26.07.05: "Ich sehe einem offensiven und begeisternden Wahlkampf entgegen"

Interview mit dem Vorsitzenden der MLPD, Stefan Engel, vom 26.07.2005

Rote Fahne: Am Freitag hat Bundespräsident Horst Köhler den Bundestag aufgelöst. Alle Parteivertreter haben diesen Schritt begrüßt. Wie steht die MLPD dazu?

Stefan Engel: Auch die MLPD ist für Neuwahlen, da sich längst gezeigt hat, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Schröder/Fischer-Regierung ablehnt. Allerdings halte ich die Art und Weise der Auflösung des Bundestags für eine Farce. Schröder hätte einfach zurücktreten sollen. Stattdessen bezweckt er mit seiner manipulierten Vertrauensfrage im Bundestag, dass er in der direkten Gegenüberstellung mit den Programmen von CDU/CSU/FDP als kleineres Übel besser abschneidet. Es zeichnet sich allerdings schon ab, dass diese Taktik nicht aufgeht. Das Hauptproblem für ihn ist, dass die Sozialdemokratie inzwischen gespalten ist. Mit der "Linkspartei" gibt es eine zweite sozialdemokratische Partei. Die Spaltung der Sozialdemokratie wird bewirken, dass die Bindungskraft der SPD gegenüber den Massen insgesamt zurückgeht. Das macht sie als Geschäftsführerin der Monopole uninteressant. Der BDI-Geschäftsführer von Wartenberg hat bereits erklärt, dass die Monopole einen Regierungswechsel begrüßen würden.

Rote Fahne: Die Meinungsumfragen zeigen, dass die "Linkspartei" vorläufiger Gewinner der vorgezogenen Wahlen wäre. Wie ist das zu beurteilen?

Stefan Engel: Wenn sich die Umfragen bei den Wahlen bestätigen, dass 10 bis 12 Prozent der Wahlberechtigten die "Linkspartei" wählen, dann ist es auf jeden Fall gelungen, einen Teil der enttäuschten sozialdemokratischen Wähler und auch fortschrittliche und kämpferische Leute an die "Linkspartei" zu binden. Sie hat insbesondere in Ostdeutschland eine große Massenbasis und wäre dort im Moment die stärkste Partei. Allerdings bezweifle ich, dass diese Partei auf Dauer die Bedürfnisse und Interessen der kämpferischen Opposition befriedigen wird. Schon die ersten Äußerungen der Parteiführer, dass sie sich durchaus vorstellen könnten, irgendwann mit der SPD wieder zusammen zu gehen, zeigen, dass die grundsätzlichen Unterschiede zwischen SPD und "Linkspartei" relativ gering sind. Damit kann die "Linkspartei" keine wirkliche Alternative darstellen. Ihre Führung wird ebenso bereit sein, sich den "Sachzwängen" zu fügen, wie diese auch von der SPD und den Grünen akzeptiert wurden. Die neue Partei steckt bereits jetzt voller grundsätzlicher und konkreter Widersprüche, die derzeit - aus unterschiedlichen Motiven - durch die gemeinsame Hoffnung auf eine starke Vertretung im neuen Bundestag (noch) übertüncht werden. Deshalb vermute ich, dass die neue "Linkspartei" in ihrer jetzigen Zusammensetzung und Programmatik mittelfristig eher ein Zwischenspiel in der Parteienlandschaft auf dem Weg nach links sein wird. Die Gradlinigkeit und Verlässlichkeit der MLPD, in Verbindung mit ihrer großen Bündnisbereitschaft und -fähigkeit, hat dagegen zweifellos Perspektive und Zukunft.

Rote Fahne: Die MLPD hatte ursprünglich vor, selbst in ein linkes Wahlbündnis einzutreten. War das falsch?

Stefan Engel: Natürlich waren wir dafür, dass ein breites Wahlbündnis entsteht, das die gesamte kämpferische Opposition gegen die Schröder/Fischer-Regierung auf antifaschistischer Grundlage umfasst. Wir hätten dabei den Part gespielt, die echte sozialistische Alternative und die klassenkämpferische Arbeiterbewegung zu vertreten. Unser Angebot, in ein breites linkes Wahlbündnis einzutreten, wurde von den Führern der WASG und der PDS abschlägig beschieden bzw. gar nicht beantwortet. Das war nicht einfach eine Unhöflichkeit, sondern eine Grundsatzentscheidung über den Charakter des Bündnisses. Entsprechend ist ein neues linksreformistisches Parteienprojekt auf den Weg gebracht worden, das sich ausdrücklich nicht - noch nicht einmal mehr verbal - auf den Sozialismus beruft. Wir anerkennen allerdings, dass diese "Linkspartei" heute im Widerspruch zur Schröder/Fischer-Regierung, aber auch einer eventuellen Merkel/Westerwelle-Regierung steht und insofern auch ein potentieller Bündnispartner im Kampf gegen die Umverteilung von unten nach oben zu Lasten der Massen und zu Gunsten der Monopole, im Kampf für den Weltfrieden, im antifaschistischen Kampf sein kann. Dazu müsste sie jedoch ihre Ausgrenzungspolitik nach links aufgeben und für eine Einheit auf der Grundlage des Kampfes gegen die volksfeindliche Politik bereit sein.

