31.12.05: Merkels "große Gemeinsamkeit" ist eine große Heuchelei - 2006 muss ein Jahr der Stärkung der kämpferischen Opposition und der Offensive des echten Sozialismus werden

Interview mit dem Vorsitzenden der MLPD, Stefan Engel, vom 31.12.2005

31.12.05 - Heute Abend wird Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Neujahrsansprache erneut die gemeinsame "nationale Anstrengung" beschwören, für die sich jeder das Ziel setzen soll, "im kommenden Jahr überall noch ein wenig mehr als bisher zu vollbringen". Während in der Regierungserklärung von der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit kaum die Rede war, wird die "erschreckend hohe Arbeitslosigkeit" jetzt wieder zum "Problem Nr. 1" erklärt. In einem offenen Brief, der in den großen Zeitungen am Freitag veröffentlicht wurde, bediente sich Merkel sogar demagogisch einer der Arbeiterbewegung entlehnten Formulierung. Unter der Überschrift "Gemeinsam sind wir stärker" heißt es dort: "Ich kann nicht akzeptieren, dass wir für so viele arbeitswillige Männer und Frauen in unserem Land keine Beschäftigung finden. Die Bundesregierung hat damit begonnen, ein neues Klima für Unternehmen zu schaffen. Wir senken die Lohnnebenkosten, damit endlich wieder mehr Menschen in Arbeit kommen."

Mit den letzten beiden Sätzen befindet sich die Bundeskanzlerin allerdings in voller Übereinstimmung mit BDA-Präsident Hundt. Dieser sagte heute in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung", Merkels Ziel sei löblich, aber doch sehr bescheiden: "Darüber hinaus werbe ich für eine grundsätzliche Umstellung der Systeme. Die gesetzliche Versicherung soll nur noch eine Basisversorgung anbieten - alles andere müssen die Bürger in Eigenvorsorge selbst gestalten." Die Regierung solle doch bitte ein etwas schnelleres Tempo vorlegen, um dadurch "Wachstumsbremsen" zu beseitigen. Noch ungebremster als bisher sollen vor allem die Profite der internationalen Monopole wachsen. Nachdem die offiziell ausgewiesenen Gewinne der 30 größten deutschen Monopole im Jahr 2004 bereits 35 Milliarden Euro umfassten, stiegen sie allein im Zeitraum von Januar bis September 2005 auf 40 Milliarden Euro.

Die dafür in den Betrieben durchgesetzte Ausbeutungsoffensive führt allerdings auch zu einer ungebremsten Fortsetzung der Arbeitsplatzvernichtung. Wurden von denselben 30 Monopolen im Jahr 2004 bereits 35.000 Arbeitsplätze vernichtet, werden es im Jahr 2005 voraussichtlich 54.000 sein. Wenn Hundt von der Beseitigung von "Wachstumsbremsen" spricht, geht es ihm nicht um die Schaffung neuer Arbeitsplätze, sondern um die noch weitergehende Zerschlagung der Sozialversicherungssysteme, die erhebliche Ausweitung des Niedriglohnsektors, die weitere Aufweichung des bereits durchlöcherten Kündigungsschutzes und noch umfassendere drastische Einschnitte in die gesamten Lebensverhältnisse der Massen.

Der Vorsitzende der MLPD, Stefan Engel, nahm heute in einem Interview mit "rote fahne news" zu den Neujahrsbotschaften der Regierung Stellung:

rote fahne news: Die Bundeskanzlerin Angela Merkel appelliert heute Abend in ihrer Neujahrsansprache noch einmal an die "gemeinschaftlichen Anstrengungen". Sie will Deutschland binnen zehn Jahren "an die Spitze Europas" führen. Was ist davon zu halten?

