluss auf der Grundlage des gemeinsamen Kampfes gegen die volksfeindliche Regierung sofort begrüßt und positiv mit inhaltlichen Vorschlägen aufgegriffen. Außer einem unverbindlichen, hinhaltenden Brief des PDS-Vorsitzenden Bisky war die Resonanz bisher gleich Null. Auch eine Antwort!

Diesem doch etwas respektlosen Vorgehen gegenüber der MLPD, der ich von allen Beteiligten wohl ohne Übertreibung das größte Mobilisierungspotenzial zutraue, entspricht das Verhalten gegenüber der eigenen Parteibasis. Ich finde es doch bemerkenswert, dass hier die Parteispitzen beraten - und ihre Ergebnisse bereits als feststehende Vereinbarung an die Medien gegeben werden. Noch bevor die geplante Urabstimmung bei der WASG durchgeführt wird, stellt die PDS ein Ultimatum an die WASG-Spitze, sich zu entscheiden. Wenn es zu dieser gemeinsamen Kandidatur einer PDS/Offene Liste kommt, liegt darin auf jeden Fall schon heute ein Sprengsatz für Zerwürfnisse und Spaltungen.

Ich bin mir sicher: Die MLPD-Mitglieder würden auf die Barrikaden gehen, wenn sich bei uns ein Funktionär auch nur ansatzweise ein solches Verhalten leisten würde. Und das zu Recht!

In den letzten Wochen wurde innerhalb kürzester Zeit an der gesamten Parteibasis der MLPD die politische Lage, aber auch die daraus resultierenden Anforderungen an die MLPD und ihr Verhalten zu den vorgezogenen Neuwahlen diskutiert. Daraus ist eine Fülle von Meinungen und Erfahrungen, eine klare Entscheidungsgrundlage und eine hohe Vereinheitlichung in MLPD und REBELL entstanden. Ein solch demokratischer Stil hat natürlich auch sofort große Ausstrahlung nach außen.

Ist die MLPD inzwischen zu einer eigenständigen Kandidatur entschlossen?

Ja, selbstverständlich. Eine eigene Kandidatur hat natürlich den Vorteil, dass wir den Takt, die Argumentation, die Programmatik und den Stil des Wahlkampfs eigenständig bestimmen können. Aufgrund der Kürze der Zeit mussten wir umgehend mit der Vorbereitung unserer eigenen Kandidatur, der Aufstellung der Kandidaten und der Sammlung von Unterschriften beginnen. Wir haben uns entschieden, das auch als Beitrag für die Stärkung der kämpferischen Opposition zu organisieren. Wir haben also unsere Listen weit für Kandidaten der kämpferischen Opposition geöffnet, soweit das in der Kürze der Zeit möglich war. Wir nehmen auch bewusst fortschrittliche Positionen, Forderungen und Aktivitäten verschiedenster fortschrittlicher Bewegungen in unseren Wahlkampf auf.

Zugleich halten wir die Option einer Beteiligung an einem wirklich linken Wahlbündnis noch offen. Das fällt uns nicht leicht, weil es natürlich auch eine Reihe berechtigter Bedenken gibt und natürlich auch Kompromisse bedeutet, die man im Sinne einer gemeinsamen Sache gegenüber den Bündnispartnern selbstredend eingehen muss. Aber unsere Aktivitäten für eine Offensive des echten Sozialismus werden wir auch nicht davon abhängig machen, ob PDS oder WASG auf unser ernst gemeintes Angebot eingehen.

Wie ist der Start in die Vorbereitung der eigenständigen Kandidatur der MLPD/Offene Liste gelaufen?

In der kürzesten Frist gelang es, in allen 16 Bundesländern Landeslisten sowie in 36 Kreisen Direktkandidaten aufzustellen. Darunter sind auch parteilose Repräsentanten aus der Arbeiter- und Volksbewegung oder z.B. auch Mitglieder von PDS und DKP. Das drückt eine hervorragende Initiative aus, für die ich mich bei allen Mitgliedern und Freunden herzlich bedanken will. Am letzten Wochenende wurden bereits Tausende von Gesprächen geführt und zirka 1.800 Unterschriften für die Landeslisten und 600 für Direktkandidaten gesammelt. Zirka 700 Mitglieder haben sich bisher in die Listen der Wählerinitiativen der MLPD/Offene Liste eingetragen. Auch die Spendensammlung für den Wahlkampf und die Werbung von zahlreichen Probeabonnenten der Roten Fahne hat lebhaft begonnen. Wie immer fühlen sich die MLPD und ihre Freunde von den größten Aufgaben am lebhaftesten herausgefordert! Dass wir innerhalb von acht Wochen 40.000 Unterschriften für die Wahlzulassung zu sammeln haben, ist natürlich kein Pappenstil. Mit jedem neu gewonnenen Wahlhelfer wächst aber zugleich die Bewegung "Neue Politiker braucht das Land!". Deshalb werden am Ende auch nicht alleine Unterschriften auf Formularen stehen, sondern eine wachsende Masse von Menschen, die gemeinsam mit der MLPD und ihrem Jugendverband REBELL die eigenen Geschicke fortan selbst in die Hand nehmen werden.

Vielen Dank für dieses Gespräch und weiterhin viel Erfolg im so begeisternd begonnenen Wahlkampf der MLPD/Offene Liste.

 

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