Rote Fahne: Ist die "Linkspartei" zu einem Gegner im Wahlkampf geworden?

Stefan Engel: Unser Gegner ist die große Koalition aus SPD, CDU, CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, die die gegenwärtige Regierungspolitik zu verantworten hat und auch für die Zukunft offenbar nicht bereit ist, einen grundsätzlichen Richtungswechsel vorzunehmen. Einige linke Slogans und Forderungen in den Wahlprogrammen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sind nur taktische Manöver gegenüber dem Linkstrend in der Wählerschaft. Unsere Gegner sind auch die Neofaschisten insbesondere der NPD, die die parlamentarische Ebene für ihre neofaschistische Propaganda nutzen wollen und die die widerwärtigsten Vertreter der kapitalistischen Verhältnisse darstellen. Diese sind glücklicherweise im Moment bei den Meinungsumfragen in ein tiefes Loch gefallen.

Unser Verhältnis zur "Linkspartei" ist differenziert. Ich halte nichts von pauschalen Verurteilungen dieser Partei, wie ich sie in der letzten "Roten Fahne" lesen konnte. Wir suchen nach wie vor die Einheit mit dieser Partei auf der Grundlage des gemeinsamen Kampfes gegen die Regierung, bei Wahrung der Eigenständigkeit der Beteiligten. Wir kritisieren jedoch die reformistische Grundrichtung dieser neuen Partei als eine Illusion, die immer die Aussöhnung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen des staatsmonopolistischen Kapitalismus beinhaltet. Vergessen wir aber nicht, dass das Projekt der "Linkspartei" und ihrer gegenwärtigen Alternativen ein Produkt des Widerstands gegen Hartz IV und die Agenda 2010 der Schröder/Fischer-Regierung ist. Die Masse der Menschen, die die "Linkspartei" heute unterstützt, ist also ein Potential, teilweise sogar jetzt schon aktiver Bestandteil der kämpferischen Opposition und wir haben die Aufgabe, sie mit geduldiger Überzeugungskraft für den echten Sozialismus zu gewinnen und sie nicht mit pauschalen Äußerungen vor den Kopf zu stoßen. Dies halte ich für besonders unsolidarisch und unangebracht in einer Situation, in der die neue "Linkspartei" von Seiten der Monopolparteien ätzend, diffamierend und unsachlich attackiert wird. Diesbezüglich werden wir die Repräsentanten der "Linkspartei" sogar gegen die billige Demagogie der herrschenden Monopolparteien in Schutz nehmen.

Rote Fahne: Hätte man die Entwicklung dieses Wahlbündnisses nicht von vornherein sehen können?

Stefan Engel: Natürlich haben wir diese Möglichkeiten von vornherein einberechnet. Aber es ist immer richtig, darum zu kämpfen, dass aus einem linken Wahlbündnis etwas Vernünftiges wird. Wir werden auch jetzt den Kampf nicht aufgeben, um uns mit den Menschen, mit denen wir seit Monaten gemeinsam im Kampf gegen Hartz IV stehen, auf einer breiten Grundlage des Kampfes gegen die Regierung zusammen zu schließen. In Krisensituationen wie der heutigen erweitern sich die Möglichkeiten der Zusammenarbeit, die wir immer nutzen müssen, unabhängig davon, ob es letztlich zum Erfolg führt oder nicht. Selbst wenn die "Linkspartei" und die MLPD jetzt getrennt marschieren und im Wahlkampf in eine gewisse Konkurrenz gegeneinander treten, dürfen wir nie vergessen, dass sich nach wie vor das hauptsächliche Potential für die kämpferische Opposition heute an der "Linkspartei" orientiert. Man darf nicht nur die unmittelbar bevorstehenden Wahlergebnisse betrachten, sondern muss den Leuten auch Zeit geben, ihre Erfahrungen mit dem neu entstandenen Linksreformismus zu machen. Sich überheblich hinzustellen und zu sagen, das ist alles Quatsch, bringt uns nicht weiter. Unsere Aufgabe ist es, die Massen geduldig und kritisch in ihren Erfahrungen zu begleiten und ihnen zu helfen, insbesondere mit einer noch verbreiteten kleinbürgerlich-reformistischen und kleinbürgerlich-revisionistischen Denkweise fertig zu werden.

Rote Fahne: Wie läuft die Vorbereitung der MLPD auf die Bundestagswahl?