Stefan Engel: Der Ruf Merkels nach dieser Gemeinsamkeit über alle Klassengrenzen hinweg ist bloße Heuchelei. Ihre Methode, den Plan zu strecken und einige Angriffe zeitlich zu verschieben, ändert nichts an der Umverteilung des Staatshaushalts von unten nach oben. Die lässt breite Massen verarmen, damit die Profite der Herrschenden noch besser sprudeln. Frau Merkels drei Millionen Euro schwere Kampagne dafür, dass sich die ganze Bevölkerung zusammenschließt und sich für Deutschlands Rang im internationalen Wettbewerb stark macht, wird nicht von Erfolg gekrönt sein. Die Menschen haben andere Sorgen.

rote fahne news: Angela Merkel spricht ständig von der "Politik der kleinen Schritte". Das scheint BDA-Präsident Hundt etwas auf die Nerven zu gehen. Er sagte heute in einem Interview, dass seine Geduld von der Bundesregierung ziemlich strapaziert werde.

Stefan Engel: Diese Politik der kleinen Schritte ist ja ganz offensichtlich eine Reaktion auf die offene politische Krise, die vom Mai bis November 2005 in Deutschland herrschte. Die Regierung konnte nicht mehr in der alten Weise regieren, die Massen wollten nicht mehr in der bisher gewohnten Weise regiert werden. Jetzt wird erstmal alles versucht, um die Handlungsfähigkeit der Regierung herzustellen. Aber schon machen die Monopole Druck, dass die Regierung die Politik der Umverteilung zu Gunsten der Monopole und zu Lasten der breiten Masse der Bevölkerung forcieren soll. Wenn die konkreten Auswirkungen dieser Politik deutlich werden, kann die große Koalition ihre salbungsvollen Reden nicht mehr ungestraft von sich geben. Das Projekt der großen Gemeinsamkeit wird scheitern, davon bin ich fest überzeugt.

rote fahne news: In wenigen Stunden beginnt das neue Jahr. Welche Herausforderungen wird es bereit halten für die kämpferische Opposition und für die MLPD?

Stefan Engel: Natürlich muss die kämpferische Opposition sich erst einmal in der neuen Situation zurecht finden. Die Beschwörung dieser angeblich großen Gemeinsamkeit ist gar nicht so einfach zu durchschauen. Aber sie wird durchschaut werden, da bin ich sicher. Für das Jahr 2006 wünsche ich mir, dass die kämpferischen Potentiale näher zusammenrücken und eine breite kämpferische außerparlamentarische Opposition gegen die Regierungspolitik zustande kommt.

Wir haben es mit einer Entwicklung der Destabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse des Imperialismus zu tun. Verschärfte Klassenauseinandersetzungen reifen heran. Die MLPD muss dazu in der Lage sein, ihre gesellschaftsverändernde Rolle zu spielen. Dazu braucht sie mehr und stärkere Kräfte. Im Mittelpunkt unserer Arbeit wird daher weiterhin die Erweiterung und Beschleunigung des Parteiaufbaus stehen. Selbstverständlich nicht ohne die gleichzeitige Förderung der Selbstorganisationen der Massen und der kämpferischen Kräfte. Ihnen, zum Beispiel der Bewegung der Montagsdemonstrationen, fühlen wir uns freundschaftlich verbunden.

Die Leute suchen doch heute viel stärker als früher nach einer gesellschaftlichen Alternative. Da ist es das Gebot der Stunde, dass die MLPD in ihrer populären Agitation und Propaganda ihre Vorstellungen vom echten Sozialismus unter den Massen verbreitet. Dazu gehört auch, über die Schlussfolgerungen zu sprechen, die aus der revisionistischen Entartung und der Restauration des Kapitalismus in allen ehemals sozialistischen Ländern gezogen wurden und werden, damit der Kampf für den echten Sozialismus einen neuen Aufschwung nimmt.

In diesem Sinne wünsche ich allen Leserinnen und Lesern von "rote fahne news" einen guten Rutsch in das Jahr 2006 hinein!

rote fahne news: Dem schließen wir uns an, wünschen das gleiche auch Dir und danken ganz herzlich für das Gespräch.

 

 

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