Stefan Engel: Wir haben uns rechtzeitig darauf eingestellt, selbständig zu kandidieren, und so ist es auch gekommen. Die sozialistische Alternative muss jetzt mit einer eigenständigen Liste antreten. Es haben sich einige Parteilose gefunden, die auf dieser Liste kandidieren, so dass auch unsere Offene Liste ein Ausdruck unseres erklärten Willens zur Einheit auf der Grundlage des Kampfs gegen die Regierung ist. In den ersten sieben Wochen haben wir bereits 40.000 Unterschriften sammeln können und damit über 95 Prozent der notwendigen Unterschriften, die wir in ca. drei Wochen vorlegen müssen. Die Unterschriften für sieben Landeslisten und 30 Direktkandidaten sind in einer großen Initiative von Freunden und Genossen vorfristig gesammelt worden. Noch nie haben die Leute so bereitwillig die Kandidatur der MLPD mit ihrer Unterschrift unterstützt. Noch nie hat die MLPD in einer so kurzen Zeit einen Wahlkampf aus dem Stand heraus beginnen können und noch nie hat die Organisation so effektiv und überzeugend gearbeitet. Unsere Mitglieder können stolz auf ihre Partei sein und die Partei ist auch stolz auf ihre Mitglieder.

Rote Fahne: Welche Schlussfolgerungen müssen aus diesen ersten Erfahrungen mit der Offensive des echten Sozialismus gezogen werden?

Stefan Engel: Die Offenheit der Menschen für den echten Sozialismus selbst in Städten, wo die MLPD bisher noch gar nicht oder sehr eingeschränkt arbeitete, wie in Emden, Cottbus, Bremerhaven, Brandenburg, Wörth, Kaiserslautern, Koblenz, Neuwied usw. zeigt uns, dass hier ein großes Potential entstanden ist, um den Parteiaufbau voran zu treiben. Deshalb hat das ZK beschlossen, die Erweiterung und Beschleunigung des Parteiaufbaus in Zusammenhang mit unserer flächendeckenden Kandidatur zur Bundestagswahl unmittelbar in den Mittelpunkt unserer Offensive für den echten Sozialismus zu stellen. Dazu haben wir begonnen, die Kräfte innerhalb der Partei umzugruppieren. In den Orten, in denen wir bisher schon arbeiten, muss die Gewinnung neuer Mitglieder sehr forciert werden und zugleich müssen wir in einer ganzen Reihe von Städten und Betrieben mit einer organisierten Parteiarbeit neu anfangen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch hervorheben, dass inzwischen über 70 örtliche Wählerinitiativen entstanden sind, die nach sieben Wochen insgesamt schon fast 3.000 Mitglieder haben. Damit haben wir sehr schnell ein aktives Potential an Unterstützung für den Wahlkampf der MLPD/Offene Liste erreichen können, das jetzt im Laufe des Wahlkampfs noch auf etwa 5.000 ausgeweitet werden soll. Hervorzuheben ist auch, dass eine Reihe türkischer Organisationen wie ATIF/ATIK, AGIF und ADHF inzwischen die Unterstützung der Kandidatur der MLPD erklärt und ihre Mitglieder aufgefordert haben, die MLPD in ihrem Wahlkampf zu unterstützen bzw. die MLPD zu wählen. Für diese solidarische Unterstützung bedanken wir uns herzlich!

Ich gehe davon aus, dass die MLPD in diesem Wahlkampf unübersehbar in Erscheinung treten wird und dass es schwer sein wird, die MLPD in den Medien auszublenden, wie das bei früheren überregionalen Wahlen der Fall gewesen ist. Schon bei den Landtagswahlen in NRW im Mai dieses Jahres hatte die SPD es wiederholt für nötig gehalten, gegen die MLPD zu wettern, obwohl wir gar nicht zu dieser Wahl kandidiert haben. Es ist auf jeden Fall damit zu rechnen, dass die MLPD einigen Gegenwind erfahren wird. Aber Gegenwind liegt uns!

Dennoch müssen wir uns im Klaren darüber sein, dass die Wahlen in erster Linie in den Medien entschieden werden und natürlich jetzt schon systematisch darauf hingearbeitet wird, wie üblich die MLPD unter "Sonstige" einzureihen und ihr entsprechenden Zugang zu den Massenmedien zu verwehren. Wir werden das durch einen offensiven Straßenwahlkampf ausgleichen. Aber selbst wenn wir den aktivsten Wahlkampf von allen führen, erreicht das ohne Medien nur einen Bruchteil der Bevölkerung. So liegt das Wahlergebnis natürlich nur in Teilen in unserer Hand. Fest steht schon heute, dass der Parteiaufbau einen riesigen Schritt voran kommen wird.

Das Zentralkomitee, die Mitglieder der MLPD und ihres Jugendverbands REBELL und auch die Freunde der Partei, die sich in den Wählerinitiativen zusammengeschlossen haben, sind für diese Herausforderung bereit und ich sehe einem offensiven und begeisternden Wahlkampf entgegen.

Rote Fahne: Vielen Dank


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